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Überlassene ArbeitnehmerInnen sind ArbeitnehmerInnen im Beschäftigerbetrieb – ohne Wenn und Aber

BARBARATROST (LINZ)
  1. Nachdem der Beschäftigerbetrieb gegenüber dem überlassenen AN in vielen Bereichen wie ein arbeitsvertraglicher AG auftritt, kann es für den Umfang des Betätigungsfeldes des BR und die durch die Zahl der zu vertretenden AN bedingte Zahl der für diese Aufgabe abgestellten Betriebsratsmitglieder keinen Unterschied machen, ob die Gesamtzahl der zu vertretenden AN sich aus Stammpersonal oder überlassenen Arbeitskräften, aus nur kurzfristig beschäftigten oder längerfristig beschäftigten AN zusammensetzt. Bei der Ermittlung der Zahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder sind daher sämtliche überlassene Arbeitskräfte einzubeziehen.

  2. Überlassene AN sind ohne Erfordernis einer bestimmten Mindestbeschäftigungsdauer auch AN des Beschäftigerbetriebs. Ein Bedürfnis der AN an der Wahrung ihrer Interessen in den dem Beschäftiger übertragenen Bereichen besteht von Beginn an.

  3. Für die Interessenwahrnehmung überlassener AN können grundsätzlich zwei Betriebsräte, jener des Überlasserbetriebes und jener des Beschäftigerbetriebes zuständig sein.

[...] Am 22.5.2019 fand [...] die Wahl des Arbeiter- BR statt. [...] Zum Stichtag [...] waren [...] 638 Personen als Arbeiter beschäftigt, davon 373 als sogenanntes Stammpersonal, 31 Lehrlinge unter 18 Jahren, 24 Lehrlinge über 18 Jahren und 210 überlassene Arbeitskräfte, wovon 78 weniger lang als sechs Monate bei der Kl beschäftigt waren. Von den 132 Leih-AN, die per 30.4.2019 bereits sechs Monate oder länger bei der Kl beschäftigt waren, waren 49 schon durch einen BR im Überlasserbetrieb vertreten. Laut Wahlkundmachung waren zehn Mitglieder in den BR zu wählen. [...]

Die Kl begehrt mit ihrer am 18.6.2019 eingebrachten Wahlanfechtungsklage die Rechtsunwirksamerklärung der Betriebsratswahl gem § 59 ArbVG. [...]

1 [...]

1.1. [...]

1.2. Die Wahl einer unrichtigen Zahl an Betriebsratsmitgliedern führt zur Unzulässigkeit der Wahl ihrem Umfang nach [...]. Die Kl macht, wenn sie sich auf den Standpunkt stellt, es hätten nur weniger als zehn Betriebsratsmitglieder gewählt werden dürfen, einen grundsätzlich tauglichen Anfechtungsgrund geltend.

1.3. [...]

2. [...]

2.1. [...] Nach § 36 Abs 1 ArbVG sind AN iSd II. Teiles alle im Rahmen eines Betriebes beschäftigten Personen einschließlich der Lehrlinge und der Heimarbeiter ohne Unterschied des Alters. Aufgrund welchen Rechtstitels die Beschäftigung im Betrieb erfolgt, ist grundsätzlich gleichgültig (Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 36 Rz 8 mwN).

2.2. Der OGH setzte sich bisher in zwei Entscheidungen mit der Frage der Einbeziehung von Leih-AN in den betriebsverfassungsrechtlichen ANBegriff auseinander.

2.2.1. [...]

2.2.2. [...]

2.3. Seit diesen Entscheidungen besteht insoweit Einigkeit, dass überlassene Arbeitskräfte zumindest dann als AN des Beschäftigers iSd § 36 ArbVG anzusehen sind, wenn die Überlassung länger andauert oder längerfristig gedacht ist und somit wesentliche AG-Funktionen auf den Beschäftiger übergehen, und dass von einer längerfristigen Überlassung jedenfalls ausgegangen werden kann, wenn sie sechs Monate überschreitet [...].

