WaasMitbestimmung des Betriebsrats in Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb

Bund-Verlag, Frankfurt am Main 2020 HSI-Schriftenreihe Band 33, 99 Seiten, kartoniert, € 19,80

PETERJABORNEGG (LINZ)

Die vorliegende Studie zum deutschen Betriebsverfassungsrecht behandelt eingehend und grundlegend den zwar scheinbar kleinen, aber praktisch überaus bedeutsamen Bereich der Mitbestimmung gem § 87 Abs 1 Nr 1 BetrVG in „Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb“. Die Überlegungen von Bernd Waas sind auch für das österreichische Betriebsverfassungsrecht nicht uninteressant, weil § 97 Abs 1 Z 1 ArbVG den wohl etwas anders formulierten, in der Sache aber vergleichbaren Mitbestimmungstatbestand „Allgemeine Ordnungsvorschriften, die das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb regeln“ kennt. Freilich besteht in der Art der Mitbestimmung insofern ein wesentlicher Unterschied, als die deutsche Regelung eine notwendige Mitbestimmung beinhaltet, die österreichische dagegen „nur“ auf die Erzwingbarkeit einer BV hinausläuft.

Schon die einleitende Darstellung der Problematik des § 87 Abs 1 Nr 1 BetrVG (S 11 ff) macht deutlich, dass ungeachtet der langen, in das späte 19. Jahrhundert zurückreichenden Tradition dieses Mitbestimmungstatbestandes durch Einbeziehung in frühe betriebliche „Arbeitsordnungen“ nach wie vor Unklarheiten über Inhalt und Grenzen dieser Mitbestimmung sowie wohl auch über Inhalt und Reichweite des Normzwecks bestehen. Im Besonderen vermag die in der Bundesarbeitsgerichts-(BAG-)Rsp übliche Formel, wonach es darum gehe, „den Arbeitnehmern eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gestaltung des betrieblichen Zusammenlebens zu gewähren“ keine wirklich sichere Handhabe für die praktische Rechtsanwendung zu bieten.

Zur Veranschaulichung der Problematik referiert der Autor eine Fülle „wichtiger Entscheidungen“ hauptsächlich des BAG (S 15-38) und fasst diese in einer summarischen Analyse der daraus ableitbaren „wesentlichen Entwicklungslinien“ zusammen (S 38-41). Ganz zentral ist dabei die in ständiger Judikatur des BAG geprägte Unterscheidung zwischen dem mitbestimmungsfreien „Arbeitsverhalten“, das nur die Arbeitsleistung als solche sowie in sonstiger Weise allein das Verhältnis AN/AG betrifft, und dem mitbestimmungspflichtigen „Ordnungsverhalten“, welches das Zusammenleben und Zusammenwirken der AN im Betrieb zum Gegenstand hat. Geht es um Regelungen, die sowohl das Arbeits- als auch das Ordnungsverhalten 363 betreffen, soll nach dem Überwiegen des einen oder anderen Regelungszweckes entschieden werden.

Auch Waas orientiert sich in weiterer Folge an der grundsätzlichen Unterscheidung von Arbeits- und Ordnungsverhalten und daran, dass zentraler Gegenstand der Mitbestimmung jedenfalls das betriebliche Zusammenleben und kollektive Zusammenwirken der Beschäftigten iS eines Ausgleichs der Interessen innerhalb der Belegschaft ist und nicht die die Arbeitsleis tung als solche konkretisierenden Weisungen des AG. Er versucht aber, dem Abgrenzungsproblem über eine genauere individualarbeitsrechtliche Analyse des „arbeitsvertraglichen Pflichtenprogramms“ (S 42-53) näher zu kommen. Dabei verweist er vor allem auf die im Vergleich zu anderen Vertragsverhältnissen bestehende Besonderheit, dass nicht nur die Konkretisierung der Arbeitsleistung selbst, sondern auch die weiteren Schutz- und Sorgfaltspflichten durch den AG über dessen Weisungsrecht einseitig bestimmt werden können, was eine höhere „Belastungswirkung“ der AN zur Folge habe.

Daran anknüpfend gelangt Waas zu einer ausführlich begründeten „Neubestimmung des Tatbestandes“ (S 54-79), die die schwierige Unterscheidung von „Arbeitsverhalten“ und „Ordnungsverhalten“ mit Hilfe der Kriterien des „Erfüllungsinteresses“ und des (bloßen) „Integritätsinteresses“ des AG sowie des „Integritätsinteresses“ der Belegschaft einer sicher geeigneteren, den Normzwecken des § 87 Abs 1 Nr 1 BetrVG besser entsprechenden Abgrenzung zuführt. Nicht mitbestimmungspflichtig sind danach nur Maßnahmen des AG, die ausschließlich seinem Erfüllungsinteresse dienen. Wenn es dagegen um das Integritätsinteresse der Belegschaft bzw der Belegschaftsmitglieder geht, so liegt stets ein mitbestimmungspflichtiges „Ordnungsverhalten“ vor, und zwar auch dann, wenn die betreffenden Maßnahmen zugleich dem Erfüllungsinteresse des AG dienen. Der BAG-Rsp, die insoweit auf ein „Überwiegen“ abstellt, wird daher eine Absage erteilt. Ebenfalls als mitbestimmungspflichtig werden solche Maßnahmen erkannt, die über das Erfüllungsinteresse hinaus weitere Verhaltenspflichten allein zum Schutz des Integritätsinteresses des AG zum Gegenstand haben, weshalb auch diesbezüglich die BAG-Rsp abgelehnt wird, die eine Mitbestimmung versagt, wenn von einer Maßnahme nur das Verhältnis AG/AN betroffen ist.

