Praxisfragen zu Dienstverhinderungsgründen

CHRISTOPHRADLINGMAYR

§ 8 Abs 3 AngG und § 1154b Abs 5 ABGB sichern dem DN für einen kurzen Zeitraum einen Anspruch auf bezahlte Freistellung, wenn ein – ausreichend wichtiger – Grund vorliegt. Trotz der einseitig zwingenden Wirkung der Bestimmungen finden sich dazu nach wie vor in allen Kollektivverträgen einschlägige Regelungen inklusive des Freistellungsausmaßes. Der nachfolgende Beitrag widmet sich ausgewählten Fragestellungen, die in der Praxis gehäuft auftreten.

1..
Relevanz kollektivvertraglicher Regelungen

Seit 1.7.2018 sind Arbeiter den Angestellten insoweit gleichgestellt, als der gesetzliche Anspruch – als Richtschnur gilt eine Woche – nicht beschränkt werden darf. Das bedeutet, dass kollektivvertragliche Restriktionen bspw durch eine taxative Aufzählung der Dienstverhinderungsgründe oder durch die Limitierung mit einem Zeitraum (zB zwei Tage) insoweit teilnichtig sind, als der Bedarf höher ist oder ein nicht genannter Grund geltend gemacht wird.

Dennoch kommt den Kollektivvertragsregelungen in der Praxis eine nicht unerhebliche Bedeutung zu. Zum einen sind sie geeignet, um die gesetzlichen Generalklauseln zu konkretisieren,* zum anderen dienen sie mE der Beweislastverteilung. Beim Ausmaß der kollektivvertraglichen Freistellung ist davon auszugehen, dass die Kollektivvertragsparteien ein solches gewählt haben, das in typisierender Betrachtungsweise den durchschnittlichen Zeitaufwand korrekt bzw zumindest angemessen abbildet. Es wird dabei ein pauschaler, meist tageweiser Mindestanspruch gewährt, der keines Nachweises hinsichtlich der Dauer bedarf, soweit die zeitliche Vorgabe des KollV nicht überschritten wird.* Daraus folgt bspw, dass zwei freie Tage laut KollV für eine Hochzeit dem DN auch dann gebühren, wenn er sich mit einer fünfminütigen standesamtlichen Trauung begnügt. Sollte die Dienstverhinderung allerdings länger dauern, als der KollV dies vorsieht, so ist der DN über Aufforderung für das längere zeitliche Ausmaß beweispflichtig. Für diesen pauschalierten Mindestanspruch scheidet mE auch eine Interessenabwägung aus, da die Kollektivvertragsparteien diese in den geregelten Fällen vorweggenommen haben.*

2..
Der zeitliche und ursächliche Zusammenhang

Häufig stellt sich die Frage, ob der Dienstverhinderungsgrund nur am Tag des Ereignisses oder auch davor bzw danach in Anspruch genommen werden kann. Anlassfall kann bspw eine kirchliche Hochzeit sein, die Monate nach der standesamtlichen Trauung stattfindet, oder eine Trauerfeier* nach dem Tod bzw dem eigentlichen Begräbnis.

Zur Hochzeit scheint die Rsp zunächst den Standpunkt zu vertreten, dass nur die standesamtliche Trauung einen Dienstverhinderungsgrund darstellt.* Dieser Meinung ist nicht zu folgen. Wenn Ereignisse „nach Recht, Sitte oder Herkommen*“ wichtig genug sind, um die bezahlte Freistellung zu rechtfertigen, kann die Art der Zeremonie mE keinen Unterschied machen, sofern sie fester Bestandteil der eigenen Kultur bzw Religion ist. Die nichtstandesamtliche Feierlichkeit (ebenso Trauerfeiern) muss also entsprechend institutionalisiert sein und traditionell so gelebt werden, dh es muss sich ein berücksichtigungswürdiger,* gesellschaftlicher Konsens dazu basierend auf der Religion und/oder der Kultur etabliert haben.