2.4. [...] Bei einer [...] zweifachen Belegschaftszugehörigkeit eines AN ist im Einzelfall anhand des Zwecks des konkret auszuübenden Mitwirkungsrechts und der Sachnähe des jeweiligen BR zu prüfen, ob der BR des Überlasserbetriebes [...] oder jener des Beschäftigerbetriebes [...] zuständig ist (Löschnigg, Arbeitsrecht13 [2017] Rz 9/044; Kietaibl, Arbeitsrecht I10 [2017] 86 f; Obereder in Mazal/Risak, Arbeitsrecht II [2019] Kap 15 Rz 42 ua).

2.5. Umstritten ist hingegen (weiterhin), ob eine gewisse zeitliche Dauer der Arbeitskräfteüberlassung überhaupt erforderlich ist, um den überlassenen AN als beschäftigte Person des Beschäftigerbetriebs iSd § 36 ArbVG qualifizieren zu können:

2.5.1. Geppert (Glosse zu 9 ObA 22/91 in

) vertritt die Ansicht, es komme allein auf das Faktum der Beschäftigung im Betrieb des Beschäftigers und damit nicht auf die dortige Beschäftigungsdauer an. [...]

2.5.2. Ebenso spricht sich W. Anzenberger (Arbeitskräfteüberlassung und Betriebsratsfonds – Doppelte Umlagepflicht für „Leiharbeiter“? ASoK 2001, 385 ff) für eine AN-Zugehörigkeit beim Beschäftiger ab dem ersten Tag aus. Er verweist darauf, dass mittlerweile durch das AÜG wesentliche AG-Funktionen zum Schutze der überlassenen AN bereits ex lege auf den Beschäftiger übertragen seien. [...] Auch vergleichbare AN – kurzfristig oder zur Probe beschäftigte Personen oder solche, die nur sporadisch oder zeitlich geringfügige Arbeitsleistungen erbringen – würden ohne weiteres als vollwertige Belegschaftsmitglieder anerkannt. [...]

2.5.3. Nach Strasser (in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG [2003] § 36 Rz 12) werde es hingegen bei der Überlassung von AN von einen Betrieb an einen anderen im Allgemeinen darauf ankommen, ob die Überlassung für eine längere Zeit gedacht ist. [...]

2.5.4. B. Schwarz (in Sacherer/B. Schwarz, Arbeitskräfteüberlassungsgesetz2 [2006] 315 f) meint, dass überlassene Arbeitskräfte in betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht dann als AN im Beschäftigerbetrieb gelten, wenn ihre Tätigkeit in diesem Betrieb auf Dauer angelegt ist und aufgrund dessen wesentliche AG-Funktionen auf den Betriebsinhaber des Beschäftigerbetriebes übergehen. Im Regelfall träfen diese Voraussetzungen zu, wenn 304 die überlassene Arbeitskraft seit mindestens sechs Monaten in einem Beschäftigerbetrieb tätig ist oder wenn die Beschäftigung für mindestens sechs Monate in Aussicht genommen ist, obwohl sie noch nicht so lange dauert. [...]

2.5.5. Rauch (Überlassene Arbeitskräfte und Betriebsrat, ecolex 2008, 157) vertritt die Ansicht, dass bei Entsendung eines AN in einen anderen Betrieb der AN diesem Betrieb nur dann betriebsverfassungsrechtlich zuzuordnen ist, wenn der AN in diesen Betrieb eingegliedert wurde. [...]

2.5.6. Tomandl (Betriebsverfassungsrechtliche Fragen der Arbeitskräfteüberlassung, ZAS 2011/41 [249 f]) sieht keinen überzeugenden Grund dafür, zwar eine nur kurzfristig beschäftigte unmittelbar aufgenommene Arbeitskraft als AN iSd § 36 ArbVG anzusehen, aber nicht eine nur kurzfristig entliehene Arbeitskraft, obwohl sich bei ihrem Einsatz die völlig gleichen betriebsbezogenen Probleme stellten. [...]

