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Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung: Keine Änderung der Rechtsprechung, keine Inländerdiskriminierung

RENÉSCHINDLER (WIEN)
Art 7 B-VG; §§ 1, 3, 4, 10 AÜG; § 6 LSD-BG; Art 1, 3 Entsende-RL
  1. § 4 Abs 2 AÜG ordnet nach seinem klaren Wortlaut an, dass jeder der vier dort aufgezählten Tatbestände (Fälle) zur Annahme von Arbeitskräfteüberlassung führt. Es besteht kein Anlass, von der diesbezüglichen stRsp abzugehen.

  2. Ein abweichendes, unterscheidbares Produkt iSd § 4 Abs 2 Z 1 AÜG liegt nur vor, wenn es wirtschaftlich sinnhaft ist, es allgemein am Markt anzubieten oder zu beziehen.

  3. Ergehen Weisungen des Auftraggebers nicht direkt an die beigestellten Arbeitskräfte, sondern an vom beauftragten Unternehmen gestellte Zwischenvorgesetzte, die sie unverändert weitergeben, verfügt der Auftraggeber dennoch in wirtschaftlicher Betrachtung über den Einsatz der Arbeitskräfte so, wie wenn es seine eigenen wären.

  4. Auch dann, wenn nach der Rsp des EuGH zur Entsende-RL eine Entsendung ieS und keine Arbeitskräfteüberlassung vorliegt, haben entsendete AN Anspruch auf jenen Mindestlohn, den der für vergleichbare österreichische AN gültige KollV vorsieht. Schon deshalb bewirkt § 4 AÜG keine Inländerdiskriminierung.

Die Kl nimmt die Bekl auf die [...] Entgeltdifferenz zwischen der tatsächlich erfolgten Einstufung und Entlohnung nach dem KollV für Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereiniger und dem ihrem Standpunkt nach anzuwendenden Arbeitskräfteüberlassungs- KollV in Anspruch. Sie sei von der Bekl der B* AG (in der Folge auch kurz B*) iSd § 4 Abs 2 AÜG überlassen worden.

Die Bekl bestreitet das Vorliegen einer Arbeitskräfteüberlassung. Sie habe die Kl bloß zur Abarbeitung eines mit der B* abgeschlossenen Rahmen-Werkvertrags eingesetzt. [...] Der vorliegende Vertrag betreffend die Bügelflaschenreparatur falle in das freie Gewerbe der Organisation und Durchführung der optischen Überprüfung von Mehrwegflaschen hinsichtlich ihrer Wiederbefüllbarkeit unter Ausschluss jeder an einen Befähigungsnachweis gebundenen Tätigkeit.

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt, wobei sie von folgendem Sachverhalt ausgingen:

Im Jahr 2009 schloss die Bekl unter ihrem damaligen Namen D* GmbH mit der B* eine als „Rahmen-Werkvertrag“ bezeichnete Vereinbarung über „Bügelflaschenreparatur“ – konkret das Sortieren von Flaschen und das Reparieren von beschädigten Verschlusskappen – ab. Als Leistungsort wurde die B* vereinbart. Weiters vereinbart wurde, dass die Bekl von der B* einen Hubstapler anmietet, dass der Preis pro Flasche 0,024 € beträgt und dass die AN in einheitlicher D*-Arbeitskleidung auftreten. Darüber hinaus enthält der Vertrag folgende Formulierung: „Unser Personal darf nicht in die betriebliche Organisation der B***** in welcher Form auch immer eingegliedert werden. Es steht ausschließlich unter unserer Fach- und Dienstaufsicht, die unmittelbar durch einen unserer Objektleiter bzw unsere Niederlassung in St. ***** ausgeübt wird. Weisungen von Mitarbeitern der B*****, insbesondere hinsichtlich der Art und des Ablaufs der Arbeitsverrichtung, hinsichtlich der Arbeitseinteilung, hinsichtlich allfälliger Fertigstellungstermine odgl dürfen an unsere Arbeitnehmer weder erteilt werden, noch sind unsere Arbeitnehmer verpflichtet, solchen Weisungen Folge zu leisten.“

Die Kl war bei der Bekl vom 22.5.2017 bis 31.3.2019 als Kommissioniererin beschäftigt. Sie wurde von Anfang an – zusammen mit weiteren fünf bis sechs Mitarbeitern der Bekl – bei der Bügelflaschenreparatur eingesetzt. Sie unterfertigte eine Dienstanweisung folgenden Inhalts: „Frau V***** B***** wurde unterwiesen, im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit am Standort A-3***** W*****, keine direkten Anweisungen seitens Führungskräften und Mitarbeitern von B***** AG entgegen zu nehmen. Die Tätigkeit umfasst die Sortierung von Bierflaschen mit Reparatur/Austausch der Schnellverschlüsse durch S*****, vorbereitend einer folgenden Befüllung durch B***** AG. Hinsichtlich Art/Ablauf und Arbeitsvorbereitung erfolgt die Unterweisung der S***** Mitarbeiter ausschließlich durch S***** Führungskräfte der Niederlassung 3***** St. *****. Ein eigens von der B***** AG angemieteter Stapler wird zur Paletten-Positionierung genutzt. Seitens B***** AG besteht ausnahmslos kein direktes Weisungsrecht an die S***** Mitarbeiter. Aktueller S***** Objektleiter für diesen Standort, Frau S***** R*****.“

Der Arbeitsort der Kl befand sich in einer Halle der B*, wobei diese im Jahr 2018 gewechselt wurde. In beiden Hallen befanden sich einige Tische, an denen die Mitarbeiter der Bekl Flaschen kontrollierten und reparierten. In diesen Hallen wurden die zu bearbeitenden sowie die bereits kontrollierten Flaschen auch auf Paletten gelagert. Der Transport der Flaschen in die Halle hinein und aus der Halle heraus erfolgte mittels Stapler durch Mitarbeiter der B*. Die Hallen wurden von den Mitarbeitern der Bekl nicht exklusiv benutzt. Es waren dort auch DN der B* tätig, die teilweise ebenfalls Flaschen kontrollierten und reparierten. In der alten Halle hatte sich ein Schild mit der Aufschrift „S*****“ befunden, um den Bereich der Mitarbeiter der Bekl abzugrenzen. Bereits nach rund zwei Wochen war diese Abgrenzung jedoch entfernt worden, um den Staplerfahrern das Durchfahren zu ermöglichen.

Die Tätigkeit der Kl bestand in einer Sichtkontrolle der Flaschen sowie im Bedarfsfall einem Reparieren der Bügel. Diese Arbeit war nach einer Einschulung durch M* M* im Wesentlichen jeden Tag gleich. Nachschulungsmaßnahmen waren nicht erforderlich. Von der bei der Bekl für das Objekt 325 B* verantwortlichen R* S* war lediglich vorgegeben, wie viele Paletten pro Stunde die Mitarbeiter bearbeiten mussten. Es war den Mitarbeitern der Bekl weitgehend selbst überlassen, wann sie Flaschen kontrollierten und wann sie Bügel reparierten. Für den Fall, dass von Seiten der B* dringend zusätzliche Flaschen benötigt wurden bzw eine überwiegende Reparatur von Flaschen erforderlich war, kontaktierten die zuständigen Lagerleiter R* S*, welche M* M* anrief und die entsprechenden Weisungen erteilte.

Zwischen den bei der B* beschäftigten Mitarbeitern der Bekl und den Lagerleitern bestand regelmäßiger Kontakt, dahingegen, dass bei diesen Paletten mit zu bearbeitenden Flaschen angefordert wurden. Mit Ausnahme von Sicherheitsschuhen und leuchtender Oberbekleidung gab es keine Anweisung im Hinblick auf das Tragen von Arbeitskleidung. Die Sicherheitsschuhe wurden von der Bekl zur Verfügung gestellt. T-Shirts, Westen und auch Hosen waren von der B* und auch von der Bekl zur Verfügung gestellt worden. Schutzbrillen und Arbeitshandschuhe kamen seit 2013/2014 ausschließlich von der B*. Die Mitarbeiter, so auch die Kl, trugen lieber die T-Shirts der B*, da diese leuchteten und somit keine zusätzlichen Warnwesten erforderlich waren.

