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Für die Rechtzeitigkeit der Mutter-Kind-Pass-Nachweise ist das Einlagen maßgeblich – ein Irrtum darüber ist rechtlich nicht vorwerfbar

KRISZTINAJUHASZ

Die Nachfrist bis zur Vollendung des 18. Lebensmonats für die Vorlage der Mutter-Kind-Pass-Nachweise ist eine materiell-rechtliche Frist. Die Berechnung beginnt mit dem Tag der Geburt und endet im 18. Lebensmonat, an dem Tag, der dem Geburtstag entsprechenden Tag vorangeht.

Um die Rechtzeitigkeit zu wahren, müssen die Nachweise bis spätestens am letzten Tag der Frist beim Krankenversicherungsträger einlangen. Die irrtümliche Annahme, dass hierbei der Tag der Postaufgabe genüge, begründet den Härtefalltatbestand gem § 24c Abs 2 Z 1 KBGG und ist rechtlich nicht vorwerfbar.322

Sachverhalt

Die Tochter des Kl wurde am 1.4.2018 geboren. Die Bekl zahlte dem Kl Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens. Sämtliche vor und nach der Geburt des Kindes vorgesehenen Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen wurden fristgerecht durchgeführt. Die Nachweise zu den Untersuchungen wurden ebenso fristgerecht vorgelegt, mit Ausnahme der letzten der fünften Untersuchung des Kindes. Der Kl arbeitet in einer Steuerberatungskanzlei. Den Abschnitt mit dem Nachweis der fünften Untersuchung gab der Kl am 30.9.2019 zur Kanzleipost zur Übermittlung an die Bekl. Er war der Auffassung, dass eine Postaufgabe am letzten Tag der Frist gem § 24c Abs 2 Z 2 KBGG rechtzeitig für den erforderlichen Nachweis der Untersuchung sei. Die Sendung langte bei der Bekl am 1.10.2019 ein.

Verfahren und Entscheidung

Die Bekl forderte die Rückzahlung von € 1.300,- mit der Begründung, dass der Nachweis der erforderlichen Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen nicht zu den vorgesehenen Zeitpunkten erfolgt sei.

Der Kl begehrte in seiner Klage die Feststellung, dass der Rückforderungsanspruch nicht zu Recht bestehe und führte aus, dass die Frist des § 24c Abs 2 Z 2 KBGG eine verfahrensrechtliche sei, die Postaufgabe am 30.9.2019 genüge zu ihrer Wahrung, sowie, dass selbst wenn man von einer Verspätung ausginge, läge ein Härtefall iSd § 24c Abs 2 Z 1 KBGG vor.

Das Erstgericht stellte fest, dass der Rückforderungsanspruch der Bekl nicht zu Recht bestehe, da dem Kl im konkreten Fall kein rechtlich relevanter Vorwurf iSd § 24c Abs 2 Z 1 KBGG gemacht werden kann.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl nicht Folge und begründete aber seine Entscheidung damit, dass die Frist des § 24c Abs 2 Z 2 KBGG zwar eine materiell-rechtliche sei, diese ende aber – gem § 902 Abs 2 ABGB – am 1.10.2019 und sei somit rechtzeitig.

Die außerordentliche Revision der Bekl war zulässig, aber nicht berechtigt. Aus keiner gesetzlichen Regelung lasse sich für einen normgetreuen Kinderbetreuungsgeldbezieher mit solcher Sicherheit erkennen, dass der Nachweis zu dem in § 24c Abs 2 Z 2 KBGG genannten Zeitpunkt bei der Bekl bereits eingelangt sein muss. Vor diesem Hintergrund sei dem Kl der Irrtum, es genüge die Postaufgabe des Nachweises spätestens zu diesem Zeitpunkt, hier nicht vorwerfbar.

Originalzitate aus der Entscheidung

„[…]

1.2 […] Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens [besteht] in voller Höhe, wenn die jeweiligen Nachweise „bis spätestens zur Vollendung des 18. Lebensmonates des Kindes nachgebracht werden“ (§ 24c Abs 2 Z 2 KBGG).

2.1 Ob eine bestimmte Frist dem Verfahrensrecht oder dem materiellen Recht zuzuordnen ist, hängt nicht davon ab, in welcher Rechtsvorschrift sie angeordnet ist, sondern ob an ihre Einhaltung verfahrens- oder materiell-rechtliche Folgen geknüpft sind. Fristen des materiellen Rechts sind Zeiträume, an deren Beachtung das Gesetz bestimmte materielle Rechtsfolgen knüpft (1 Ob 665/90 […]). Eine prozessuale Frist ist nach ständiger Rechtsprechung nur eine solche, die entweder durch ein Verfahren ausgelöst wird oder in einem Verfahren läuft (3 Ob 179/07f; RS0123438; 10 ObS 125/19h mwH). Die Wertung einer Frist als materiell-rechtliche muss vom Gesetz unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht werden; im Zweifel ist von einer verfahrensrechtlichen Frist auszugehen (VwGH 2011/03/0017 mwH).