2.5.7. Binder (in Tomandl, ArbVG [2013] § 97 Rz 25 FN 53) befürwortet eine „längere, nahezu sechs Monate dauernde Zeit“ als Erfordernis [...].

2.5.8. Nach Jabornegg/Naderhirn/Trost (Betriebsratswahl6 [2014] 66) könne, da mangels eines gesetzlichen Vorbehalts grundsätzlich auch bei ganz kurzen Arbeitsverhältnissen die Voraussetzungen des § 36 Abs 1 ArbVG erfüllt seien, auch für die vertragslose Beschäftigung im Rahmen der Arbeitskräfteüberlassung keine Mindestbeschäftigungsdauer gefordert werden.

2.5.9. Klein (in Brodil, Diener fremder Herren – Gerechtigkeit in der Arbeitswelt [2016] 65 [68]) vertritt die Ansicht, dass eine Mindestüberlassungsdauer keine Voraussetzung für das Entstehen der AN-Eigenschaft im Beschäftigerbetrieb sei. [...]

2.5.10. Marhold/Friedrich (Österreichisches Arbeitsrecht3 [2016] 574) betrachten eine auf Dauer angelegte Bindung zum Entleiherbetrieb als notwendige Voraussetzung dafür, dass ein überlassener AN diesem betriebsverfassungsrechtlich zugeordnet werden kann. [...]

2.5.11. Kietaibl (Arbeitsrecht I10 [2017] 86) lehrt, dass es für den betriebsverfassungsrechtlichen AN-Begriff allein auf das Faktum der Einbindung in die Organisation des Betriebes ankomme. [...] Dass dies eine längere Dauer erfordere, sei fragwürdig [...].

2.5.12. Pirker (Ausgewählte betriebsverfassungsrechtliche Aspekte der Arbeitskräfteüberlassung [2017] 94 f) vertritt die Ansicht, dass der Beschäftiger- BR am ehesten in der Lage sei, die Einhaltung der materiellen Schutzbestimmungen des AÜG sicherzustellen und damit sowohl direkt die Interessen der überlassenen AN als auch indirekt die der Stammbelegschaft effektiv zu vertreten. Die Interessenvertretung sei daher ab dem ersten Tag geboten. [...]

2.5.13. Nach Schindler (in Neumayr/Reissner, Zell-Komm3 [2018] § 3 AÜG Rz 15) sind überlassene AN „doppelt“ AN iSd § 36 ArbVG. Im Betrieb des Überlassers sei ihre AN-Eigenschaft selbstverständlich. Aber auch im Betrieb des Beschäftigers zählten sie zu dessen AN iSd ArbVG, wenn sie in diesen eingegliedert sind, was typischerweise der Fall sei. [...]

2.5.14. Nach Windisch-Graetz (in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 [2018] § 36 ArbVG Rz 8) gehören Leiharbeitskräfte der Belegschaft des Betriebes des Verleihers an, wenn diesem wesentliche AGFunktionen verbleiben, aber auch jener des Entleiherbetriebes, wenn die Überlassung für längere Zeit gedacht ist. [...]

2.5.15. Schrattbauer (in Schrattbauer, AÜG [2020] § 10 Rz 68) schließt sich der Ansicht an, dass es für die betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung zum Beschäftigerbetrieb auf die Dauer der Überlassung nicht ankomme. [...]

3. Der Senat hat erwogen:

3.1. Mit der E 9 ObA 22/91 wurde die bereits damals von einem Teil der Literatur vertretene Ansicht, dass überlassene Arbeitskräfte ohne Rücksicht auf die Dauer ihres Einsatzes betriebsverfassungsrechtlich (auch) AN des Beschäftigers seien, nicht abgelehnt. Vielmehr räumte der OGH damals ein, dass für diese Ansicht nach der (durch BGBl 1988/196 erfolgten) Erlassung des AÜG zusätzlich sprechen könnte, dass das AÜG dem Beschäftiger zwingend eine Reihe von AG-Funktionen auferlegt hat. Nachdem aber die damals betroffenen AN (zumindest geplant) in einem zeitlichen Ausmaß beschäftigt waren, das der OGH jedenfalls als ausreichend ansah, traf er keine endgültige Aussage zur Berechtigung eines zeitlichen Kriteriums.

