Kletečka-Pulker/Grimm/Memmer/Stärker/ZahrlGrundzüge des Medizinrechts

Manz Verlag, Wien 2019, XXX, 346 Seiten, broschiert, € 44,–

JOHANNESWARTER (SALZBURG)

Die Anzahl und Komplexität der medizinrechtlich relevanten Bestimmungen ist in den letzten Jahren enorm angewachsen. Insofern ist es für Angehörige der medizinischen Berufe zunehmend schwierig, sich im Dschungel der Rechtsnormen zurecht zu finden. Im zu besprechenden Werk wird versucht, die Grundzüge des Medizinrechts auf umfangreichen 346 Seiten in verständlicher Weise darzulegen. Das Werk ist insb für juristische LaiInnen, die sich im Rahmen ihrer Ausbildung – etwa eines Medizinstudiums oder aber einer allgemein-medizinischen oder fachärztlichen Ausbildung – mit den rechtlichen Grundlagen auseinandersetzen, konzipiert und soll als fundierte Studien- und Lernunterlage dienen.

Das hochrangige AutorInnenteam bestehend aus VertreterInnen der Wissenschaft (Markus Grimm, Maria Kletečka-Pulker, Michael Memmer) sowie Vertretern aus der Ärztekammer (Lukas Stärker, Johannes Zahrl) gliedern den Inhalt des Werks in neun Kapitel: Nach einer Einführung zu den Grundlagen des Medizinrechts (Kapitel I) erfolgt eine nähere Darstellung der rechtlichen Aspekte des Arzt-PatientInnenverhältnisses (Kapitel II), der ärztlichen Tätigkeit im Krankenhaus (Kapitel III), der freiberuflichen ärztlichen Tätigkeit (Kapitel IV), der medizinischen Forschung (Kapitel V), der ärztlichen Aus- und Weiterbildung (Kapitel VI), der Arzthaftung (Kapitel VII), rechtlicher Fragen am Lebensende (Kapitel VIII) sowie der Darlegung verbliebener rechtlicher Sonderbereiche (Kapitel IX).371

Die Kunst bei Lehrbüchern oder lehrbuchähnlichen Werken ist, die richtige Mischung aus thematischer Breite und inhaltlichem Tiefgang zu finden. Dieses schwierig aufzulösende Spannungsverhältnis trifft auch auf das zu besprechende Werk zu. Bei der Lektüre fallen einerseits weitreichende Ausführungen zu allgemeinen rechtlichen Grundlagen auf, die keine spezifische Verbindung zum Medizinrecht aufweisen (so etwa die Ausführungen zu den Grundlagen des Rechts [S 1-25] oder die Darlegung allgemeiner arbeits- und sozialrechtlicher Grundlagen [S 122-151]). Zwar sind diese Kenntnisse gewissermaßen Voraussetzung für das Verständnis medizinrechtlicher Regelungen, ob eine (zT ausführliche) Ausführung im Rahmen eines solchen Lehrbuchs sinnvoll ist, erscheint aber fraglich. Denn andererseits werden für das Medizinrecht wesentliche Bestandteile entweder gar nicht oder nur kurz angesprochen (siehe dazu sogleich).

Im Rahmen der Lektüre fällt zudem der starke Fokus auf die ärztliche Perspektive auf. Andere Medizinberufe werden lediglich im Rahmen der Delegation von medizinischen Tätigkeiten angesprochen (Kapitel 3.E) und diese Ausführungen beschränken sich zudem auf wenige Seiten. Überraschend wenig Raum kommt auch dem – gerade für freiberufliche ÄrztInnen – wichtigen Bereich des Vertragspartnerrechts zu. Dieses wird relativ oberflächlich auf wenigen Seiten behandelt (S 191 ff).

Darüber hinaus gelingt es dem AutorInnenteam nicht durchgängig, die angekündigte für LaiInnen verständliche Sprachweise durchzuhalten. Zuweilen sind einzelne Kapitel dann doch wieder sehr juristisch formuliert (vgl etwa „Das Sekundärrecht wird auf der Grundlage des Primärrechts von den Organen der Europäischen Union erzeugt.“ S 8). Positiv herauszuheben, weil besonders verständlich und prägnant, sind hingegen etwa die Darstellungen der Rechte und Pflichten der Behandler bzw der Patienten in Kapitel 2A, S 34 f).