2.2 Zutreffend hat das Berufungsgericht die Frist des § 24c Abs 2 Z 2 ASGG als materiell-rechtliche Frist beurteilt. An die Versäumung der Frist knüpft das Gesetz die materielle Rechtsfolge des teilweisen Verlustes des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld […]. Dient eine schriftliche Verfahrenshandlung (gleichzeitig auch) der Wahrung einer materiell-rechtlichen Frist, muss sie spätestens am letzten Tag dieser Frist bei Gericht (bzw bei der Behörde) eingelangt sein; die rechtzeitige Postaufgabe, die für die Einhaltung verfahrensrechtlicher Fristen genügt, reicht somit nicht aus (1 Ob 665/90; RS0122645).

3.1 Für die Berechnung der Frist des § 24c Abs 2 Z 2 KBGG ist jedoch entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht § 902 Abs 2 ABGB anzuwenden. Denn die Berechnung der Frist des § 24c Abs 2 Z 2 KBGG stellt auf die Vollendung des 18. Lebensmonats des Kindes und damit auf das Erreichen einer bestimmten Altersstufe ab […]. Die Berechnung von Altersstufen ist nicht nach § 902 Abs 2 ABGB vorzunehmen: Der Tag der Geburt wird mitgerechnet. Ein Lebensmonat endet an dem Tag, der dem nach seiner Zahl dem Geburtstag entsprechenden Tag vorangeht (10 ObS 148/14h […]). Nichts anderes kann für eine Frist gelten, die an die Vollendung einer Altersstufe anknüpft.

3.2 Dem steht auch nicht das Europäische Fristenberechnungsübereinkommen, BGBl 1983/254BGBl 1983/254 (EuFrÜb), entgegen. Dieses erfasst zwar auch gesetzliche Fristen des Verwaltungsrechts (Art 1 Abs 1 lit a EuFrÜb). Der Explanatory Report zu diesem Übereinkommen hat zwar keinen autoritativen Charakter, bildet jedoch eine wichtige Auslegungshilfe, weil er von den Verfassern des Europäischen Fristenberechnungsübereinkommens stammt (II. des Reports; 10 ObS 148/14h, Pkt 4.3). Nach Punkt 8 der allgemeinen Erwägungen des Reports ist das Übereinkommen auf die Frage, wann ein bestimmtes Alter erreicht ist, nicht anzuwenden, weil es sich dabei nicht um eine „Frist“ im Sinn der Konvention handelt […].

3.3 Zwischenergebnis: Die Tochter des Klägers vollendete das 18. Lebensmonat daher am 30.9.2019,323 sodass der erst am 1.10.2019 bei der Beklagten eingelangte Nachweis über die fünfte Mutter-Kind-Pass-Untersuchung des Kindes verspätet im Sinn des § 24c Abs 2 Z 2 KBGG erfolgte.

4.1 Wird wie hier eine gesetzmäßige Rechtsrüge ausgeführt, ist der Oberste Gerichtshof nicht auf die Nachprüfung des angefochtenen Urteils im Rahmen der vom Revisionswerber ausdrücklich aufgeworfenen Rechtsfragen beschränkt. Vielmehr ist dann die Berechtigung der Rechtsrüge allseitig zu prüfen (RS0043352).

4.2 Gemäß § 24c Abs 2 Z 1 KBGG besteht trotzdem Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe, wenn die Vornahme oder der Nachweis der Untersuchungen nur aus Gründen, die nicht von den Eltern zu vertreten sind, unterbleibt. Auf diese Bestimmung hat sich der Kläger im Verfahren erster Instanz berufen, die Beklagte hat das Vorliegen der Voraussetzungen bestritten.

4.3 Ausschlaggebend ist, dass die Gründe, die den Nachweis verhindern, vom beziehenden Elternteil nicht zu vertreten sind und diesem kein rechtlich relevanter Vorwurf im Sinne des § 24c Abs 2 Z 1 KBGG gemacht werden kann (10 ObS 122/20v). […]

[…]