Für die Tätigkeit der Kl und ihrer Kollegen war ausschließlich ein Spezialwerkzeug erforderlich, nämlich ein „Entbügler“. Dieser wurde in der Werkstatt der B* hergestellt und befand sich in Schachteln auf den Tischen der Arbeitsplätze in den Hallen. Wenn die Mitarbeiter der Bekl neue „Entbügler“ benötigten, gingen sie in die Werkstatt und besorgten sich diese. Die Kl verwendete auch einen Kopierer für Lieferzettel. Dieser Kopierer stand im Eigentum der B*.

Der Transport der zu bearbeitenden Flaschen innerhalb der Halle erfolgte mit einem Hubstapler, welchen die Bekl von der B* angemietet hatte. Bei Bedarf wurde dieser Hubstapler auch von Mitarbeitern der B* verwendet. Ein Fahrtenbuch wurde nicht geführt.

R* S* war nur sporadisch vor Ort, sie stand jedoch im telefonischen Kontakt mit den Mitarbeitern vor Ort. Zeitaufzeichnungen wurden ihr ebenso übergeben, wie Urlaub und Krankenstand ihr gemeldet wurden.

Den Mitarbeitern der Bekl war anfangs von der B* zwar ein eigener Pausenraum zur Verfügung gestellt worden, der aber lediglich sporadisch von Praktikanten mitbenützt wurde. Da in diesem Raum Rauchverbot herrschte, benützten die Kl und andere Raucher der Bekl den Raucherraum der B*.

Rechtlich vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, dass eine Arbeitskräfteüberlassung bereits vorliege, wenn nur einer der in § 4 Abs 2 AÜG genannten Fälle verwirklicht sei. [...]

Gegen das Berufungsurteil richtet sich die außerordentliche Revision der Bekl [...].

Entgegen dem – den OGH nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die außerordentliche Revision zulässig, weil die Rsp des OGH zu § 4 AÜG vor dem Hintergrund der E des EuGH in der Rs C-586/13, Martin Meat, einer Überprüfung bedarf.

Sie ist aber nicht berechtigt.

Die Bekl hält dem Berufungsurteil im Wesentlichen entgegen, es hätte aufgrund der E des EuGH in der Rs Martin Meat in richtlinienkonformer Interpretation des AÜG keine Arbeitskräfteüberlassung annehmen dürfen, dies auch aufgrund des Gebots der Einheit der Rechtssprache. Eine richtlinienkonforme Interpretation wäre zur Vermeidung einer Inländerdiskriminierung auch dann erforderlich, wenn man grundsätzlich meinen sollte, dass bei dem hier vorliegenden reinen Inlandssachverhalt eine solche an sich nicht erforderlich sei. Eine sachliche Rechtfertigung dafür, dass es bei identem Sachverhalt alleine vom Sitz der Bekl abhänge, ob einmal eine Arbeitskräfteüberlassung (bei reinem Inlandssachverhalt) oder das andere Mal ein Werkvertrag (bei grenzüberschreitendem Sachverhalt) angenommen werde, sei nicht zu erkennen.

1. Das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG, BGBl 1988/196) gilt nach seinem § 1 Abs 1 für die Beschäftigung von Arbeitskräften, die zur Arbeitsleistung an Dritte überlassen werden. Überlassung von Arbeitskräften ist gem § 3 Abs 1 AÜG die Zurverfügungstellung von Arbeitskräften zur Arbeitsleistung an Dritte. Für die Beurteilung, ob eine Überlassung von Arbeitskräften vorliegt, ist gemäß der – ebenso der Stammfassung des AÜG entstammenden und mit „Beurteilungsmaßstab“ überschriebenen – Bestimmung des § 4 AÜG der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhalts maßgebend (Abs 1). [Text des § 4 Abs 2 AÜG]

2. Nach den ErläutRV (450 BlgNR 17. GP 17) soll § 4 AÜG „eine Orientierungshilfe zur Verhinderung von Umgehungen bieten“. Zu § 4 Abs 2 AÜG führen die Gesetzesmaterialien wie folgt aus:

„Abs 2 befaßt sich speziell mit dem Werkvertrag, der erfahrungsgemäß am häufigsten zur Umgehung der bei der Arbeitskräfteüberlassung zu beachtenden Regeln Verwendung findet. Sofern ein für den Werkvertrag typisches Merkmal nicht vorhanden ist (Z 1, 2 und 4) oder ein für den Werkvertrag völlig untypisches Merkmal (Z 3) gegeben ist, wird das Vorliegen des Tatbestandes der Arbeitskräfteüberlassung angenommen. Auch wenn für die Klassifizierung als Werkvertrag an sich bereits die Kombination einzelner für den Werkvertrag typischer Sachverhaltselemente ausreichend sein mag, muß zur Abgrenzung von der Arbeitskräfteüberlassung die Erfüllung sämtlicher im Regelfall zutreffenden Merkmale (einschließlich des Fehlens bestimmter, auf eine Arbeitskräfteüberlassung hinweisenden Sachverhaltselemente) verlangt werden, um der Erfahrung Rechnung zu tragen, daß häufig die Überlassung von Arbeitskräften den eigentlichen Zweck des Werkvertrages bildet.“

3.1. In der Rsp setzte sich bislang insb der VwGH mit § 4 AÜG iVm § 2 Abs 2 AuslBG auseinander. Der VwGH betonte mehrfach, dass Arbeitskräfteüberlassung gem § 4 Abs 2 AÜG auch dann vorliege, „wenn Arbeitskräfte unter den in dieser Bestimmung genannten Bedingungen Arbeitsleistungen im Betrieb eines Werkherstellers in Erfüllung eines326Werkvertrages erbringen“ (zB VwGH 97/09/0311; 2001/09/0236; 2007/09/0358). Für die Abgrenzung zwischen Werkverträgen, deren Erfüllung im Wege einer Arbeitskräfteüberlassung iSd § 4 Abs 2 AÜG stattfindet, und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist, erachtete der VwGH in einigen Entscheidungen grundsätzlich eine Gesamtbetrachtung der Unterscheidungsmerkmale als notwendig. Das Vorliegen einzelner, auch für das Vorliegen eines Werkvertrags sprechender Sachverhaltselemente sei in diesem Sinne nicht ausreichend, wenn sich aus den Gesamtumständen unter Berücksichtigung der jeweiligen wirtschaftlichen Interessenlage Gegenteiliges ergebe (ebenso zu § 4 AÜG iVm § 2 Abs 2 AuslBG VwGH96/09/0281; 2004/09/0059).

3.2. Andererseits hat der VwGH in seinem – oft als „Leitentscheidung“ zu § 4 AÜG iVm § 3 ASVG bezeichneten (zB Andexlinger, Arbeitskräfteüberlassung im Wege eines Werkvertrages, ecolex 1997, 111; Mazal, Arbeitskräfteüberlassung und Werkvertragserfüllung, in FS Krejci [2001] 1589 [1600]; Schopper, Zur Abgrenzung von Werkverträgen und Verträgen über die Arbeitskräfteüberlassung, ZRB 2017, 3 [7]) – Erkenntnis 94/08/0178 hervorgehoben, dass § 4 AÜG klarstelle, dass selbst für den Fall des Vorliegens eines gültigen Werkvertrags zwischen Entsender und Beschäftiger dem wahren wirtschaftlichen Gehalt nach AN-Überlassung vorliegen könne, und zwar dann, wenn es den Vertragspartnern nach der atypischen Gestaltung des Vertragsinhalts erkennbar gerade auf die Zurverfügungstellung von Arbeitskräften ankomme, und dass § 4 Abs 2 AÜG typisierend nach der Art unwiderleglicher Vermutungen festlege, wann dies jedenfalls der Fall sei. Bei Erfüllung jedes einzelnen der vier Fälle des § 4 Abs 2 AÜG (argumento „oder“) liege jedenfalls dem wirtschaftlichen Gehalt nach Arbeitskräfteüberlassung iSd § 3 Abs 1 AÜG durch den Werkunternehmer als Überlasser (iSd § 3 Abs 2 AÜG) an den Werkbesteller als Beschäftiger (iSd § 3 Abs 3 AÜG) vor. [...] In der Leitentscheidung führte der VwGH für seine Auffassung auch ins Treffen, dass die – oben unter Pkt 2. zitierten – Gesetzesmaterialien eindeutig davon ausgingen, dass schon dann, wenn auch nur eines der Tatbestandsmerkmale der Z 1 bis 4 des § 4 Abs 2 AÜG gegeben ist, Arbeitskräfteüberlassung anzunehmen sei.