3.2. Wie bereits in der E 9 ObA 22/91 festgehalten, kam es durch die Einführung des AÜG schon ex lege zu einer Übertragung gewisser AG-Aufgaben. So hat der Beschäftiger etwa Aufgaben des ANSchutzes und Fürsorgepflichten (§ 6 AÜG) zu erfüllen und für die Einhaltung von Gleichbehandlungsvorschriften (§ 6a AÜG) zu sorgen. Für den überlassenen AN gelten im Beschäftigerbetrieb günstigere Vorschriften im Bereich Arbeitszeit und Urlaub (§ 10 Abs 3 AÜG). Der Beschäftiger hat der überlassenen Arbeitskraft Zugang zu den Wohlfahrtseinrichtungen und -maßnahmen in seinem Betrieb zu gewähren (§ 10 Abs 6 AÜG). Weiters treffen den Beschäftiger gegenüber den überlassenen Arbeitskräften gewisse Mitteilungspflichten (§ 12 Abs 3 und 4 AÜG). Bedenkt man, dass die Aufgabe des BR nach § 38 ArbVG darin besteht, die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der AN im Betrieb wahrzunehmen und zu fördern, ergibt sich schon aus den genannten Bestimmungen des AÜG ein breites Betätigungsfeld für die Wahrnehmung der Interessen der überlassenen AN durch den BR des Beschäftigerbetriebes. Hinzu kommt, dass die in den §§ 89 (Überwachung), 90 (Intervention), 91 (Allgemeine Information), 92 (Beratung), 92a (Arbeitsschutz) und 92b (Betriebliche Frauenförderung sowie Maßnahmen zur besseren Vereinbarung von Betreuungspflichten und Beruf) ArbVG normierte Rechtsstellung des BR aufgrund der Verweisung in § 99 Abs 5 letzter Satz ArbVG auch bei den dem Betrieb überlassenen AN greift.

3.3. Die hier relevante Bestimmung des § 50 ArbVG stellt einen Bezug zwischen der Anzahl der Betriebsratsmitglieder und den Mitwirkungsbefugnissen der Arbeitnehmerschaft her (vgl ErlRV 840 BlgNR 13. GP 74). Das zahlenmäßige 305Verhältnis von AN zu Betriebsratsmitgliedern nach § 50 ArbVG ist maW eine nach dem gesetzlich vermuteten Aufwand normierte Größe (Kallab in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 50 ArbVG Rz 8), in der Zahl der Betriebsratsmitglieder kommt der mögliche Aufwand für das Belegschaftsorgan zum Ausdruck (Löschnigg in Jabornegg/Resch, ArbVG [2017] § 50 Rz 6). Eine Differenzierung nach der Art der Beschäftigten ist § 50 ArbVG nicht zu entnehmen wie es auch irrelevant ist, ob ein AN das aktive oder passive Wahlrecht besitzt; um bei der Zahl der im Betrieb beschäftigten AN (§ 50 Abs 2 ArbVG) mitgezählt zu werden reicht es aus, AN iSd § 36 ArbVG zu sein (Windisch-Graetz in Tomandl, ArbVG [2005] § 50 Rz 4) und [...] der betreffenden Gruppe im Betrieb anzugehören (Löschnigg in Jabornegg/Resch, ArbVG [2017] § 50 Rz 4 ff).

