Colneric/GerdemannDie Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie in deutsches Recht

Bund-Verlag, Frankfurt am Main 2020, HSI-Schriftenreihe Band 34, 187 Seiten, kartoniert, € 19,80 (PDF kostenlos)

WOLFGANGGORICNIK (SALZBURG)

„Whistleblower“ melden Rechtsverstöße und Missstände. Mit „Whistleblowing“ bezeichnet man im arbeitsrechtlichen Zusammenhang das Aufdecken von (auch fahrlässigen) Missständen und Unregelmäßigkeiten oder schlichtweg auch bloßen Organisationsmängeln in der öffentlichen Verwaltung oder in privaten Unternehmen durch die eigenen AN bzw auch durch den BR, darüber hinaus aber auch durch andere „Organisationsinsider“ mit einem privilegierten Zugang zu Informationen (zB LieferantInnen). Dabei werden zB Informationen über Steuerhinterziehung, Kartellabsprachen, Manipulationen des Aktienkurses und Schmiergeldzahlungen, aber auch über Qualitätsprobleme, Lieferschwierigkeiten, Unregelmäßigkeiten (zB bei der Kreditvergabe durch eine Bank) oder den Verstoß gegen arbeitsrechtliche oder arbeitnehmerschutzrechtliche Vorschriften an GeschäftspartnerInnen des AG, Behörden, Interessenvertretungen oder auch direkt an die Presse weitergegeben (sogenanntes „externes Whistleblowing“ iwS). Nachvollziehbarerweise haben AG sohin ein eminentes Interesse daran, dass derartige Meldungen im Unternehmen bleiben, sprich – über dafür eigens eingerichtete Kanäle unter Umgehung des sonstigen „Dienstweges“ – an eigens eingerichtete unternehmensinterne Stellen adressiert und dort bearbeitet werden (sogenanntes „internes Whistleblowing“); darüber hinaus wird die Einrichtung einer solchen „Whistleblowing-Hotline“ mittlerweile auch als ein Instrument der Überwachung der Einhaltung von Compliance-Vorgaben verstanden und von speziellen Rechtsmaterien (zB insb im Finanzdienstleistungsbereich) auch schon angeordnet.

Im österreichischen und deutschen Recht finden sich derzeit dazu lediglich einige Spezialbestimmungen, doch fehlt bisher ein durchgängiges und vor allem hinreichend schutzintensives Whistleblowing-Recht. Ende 2019 ist die RL (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (im Folgenden: „Whistleblower-RL“), ABl L 2019/305, 17 in Kraft getreten und die Mitgliedstaaten der EU sind verpflichtet, diese Vorgaben im Wesentlichen bis zum 17.12.2021 umzusetzen. Ziel der neuen RL ist die Stärkung des individuellen Schutzes von Whistleblowern und die Vorgabe institutioneller Rahmenbedingungen von entsprechenden Meldungen. Die rechtspolitische Debatte für die Umsetzung der Vorgaben ins deutsche Recht ist bereits in vollem Gange; einen wichtigen Beitrag dazu soll ein Gutachten leisten, das durch den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in Auftrag gegeben wurde und gegenständlich in der Schriftenreihe des Hugo Sinzheimer Institutes für Arbeits- und Sozialrecht publiziert wurde.

Das AutorInnenteam erläutert ausführlich die Vorgaben der RL und den sich daraus ergebenden Handlungsbedarf des deutschen Gesetzgebers vor dem Hintergrund bestehender Regelungslücken im deutschen Recht. Mit 53 Auslegungshinweisen und Empfehlungen für die Umsetzung der RL schließt das publizierte Gutachten ab.