3.3. Die Rechtssätze dieser Leitentscheidung wurden vom VwGH in der Folge seiner stRsp zu § 4 AÜG sowohl iVm § 3 ASVG als auch § 2 Abs 2 AuslBG bzw § 7d AVRAG zugrunde gelegt (vgl VwGH 95/08/0345; 2008/09/0094; Ro 2014/09/0026; Ra 2016/11/0090; Ra 2016/11/0110).

3.4. Dieser Rsp schloss sich auch der erkennende Senat des OGH in 8 ObA 7/14h an: Der Gesetzgeber stelle mit der Verwendung des Wortes „oder“ in § 4 Abs 2 AÜG klar, dass der wahre wirtschaftliche Gehalt schon dann der einer Arbeitskräfteüberlassung sei, wenn auch nur eines der demonstrativ aufgezählten Tatbestandselemente zutreffe. Diese Beurteilung sei unabhängig davon, ob die Vereinbarung zwischen dem DG und seinem Auftraggeber zivilrechtlich als Werkvertrag einzustufen sei. Der Gesamtbeurteilung des Sachverhalts iSd § 4 Abs 1 AÜG bedürfte es nur dann, wenn durch den Tatbestand nicht ohnehin bereits einer der gesetzlichen Vermutungsfälle nach § 4 Abs 2 AÜG (iVm dem Einleitungssatz dieser Bestimmung) zur Gänze erfüllt sei, sondern nur einzelne Elemente oder nicht in der Aufzählung enthaltende Umstände auf ein Leiharbeitsverhältnis hindeuteten.

3.5. [...]

4. In der Literatur wurde seit Erlassung des AÜG fast ausnahmslos die Ansicht vertreten, § 4 Abs 2 AÜG müsse abweichend von seinem Wortlaut iS einer Gesamtbetrachtung verstanden und danach entschieden werden, ob eine Arbeitskräfteüberlassung vorliege. Dementsprechend stieß die an den Wortlaut des § 4 Abs 2 AÜG anknüpfende Rsp zumeist auf Ablehnung, dies auch insofern, als den Höchstgerichten vorgeworfen wurde, sich mit den Argumenten der hL nicht befasst zu haben. Vereinzelt wurde der Rsp aber auch zugestimmt bzw für eine Mittellösung eingetreten.

4.1. – 4.15 [Eingehende Darstellung der Literatur]

5. Der EuGH führte in seinem Urteil vom 18.6.2015, C-586/13, Rs Martin Meat, das die Folgen einer Verletzung des AuslBG betraf, wie folgt aus: „Für die Feststellung, ob ein Vertragsverhältnis wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende als Arbeitskräfteüberlassung im Sinne von Art 1 Abs 3 Buchst c der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen einzustufen ist, ist jeder Anhaltspunkt dafür zu berücksichtigen, ob der Wechsel des Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat den eigentlichen Gegenstand der Dienstleistung, auf den sich dieses Vertragsverhältnis bezieht, darstellt oder nicht. Einen Hinweis darauf, dass ein solcher Wechsel nicht der eigentliche Gegenstand der betreffenden Dienstleistung ist, stellen grundsätzlich ua der Umstand dar, dass der Dienstleistungserbringer die Folgen der nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich vereinbarten Leistung trägt, sowie der Umstand, dass es dem Dienstleistungserbringer freisteht, die Zahl der Arbeitnehmer zu bestimmen, deren Entsendung in den Aufnahmemitgliedstaat er für sachgerecht hält. Hingegen erlaubt der Umstand, dass das Unternehmen, dem die betreffende Leistung zugutekommt, kontrolliert, ob diese vertragsgemäß ist, oder allgemeine Anweisungen an die Arbeitnehmer des Dienstleistungserbringers erteilen kann, als solcher nicht die Schlussfolgerung, dass eine Überlassung von Arbeitskräften vorliegt.“

6. Aufgrund dieses Urteils des EuGH änderte der VwGH mit seinem Erk vom 22.8.2017, Ra 2017/11/0068, in grenzüberschreitenden – und damit von der Entsende-RL erfassten – Fällen seine Rsp (statt vieler weiterer Entscheidungen vgl nur jüngst VwGHRa 2018/11/0111 und Ra 2020/11/0099). Aus dem Urteil des EuGH ergebe sich, dass für die Beurteilung, ob ein Sachverhalt als grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung zu beurteilen ist, aus unionsrechtlicher Sicht „jeder Anhaltspunkt“ zu berücksichtigen sei und somit unter mehreren Gesichtspunkten (nach dem „wahren wirtschaftlichen Gehalt“) zu prüfen sei. [...] 327

7. In der Literatur ist strittig, ob das Urteil des EuGH in der Rs Martin Meat, C-586/13, auch zu einer Änderung der Rsp zu Inlandsfällen zwingt. Dabei wird als Ausgangspunkt der Diskussion allgemein anerkannt, dass in reinen Inlandssachverhalten weder die europäischen Grundfreiheiten noch die Beitrittsverträge oder die Entsende-RL unmittelbar relevant sind und die Leiharbeits-RL einer weiteren nationalen Definition von Arbeitskräfteüberlassung nicht entgegensteht (zB Th. Dullinger/Schörghofer, Dienstleistung versus Arbeitskräfteüberlassung, GRAU 2020/7 [22 f]).

7.1. Nach überwiegender Ansicht käme es bei Beibehaltung der bisherigen nationalen Rsp bei Inlandssachverhalten und damit – abhängig davon, ob ein Auslands- oder ein Inlandssachverhalt vorliegt – einer gespaltenen Auslegung im Fall, dass nach dem Wortlaut des § 4 AÜG eine Arbeitskräfteüberlassung vorläge, nach den Kriterien des EuGH hingegen nicht, zu einer sachlich ungerechtfertigten Inländerdiskriminierung, weil österreichische Unternehmer strenger behandelt würden als im Ausland ansässige. Eine sachliche Rechtfertigung der Diskriminierung sei nicht ersichtlich und könne insb nicht in einem höheren AN-Schutz erblickt werden, der durch eine grenzüberschreitende Tätigkeit auch unterlaufen werden könnte. Um die Inländerdiskriminierung hintanzuhalten, dürfe eine Arbeitskräfteüberlassung auch bei Inlandssachverhalten nur dann angenommen werden, wenn eine Arbeitskräfteüberlassung aufgrund einer Gesamtbetrachtung iSd Urteils des EuGH in der Rs Martin Meat vorliege, somit nicht bloß deshalb, weil einer der Fälle des § 4 Abs 2 AÜG erfüllt sei (vgl Schörghofer, Grenzfälle der Arbeitskräfteüberlassung – Langfristige Überlassung, Payrolling und die Abgrenzung zum Werkvertrag [2015] 208 ff; ders, Glosse zu VwGHRa 2017/11/0068 in DRdA 2018/28 [316 f]; Gleißner, Arbeitskräfteüberlassung: Umgehungsmöglichkeiten und deren [überschießende] Verhinderung, in Brodil, Diener fremder Herren [2016] 99 [101 f]; Brodil/Th. Dullinger, Arbeitskräfteüberlassung im Lichte des LSD-BG – Eine Annäherung an § 4 Abs 2 AÜG, in Brodil, Gestaltungsräume und neue Grenzen im Arbeitsrecht [2017] 78 ff; dies, Zur Abgrenzung von Werkvertrag und Arbeitskräfteüberlassung – Eine Annäherung an § 4 Abs 2 AÜG aus unionsrechtlicher Sicht, ZAS 2017/2 [11 f]; Krömer, Arbeitskräfteüberlassung reloaded, ecolex 2017, 1187 [1189 f]; Laback in Schrattbauer, AÜG [2020] § 4 Rz 31; Niksova, Glosse zu VwGHRa 2017/11/0068 in ZAS 2018/15 [92 f]; dies, Abgrenzung Werkvertrag – Arbeitskräfteüberlassung: Zeit für eine Reform von § 4 AÜG, in Liber Amicorum Mazal [2019] 79 ff; dies in Schrattbauer, aaO §§ 16, 16a Rz 60; Schrank, Leitentscheidungen der Höchstgerichte zum Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht, 28.1.1.Nr 5 [Anm zu VwGH Ra 2017/11/0068]; Th. Dullinger/Schörghofer, GRAU 2020/7).