Die Judikatur ist teilweise mE zu streng, wenn es um den zeitlichen Zusammenhang geht. So wurde der arbeitsfreie Tag wegen seiner Zweckgebundenheit nur für den Hochzeitstag zuerkannt und dem DN der Anspruch verwehrt, wenn er an diesem Samstag aufgrund einer Fünftagewoche frei hatte.* Nach der Rsp des OGH soll hingegen le332diglich eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme vermieden werden.* Gegen den Verbrauch nur am Ereignistag spricht schon der Wortlaut der Kollektivverträge, die den Anspruch idR „bei eigener Eheschließung“* oder „anlässlich der eigenen Eheschließung“* gewähren und gerade nicht exklusiv am Tag des Ereignisses. Die Freizeit wird anlassbezogen gewährt, der Anlass muss sich dabei aber keineswegs auf den Ereignistag beschränken. Eine solche Einschränkung würde auch gegen die zwingende Wirkung der gesetzlichen Vorgaben verstoßen, die die Freizeit nicht auf einen bestimmten Zeitraum eingrenzen. Auch eine historische Interpretation zeigt, dass eine zeitliche Beschränkung auf den Tag der Trauung wohl nicht beabsichtigt ist. War es früher weitgehend unmöglich, am Wochenende standesamtlich zu heiraten, bieten Standesämter diesen Service nunmehr flächendeckend (gegen höhere Gebühren) an. Viele DN wählen den Samstag oder Sonntag, um die Trauung mit ihren Familien feiern zu können. Vor diesem Hintergrund kann man den Kollektivvertragsparteien nicht unterstellen, sie würden den Dienstverhinderungsgrund nur jenen DN gewähren, die am Wochenende berufstätig sind.

Wesentlich ist mE in erster Linie der ursächliche, und weniger der zeitliche Zusammenhang. Mit der Ursächlichkeit ist die zuvor genannte Zweckgebundenheit angesprochen. Berücksichtigt man bspw bei Hochzeiten die umfangreichen Vor- und Nacharbeiten, so geht die Zweckgebundenheit nicht verloren, wenn die freien Tage zur Organisation oder Abwicklung der Trauung zwei Wochen vor oder nach derselben genommen werden. Ist der ursächliche Zusammenhang gewahrt, kommt dem DN ein Wahlrecht zu, wann er die freien Tage in Anspruch nimmt.

Die Hochzeitsreise stellt keinen Dienstverhinderungsgrund dar. Wenngleich diese gebräuchlich und gesellschaftlich anerkannt ist, handelt es sich um nichts anderes als eine Urlaubsreise (wenngleich aus bestimmtem Anlass), bei der der Erholungswert so sehr im Vordergrund steht, dass sie nicht mit einer Dienstverhinderung aus wichtigem Grund gleich zu setzen ist.

Da der KollV den Anspruch nicht einschränken kann, gebührt die Freistellung bei Todesfällen bspw auch für Verwandte, die im KollV nicht erwähnt sind. Je weiter entfernt der Verwandte ist, umso eher muss der DN aber eine gewisse Nahebeziehung (zB regelmäßige Kontakte) nachweisen. Gleiches gilt bei im Ausland lebenden Angehörigen, hier hat der DN nachzuweisen, dass trotz der räumlichen Entfernung eine verwandtschaftliche Bindung mit aufrechtem Kontakt gegeben war.* Das Ableben eines engen Freundes stellt ebenso einen Dienstverhinderungsgrund dar.* Im Kreis der Arbeitskollegen ist ein solcher speziell aus Pietätsgründen zu bejahen, wenn regelmäßig zusammengearbeitet wurde (zB gleiche Abteilung oder Filiale).