Zu den aus arbeitsrechtlicher Sicht entscheidenden Hinweisen des AutorInnenteams gehören vor allem Umsetzungs- bzw Ausgestaltungsvorschläge (de lege lata wie auch de lege ferenda) wie die rechtliche Gleichstellung von internem und externem Whistleblowing (iSd RL), die Erstreckung des sachlichen Anwendungsbereiches im Wege einer Generalklausel über enumerativ aufgelistete Rechtsakte und Normen der EU hinaus auch auf nationale Regelungssachverhalte (dh die Inklusion von Verstößen gegen einen abstrakt bestimmten Normtypus) und (über Rechtsverstöße hinaus) die Schaffung eines zusätzlichen Auffangtatbestandes für die Meldung von Missständen von grundlegender Bedeutung, an deren Offenlegung ein öffentliches Interesse besteht, wenn anderweitige Abhilfe nicht zu erwarten war. Zudem sollte der Schutz von (auch beamteten) Whistleblowern antidiskriminierungsrechtlich ausgestaltet werden und rechtsgebietsübergreifend – insb auch beim Kündigungsschutz in Richtung eines Weiterbeschäftigungsanspruches – Repressalien verbieten. Zu einer effektiven Umsetzung gehöre außerdem, so die Analyse, auch ein direktes externes Melderecht an eine Behörde, ein kohärenter schutzauslösender Gutglaubensmaßstab (auch für die Beschaffung notwendiger Informationen im Vorfeld der Meldung oder Offenlegung) und eine effektive Beweislastumkehr zugunsten des Whistleblowers in sämtlichen Verfahren, die sich auf eine vom Whistleblower erlittene Benachteiligung beziehen. Für Aufsichtsräte in Unternehmen von öffentlichem Interesse sollte ein vorstandsunabhängiger, unmittelbar zum Aufsichtsrat führender 358 Meldekanal geschaffen werden. Aus der RL ergebe sich auch ein Anpassungsbedarf der gesellschaftsrechtlichen Verschwiegenheitspflichten für Aufsichtsräte. Zudem sollte festgelegt werden, dass selbst anonyme Meldungen durch interne sowie externe Whistleblowing-Stellen angemessen weiterzuverfolgen sind. Um die Vorgaben der RL rechtssicher und effektiv umzusetzen, empfiehlt das AutorInnenteam schließlich die Schaffung eines eigenständigen Whistleblower-Gesetzes.

Für viele wird insb frappierend sein, dass der Wortlaut des Art 10 Whistleblower-RL („Meldung über externe Meldekanäle“) explizit ausspricht, dass auch eine direkte Meldung von Verstößen über externe Meldekanäle an von den Mitgliedstaaten zu benennende zuständige Behörden Schutz genießt (im Gegensatz zu einer „Offenlegung“ gem Art 15 RL, zB gegenüber der Presse, die zusätzliche Bedingungen aufstellt, insb vorherige interne oder externe folgenlose Meldungen). Colneric/Gerdemann betonen selbst angesichts von Art 7 Abs 2 RL, wonach die Mitgliedstaaten Whistleblower unter bestimmten Voraussetzungen dazu ermutigen sollen, interne Meldekanäle zu benutzen, bevor sie sich an externe Whistleblower-Stellen wenden, dass es im Ermessen des Whistleblowers stehe, entweder intern oder gleich extern Meldung zu erstatten. Ausgeführt wird, es scheine in erster Linie mit dem Heinisch-Urteil des EGMR 21.7.2011, 28274/08, Heinisch/Germany zusammenzuhängen, dass die Vereinbarkeit einer unmittelbaren externen Meldemöglichkeit mit der Grundrechte-Charta (GRC) in Zweifel gezogen worden ist; aus diesem Urteil wurde nämlich zT abgeleitet, dass das interne Whistleblowing grundsätzlich Vorrang vor dem externen Whistleblowing habe und gem Art 52 Abs 3 GRC müsse dies bei der Interpretation der durch Art 11 GRC garantierten Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit berücksichtigt werden. Dazu wird weiter ausgeführt, dass diese Sichtweise des Urteiles aber auf einem Irrtum beruhe: Nur den Gang in die Öffentlichkeit sieht der EGMR als letztes Mittel an (Rz 65: „Consequently, in the light of this duty of loyalty and discretion, disclosure should be made in the first place to the person‘s superior or other competent authority or body. It is only where this is clearly impracticable that the information can, as a last resort, be disclosed to the public. [...]“). Nichts in den Ausführungen deute aber darauf hin, dass vor dem Gang zu den Behörden zunächst eine interne Meldung erfolgen müsse, soweit dies zumutbar ist. Das bedeute, dass Vertragsstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die in ihren nationalen Regelungen zum Schutz von Whistleblowern keinerlei Rangverhältnis zwischen internem Whistleblowing und dem Gang zu den Behörden vorsehen, ihre Verpflichtungen aus der EMRK nicht verletzen.