Nachdem der Beschäftigerbetrieb gegenüber dem überlassenen AN in vielen Bereichen, die auch einer allfälligen Interessenwahrung durch den BR bedürfen, wie ein arbeitsvertraglicher AG auftritt, kann es im konkreten Fall für den Umfang des Betätigungsfeldes des BR und die durch die Zahl der zu vertretenden AN bedingte Zahl der für diese Aufgabe abgestellten Betriebsratsmitglieder keinen Unterschied machen, ob die Gesamtzahl der zu vertretenden AN sich aus Stammpersonal oder überlassenen Arbeitskräften, aus nur kurzfristig beschäftigten oder längerfristig beschäftigten AN zusammensetzt. Dass im Unterschied zur Stammbelegschaft die Zahl der überlassenen Arbeitskräfte naturgemäß zu stärkeren Schwankungen neigt, ist nicht ins Kalkül zu ziehen, weil der Gesetzgeber durch die Vorschrift des § 50 Abs 2 ArbVG klar eine Stichtagsregelung eingeführt (Satz 1) und sogar ausdrücklich festgehalten hat, dass eine spätere Änderung der Zahl der AN auf die Zahl der Mitglieder des BR keinen Einfluss hat (Satz 2).

3.4. Vor diesem Hintergrund würde es dem Sinn von § 50 ArbVG, der dafür sorgen soll, dass sich die vom BR zu vertretenden Personen in der Anzahl der Betriebsratsmitglieder widerspiegeln, zuwiderlaufen, wenn nicht sämtliche überlassenen Arbeitskräfte bei der Ermittlung der Anzahl von zu wählenden Betriebsratsmitgliedern einbezogen würden. Dass ihre Zugehörigkeit zur Belegschaft des Überlasserbetriebes weiterbesteht und der dortige BR [...] auch bestimmte Interessen der überlassenen AN zu vertreten hat, steht der Zuzählung aller überlassenen AN zur Belegschaft des Beschäftigerbetriebes für die Frage der Ermittlung der Mandatszahl nicht entgegen, zumal sich die Zuständigkeiten der zwei Betriebsräte [...] ergänzen. Der OGH räumte bereits zu 9 ObA 63/87 ein, dass eine betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung zu beiden Belegschaften möglich ist. Dass ein überlassener AN zwei Betriebsräte haben kann, ist zudem in der Literatur wie bereits dargestellt anerkannt.

3.5. Ein Bedürfnis der AN an der Wahrung ihrer Interessen in den dem Beschäftiger übertragenen Bereichen besteht von Beginn an. Das ArbVG und das AÜG bieten keinen Anhaltspunkt für eine zeitliche Einschränkung der Interessenwahrung durch den Beschäftiger-BR; vielmehr geht auch § 99 Abs 5 ArbVG [...] von einer sofortigen Interessenwahrung durch den Beschäftiger-BR aus.

AN des Stammpersonals werden unabhängig von der zeitlichen Ausgestaltung ihres Dienstverhältnisses betriebsverfassungsrechtlich von Beginn an als „vollwertige“ AN angesehen. Dass § 53 ArbVG das passive Wahlrecht und § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG die Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit an eine Mindestdauer der Beschäftigung im Betrieb knüpft, ist jeweils aus dem Zweck der Bestimmung heraus erklärbar. Daraus lässt sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nichts anderes ableiten, als dass der Gesetzgeber in diesen beiden Fällen – nachvollziehbar – eine Mindestdauer der Beschäftigung für angemessen hielt. Darüber hinaus gilt die zeitliche Beschränkung für alle AN, also auch für jene des Stammpersonals, welche aber unbestritten ungeachtet der zeitlichen Dauer ihrer Beschäftigung zur Belegschaft zählen. Es ist nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber es für unangebracht hält, einen AN zum BR wählen zu lassen, der mit dem Betrieb wegen der kurzen Zugehörigkeit noch nicht vertraut ist. Auch dass eine Kündigung nicht sozialwidrig sein soll, wenn der betroffene AN nicht bereits sechs Monate beschäftigt war, ist aus dem Sinn der Bestimmung heraus erklärbar.