3..
Die Scheidung und andere Gerichtstermine als Partei

Die Scheidung wird – soweit überblickbar – in der Literatur nicht als Dienstverhinderungsgrund erwähnt. Dennoch ist es mE nicht zweifelhaft, dass es nach der Hochzeit kaum einen Dienstverhinderungsgrund gibt, von dem der DN in persönlicher Hinsicht stärker betroffen ist. Auch die Wichtigkeit der Anwesenheit vor dem Scheidungsrichter liegt auf der Hand. Das sehen auch einzelne Kollektivverträge zutreffend so.* Hier rückt die Frage in den Mittelpunkt, ob bzw inwieweit das Verschulden eine Rolle spielt und eine Dienstverhinderung daher uU verneint werden kann. Die Literatur spricht bei Gerichtsterminen meist lediglich davon, dass diese „nicht selbst verschuldet“ sein dürfen.* Gerade bei Scheidungen zeigt sich, dass diese Begründung nicht sehr hilfreich ist. Bei einvernehmlichen Scheidungen spielt die Verschuldensfrage ebenso wenig eine Rolle wie bei Scheidungen wegen Auflösung der häuslichen Gemeinschaft oder anderen Gründen (§§ 50 bis 55 EheG). Bei Scheidungen nach § 49 EheG ist aber ein alleiniges, überwiegendes oder gleichteiliges Verschulden möglich, wobei die Ehe letztlich sogar aufrecht bleiben kann. Eine Reduzierung des Anspruchs in zeitlicher Hinsicht, abhängig von einer Art Mitverschulden, kommt nicht in Betracht.* Dienstverhinderungsgründe folgen mE dem „Alles oder Nichts“-Prinzip, entweder der Dienstverhinderungsgrund gebührt uneingeschränkt oder wegen Verschuldens gar nicht. Dem AG kommt dabei kein Einsichtsrecht in das oft höchstpersönliche Detail enthaltende Scheidungsurteil zu. Die Nachweispflicht des AN reicht auch nicht so weit, um für die bezahlte Freistellung intime Einblicke in sein Privatleben geben zu müssen. Dem stehen insb § 16 ABGB und Art 8 EMRK, konkret der Schutz des Privatlebens, entgegen. Es genügt daher, wenn der AN den Anlass „Gerichtstermin“ mitteilt, ohne nähere Auskünfte zu dessen Inhalt oder letztlich zum Prozessergebnis geben zu müs333sen, und diesen über Aufforderung per Ladung nachweist. Die Verschuldensfrage stellt sich daher meiner Meinung nach nicht, und zwar weder in Bezug auf die Einleitung noch auf den Ausgang des Scheidungsverfahrens, dh der DN behält seinen Freistellungsanspruch auch, wenn er letztlich aus seinem Verschulden geschieden wird.

Generell ist bei Gerichtsterminen das Kriterium des fehlenden Selbstverschuldens kritisch zu hinterfragen, wenn der DN Prozesspartei ist. Obsiegt der DN im Verfahren, liegt sicher ein Dienstverhinderungsgrund vor, zumal nachweislich (durch Urteil) feststeht, dass ein höherwertiges Interesse, nämlich die Durchsetzung bzw Abwehr eines ihn persönlich betreffenden Anspruchs, die Abwesenheit rechtfertigte. ME ist der Prozessausgang generell unerheblich. Der DN hat seine Abwesenheit nicht deshalb verschuldet, weil er einen Anspruch einklagt und nach aufwändigem Verfahren bspw die Beweiswürdigung gegen ihn ausgeht und er verliert. Umgekehrt ist dem Bekl kein Verschuldensvorwurf zu machen, weil er sich in das Verfahren einlässt. Gleiches gilt, wenn eine Rechtsfrage zu Ungunsten einer Partei beantwortet wird. Bei einem gerichtlichen Vergleich, der idR beiderseitiges Nachgeben erfordert, oder bei teilweisem Obsiegen könnte der Anspruch auf Dienstverhinderung wohl gar nicht festgemacht werden, wenn man auf das Verschulden abstellt.

