124

Zur Bereinigungswirkung eines Vergleiches unter Einbeziehung des Betriebsrates

GREGORKALTSCHMID

Der Kl war von 18.1.1992 bis 28.2.2018 als Expeditarbeiter der Bekl beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde infolge Pensionierung des Kl am 1.5.2018 beendet. Bis 30.4.2003 war er zu den im Ersturteil näher festgestellten Zeiten jeweils befristet, tageweise beschäftigt und von der Bekl als „fallweise beschäftigte Person“ gem § 471b ASVG (in der bis 31.12.2018 geltenden Fassung) bei der SV angemeldet.

Mit 2.5.2003 wurde der Kl von der Bekl mit einem unbefristeten Dienstvertrag „fix angestellt“. Ab diesem Zeitpunkt leistete die Bekl für den Kl Beiträge an die Mitarbeitervorsorgekasse. Dies war dem Kl auch bekannt.

Im Jahr 2012 machten mehrere Expeditmitarbeiter der Bekl, die ebenso wie der Kl bereits vor 2003 in einem Beschäftigungsverhältnis zur Bekl gestanden waren, anlässlich der Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse Ansprüche auf Abfertigung geltend. Die Bekl stand auf dem Standpunkt, diesen Mitarbeitern stünde keine Abfertigung „alt“ zu, weil sie vor 2003 in keinem durchgehenden Beschäftigungsverhältnis gestanden seien. In der Folge suchten die Bekl und der BR nach einer Gesamtlösung für alle von dieser Frage betroffenen Mitarbeiter. Diese wurde letztlich darin gefunden, dass Mitarbeiter, die bereits vor 2003 bei der Bekl beschäftigt waren, 60 % des zum damaligen Zeitpunkt zustehenden Betrags der Abfertigung „alt“ erhalten sollten. Diese Vereinbarung wurde inhaltsgleich für alle betroffenen Mitarbeiter ausgehandelt. Bis Ende April/Anfang Mai 2013 wurde weder von Seiten der Bekl noch von Seiten des BR Druck auf die betroffenen Mitarbeiter ausgeübt, diese Vereinbarung zu unterschreiben. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kl die Vereinbarung bereits unterschrieben und den daraus resultierenden Vergleichsbetrag von € 9.119,32 brutto auf sein Konto überwiesen erhalten.

Die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung lautet auszugsweise wie folgt:

„1. Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren – für strittige gesetzliche Abfertigungsansprüche für den Zeitraum vom 18.01.1992 bis 30.04.2003 –279 die Bezahlung einer Vergleichssumme in Höhe von € 9.119,32 brutto.

2. ...

3. Mit dieser Vereinbarung sind sämtliche wechselseitige Ansprüche und Verbindlichkeiten (insbesondere Ansprüche auf „Abfertigung alt“) für den in Punkt 1. angeführten Zeitraum einvernehmlich bereinigt und verglichen.“

Der Kl begehrt von der Bekl insgesamt € 106.894,58 brutto sA, darin enthalten der revisionsverfangene Abfertigungsbetrag von restlich (Jahresentgelt unter Abzug der Vergleichszahlung und der ausgezahlten Vorsorgebeträge der Mitarbeitervorsorgekasse) € 56.604,64. Dazu brachte der Kl vor, dass er von 18.1.1992 bis zu seiner Pensionierung am 28.2.2018 durchgehend bei der Bekl als Expeditarbeiter beschäftigt gewesen sei. Selbst im Fall seiner Wirksamkeit beziehe sich der Vergleich ausschließlich auf Abfertigungsansprüche für den Zeitraum bis 30.4.2003.

Die Bekl bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte zum Abfertigungsbegehren ein, dass der Kl erst ab 2.5.2003 in einem durchgehenden unbefristeten Arbeitsverhältnis gestanden sei. Mit Zahlung des Vergleichsbetrags von € 9.119,32 laut der am 21.2.2013 zwischen den Parteien abgeschlossenen Vereinbarung seien sämtliche wechselseitigen Ansprüche und Verbindlichkeiten, insb auf Abfertigung „alt“ endgültig bereinigt und verglichen worden.