7.2. Nach Schindler (in Brodil, aaO [2016] 83 f; ders in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 4 AÜG Rz 3/1 und §§ 16, 16a AÜG Rz 14) hat das Urteil des EuGH hingegen für innerösterreichische Sachverhalte keine Auswirkung. Dass § 4 AÜG gegegegebenenfalls unterschiedlich auszulegen sei, ergebe sich schon aus der historischen Interpretation. Da die Fassung des § 4 AÜG aus dem Jahr 1988 nie geändert worden sei, könne die Entsende-RL aus dem Jahr 1996 für ihre innerösterreichische Auslegung nicht ergiebig sein. Eine gespaltene Auslegung sei auch verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Dienstleistungsfreiheit führe in unionsrechtlich nicht harmonisierten Bereichen zwangsläufig zur Ungleichbehandlung ausländischer und inländischer Gewerbetreibender durch national unterschiedliche gewerberechtliche Regeln. Zudem sei es sachlich gerechtfertigt, in den zwangsläufig ungleich häufigeren Fällen inländischer Überlassungen ein einfaches, rechtssicheres Abgrenzungsverfahren zu normieren, auch wenn dieses bei grenzüberschreitenden Überlassungen nicht angewendet werden dürfe. Die allfälligen Vorteile ausländischer Überlasser seien auch gering und die umfassenden Ziele des AÜG könnten anders nicht erreicht werden. Vorschriften des nationalen Rechts dürften für diese Abgrenzung andere, insb strengere Kriterien aufstellen. Für die Zulässigkeit spreche schon Erwägung 19 der Entsende-RL. Danach stehe die Richtlinie strikteren Bestimmungen betreffend (nur) die Arbeitskräfteüberlassung (seinerzeit bis hin zu deren Verbot) nicht entgegen, zumal der materielle Inhalt solcher Regelungen im Kern die Abgrenzung verschiedener Dienstleistungen voneinander sei.

Mit Blick auf das (in § 2 Abs 2 auf § 4 Abs 2 AÜG verweisende) LSD-BG tritt Gagawczuk (Die Auswirkungen der EuGH-Judikatur zum Begriff der Arbeitskräfteüberlassung auf das LSD-BG, DRdA 2018, 394 ff) für eine Differenzierung ein. Nur dort, wo die Entsende-RL eine Sperrwirkung entfalte, sei die Definition des EuGH zur Arbeitskräfteüberlassung von Relevanz. Dies sei bei Art 3 Abs 9 und Art 3 Abs 1 lit d der Fall. Für den Anwendungsbereich der Arbeitsbedingungen gem Art 3 Abs 1 lit a bis c und e bis g Entsende-RL bedeute eine Verschiebung bei der Abgrenzung zwischen Werkvertrag und Arbeitskräfteüberlassung nicht, dass der Anwendungsbereich der Entsende-RL verlassen werde. Dies gelte insb auch für die Mindestlöhne und insb auch dann, wenn diese Lohnvorschriften innerstaatlich als Mindestlöhne bei Arbeitskräfteüberlassung etikettiert würden, europarechtlich aber als Mindestlöhne für Entsendungen ieS einzuordnen wären.

Der Senat hat erwogen:

8. Es besteht grundsätzlich keine Veranlassung, von der bisherigen Rsp des OGH zu § 4 Abs 2 AÜG abzugehen. Der Wortlaut der Vorschrift ist eindeutig. Aus dem Wort „oder“ iVm der Wendung, dass Arbeitskräfteüberlassung „insbesondere auch vor[liegt], wenn ...“, ergibt sich zwingend, dass jeder der vier im Folgenden vom Gesetzgeber aufgezählten Tatbestände (Fälle) zur Annahme von Arbeitskräfteüberlassung führt. Dieses Verständnis war – wie aus den Gesetzesmaterialien ersichtlich – auch jenes des historischen Gesetzgebers (siehe Pkt 1). § 4 Abs 2 AÜG konkretisiert zu Verhinderung von Umgehungskonstruktionen die wirtschaftliche Betrachtungsweise. 328

Die Kritik an der Rsp und dem Gesetzgeber ist, wenn man § 3 AÜG als Darstellung von Rechtsgeschäften (Abs 1: „... Zurverfügungstellung von Arbeitskräften ...“; Abs 2: „... wer Arbeitskräfte zur Arbeitsleistung an Dritte vertraglich verpflichtet ...“) versteht und einen „Beschäftiger“ nur dort annimmt, wo jemandem die typischen AG-Befugnisse übertragen werden, verständlich. Dieser Ansatz kommt aber schon bei § 3 Abs 4 AÜG an seine Grenzen, bei dem der Begriff der Arbeitskräfte auf arbeitnehmerähnliche Personen, die in keinem Arbeitsverhältnis stehen, erweitert wird (unerörtert bleiben können hier die Tatbestandsvoraussetzungen einzelner Bestimmungen des AÜG). § 4 Abs 1 AÜG ordnet dann ja auch deutlich an, dass es um den „wahren wirtschaftlichen Gehalt“ – also nicht die Vertragskonstruktion und auch nicht die „äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes“ – geht. Diese wirtschaftliche Betrachtungsweise rechtfertigt sich auch aus dem Ziel des AÜG, nicht nur die überlassenen Arbeitskräfte, sondern auch die Stamm-AN zu schützen und arbeitsmarktpolitisch nachteilige Entwicklungen zu vermeiden. Dem Ansatz einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise kommt insoweit gerade bei der zentralen Anordnung des AÜG zur Sicherung des Niveaus der kollektivvertraglichen Ansprüche in den Beschäftigerbetrieben (§ 10 AÜG; vgl im Übrigen § 9 Abs 3 ArbVG) Bedeutung zu.

Insoweit ist es auch schlüssig, wenn nach § 4 Abs 2 AÜG „insbesondere auch“ dann Arbeitskräfteüberlassung vorliegt, wenn die Erbringung von Arbeitsleistungen „im Betrieb des Werkbestellers“ in Erfüllung von Werkverträgen erfolgt, aber kein „von den Produkten ... des Werkbestellers abweichendes, unterscheidbares und dem Werkunternehmer zurechenbares Werk“ erstellt wird oder die Arbeiten nicht vorwiegend mit Material und Werkzeug des Werkunternehmers geleistet werden. Dass in jedem dieser Fälle dieser Faktor „wirtschaftlich“ (§ 4 Abs 1 AÜG) so relevant sein muss, dass dies die Gleichstellung rechtfertigt, erfordert noch nicht eine Gesamtbetrachtung, schließt diese aber auch nicht aus, vermeidet aber die in der Kritik genannten Befürchtungen, dass schon das Zurverfügungstellen eines Isolierbandes an einen beauftragten Elektriker zur Annahme einer Arbeitskräfteüberlassung nach § 4 Abs 2 Z 2 AÜG führen könnte. Weder zu 8 ObA 7/14h (Prüfung von Werkteilen im Betrieb) noch 8 ObA 6/16i (Sachbearbeiter im Betrieb) lag ein abweichendes unterscheidbares „Produkt“ vor. Dieses setzt wohl voraus, dass – auch außerhalb der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen – wirtschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet werden, die es sinnhaft erscheinen lassen, die Leistungen als eigenes Werk allgemein am Markt anzubieten oder zu beziehen. Dies kann wohl bei den in der Kritik genannten im Betrieb eines Auftraggebers erbrachten Leistungen eines Softwareunternehmens oder eines Reinigungsunternehmens nicht ausgeschlossen werden.

Anhand der Vorschrift des § 4 Abs 2 AÜG kann der AN zudem leicht ermitteln, ob sein Arbeitsverhältnis den Vorschriften über die Arbeitskräfteüberlassung unterliegt. Käme es insofern primär auf den Vertrag zwischen seinem AG und dem Unternehmen, in dessen Betrieb er seine Arbeit erbringt, an, so wäre dies für ihn mit beträchtlicher Rechtsunsicherheit verbunden, zumal er in die diesbezügliche Vereinbarung gerade nicht eingebunden ist und sie für ihn daher in der Regel auch im Dunkeln liegt.

[...]

Nach dem vom OGH weiterhin vertretenen Verständnis liegt im vorliegenden Fall eine Arbeitskräfteüberlassung vor. Dies ergibt sich ansatzweise schon daraus, dass die Kl die Arbeit im Betrieb der Brauerei nicht vorwiegend mit Material und Werkzeug der Bekl leistete (§ 4 Abs 2 Z 2 AÜG), vor allem aber daraus, dass kein abweichendes unterscheidbares, der Bekl zurechenbares Produkt vorliegt (§ 4 Abs 2 Z 1 AÜG). Für die Qualifizierung als Arbeitskräfteüberlassung spricht auch, dass die B* entscheidet, ob sie gerade mehr oder weniger Flaschen braucht und sie das der Teamvorgesetzten S* mitteilt, die den Wunsch umsetzt, indem sie die AN entsprechend anweist. Es macht bei wirtschaftlicher Betrachtung keinen Unterschied, ob die einzelnen AN direkt von einem B*-Vertreter Anweisungen erhalten oder ob dazwischen noch eine Hierarchieebene auf Beklagtenseite eingezogen wird, die ihrerseits Weisungen der B* entgegennimmt und formal als von der Bekl stammend einfach weitergibt. In beiden Fällen verfügt die B* über den Einsatz der Arbeitskräfte so, wie wenn es ihre eigenen wären.