Vielmehr ist jeder DN berechtigt, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen (Art 83 Abs 2 B-VG). Zeitlich ist er dabei an die Ausschreibung des Richters gebunden. Ein Verschulden, durch das er die Entgeltfortzahlung bei Dienstverhinderung verliert, ist auch bei einem Prozessverlust, der von verschiedensten Faktoren abhängig sein kann, nicht gegeben. Um den AG nicht über Gebühr zu belasten, kann der gesamte Gerichtsprozess, und nicht jede einzelne Tagsatzung, als ein Anlassfall gewertet werden, für den rund eine Woche zur Verfügung steht. Die Dienstverhinderung kann dem DN aber nicht verwehrt werden, zumal der Zivilprozess gerade als Prozesspartei, aber auch als Nebenintervenient,* mE stets von höherwertigen, privaten Interessen getragen ist.*

Abzulehnen ist in diesem Zusammenhang auch die Ansicht, dass kein Dienstverhinderungsgrund ua bei Gerichtsterminen vorliegt, wenn sich der DN vertreten lassen kann.* Die persönliche Anwesenheit bei Verhandlungen ist nicht nur eine Frage des gebotenen Respekts vor dem Gericht, sondern trägt auch maßgeblich zum Gesamteindruck bei, den die Partei hinterlässt und der nicht selten, gerade bei Beweisprozessen (§ 381 ZPO), über Sieg oder Niederlage zumindest mitentscheidet. Zudem ist der – auch dem AG zugutekommenden – Prozessökonomie gedient, wenn sich bspw im Rahmen von Zeugenaussagen ergänzende Parteieneinvernahmen ergeben, oder wenn bereits in der vorbereitenden Tagsatzung die Parteienbefragungen stattfinden, weil dann zusätzliche Gerichtstermine entbehrlich sein können. Erachtet man das Gerichtsverfahren als Partei zutreffend als wichtig genug, um einen Dienstverhinderungsgrund zu begründen, so ist dem DN uneingeschränkt das Recht zuzubilligen, sich am Verfahren durch persönliche Anwesenheit gehörig zu beteiligen, ohne die bezahlte Freistellung zu verlieren.

Ist der DN Beschuldigter in einem Strafprozess und wird freigesprochen, stellen die Gerichtsverhandlungen einen Dienstverhinderungsgrund dar, nicht aber bei einem Schuldspruch oder einer Diversion, die ebenso eine Form der Verurteilung ist.

4..
Aliquotierungserlaubnis bei Teilzeit?

Darf der tageweise, kollektivvertragliche Mindestanspruch bei Teilzeitbeschäftigung aliquotiert werden?* Die Frage ist übertragbar auf das gesetzliche Kontingent von gewöhnlich einer Arbeitswoche. Bei gleicher Anzahl an Arbeitstagen (bspw fünf Tage zu drei Stunden) ergeben sich keine Probleme, werden die 15 Stunden aber in zwei Tagen gearbeitet, ist die Situation schwieriger zu beurteilen.

Als Grundprämisse ist mE davon auszugehen, dass eine Aliquotierung nur in Betracht kommen könnte, wenn die Kollektivvertragsparteien dies durch eine entsprechende Regelung ermöglichen. Es ist ihnen zu unterstellen, die vielseitigen Problematiken der Teilzeitbeschäftigung und der damit einhergehenden Ansprüche zu bedenken, wenn sie Kollektivverträge abschließen. Findet sich in Anbetracht dessen keine Anordnung im KollV, den Freistellungsanspruch zu aliquotieren, ist davon auszugehen, dass die Kollektivvertragsparteien unabhängig vom Beschäftigungsausmaß und der Verteilung der Arbeitszeit jedem DN das gleiche, pauschale Kontingent einräumen wollten. Ohne einschlägige Regelung scheidet eine Aliquotierung daher von vornherein aus.334

Eine kollektivvertragliche Aliquotierung wäre am Verbot geschlechtsbezogener Diskriminierung zu messen. Maßgeblich ist neben Art 157 AEUV und § 3 GlBG vor allem § 19d Abs 6 AZG. Kürzt ein KollV einen Anspruch durch Umrechnung, ist von einer mittelbaren Teilzeitdiskriminierung bei den Entgelt- und Arbeitsbedingungen auszugehen.* ME sprechen folgende Gründe gegen eine Rechtfertigung und damit gegen eine Aliquotierung:

Das Umrechnungsgebot ist vom Urlaub bekannt. Dem UrlG liegt dabei der kalendarische Urlaubsbegriff zugrunde, demzufolge jeder DN fünf bzw sechs Wochen Urlaub erhalten soll. So wird jedem DN dasselbe Ausmaß an Erholung zuteil. Dienstverhinderungsgründe folgen demgegenüber dem Prinzip, dass höherwertige Verpflichtungen die Freistellung von der Arbeit rechtfertigen. Verbunden ist damit in der Regel ein bestimmter Aufwand, wie Hochzeitsvorbereitungen, Anreise zum Begräbnis, Organisation der Beerdigung, Wohnungswechsel usw. Dieser Aufwand trifft nach der abstrakten, typisierenden Betrachtungsweise der Kollektivvertragsparteien aber jeden DN in gleichem zeitlichem Ausmaß.* Ähnlich ist bspw die Verarbeitung des Verlusts einer nahestehenden Person zu bewerten. Diese Trauerphase (zB durch insgesamt drei freie Tage), die von den Kollektivvertragsparteien berücksichtigt wird, kann einerseits auch bei Vollzeitbeschäftigten völlig unterschiedlich lang sein, ohne beim Ausmaß der Freistellung zu unterscheiden. Andererseits ist es aber durchaus möglich, unter gewöhnlichen Voraussetzungen* ja sogar naheliegend, dass die Trauerphase eines Teilzeitbeschäftigten in etwa gleich lange dauert, wie die eines Vollzeitbeschäftigten. Bei den Dienstverhinderungsgründen befinden sich Voll- und Teilzeitbeschäftigte daher mE in einer vergleichbaren Situation, die eine Unterscheidung abhängig vom Beschäftigungsausmaß bzw von der Verteilung der Arbeitszeit verbietet. Es wäre zudem grundlegend falsch, anzunehmen, dass eine Person allein wegen ihrer Teilzeitbeschäftigung automatisch mehr Zeit für die genannten Ereignisse hat, wenn man bedenkt, dass das Arbeiten in Teilzeit im Regelfall einen wichtigen Grund hat, wie bspw die Kinder- oder Angehörigenbetreuung.*

5..
Die räumliche Entfernung des Arztes

Unstrittig ist, dass der Arztbesuch einen Dienstverhinderungsgrund darstellt, wenn er nicht in die Freizeit gelegt werden kann. Dies gilt nicht nur für Akutbehandlungen, sondern auch für Kontrollen oder Vorsorgeuntersuchungen. Erfasst sind sowohl die Behandlungs- als auch die Warte- und die Wegzeit. In der Praxis kommt es vor, dass sich bspw nach einem Umzug der bisherige Arzt nicht mehr in unmittelbarer Nähe zum Wohnort befindet, sondern mehrere Stunden entfernt. Angesprochen ist damit, wie viel Zeit für den Weg zum Arzt zulässigerweise aufgewendet werden darf. Eine ähnliche Konstellation liegt vor, wenn DN aus Kostengründen nicht den österreichischen Zahnarzt in der Nähe konsultieren, sondern den mehrere Stunden entfernten im benachbarten Ausland.

Es trifft zu, dass freie Arztwahl existiert und der DG daher nicht darauf bestehen kann, dass der DN einen bestimmten Arzt aufsucht. Der DG kann aber verlangen, dass die Dienstverhinderung in zeitlicher Hinsicht kurzgehalten wird, sofern der KollV keinen pauschalen Anspruch festlegt. Die Kollektivverträge sprechen bei Arztbesuchen meist von der erforderlichen Zeit. Die Zeit beim Arzt ist immer voll anzurechnen, egal, ob sich dieser fünf Minuten oder acht Stunden vom Wohnort entfernt befindet. Es ist daher nur die gebotene Wegzeit zu bestimmen. Ein Limit von hin und retour zwei Stunden* Wegzeit wird der Absicht der Kollektivvertragsparteien mE nicht gerecht und stünde auch im Widerspruch zur zwingenden Wirkung der gesetzlichen Grundlagen. Liegt der nächstgelegene Wahl- oder Vertragsarzt* weiter entfernt als je eine Stunde, ist auch die darüber hinausgehende Wegzeit die erforderliche Zeit.* Die Berücksichtigung von ca zwei Stunden Wegzeit ist als Untergrenze (Mindestausmaß) lediglich für jene Fälle heranzuziehen, in denen sich der DN für den Arzt mehrere Stunden entfernt entscheidet, obwohl es das medizinisch erforderliche Angebot auch in geringerer Entfernung geben würde. Wenn ein DN anlässlich einer Verkehrsstörung einen Umweg von in Summe rund zwei Stunden auf sich nehmen muss, um in den Betrieb zu gelangen,* ist vice versa dem DG mindestens diese Zeitspanne für den Arztbesuch zumutbar. Eine Unterschreitung derselben (zB wird den DN generell nur eine Stunde als Dienstverhinderung anerkannt) wäre wegen des Grundsatzes der freien Arztwahl nicht zulässig.