Das Erstgericht wies das Abfertigungsbegehren ab. Mit der angesprochenen Vereinbarung sei der Erklärungswille beider Parteien auf eine endgültige Bereinigung sämtlicher Ansprüche auf Abfertigung „alt“ und nicht lediglich auf Teile davon gerichtet gewesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl Folge. Mangels festgestellter gegenteiliger Parteiabsicht sei der Vergleich nach seinem Wortlaut so auszulegen, dass damit nur Abfertigungsansprüche für den Zeitraum von 18.1.1992 bis 30.4.2003 abschließend bereinigt werden sollten.

Der OGH erkannte die von der Bekl erhobene Revision für zulässig und berechtigt. Dazu führte er aus:

Ein Vergleich ist die unter beiderseitigem Nachgeben einverständliche neue Festlegung strittiger oder zweifelhafter Rechte. Der Zweck eines Vergleichs liegt vor allem in der Bereinigung einer zweifelhaften Rechtslage und damit in der Vermeidung oder Beilegung von Rechtsstreitigkeiten.

Ein AN kann sich auch über unverzichtbare Ansprüche wirksam vergleichen, wenn dadurch strittige oder zweifelhafte Ansprüche bereinigt werden.

Ein Vergleich ist nach den §§ 914 f ABGB iSd Vertrauenstheorie zu verstehen und so auszulegen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht. Demnach ist bei der Auslegung von Vereinbarungen nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern ausgehend vom Wortlaut die Absicht der Parteien zu erforschen. Erst wenn eine Willensübereinstimmung der Parteien nicht feststellbar ist, kommt die Auslegung nach dem objektiven Erklärungswert, nach der redlichen Verkehrssitte in Betracht.

Im vorliegenden Fall wurde zwar ein übereinstimmender Parteiwille, der zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses (21.2.2013) auf eine generelle Bereinigung sämtlicher (die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses betreffender) Abfertigungsansprüche „alt“ gerichtet gewesen wäre, nicht festgestellt. Allerdings kann die Vereinbarung nach der Parteienabsicht und dem Vergleichszweck objektiv nur so verstanden werden, dass sich die Parteien damit nicht nur über Abfertigungsansprüche „alt“, die ausschließlich den Zeitraum vom 18.1.1992 bis 30.4.2003 betrafen, geeinigt haben, sondern die Vereinbarung sämtliche (die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses betreffende) Abfertigungsansprüche „alt“ betroffen hat. Zwischen der Bekl und deren BR wurde eine – auch aus Sicht des BR – faire Gesamtlösung dieser strittigen Frage ausgearbeitet, wodurch sämtliche Stammaushelfer der Bekl im Expedit einen Teil der Abfertigung bekamen, also auch jene, die unter Umständen gar keine Abfertigung bekommen hätten, weil sie vor 2003 in keinem durchgehenden Arbeitsverhältnis bei der Bekl gestanden seien. Dieser Vergleich verhalf auch dem Kl bereits zum Vergleichszeitpunkt zu einem bestimmten Abfertigungsbetrag. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kl nämlich unabhängig von der Frage der strittigen Qualifikation seiner fallweisen Beschäftigung vor dem 30.4.2003 noch gar keinen gesetzlichen Abfertigungsanspruch, weil sein – nach dem Standpunkt des Kl seit 1992 durchgehendes – Arbeitsverhältnis bei der Bekl zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses noch aufrecht war. Berücksichtigt man weiters, dass der Kl zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses wusste, dass sein unbefristetes Arbeitsverhältnis seit 1.5.2003 dem Betrieblichen Mitarbeitervorsorgegesetz (BMVG) unterlag, lag der objektiv erkennbare Zweck des Vergleichs darin, sämtliche Abfertigungsansprüche „alt“ endgültig zu bereinigen und damit künftige Streitigkeiten, die ihre Ursache in der Frage der rechtlichen Qualifikation des Beschäftigungsverhältnisses vor dem 30.4.2003 haben, zu vermeiden, nicht aber darin, dem Kl eine – so die Revisionsbeantwortung – „Zwischenabfertigung“ zu zahlen.

Zusammengefasst steht dem klagsgegenständlichen Abfertigungsanspruch des Kl die Bereinigungswirkung des rechtswirksam abgeschlossenen Vergleichs vom 21.2.2013 entgegen.

280