5.2 Der Kläger übersah nicht die Frist des § 24c Abs 2 Z 2 KBGG zur Erbringung des Nachweises der fünften Untersuchung des Kindes, denn ihm war bewusst, dass der 30.9.2019 der letzte Tag dafür war. Der Kläger irrte lediglich darüber, dass für die Einhaltung der Frist die Postaufgabe des Nachweises an diesem Tag genüge. Dieser Irrtum ist dem Kläger aus den bereits vom Erstgericht genannten Gründen nicht als relevant vorwerfbar: Der Gesetzgeber verwendet in § 24c Abs 2 Z 2 KBGG die Formulierung, dass der Nachweis „nachgebracht“ werden kann. Das dem Kläger zur Verfügung gestellte Informationsblatt der Beklagten spricht davon, dass der Nachweis „nachgereicht“ werden kann und zu einem späteren Zeitpunkt „eingebrachte“ Nachweise nicht berücksichtigt werden können. Aus keiner dieser – nicht einmal einheitlichen – Formulierungen lässt sich für einen normgetreuen Kinderbetreuungsgeldbezieher mit solcher Sicherheit erkennen, dass der Nachweis zu dem in § 24c Abs 2 Z 2 KBGG genannten Zeitpunkt bei der Bekl bereits eingelangt sein muss. Vor diesem Hintergrund ist dem Kläger der Irrtum, es genüge die Postaufgabe des Nachweises spätestens zu diesem Zeitpunkt, hier nicht vorwerfbar.“

Erläuterung

Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens in voller Höhe besteht nur, wenn die in § 24c KBGG vorgesehenen Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen gemäß der Mutter-Kind-Pass-Verordnung 2002 durchgeführt und durch Vorlage der entsprechenden Untersuchungsbestätigung nachgewiesen werden. Werden die in § 24c KBGG vorgesehenen Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen nicht bis zu den vorgesehenen Zeitpunkten nachgewiesen, so reduziert sich gem § 24a Abs 4 KBGG der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens für jeden Elternteil um € 1.300,-.

Gem § 24c Abs 1 Z 2 KBGG ist die fünfte Untersuchung des Kindes bis zur Vollendung des 14. Lebensmonats des Kindes durchzuführen, was hier auch geschah. Der Nachweis ist spätestens bis zur Vollendung des 15. Lebensmonats des Kindes zu erbringen, was im vorliegenden Fall nicht geschah. Dessen ungeachtet besteht im § 24c Abs 2 Z 2 KBGG eine Nachfrist, wonach die Nachweise bis spätestens zur Vollendung des 18. Lebensmonates des Kindes nachgebracht werden können.

Der OGH stellte fest, dass diese Frist eine materiell-rechtliche ist, somit war nicht der Zeitpunkt der Postaufgabe, sondern der Zeitpunkt des Einlangens bei der Bekl maßgeblich. Die Frist beginnt am Tag der Geburt und endet am letzten Tag des 18. Lebensmonats, also am Tag, der dem Geburtstag entsprechenden Tag vorangeht (im Fall am 30.9.2019). Die Vorlage war daher verspätet.

Im vorliegenden Verfahren berief sich der Kl zusätzlich auf die Härtefallregelung des § 24c Abs 2 Z 1 KBGG, wonach der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe besteht, wenn der verspätete bzw nicht erfolgte Nachweis, aus Gründen die nicht von den Eltern zu vertreten sind, unterbleibt. Nach der Rsp reicht bspw das bloße Übersehen der Verpflichtung zur Erbringung eines rechtzeitigen Nachweises einer Mutter-Kind-Pass-Untersuchung nicht aus (OGH 30.6.2015, 10 ObS 157/14g). Hingegen haben die Eltern nicht zu vertreten, dass der mit der Post abgeschickte Nachweis über die durchgeführte Untersuchung beim Versicherungsträger nicht einlangt (OGH 13.9.2016, 10 ObS 88/16p). Ebenso wenig ist es von den Eltern zu vertreten, wenn das Poststück an eine interne Postabteilung des AG übergeben wird, bei der infolge der dort standardisierten Abläufe anzunehmen ist, dass die abgegebenen Poststücke an die Österreichische Post AG weiterbefördert werden (OGH 13.10.2020, 10 ObS 122/20v). Nicht von den Eltern zu vertreten ist auch das Unterbleiben des vollständigen Nachweises einer Untersuchung, wenn dieser auf mehrere Fehler des behandelnden Arztes und eine unrichtige Auskunft eines Mitarbeiters der Bekl zurückzuführen war (OGH 26.5.2020, 10 ObS 15/20h).

Der OGH sah die E des Erstgerichts daher als zutreffend an und erklärte, dass dem Kl im konkreten Fall kein rechtlich relevanter Vorwurf iSd § 24c Abs 2 Z 1 KBGG gemacht werden kann. Der Kl befand sich im Irrtum, als er darauf vertraute, dass die Postaufgabe am 30.9.2019 für den rechtzeitigen Nachweis ausreichen würde. Für den Kl als324 normgetreuen Kinderbetreuungsgeldbezieher war aber weder aus dem Gesetz noch aus dem Informationsblatt klar ableitbar, ob für den Fristablauf das Datum der Postaufgabe oder des Einlangens heranzuziehen ist. Im Ergebnis war daher der Revision nicht Folge zu geben.