Im Gegensatz zur deutschen Judikatur, die das Fehlen eines innerbetrieblichen Hinweises auf die angezeigten Missstände als Indiz für eine unverhältnismäßige Reaktion des anzeigenden AN ansieht (siehe die Leitentscheidung BAG 3.7.2003, 2 AZR 235/02, wonach ein unmittelbares Einschalten der Strafverfolgungsbehörden ohne Versuch einer innerbetrieblichen Klärung nicht gerechtfertigt ist; vgl auch Büring, c‘t magazin für computertechnik 14/2019, 166), ist die österreichische oberstgerichtliche Judikatur dazu nicht ganz eindeutig: So kann nach OGH9 ObA 118/00vDRdA 2001/23 (zust Kallab) zwar an der Geheimhaltung unlauterer Geschäftspraktiken oder gesetzwidrigen Verhaltens des AG kein objektiv berechtigtes Interesse bestehen; wenn es um die Aufdeckung strafrechtlich relevanter Umstände gehe, sei ein AN im Interesse der Allgemeinheit deshalb auch zur Erstattung einer Strafanzeige berechtigt, wobei er allerdings in einer für den AG möglichst schonenden Form (dh vorheriger betriebsinterner Hinweis auf die vermuteten Malversationen) vorzugehen habe (so auch der Rechtssatz RS0113682). Andererseits wurde in der E des OGH 14.2.2001, 9 ObA 26/01s der gewerberechtliche und somit gegenüber der Gewerbebehörde verantwortliche Geschäftsführer als berechtigt angesehen, bei der Gewerbebehörde – nach dem Sachverhalt offenbar ohne vorherigen Aufklärungsversuch beim AG – eine Anzeige (wegen einer vom AG veranlassten vermeintlichen „Taxi-Schwarzfahrt“) zu erstatten, da dies nach dem Sachverhalt weder haltlos noch subjektiv unbegründet gewesen sei, zumal der äußere Anschein den Standpunkt des gewerberechtlichen Geschäftsführers gestützt habe; es habe sohin keine Dienstvertragsverletzung vorgelegen. Auch die österreichische Literatur dazu ist nicht eindeutig: Nach Kallab, DRdA 2001, 269 besteht keine allgemeine Verpflichtung des Whistleblowers, dem AG die Chance zur Richtig- oder Klarstellung zu geben, während sich Naderhirn, Whistleblowing im Arbeitsrecht, DRdA 2014, 14, 19 f für eine differenzierte Einzelfallbetrachtung ausspricht (zB dann keine vorherige Informationspflicht, wenn diese dem AG die Gelegenheit geben würde, Umstände zu vertuschen).

Da eine richtlinienkonforme Auslegung der Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts für sich allein nicht die unionsrechtlich geforderte Klarheit und Bestimmtheit aufweist und daher keine hinreichende Umsetzung der Whistleblower-RL darstellen würde, ist deshalb auch in Österreich eine gesetzliche Regelung erforderlich, die diese Vorgabe der RL hinsichtlich der Gleichwertigkeit von externem Whistleblowing an Whistleblowing-Behörden (ohne vorherige interne Abhilfeversuche) im nationalen Arbeitsrecht (jedenfalls im sachlichen Anwendungsbereich der RL) klarstellt. Neben diesem unionsrechtlichen Gebot spricht dafür auch das Telos dieses Aspektes von Whistleblowing: Die Sorge vor Vergeltungsmaßnahmen bei internem Whistleblowing und die Furcht, beim Gang zu den Behörden die Unzumutbarkeit des allenfalls vorher gebotenen internen Whistleblowings falsch zu beurteilen und sich dadurch großen rechtlichen Risken auszusetzen, hätte eine lähmende und abschreckende Wirkung (so auch Colneric/Gerdemann 90 f).

Schlussendlich spricht natürlich auch das nationale Rechtssicherheitsgebot dafür. Daneben stünde freilich weiterhin die nationale Variante bzw Auslegung von Whistleblowing iwS, sprich die Auslegungsmöglichkeit in Richtung des Primats interner Abhilfeversuche, offen (außerhalb des sachlichen Anwendungsbereiches der RL).

Colneric/Gerdemann weisen auf S 36 f auch darauf hin, dass bspw Vorstände und Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften als Ausfluss ihrer organschaftlichen Treuepflichten an eine umfassende gesellschaftsrechtliche Verschwiegenheitspflicht gebunden sind. Dieser Grundsatz könne im sachlichen Anwendungsbereich der Whistleblower-RL zukünftig keine allgemeine Gültigkeit mehr beanspruchen, sodass ua AN-Vertretern in Aufsichtsräten künftig das Recht einzuräumen sei, sich 359 mit Informationen über Verstöße unmittelbar an die hierfür zuständigen Behörden zu wenden. Auch dieser Befund trifft auf das österreichische Arbeitsverfassungsund Gesellschaftsrecht zu.

Zusammenfassend eröffnet dieses publizierte Gutachten dem Leser eine wissenschaftlich ansprechende und doch gut lesbare Orientierung im neuen unionalen Whistleblowing-Regime und regt zu vielfältigen Denkansätzen für die (gebotene oder rechtspolitisch empfehlenswerte) Umsetzung in österreichisches Recht an. Somit handelt es sich um ein wichtiges Handwerkszeug für jeden, der mit Whistleblowing-Recht – auch nur in Österreich – zu tun hat.