9. Selbst wenn das Beibehalten der bisherigen Rsp zu einer Inländerdiskriminierung führen sollte, wäre zu prüfen, ob diese nicht sachlich gerechtfertigt wäre. Ob es dazu ausreicht, dass schon aufgrund der Entfernungen rein inländische Arbeitskräfteüberlassungen ungleich häufiger als grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassungen vorkommen, und es dem Gesetzgeber wohl darum ging, einfache Kriterien aufzustellen, bei denen aufgrund ihrer Typizität unwiderlegbar das Vorliegen einer Arbeitskräfteüberlassung vermutet wird, wäre näher zu prüfen. [...]

10. Entgegen der Ansicht der Bekl liegt keine Inländerdiskriminierung vor:

10.1. Die RL 96/71/EG über die Entsendung von AN im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Entsende-RL) wäre – hätte die Bekl zB in der Slowakei ihren Sitz – aufgrund von Art 3 Abs 1 Unterabs 1 Satz 2 der (Änderungs-)RL (EU) 2018/957 im vorliegenden Fall noch in ihrer Stammfassung anzuwenden.

10.2. Die Entsende-RL 96/71/EG enthält in ihrem Art 3 Abs 1 die Verpflichtung der Mitgliedstaaten für alle in Art 1 Abs 1 genannten Unternehmen, den in ihr Hoheitsgebiet entsandten AN die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des Ortes der Arbeitsleistungen ua hinsichtlich der Mindestlöhne (lit c) und der Bedingungen für Leiharbeitsunternehmen (lit d) zu garantieren. § 6 Abs 2 LSDBG legt fest, dass die für gewerblich überlassene Arbeitskräfte geltenden Kollektivverträge auch für aus dem Ausland überlassene Arbeitskräfte gelten. Art 3 Abs 9 der RL 96/17/EG legt noch „zusätzlich“ (vgl etwa Rebhahn in Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht2329[2018] Art 3 RL 96/71/EG Rz 30) fest, dass die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass alle für Leiharbeitsunternehmen geltenden Bedingungen anzuwenden sind. § 6 Abs 3 LSD-BG ordnet an, dass das AÜG und vergleichbare österreichische Rechtsvorschriften auch für grenzüberschreitend überlassene Arbeitskräfte gelten.

[...]

10.3. Nach dem Urteil des EuGH in der Rs Martin Meat, C-586/13, liegt eine Arbeitskräfteüberlassung iSv Art 1 Abs 3 lit c der Entsende-RL vor, wenn drei Voraussetzungen (kumulativ) erfüllt sind (Rz 33):

„Erstens muss es sich bei der Überlassung von Arbeitskräften um eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung handeln, bei der der entsandte Arbeitnehmer im Dienst des die Dienstleistung erbringenden Unternehmens bleibt, ohne dass ein Arbeitsvertrag mit dem verwendenden Unternehmen geschlossen wird.Zweitens muss das wesentliche Merkmal dieser Überlassung darin bestehen, dass der Wechsel des Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat der eigentliche Gegenstand der Dienstleistung des erbringenden Unternehmens ist.Drittens muss der Arbeitnehmer im Rahmen einer solchen Überlassung seine Aufgaben unter der Aufsicht und Leitung des verwendenden Unternehmens wahrnehmen.“

10.4. Die erste Voraussetzung ist im vorliegenden Fall offenkundig erfüllt.

10.5.1. Die zweite Voraussetzung erfordert nach dem EuGH eine Analyse des eigentlichen Gegenstands der Dienstleistung des erbringenden Unternehmens. Dabei ist jeder Anhaltspunkt dafür zu berücksichtigen, dass der Wechsel des AN in den Aufnahmemitgliedstaat den Gegenstand der betreffenden Dienstleistung darstellt oder nicht darstellt (Martin Meat, Rz 34). Insb ist jeder Anhaltspunkt dafür zu berücksichtigen, dass der Dienstleistungserbringer nicht die Folgen einer nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich festgelegten Leistung trägt (Martin Meat, Rz 35).

10.5.2. Nach dem VwGH soll es deshalb darauf ankommen, ob der für einen Werkvertrag essenzielle „gewährleistungstaugliche“ Erfolg vereinbart wurde (VwGHRa 2017/11/0068; Ra 2018/11/0061 ua), „nach welchen die für den Werkvertrag typischen Gewährleistungsansprüche bei Nichtherstellung oder mangelhafter Herstellung des Werkes beurteilt werden können“ (VwGH2013/09/0097). Dem ist insofern beizupflichten, als der EuGH erkennbar aus dem Umstand, dass ein Unternehmen dem anderen für eine Schlechtleistung einzustehen hat, ableitet, dass es diesfalls eben nicht nur dem anderen Unternehmen die Arbeitskräfteüberlassung schuldet, sondern vielmehr die Abarbeitung eines Auftrags.

10.5.3. Im zu beurteilenden Fall war zwischen der Bekl und der B* vereinbart, dass die Bekl der B* die „palettenweise Lieferung von sortierten Bierflaschen mit funktionstüchtigen Schnellverschlüssen“ schuldet (Pkt 1 des – seinem Inhalt nach zwischen den Parteien unstrittigen – Vertrags Beilage ./2). Zu diesem Zweck muss sie nach dem Vertrag die ihr von der B* zur Verfügung gestellten (gebrauchten) Flaschen sortieren (Pkt 1.2 des Vertrags: „Sortieren und öffnen der Flaschen sowie kontrollieren der Verschlusskappen und bei Beschädigungen aussortieren“) und (gegebenenfalls) reparieren (Pkt 1.1 des Vertrags: „Austauschen von beschädigten Gummidichtungen und Reparieren von defekten Metallverschlüssen“). Als Preis je (sortierter und gegebenenfalls reparierter) Flasche wurde bei Bestellungen einer Mindestmenge von 2,5 Mio Flaschen pro Jahr 0,024 € vereinbart (Pkt 6 des Vertrags). Die Bekl als „Dienstleistungserbringer“ hatte damit iSd Rz 35 des Urteils des EuGH in der Rs Martin Meat die „Folgen einer nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich festgelegten Leistung“ zu tragen, weil sie nur pro (ordnungsgemäß) sortierter und gegebenenfalls (ordnungsgemäß) reparierter Flasche das vereinbarte Entgelt erhielt.

Eine Subsumtion des Sachverhalts (hätte sich dieser grenzübergreifend ereignet) unter die lit c des Art 1 Abs 3 Entsende-RL wäre daher wohl nicht möglich.

10.6. Damit wäre die Anwendbarkeit der Entsende-RL nach ihrem Art 1 Abs 3 lit a und b zu prüfen.

Die lit a erfasst alle Fälle, in denen Unternehmer in ihrem Namen und unter ihrer Leitung AN in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen eines Vertrags mit einem in diesem Mitgliedstaat tätigen Dienstleistungsempfänger entsenden. Weder die Rechtsnatur noch die Natur der Dienstleistung ist entscheidend (Krebber in Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht3 [2020] RL 96/71/EG Art 1 Rz 33 mwN). Soweit also eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit releviert würde, könnte die Anwendung von §§ 34 und 10 AÜG auch auf diese Bestimmung gestützt werden.

Näher liegt hier aber noch die Prüfung nach der lit b des Art 1 Abs 3 der RL 96/71/EG.

Dieser Fall nennt folgende länderübergreifende Maßnahme, bei deren Vorliegen die Richtlinie Anwendung findet, soweit sie von einem in Art 1 Abs 1 genannten Unternehmen gesetzt wird:

„b) einen Arbeitnehmer in eine Niederlassung oder ein der Unternehmensgruppe angehörendes Unternehmen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsenden, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht“.