3.6. Letztlich ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Vorschrift des § 50 (iVm § 36) ArbVG über die Anzahl der Betriebsratsmitglieder um eine wahlrechtliche Vorschrift handelt. Um Streitigkeiten über das Wahlergebnis bzw die Gültigkeit des Wahlvorgangs hintanzuhalten, muss das Wahlrecht grundsätzlich formalistisch sein. Weder dem Wortlaut des § 36 ArbVG noch jenem des § 50 ArbVG kann unmittelbar entnommen werden, dass überlassene AN nicht oder nur unter bestimmten Umständen, insb einer bereits effektuierten oder zumindest zu erwartenden längeren Beschäftigungsdauer im Beschäftigerbetrieb, bei Bestimmung der Zahl der Betriebsratsmitglieder zu berücksichtigen wären. Auch der Gedanke der Rechtssicherheit spricht daher dagegen, einem Beschäftigerbetrieb überlassene AN nur unter gewissen – im Gesetzestext aber gerade nicht verankerten – Voraussetzungen bei der Bestimmung der Größe des BR nach § 50 ArbVG zu berücksichtigen.

3.7. Der OGH hält somit im Ergebnis die bereits von einem großen Teil der Literatur vertretene Ansicht, dass überlassene AN ohne Erfordernis einer Mindestbeschäftigungsdauer auch AN des Beschäftigerbetriebs iSd § 36 ArbVG sind, für überzeugend.

3.8. Die Einschätzung der Vorinstanzen, jene überlassenen AN, die am Stichtag noch nicht sechs Monate bei der Kl beschäftigt gewesen sind, wären bei der Ermittlung der Anzahl der Betriebsratsmitglieder nach § 50 ArbVG nicht zu berücksichtigen gewesen, wird vom OGH daher nicht geteilt. Sie wurden vielmehr zurecht in die Berechnung nach § 50 ArbVG einbezogen.

Gleiches gilt für die Leiharbeitskräfte mit eigenem BR beim Überlasser, weil [...] für die Interessenwahrnehmung eines überlassenen AN grundsätzlich zwei Betriebsräte – jener des Überlasser- und 306 jener des Beschäftigerbetriebes – gegeben sein können und es von der konkreten Angelegenheit abhängt, welcher der beiden Betriebsräte zuständig ist. [...] Die Wahlanfechtung erweist sich daher als unberechtigt. [...]

ANMERKUNG

Was hier entschieden wurde, bedarf weder hinsichtlich des Ergebnisses noch hinsichtlich der Begründung vieler ergänzender Worte. Der OGH hat Recht! Es wurde erstmals höchstgerichtlich bestätigt, was von einem großen Teil der Lehre schon längst als richtig belegt worden war: Überlassene AN sind ab dem ersten Tag AN iSd Betriebsverfassung im Beschäftigerbetrieb, und zwar auch dann, wenn für sie im Überlasserbetrieb hinsichtlich der dort verbliebenen Angelegenheiten ein BR besteht. Diese beiden Teilergebnisse hat der OGH in der Begründung eindrucksvoll mit der Fülle des Meinungsstandes in der Literatur belegt.