Zuletzt konkretisiert Waas seine neue Dogmatik anhand einer Reihe von „Einzelfällen“ (S 82 ff), darunter zB die folgenden: Die bloße arbeitstechnische Einrichtung und Organisation des Betriebs und des Arbeitsablaufs sei iSd hA nicht mitbestimmungspflichtig, es sei denn, dass im Zusammenhang damit konkrete Befugnisse (etwa eines Werkschutzes) gegenüber der Belegschaft oder gar Mitwirkungspflichten der AN begründet werden. Kein Mitbestimmungsrecht gebe es dann, wenn es um die bloße Sachherrschaft des AG an den Betriebsmitteln gehe. Doch handle es sich in der Praxis kaum je nur darum, sondern um damit zusammenhängende Verhaltenspflichten der AN betreffend die Nutzungsmodalitäten sowie den Schutz der Betriebsmittel, weshalb zumindest auch das Integritätsinteresse des AG betroffen sei und damit Mitbestimmungspflicht bestehe. Da es bei Rauch- und Alkoholverboten, Verbot des Essens oder Radiohörens am Arbeitsplatz usw stets zumindest auch um Fragen des Ausgleichs der AN-Interessen oder des Integritätsinteresses des AG gehe, bestehe insoweit grundsätzlich Mitbestimmungspflicht. Auch der Einsatz von Detektiven durch den AG betreffe dessen Integritätsinteresse, weshalb entgegen dem BAG auch dafür Mitbestimmungspflicht anzunehmen sei. Ähnliches gelte für Kundenbefragungen, Testkäufe oder die Etablierung von Whistleblower-Hotlines.

Ohne auf Einzelheiten eingehen zu müssen, kann bei Zugrundelegung der deutschen betriebsverfassungsrechtlichen Dogmatik und Diskussion zu § 87 Abs 1 Nr 1 BetrVG gesagt werden, dass sich Begründung und Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung wesentlich besser mit den maßgebenden Normzwecken vereinbaren lassen, als die weitgehend vom BAG geprägte, unsichere und manche Bereiche der AN-Betroffenheit eher willkürlich von der Mitbestimmungspflicht ausnehmende Abgrenzung von „Arbeitsverhalten“ und „Ordnungsverhalten“. Dass es letztlich darum gehen muss, den gesamten Bereich des Weisungsrechts des AG abseits der ausschließlich (und nicht schon überwiegend) das Erfüllungsinteresse betreffenden Anordnungen als von der Mitbestimmung erfasst anzusehen, entspricht letztlich wohl auch der Auslegung des inhaltlich verwandten Tatbestandes des § 97 Abs 1 Z 1 ArbVG, für den im Prinzip anerkannt ist, dass die arbeitsvertragstypische einseitige rechtliche Gestaltungsmacht des AG, soweit sie nicht unmittelbar und nur die Arbeitspflicht als solche betrifft, durch die Mitgestaltungsmöglichkeiten des BR eingeschränkt werden soll (vgl mwN Jabornegg in Jabornegg/Resch, ArbVG-Kommentar § 97 Rz 53 ff). Freilich ist anzumerken, dass sich manche strittigen Fragen zum BetrVG für das ArbVG angesichts der letztlich doch in einigen Punkten abweichenden Gesetzeslage leichter iSd umfassenderen Mitbestimmung klären lassen. Dies beginnt schon damit, dass – wie schon erwähnt – § 97 Abs 1 Z 1 ArbVG keine notwendige, sondern nur eine erzwingbare Mitbestimmung enthält. Weiters wird der Bereich der zweckentsprechenden Benützung (wozu nach hA auch die erlaubte private Nutzung zählt) von Betriebseinrichtungen und Betriebsmitteln durch die ausdrückliche und der Intensität nach gleiche Mitbestimmungsregelung des § 97 Abs 1 Z 6 ArbVG zusätzlich geregelt, was im Verhältnis zu § 97 Abs 1 Z 1 ArbVG über weite Bereiche wohl vor allem eine Klarstellung mit sich bringt (dazu etwa Jabornegg in Jabornegg/Resch, ArbVG-Kommentar § 97 Rz 204 ff, sowie 216). Zu beachten ist auch, dass für den gesamten Bereich der Sicherheitskontrollen und -überprüfungen sowie der Kontrolle der Nutzung von Betriebsmitteln und -einrichtungen stets (also auch bei Kontrollen ohne Nutzung technischer Einrichtungen) dann, wenn dadurch die Menschenwürde berührt wird, von vornherein die noch stärkere, nämlich zwingende Mitbestimmung nach § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG eingreift, und anerkannt ist, dass bei Fehlen des Berührens der Menschenwürde ohne weiteres § 97 Abs 1 Z 1 ArbVG anwendbar ist, wenn immerhin ein Bezug auf das Verhalten der AN gegeben ist (siehe mwN Jabornegg in Jabornegg/Resch, ArbVG-Kommentar § 96 Rz 179).

Ungeachtet dieser Unterschiede in den gesetzlichen Vorgaben vermag aber die vorliegende von Waas entwickelte Dogmatik ein vertieftes Verständnis auch für den verwandten Mitbestimmungstatbestand des österreichischen Betriebsverfassungsrechts zu bringen, weshalb sich eine Lektüre durchaus lohnt. 364