10.6.1. Nach dem Vorschlag der Kommission für die Entsende-RL könnte ein Verzicht auf Art 1 Abs 3 lit b die ganze Richtlinie zur Bedeutungslosigkeit verurteilen. Ein Unternehmen bräuchte nur eine Niederlassung oder Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat zu eröffnen und einige seiner AN zur Erbringung einer zeitlich befristeten Arbeitsleistung dieser Niederlassung oder Tochtergesellschaft zuzuweisen, um nicht mehr an die Richtlinie gebunden zu sein (KOM [91] 230 endg 15). Somit soll lit b (auch) Umgehungstatbestände erfassen (Görres, Grenzüberschreitende Arbeitnehmerentsendung in der EU [2003] 108 mwH). Lit b erfasst jedenfalls Fälle, in denen dem Muster von lit a folgend der AG der entsandten AN einen Auftrag annimmt, den er mit seinen AN in der Zweigniederlassung oder dem anderen 330 zur Unternehmensgruppe gehörenden Unternehmen erledigt (Krebber in Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht3 [2020] RL 96/71/EG Art 1 Rz 35 mwH).

10.6.2. Weil eine Niederlassung reicht, ist nicht zwingend erforderlich, dass der Dienstleistungsempfänger eine bestimmte Rechtsform annimmt (Krebber, aaO Rz 34). Nach der Judikatur des EuGH zu Art 49 AEUV ist der Begriff der Niederlassung ein sehr weiter, der die Möglichkeit für einen Gemeinschaftsangehörigen impliziert, in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats als seines Herkunftsstaats teilzunehmen und daraus Nutzen zu ziehen, wodurch die wirtschaftliche und soziale Verflechtung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der selbständigen Tätigkeiten gefördert wird. Die Aufrechterhaltung einer ständigen Präsenz in einem Mitgliedstaat durch ein in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenes Unternehmen kann daher den Bestimmungen des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit unterliegen, auch wenn diese Präsenz nicht die Form einer Zweigniederlassung oder einer Agentur angenommen hat, sondern lediglich durch ein Büro wahrgenommen wird, das gegebenenfalls von einer Person geführt wird, die zwar unabhängig, aber beauftragt ist, auf Dauer für dieses Unternehmen wie eine Agentur zu handeln (7EuGHC-316/0, C-58-360/07, C-409 und 410/07 – Rs Stoß, Rz 59 mwN). Die Niederlassungsfreiheit findet damit Anwendung, wenn Dritte als verlängerter Arm des Unternehmens und damit „wie eine Agentur“ fungieren (Korte in Calliess/Ruffert5 [2016] Art 49 AEUV Rz 17).

10.6.3. Diesen Maßstab zu Grunde gelegt wäre hier – hätte sich der Sachverhalt grenzüberschreitend ereignet – ein Fall der lit b des Art 1 Abs 3 Entsende-RL zu bejahen: Nimmt man die Weisungsfreiheit der Kl ernst, handelte diese gegenüber der B* unabhängig, aber auf Dauer als verlängerter Arm der Bekl. Ferner hatte sich nach den Feststellungen in der alten Halle ein Schild mit der Aufschrift „S*****“ befunden, um den Bereich der Mitarbeiter der Bekl abzugrenzen. Es wurde zwar nach rund zwei Wochen entfernt, um den Staplerfahrern das Durchfahren zu ermöglichen. Durch seine Anbringung zielte die Bekl aber erkennbar darauf ab, einen Betriebsteil und damit eine Niederlassung zu errichten. Es lag eine „Fabrik in der Fabrik“ vor.

10.6.4. Damit wäre auch unter Annahme eines grenzüberschreitenden Sachverhalts die Entsende- RL anzuwenden.

10.7. [Text des Art 3 Abs 1 Entsende-RL]

Nach Abs 10 des Art 3 der RL 96/71/EG können die Mitgliedstaaten die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die in Tarifverträgen festgelegt sind, auch auf andere als die im Anhang genannten (Bau-)Tätigkeiten ausdehnen. Es ist nun nicht ersichtlich, warum die Anordnung der Geltung der für das Gewerbe der Leiharbeitsunternehmen geltenden kollektivvertraglichen Mindestlöhne in § 6 Abs 3 LSD-BG [gemeint offenbar § 6 Abs 2 LSD-BG; Anm d. A.] bei dauerhaften Beschäftigungen wie den vorliegenden nicht schon aufgrund der lit c des Art 3 Abs 1 der RL 96/71/EG mit der Dienstleistungsfreiheit in Übereinstimmung stehen sollte (vgl auch Art 3 Abs 1 und Abs 1a der ÄRL 2018/957). Welche Art der Entsendung iSd Art 1 Abs 3 der RL 96/71/EG vorliegt, ist bei dauerhaften Entsendungen insoweit irrelevant (vgl zu den zeitlichen und inhaltlichen Untergrenzen etwa die Abs 2 bis 6 des Art 3 der RL 96/71/EG). Dass im Ergebnis für „Entsendungen“ im Rahmen von Leiharbeitsunternehmen vom EuGH und dem nun folgend auch vom VwGH der Begriff des Leiharbeitsunternehmens nach Art 1 Abs 3 lit c der RL 96/71/EG offenbar enger als in § 4 Abs 2 AÜG verstanden wird, ist insoweit ohne Bedeutung, weil sich die Anwendung gar nicht auf die lit c des Art 1 Abs 3 der RL 96/71/EG stützen muss.

Eine Inländerdiskriminierung liegt damit nicht vor.

11. [...]

ANMERKUNG
1.
Überblick

Die E ist in Struktur und Inhalt spannend und ich stimme ihr vollumfänglich zu. Sowohl in der Aufarbeitung der Literatur als auch der eingehenden Argumentation setzt sie Maßstäbe. Sie behandelt zwei Themenstränge, die zwar verknüpft sind, aber doch analytisch klar getrennt werden müssen:

An sich lag ein rein innerösterreichischer Sachverhalt vor. Es ging einmal mehr um die Auslegung des § 4 AÜG; speziell um die Frage, ob stets eine Gesamtbetrachtung anzustellen ist oder – wie der Wortlaut vorgibt – die Erfüllung jeder einzelnen der vier Ziffern des Abs 2 der Bestimmung für das Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung ausreicht. Zusätzlich war die kontrovers diskutierte Rechtsfolge einer „Fabrik in der Fabrik“ zu klären. Für beide Fragen bestehen keine Vorgaben des EU-Rechts.

Zu prüfen war dennoch, ob im Hinblick auf die bei grenzüberschreitenden Sachverhalten geltenden (EU-)Regelungen eine Diskriminierung inländischer Unternehmer entstanden war, wie im Schrifttum vertreten wurde (vgl Pkt 7.1. der E). Auch das ist eine Frage nationalen Rechts, nämlich der Verletzung des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes. Der OGH hat zu Recht untersucht, ob im fiktiven Fall eines gleichartigen, aber grenzüberschreitenden Sachverhaltes ein ausländisches Unternehmen ungerechtfertigt besser behandelt worden wäre.

Dass die Entsende-RL auch bei Nicht-Vorliegen einer Überlassung anzuwenden ist, wird in der E umfänglich argumentiert (Pkt 10.6.). Dies scheint mir offenkundig, daher verfolge ich diesen Aspekt nicht weiter.

2.
Die nationale Auslegung des § 4 AÜG

2.1. Für die Auslegung des § 4 AÜG spielt das Recht der EU keine Rolle. Es definiert zwar einen europäischen Begriff der Arbeitskräfteüberlassung, der im Rahmen der RL 91/38, der Entsende-RL als 331 auch der Leiharbeits-RL Bedeutung hat. Aber es beschränkt in keiner Weise das Recht der Mitgliedstaaten, ihrerseits für Zwecke nationalen Rechts einen davon abweichenden, umfassenderen Begriff der Arbeitskräfteüberlassung festzulegen. Lediglich unter dem Aspekt einer möglichen Inländerdiskriminierung kann das problematisch sein – dazu siehe Kap 3.

2.2. Die österreichische Diskussion um die Bestimmung war von Anfang an von einer erstaunlichen Vehemenz geprägt. Die E bildet sie seitenlang in bewundernswerter Vollständigkeit ab; leider kann dieser Teil aus Platzgründen nicht abgedruckt werden.