Die Ausführungen zur Übermittlung von Gesundheitsdaten von einem Arzt an einen anderen Arzt bzw an eine andere Gesundheitseinrichtung und die Erforderlichkeit einer Einwilligung hat entgegen der im zu besprechenden Werk vertretenen Ansicht vor allem einen berufsrechtlichen Hintergrund. Diese Bestimmung ist als Durchbrechung der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht zu verstehen, die in § 54 ÄrzteG näher ausgestaltet ist (vgl hierzu Jahnel, Auswirkungen der DSGVO im medizinischen Bereich, RdM 2019, 248 [252]). Nicht angesprochen wird, dass die Übermittlung der PatientInnendaten an die Sozialversicherungsträger und die Krankenfürsorgeanstalten in der Regel ohne Einwilligung erfolgen können (vgl hierzu § 51 Abs 2 Z 1 ÄrzteG).

Zutreffend wird hingegen auf den Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) hingewiesen, der neben automatisierten Verarbeitungen von personenbezogenen Daten auch Dateisysteme erfasst (S 79). Allerdings sind Papierakten davon nicht zwingend betroffen, sondern nur, wenn diese nach bestimmten Kriterien geordnet sind. Nach der auf die DSGVO übertragbaren stRsp des OGH, VwGH, VfGH und der Datenschutzkommission fallen etwa Gerichtsakten nicht in den sachlichen Anwendungsbereich (vgl Heißl in Knyrim, DatKomm Art 2 DSGVO Rz 54 [Stand 1.12.2018, rdb.at] mwN). Darüber hinaus wird auch die Notwendigkeit von Datensicherheitsmaßnahmen nach Art 32 DSGVO näher angesprochen (S 83). Spannenderweise wird zwar ausdrücklich erklärt, dass es sich dabei nicht nur um technische, sondern auch um organisatorische Maßnahmen handeln kann. In der darauffolgenden Aufzählung von Beispielen werden aber ausschließlich technische Sicherheitsmaßnahmen beschrieben, obwohl in der Praxis gerade organisatorischen Sicherheitsmaßnahmen besondere Bedeutung zukommt.

Ergänzungsbedürftig sind die Ausführungen zu den ärztlichen Gerichtssachverständigen. Diese sind nämlich nicht zwingend aus der Liste der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen auszuwählen. Der Richter kann grundsätzlich nämlich jede Person mit entsprechender Fachkunde zum Sachverständigen bestellen. Zwar sieht § 351 Zivilprozessordnung (ZPO) bei der Auswahl der Sachverständigen vor, dass das Gericht „vor allem“ die öffentlich bestellten Sachverständigen zu bestellen hat, doch stellt die Auswahl des Sachverständigen nach der Judikatur eine Ermessensentscheidung des Gerichts dar (vgl nur Neumayr in Resch/Wallner, Handbuch Medizinrecht3 [2020] Rz 37). Wesentlich erschiene mir in diesem Zusammenhang, auch grundlegend die Aufgabe von Gerichtssachverständigen anzusprechen. Diese sollen kraft ihrer Sachkunde die Kenntnis von Erfahrungssätzen vermitteln, daraus Schlussfolgerungen ziehen oder streiterhebliche Tatsachen feststellen. Keinesfalls dürfen sie aber für die Beantwortung von Rechtsfragen herangezogen werden. Sinnvoll wären aus meiner Sicht zudem noch Ausführungen zu den Sorgfalts- und Maßstabsanforderungen an die Gutachtertätigkeit insb in Hinblick auf den Stand der Wissenschaft und die Bindung an fachliche Richtlinien und Leitlinien.

Den Abschluss bilden die im Vorwort als „Bonus“ versprochenen Muster-Prüfungsfragen. Dabei handelt es sich wohl um eine „Alibiaktion“, werden doch für das umfangreiche Buch verhältnismäßig wenige – nämlich nur neun – Fragen angeboten. Möchte man dieses Angebot an Studierende und in Ausbildung stehende Personen ernst nehmen, müsste der Fragenkatalog deutlich erweitert werden.

Zusammenfassend kann das Buch allen Studierenden und in Ausbildung befindlichen ÄrztInnen sowie allen interessierten LaiInnen empfohlen werden. Für Angehörige anderer Berufsgruppen sowie für ExpertInnen verbleibt hingegen nur ein eingeschränkter Nutzen. 372