Anzumerken ist allenfalls Grundsätzliches. Auch das hier gelöste Problem ist nämlich eines der vielen, die seit mehr als hundert Jahren die Kurvengänge und Gratwanderungen des betriebsverfassungsrechtlichen AN-Begriffs kennzeichnen. An historischen Beispielen zur stets strittigen „Weite“ des Begriffs seien hier nur genannt: Die (Nicht-) Einbeziehung von Ordenspersonen ohne Arbeitsvertrag (vgl ursprünglich noch EB zur RV zum BRG 1947, 320 BlgNR 5. GP 9, und die weitere Entwicklung zu § 36 Abs 2 Z 5 ArbVG, vgl EB zur RV 840 BlgNR 13. GP 69 f); das wechselvolle Schicksal der HeimarbeiterInnen (vgl nur zB den historischen Überblick bei Trost, Vom Hausspinner zum Homeoffice – Historisches zu Arbeitnehmerbegriff und Heimarbeit, in Felten/Trost, Homeoffice [2021]); das Tauziehen um die (Nicht-)Einbeziehung von familieneigenen Arbeitskräften sowie das von Irrtümern geprägte betriebsverfassungsrechtliche Schicksal von Führungskräften der mittleren Ebene (vgl zu beidem ausführlich Trost, Führungskräfte im Betriebsrat? – Historisches und neue Perspektiven zum sogenannten „leitenden Angestellten“, in FS 50 Jahre Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht der Johannes Kepler Universität Linz [2017] 183 ff [215 ff]), und schließlich die noch immer nicht wirklich befriedigende betriebsverfassungsrechtliche Position arbeitnehmerähnlicher Personen (vgl zuletzt Naderhirn, Betriebsverfassungsrecht und arbeitnehmerähnliche Personen, in FS Löschnigg [2019] 269 ff). Bei all diesen Beispielen könnte der Schlüssel – so wie in der hier gegenständlichen E vom OGH eben richtig betont – im Telos gelegen sein! Was wie der Weg zur Lösung aussieht, ist aber gleichzeitig auch wieder das Problem; die Frage ist nämlich: Kann dem § 36 ArbVG überhaupt ein einheitlicher Zweck unterstellt werden? Immerhin modifiziert das Gesetz ja in manchen Belangen den Begriff, und zwar – wenigstens im Wesentlichen (vgl nur zB kritisch Trost, Führungskräfte 225 ff) – dem Zweck des jeweiligen einzelnen Belangs gemäß. Genau dies spricht der OGH durch die gründliche Auseinandersetzung mit den personellen Geltungsbereichseinschränkungen hinsichtlich des Kündigungsschutzes und des passiven Wahlrechts an. Das wohl bekannte Fazit: Nicht jeder, der AN iSd § 36 ArbVG ist, zählt für alle im ArbVG geregelten Angelegenheiten als AN!

Meist deckt sich bei den Einzelfragen des auf längere Beschäftigungsdauer eingeschränkten Teilgeltungsbereichs einzelner Regelungen das Telos mit der Praktikabilität: Passives Wahlrecht verlangt Stabilität des Arbeitsverhältnisses, weil die Wahl auch für eine gewisse Dauer Sinn machen soll (was allerdings die Wahl befristet Beschäftigter nicht ausschließt); und dass soziale Aspekte einer Kündigung erst nach einer Beschäftigungsdauer von sechs Monaten berücksichtigt werden sollen, beruht auf der gesetzgeberischen Bewertung der Betriebsbindung. Dass diese Einschränkungen auch für Stammarbeitskräfte gelten, wurde vom OGH mit Recht als maßgebliches Argument für die grundsätzliche sofortige Erfassung von Leih- AN durch § 36 ArbVG erwähnt. So wie für die Einschränkungen waren aber auch für den Grundsatz, nämlich den AN-Begriff des § 36 ArbVG, Telos und Praktikabilität ins Kalkül zu ziehen. Was zweiteres betrifft, führt der OGH gründlich aus, durch welche Übertragungen an AG-Befugnissen auf den Beschäftiger durch das AÜG die praktische Notwendigkeit einer Vertretung des Überlassenen durch den Beschäftiger-BR gegeben ist. Und genau auf diese praktischen Überlegungen gründet das Höchstgericht auch die teleologische Argumentation: Die Festlegung der Betriebsratsmitglieder-Zahlen im Verhältnis zu den AN-Zahlen in § 50 ArbVG gründe sich auf den vermuteten Aufgabenumfang. Da § 50 ArbVG keine (hier relevanten) Ausnahmen enthalte, seien auch Leih-AN mitzuzählen.