Bei dieser Kritik scheint oft der hehre Vertragstyp „Werkvertrag“ gegen den Gesetzgeber verteidigt zu werden, was dessen Regelungen als unsachlich oder überschießend erscheinen lässt. Ein Missverständnis, dass oft an der ungenauen (auch von den EB zum AÜG und mir selbst verwendeten) Formel erkennbar ist, § 4 regle die „Abgrenzung“ von Arbeitskräfteüberlassung und Werkvertrag. Aber der Gesetzgeber greift gar nicht in die Vertragsbeziehung zwischen Überlasser und Beschäftiger ein: Er hat lediglich für einige, eher seltene Fälle, in denen zwischen diesen durchaus ein Werkvertrag vorliegen mag („in Erfüllung von Werkverträgen“), angeordnet, dass dessen Erfüllung wirtschaftlich als Arbeitskräfteüberlassung zu qualifizieren und somit das AÜG anzuwenden ist; wie das der VwGH exakt formuliert.

Zum Teil wird argumentiert, dass AN, die nicht in den Betrieb des Beschäftigers eingegliedert sind, nicht schutzbedürftig seien. Dieses Argument übersieht, dass der Kern des durch das AÜG gebotenen Schutzes darin besteht, das Entgelt überlassener Arbeitskräfte und (unzureichend) den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses zu schützen sowie die Stammbelegschaft vor Austausch und Lohndumping. Diese Gefahren bestehen aber unabhängig davon, ob der Beschäftiger über eine direkte Weisungsbefugnis gegenüber den bei ihm eingesetzten Arbeitskräften verfügt. Die spezielle Problematik, die sich – nur – für eingegliederte AN daraus ergibt, „Diener zweier Herren“ zu sein, löst das Gesetz nur rudimentär.

Völlig zu Recht betont das Höchstgericht, dass die Grundregel des § 4 AÜG die wirtschaftliche Betrachtungsweise ist. Sie gilt natürlich auch bei der Auslegung der vier Ziffern dessen zweiten Absatzes, durch die sie für spezielle Fälle konkretisiert wird. Aber ihr, von der Kritik nicht infrage gestellter Inhalt ist gerade, dass nicht der zwischen den beiden Wirtschaftstreibenden vereinbarte Vertrag(styp) ausschlaggebend sein soll, sondern der wirtschaftliche Gehalt der getroffenen Vereinbarung. Und der Hinweis der E, dass auch betroffene AN in der Lage sein müssen zu erkennen, ob eine Überlassung vorliegt, obwohl sie den Vertrag zwischen Überlasser und Beschäftiger regelmäßig nicht kennen, ergänzt dies zutreffend.

Der langjährigen und gut begründeten Rsp sowohl des VwGH als auch des OGH und der vorliegenden E ist also zu diesem Aspekt wenig hinzuzufügen: Der klare Wortlaut, das Ziel der Bestimmung, ihre Entstehungsgeschichte und die Materialien lassen keinen vernünftigen Zweifel zu, dass die Erfüllung jeder einzelnen Ziffer des § 4 Abs 2 AÜG für sich genügt, um zur Annahme von Arbeitskräfteüberlassung zu führen.

2.3. Zu Recht wurde die (klagsgegenständliche) „Fabrik in der Fabrik“ als Überlassung qualifiziert. Auch hier ist der Wortlaut der einschlägigen Z 1 des § 4 Abs 2 AÜG ebenso deutlich wie deren Ziel: Ihr Gegenstand ist gerade die Verrichtung eines oder mehrerer Teilschritte eines Produktionsvorganges oder einer Dienstleistung im Betrieb des „Werkbestellers“. Die „Fabrik in der Fabrik“ stand dem Gesetzgeber ausweislich der EB (450 BlgNR 17. GP 17: „... Einbindung in die üblichen Arbeitsgänge des Bestellerbetriebes ...“) bei der Regelung des § 4 Abs 2 Z 1 AÜG vor Augen, auch wenn er nicht diesen Begriff verwendet. Eine verkettete oder abgestimmte Produktion besteht aus Einzelschritten, deren jeder leicht als eigenständiges Werk definierbar ist. Die Zerlegung eines wirtschaftlich oder organisatorisch einheitlichen Fertigungsprozesses in einzelne Teile würde aber das auf Branchen abgestellte System der Kollektivverträge unterlaufen – und damit exakt jenes Ergebnis bewirken, welches das Gesetz verhindern will (EB S 12: „Gefahr der Verdrängung von Stamm arbeitern ... durch vielfach billigere überlassene Arbeitskräfte“). Schon, dass ein Werk dauerhaft (vgl Schneller, DRdA 2013, 436, 439) für den und in dem Betrieb eines anderen Unternehmens hergestellt wird, zeigt idR, dass es sich wirtschaftlich gesehen nicht um ein eigenständiges Produkt/eine eigenständige Dienstleistung handelt. Ein solches „Produkt“, das ausschließlich für einen einzigen „Kunden“ produziert wird, nimmt nicht am Markt teil – vgl sinngemäß die OGH-E „Justizbetreuungsagentur“ zu den Kriterien einer wirtschaftlichen Tätigkeit (OGH8 ObA 15/20v ecolex 2021/251, 355). Es ist bloß ein Zwischenergebnis im Fertigungsprozess bzw eine für diesen nötige Dienstleistung.

Auch die jeweils angeführten Gewerbeberechtigungen liefern ein äußerst anschauliches Bild der wahren Absichten: In der Praxis finden sich, wie im Anlassfall, fast immer fantasievolle freie Gewerbe, die einen Ausschnitt einer klassischen gewerblichen Tätigkeit umschreiben und hinzufügen, diese aber „unter Ausschluss jeglicher Tätigkeit“ eines gebundenen Gewerbes zu verrichten. Man wartet mit Spannung, bis jemand das „freie Gewerbe der Bearbeitung von Holz unter Ausschluss jeder Tätigkeit eines Tischlers“ anmelden wird. Und offenbar haben die Gewerbebehörden kein Problem damit, derlei zur Kenntnis zu nehmen! Die 2013 vom Wirtschaftsministerium geschaffene, aber unverbindliche Liste freier Gewerbe scheint keine Wirkung zu haben.

Dabei bedürfte es dieser Zusatztricks gar nicht. Wer statt der Löhne des KollV Arbeitskräfteüberlassung (KVAÜ) oder – im Anlassfall – des KollV Brauereien ohnedies nur jene des Reinigungsgewerbes bezahlt, hätte bereits jene Umgehung erreicht, die § 4 Abs 2 Z 1 AÜG verhindern will. Fast wäre man geneigt, von einer überschießenden kriminellen Energie zu sprechen – aber strafbar ist das ja erst nun, da die Gutgläubigkeit bei der Zahlung 332 unterkollektivvertraglicher Löhne auch von einem fantasievollen Rechtsfreund nicht mehr argumentiert werden kann.

Umso dankenswerter ist es, dass der OGH auch klare Worte zu einer offenbar sorgfältig ausgearbeiteten Konstruktion fand: der Gestaltung der Arbeitsverträge und des Werkvertrages dahin, dass direkte Weisungen des Beschäftigers an die überlassenen Arbeitskräfte ausdrücklich ausgeschlossen wurden. Sie ergingen vielmehr über Zwischenvorgesetzte des Überlassers. Sehr zu Recht betont das Höchstgericht, dass eine solche Konstruktion – in wirtschaftlicher Betrachtung – gar nichts ändert. Das sollte von der Praxis mE auch in der Richtung verstanden werden, dass ähnliche pfiffige Konstrukte jeglicher Art zwecklos sind; ja, dass sie fast eine Selbstanzeige darstellen.

2.4. Kurz ist noch zu ergänzen, dass der Hinweis des OGH auf die nach dem KVAÜ zustehenden Löhne nur formal richtig ist: Der Beschäftigerbetrieb der E unterliegt dem KollV Brauereien, dessen Lohntabellen über jenen des KVAÜ liegen. Zufolge Abschnitt IX Pkt 3 KVAÜ wie auch § 10 Abs 3 AÜG war daher der Lohn des KollV Brauereien zu bezahlen und er wurde auch zugesprochen – das ist nur aus der E nicht ersichtlich, weil die Höhe des Klagebegehrens außer Streit stand.