Kostensparende Fahrten zum weit entfernten Zahnarzt ins Ausland werden in ihrer zeitlichen Gesamtheit dann als Dienstverhinderung zu werten sein, wenn die Kosten im Inland jene im Aus335land um ein Vielfaches übersteigen und ein Ausmaß erreichen, das dem DN in Anbetracht seines Einkommens, uU auch sonstiger finanzieller Verpflichtungen, nicht mehr zumutbar ist und etwa zu einer Kreditaufnahme führen müsste.* Sollte der DN in der Konstellation eine Dienstverhinderung in Anspruch nehmen wollen, muss er die exorbitante Kostenbelastung bei einer inländischen Behandlung über Aufforderung entsprechend nachweisen. Den zuvor erwähnten Zeitraum von insgesamt rund zwei Stunden Wegzeit plus Behandlungs- und Wartezeit erhält er aber auch, wenn die Interessenabwägung zu seinen Ungunsten ausgeht, dh wenn ihm auch eine inländische Behandlung zumutbar gewesen wäre.

Wenn der DN den notwendigen Arztbesuch von zu Hause aus antritt, ist die Zeit ab dem Verlassen der Wohnung bis zur Rückkehr nach Hause Arbeitszeit.* Der DN ist nicht verpflichtet, erst in die Arbeit zu kommen, um unmittelbar danach vom Betrieb zum Arzt zu fahren. Ein solches Verlangen kann nur gerechtfertigt sein, wenn zwischen dem Beginn der Arbeitszeit und der Fahrt zum Arzt bzw umgekehrt eine sinnstiftende Zeitspanne zur Verrichtung der Arbeit liegt, weshalb das Kriterium der „Bequemlichkeit“* nicht entscheidend ist. Dabei gilt der Grundsatz, dass die Arbeitszeit nicht atomisiert werden darf. Daraus folgt, dass es dem DN nicht zumutbar ist, wegen einiger weniger Minuten den (Um-)Weg in den Betrieb in Kauf nehmen zu müssen. Als Mindestbeschäftigungszeit vor oder nach dem Arztbesuch bietet sich mE die Dauer von zehn Minuten an.* Bei darunterliegenden Zeiteinheiten ist der DN berechtigt, direkt zum Arzt bzw nach Hause zu fahren, ohne dass die voll als Arbeitszeit anzurechnende Wegzeit gekürzt werden kann.

6..
Zusammenfassung
  • 1.

    Kollektivverträge gewähren DN einen zwingenden Mindestanspruch, wenn eine Dienstverhinderung vorliegt. Über den kollektivvertraglichen Anspruch hinaus muss der DN über Aufforderung die Abwesenheit in zeitlicher Hinsicht durch Nachweise rechtfertigen.

  • 2.

    Die Freistellung kann auch vor oder nach dem Ereignis beansprucht werden, wenn ein Kausalzusammenhang zwischen der Abwesenheit und dem Ereignis vorliegt.

  • 3.

    Die Scheidung stellt einen Dienstverhinderungsgrund dar, ohne dass es dabei auf die Verschuldensfrage ankommt.

  • 4.

    Das Ausmaß der Dienstfreistellung darf bei Teilzeit nicht aliquotiert werden.

  • 5.

    Auch die Wegzeit zum und vom Arzt zählt zur Dienstverhinderung und steht im Mindestausmaß von rund zwei Stunden zu.

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