Diese teleologischen Überlegungen befriedigen fast vollständig. Wäre nicht das Gericht an das gebunden, was der konkrete Sachverhalt hergibt, hätte man noch tiefer in die Zwecke der §§ 36 sowie 50 ArbVG eindringen und am Weg dorthin auch noch jenen des § 40 ArbVG streifen können. Die unbestreitbar richtige Entscheidung, Leih-AN vom ersten Tag an und ungeachtet des Bestehens eines BR im Überlasserbetrieb zur Belegschaft des Beschäftigerbetriebes zu rechnen, bestimmt nämlich nicht nur über die Anzahl der Betriebsratsmitglieder im Beschäftigerbetrieb, sondern uU auch über die Betriebsratsbildungspflicht überhaupt! Bezieht man in diesem Sinne § 40 ArbVG in die Betrachtung mit ein, so ergeben sich, was den Zweck der betriebsverfassungsrechtlichen Geltungsbereichsregelungen anbelangt, noch deutlichere Hinweise auf die Richtigkeit dieser E. Auch § 40 ArbVG bezieht sich nämlich auf den AN-Begriff des § 36 ArbVG, und zwar abzüglich der minderjährigen (§ 49 ArbVG) AN, der HeimarbeiterInnen und der vom passiven Wahlrecht ausgeschlossenen Familienangehörigen des AG. Zu den im gegebenen Zusammenhang wichtigsten – schließlich steht die individuelle Betriebszugehörigkeitsdauer im Fokus – zusätzlichen Tatbestandselementen gehört die Einschränkung „dauernd“. Nach ursprünglichem Plan des Gesetzgebers sollte § 40 ArbVG die „dauerhafte“ Mindest-AN-Zahl durch die Kombination 307 eines Stichtags mit einer Jahresdurchschnittsberechnung sicherstellen (vgl RV 840 BlgNR 13. GP 9), was aber kommentarlos (vgl AB 993 BlgNR 13. GP 3) fallen gelassen und auf die Einschränkung „dauernd“ reduziert wurde. Nach einhelliger Auffassung kommt es dessen ungeachtet bei der „dauernden“ Beschäftigung nicht auf die Stabilität der einzelnen Arbeitsverhältnisse an, sondern nur darauf, ob bei Durchschnittsbetrachtung über einen längeren Zeitraum hin die Zahl Fünf erreicht wird (vgl nur zB Löschnigg in Jabornegg/Resch, ArbVG [Loseblatt 2017] § 40 Rz 30; Schneller in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht Bd 26 [2020] § 40 Rz 19 f). Es sei dabei irrelevant – so etwa zutreffend Löschnigg (aaO) unter Hinweis auf die ältere Judikatur –, ob die Zahl „durch Stammarbeiter oder durch ständig wechselnde AN“ erreicht werde. Dass der OGH (7.6.2006 DRdA 2007, 222 [Rebhahn/Kietaibl] = ZAS 2007, 89 [Spitzl] = ASoK 2006, 396) mittlerweile insb auch unter Hinweis auf § 50 Abs 2 ArbVG Betriebsratskollegien selbst dann weiter bestehen lässt, wenn die AN-Zahl dauer haft unter fünf absinkt, soll an dieser Stelle nicht näher erörtert werden.

Die Fluktuation war also nach richtiger Interpretation bereits ursprünglich in § 40 ArbVG angelegt, und es hatte sich auch niemals eine Notwendigkeit ergeben, den dieser Regelung zugrunde liegenden AN-Begriff des § 36 ArbVG hinsichtlich der Stabilität der Beschäftigungsverhältnisse in irgendeiner Weise einzuschränken.

Blickt man also auf den Zweck des § 40 ArbVG, bei einer durchschnittlich betrachtet dauerhaften Beschäftigung von fünf Arbeitskräften ohne Rücksicht auf deren individuelle Beschäftigungsdauer die Organisationspflicht der Belegschaft zu sichern, wird die vom OGH ohnehin schon ausführlich begründete Notwendigkeit der Einbeziehung von Leih-AN ab dem ersten Tag noch deutlicher: Es widerspräche gröblich diesem Zweck des § 40 ArbVG, würde man zB durch ständige kurzfristige Beschäftigung von überlassenen Arbeitskräften und Reduktion der Stammbelegschaft auf weniger als fünf AN eine Betriebsratsbildung verhindern können.

Als wichtiger zusätzlicher Effekt dieser richtigen und gut begründeten E des OGH bleibt also abschließend festzuhalten: Auch Umgehungen der Betriebsratsbildungspflicht durch Überlassungsverhältnisse sollten fortan nicht mehr möglich sein.