3.
Entsende-RL und Inländerdiskriminierung
3.1.

Der Grundgedanke der Rsp zur Inländerdiskriminierung ist es, dass der Gleichheitssatz des Art 7 B-VG es nicht zulässt, dass Inländer durch österreichische Gesetze schlechter gestellt werden als im Inland in einer vergleichbaren Situation befindliche Ausländer; es sei denn, die ungleiche Behandlung wäre durch besondere Gründe gerechtfertigt. Eine Ungleichbehandlung kann auch dadurch entstehen, dass infolge der Rsp des EuGH österreichische Normen in Fällen mit Bezug zum europäischen Recht nicht mehr angewendet werden dürfen. Dann können Inländer, für die weiterhin die gesamte Rechtsordnung gilt, schlechter gestellt sein als Ausländer, für die nur der resultierende Rechtstorso angewendet werden darf (VfGHG 85/08 VfSlg 8656). Auch in solchen Fällen ist natürlich zu prüfen, ob eine sachliche Rechtfertigung für die ungleiche Behandlung besteht. Ist das nicht der Fall, ist eine resultierende schlechtere Situation von Inländern für den zur Neuregelung nötigen Zeitraum gerechtfertigt, nicht aber auf Dauer (VfGHG 41/10 VfSlg 19.529).

Bei der Frage nach einer sachlichen Rechtfertigung spielen die Regelungsziele eine wesentliche Rolle. Dabei ist zu prüfen, ob sie noch erreichbar sind, wenn sie in grenzüberschreitenden Sachverhalten nicht mehr verfolgt werden können. Gerade im Kontext des Arbeitsrechts, dessen Schutzziel sich primär auf die dauerhaft am österreichischen Arbeitsmarkt tätigen Personen bezieht, wird ein nur geringeres Schutzniveau für vorübergehend in Österreich tätige (entsandte) Arbeitskräfte aber idR das Erreichen des Schutzzieles nicht verhindern. Nur wenn der schon wegen der Kosten einer Entsendung eher unplausible Fall einer großflächigen Verdrängung heimischer Arbeitskräfte durch entsandte Ausländer einträte, wäre das nicht mehr möglich.

3.2.

Bis zur Schaffung der Entsende-RL unterlagen aus dem Ausland nach Österreich entsendete Arbeitskräfte im Regelfall gem Art 6 des (seinerzeitigen) Übereinkommens von Rom nur dem Arbeitsrecht des entsendenden Staates. Lediglich Normen des österreichischen ordre public waren zusätzlich auf sie anwendbar. Aus der Perspektive österreichischer Unternehmen wurde daher der Konkurrenzdruck durch die Entsende-RL verringert! Für AN wurde ein europaweiter „race to the bottom“ hinsichtlich der Arbeitsbedingungen vermieden. Ausländische Unternehmen haben seither zusätzlich zu ihrem nationalen Arbeitsrecht Teile des Rechts des Tätigkeitsstaates zu beachten.

3.3.

Für die Frage einer Inländerdiskriminierung durch die weitere österreichische Definition von Arbeitskräfteüberlassung ergeben sich daraus vor allem drei Konsequenzen:

  • Es besteht gar keine österreichische Norm, die infolge einer Rsp des EuGH in grenzüberschreitenden Fällen nicht mehr angewendet werden dürfte. Der EuGH hat nichts zur EU-Rechtskonformität des § 4 AÜG ausgeführt, sondern lediglich den Begriff der Arbeitskräfteüberlassung in Art 1 Abs 3 lit c Entsende-RL ausgelegt. Ein von diesem Begriff abweichender nationaler Begriff ist in keiner Weise europarechtswidrig! Ein „Rechtstorso“ ist gar nicht entstanden.

  • Beim Vergleich der Situation eines ausländischen und eines inländischen Unternehmens in einem Fall wie jenem, der der E zu Grunde liegt, muss auch bedacht werden, dass das ausländische Unternehmen grundsätzlich die Regeln seines Sitzstaates zu beachten hat. Das gesamte nationale Arbeitsrecht des Entsendestaates (idR auch zur Überlassung) ist anwendbar.

  • Ist die europäische Definition von „Arbeitskräfteüberlassung“ nicht erfüllt, entsteht in grenzüberschreitenden Fällen nur jene Rechtslage, die sonst generell für Entsendungen gilt: Die österreichischen Regelungen im Kernbereich des Art 3 der Entsende-RL, also insb zum Entgelt, sind zu beachten, nicht aber darüber hinaus Regelungen des nationalen Arbeitsrechts. Im Falle der Entsendung von Bäckern, Schauspielern usw sind die jeweiligen, berufsspezifischen arbeitsrechtlichen Normen – soweit sie nicht ordre public beinhalten – auf entsendete Arbeitskräfte nicht anwendbar, wohl aber auf österreichische AN. Gleiches gilt (nun) in jenen, ohnedies eher bedenklichen Grenzfällen, die nur national als Arbeitskräfteüberlassung einzustufen sind.

ME mangelt es daher schon an der ersten Voraussetzung für eine Inländerdiskriminierung: Anders als in Fällen des Grundverkehrsrechts, bei der Bedarfsprüfung für Apotheken usw ist bei Entsendungen die Situation ausländischer und inländischer Unternehmen schon von vornherein nicht vergleichbar! Nur erstere unterliegen zusätzlich (und primär) den jeweiligen nationalen Vorschriften ihres Sitzstaates, die auf rein österreichische Sachverhalte natürlich nicht anwendbar sind. Die Pflicht 333 ausländischer Unternehmen zur Beachtung des gesamten nationalen Arbeitsrechts und zusätzlich von Kernbereichen der Arbeitsrechtsordnung des Tätigkeitsstaates schafft mE eine generell nicht vergleichbare für diese idR ungünstigere Situation. Wer sie vergleichen wollte, müsste sich der spannenden Aufgabe stellen, dies mit jeder einzelnen der Arbeitsrechtsordnungen aller EU-Mitgliedstaaten zu tun und daraus eine Gesamtbeurteilung (!) der (Un-)Günstigkeit abzuleiten. Denn die Gleichheitswidrigkeit einer österreichischen Norm kann nicht unterschiedlich beurteilt werden, je nachdem aus welchem Mitgliedstaat der EU AN entsandt/überlassen wurden: Entweder liegt sie vor – oder nicht.

3.4.

Die E weist pragmatisch einfach darauf hin, dass auch bei Entsendungen ieS der einschlägige österreichische KollV zu beachten und somit die Frage des Vorliegens einer Überlassung für die Entgeltansprüche ohne Bedeutung ist. Welcher KollV das ist, kann nur nach österreichischem Recht beantwortet werden. Ob etwa ein Angestellten- oder ein Arbeiter-KollV anzuwenden ist, kann schon mangels jeglicher europäischen Regelung dieser Kategorien ausschließlich den österreichischen Normen entnommen werden. Art 3 Abs 1 letzter Satz Entsende-RL ordnet dies ausdrücklich an (vgl auch Art 3 Abs 8 der RL und Art 3 Abs 1b der RL idFg der ÄRL 2018/957). Daher ist auch für die Lösung der Frage, ob der KVAÜ oder ein anderer KollV maßgeblich ist, ausschließlich österreichisches Recht entscheidend: Die Kriterien der Entsende-RL sind ohne jede Bedeutung. Auch in Fällen, in denen nach dieser keine Überlassung vorliegt, sind jedenfalls die Entgelt- sowie Arbeitszeitregelungen udgl des KVAÜ vom entsendenden ausländischen Unternehmen zu beachten, wenn er für inländische AN gilt, wären diese eingesetzt worden (Gagawczuk, DRdA 2018, 394 insb 398 f). Der OGH erwähnt in diesem Zusammenhang nur die Geltung des KVAÜ als einschlägige nationale Lohnregel. Art 3 Entsende-RL verpflichtet aber auch dazu, gesetzliche Lohnregelungen des Staates zu beachten, in den ein/e AN entsendet wurde. Dazu zählt insb § 10 AÜG. Auch im Falle einer Entsendung ieS, die aus österreichischer Sicht jedoch Arbeitskräfteüberlassung darstellt, ist daher diese gesetzliche Entgeltregelung zu beachten. Eine Schlechterstellung inländischer Unternehmen ist somit ausgeschlossen.

Dazu kommt noch, dass die Entsende-RL gerade für den Fall der Arbeitskräfteüberlassung wie erwähnt eine schärfere Vorgangsweise erlaubt, nämlich die Anwendung des gesamten nationalen Arbeitsrechts. Das hat damit zu tun, dass die Union gerade diese Dienstleistung als heikel einschätzt (EuGH 17.12.1981, C-279/80, Webb, Rn 18 f). Es wäre eine nahezu groteske Umkehrung des Zieles des Art 3 Abs 9 Entsende-RL, würde ihretwegen iVm dem Argument einer Inländerdiskriminierung der Schutz überlassener Arbeitskräfte auf nationaler Ebene abgesenkt werden! Der OGH hat diese Auffassung sehr zu Recht zurückgewiesen.