55Inhaltskontrolle vorformulierter Schlichtungsklauseln im Arbeitsvertrag
Inhaltskontrolle vorformulierter Schlichtungsklauseln im Arbeitsvertrag
Schlichtungsvereinbarungen im Dienstvertrag müssen ein Mindestmaß an Bestimmtheit aufweisen, dürfen die Klagseinbringung nicht ungebührlich verzögern und müssen den Grundsätzen des fair trial entsprechen.
Legt der AG dem Arbeitsvertrag vorformulierte Vertragsklauseln zu Grunde, so unterliegen diese der besonderen Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB (AGB-Kontrolle). Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um generell oder individuell vorformulierte Vertragstexte handelt. Sind nur Teile des Vertrags vorformuliert, unterliegen nur diese der Inhaltskontrolle.
Die Beurteilung der gröblichen Benachteiligung iSd § 879 Abs 3 ABGB orientiert sich am dispositiven Recht. Eine gröbliche Benachteiligung liegt jedenfalls dann vor, wenn die dem Vertragspartner zugedachte Rechtsposition in einem auffallenden Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition des anderen steht.
Eine vorformulierte Schlichtungsklausel, die nur den AN dazu verpflichtet, sich vor Anrufung der Gerichte an eine Schlichtungsstelle zu wenden, ist wegen einseitiger Erschwerung der Rechtsdurchsetzung gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB und damit nichtig.
[...] Das Dienstverhältnis endete durch AN-Kündigung. Im Dienstvertrag findet sich ua nachfolgende Klausel:
„Der/Die DienstnehmerIn verpflichtet sich, sämtliche aus diesem Dienstvertrag herrührenden Streitigkeiten vor Inanspruchnahme der zuständigen Gerichte an eine aus drei SchlichterInnen gebildete Schlichtungsstelle heranzutragen und zugleich ein Mitglied dieser Schlichtungsstelle zu nominieren. In diesem Fall ist von der Dienstgeberin ebenfalls ein Mitglied der Schlichtungsstelle zu nominieren. Die beiden genannten Mitglieder sollen sich ohne Verzug auf ein drittes Mitglied einigen, welches den Vorsitz der Schlichtungsstelle übernimmt. Die Schlichtungsstelle hat die Aufgabe durch geeignete Vorschläge eine gütliche Streitbeilegung herbeizuführen. Die Anrufung des Gerichts ist zulässig, wenn das Schlichtungsverfahren abgeschlossen wurde.“
[...] Der Kl begehrt die Zahlung offener Provisionen [...] und bringt vor, dass die im Dienstvertrag enthaltene Schlichtungsklausel gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB sei, da die Verpflichtung zur Anrufung der Schlichtungsstelle ausschließlich den DN treffe und nicht den DG. Dazu komme, dass die Schlichtung eine unzumutbare Verzögerung bei der Rechtsverfolgung bewirke, da nicht vorgesehen sei, dass der Kl nach einer bestimmten Dauer des Schlichtungsverfahrens das Gericht anrufen könne. [...] Die Kosten dafür seien allein von der Bekl zu tragen, was diese aber verweigere. Eine Schlichtungsklausel, die kostenpflichtig sei und AN-Ansprüche daran binde, dass zunächst ein Schlichtungsverfahren durchgeführt werde, sei rechtsmissbräuchlich.
[...] Das Erstgericht wies die Klage ab. Die Parteien hätten vereinbart, dass vor Inanspruchnahme des Gerichts eine Schlichtungsstelle anzurufen sei. Dass mit der Vereinbarung eines solchen Verfahrens auch Kosten verbunden seien, stehe ihrer Wirksamkeit nicht entgegen. [...] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge. Dass die Schlichtungsklausel lediglich den AN binde, stelle keine Sittenwidrigkeit dar. In einem Arbeitsvertrag sei der AN primär zur Arbeitsleistung, der AG zur Zahlung des Entgelts verpflichtet.
[...] Gegen diese E wendet sich die außerordentliche Revision des Kl.
[...] Nach § 9 Abs 2 ASGG ist eine Vereinbarung, wonach ein Rechtsstreit durch einen oder mehrere Schiedsrichter entschieden werden soll, in Arbeitsrechtssachen nach § 50 Abs 1 ASGG nur für bereits entstandene Streitigkeiten wirksam. Dagegen sind Schlichtungsklauseln, die die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens vor der Anrufung des Gerichts vorschreiben, von der Regelung des § 9 Abs 2 ASGG nicht berührt und daher grundsätzlich zulässig (RS0085484 [T1]). [...] Die Nichteinhaltung einer Schlichtungsklausel begründet kein zur Klagszurückweisung führendes Prozesshindernis, sondern den materiell-rechtlichen Einwand mangelnder Klagbarkeit des Anspruchs (RS0033687, RS0045292).
[...] Schlichtungsvereinbarungen müssen [...] im Hinblick auf den Standort und auf die Zusammensetzung der Schlichtungsstelle (einschließlich der Bestellung des Vorsitzenden) ein Mindestmaß an Bestimmtheit aufweisen. Die Zusammensetzung muss außerdem die Objektivität und Sachkunde der Schlichtungsstelle gewährleisten. Im Fall einer Zwangsschlichtung ist außerdem deutlich zu machen, dass die Arbeits- und Sozialgerichte erst angerufen werden dürfen, wenn die Schlichtung nicht zu einer Streitbeilegung geführt hat (Nunner-Krautgasser in Reissner/Neumayr, ZellHB AV-Klauseln2 Rz 76.20). Die Einbringung der Klage beim ordentlichen Gericht darf darüber hinaus durch die Schlichtungsklausel nicht ungebührlich verzögert werden (P. Gatternig/K. Gatternig, Zulässigkeit und Wirkung von Schlichtungsvereinbarungen in Arbeitsverträgen, RdW 2009, 282 [283]).
[...] Auch kann ein Verstoß gegen die Grundsätze des fair trial gem Art 6 EMRK eine Schlichtungsvereinbarung sittenwidrig machen (vgl Nunner- Krautgasser, aaO Rz 76.21).
[...] Nach § 879 Abs 3 ABGB ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beidseitigen Hauptleistungen festlegt, nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt. 523
[...] Es macht für die Anwendung des § 879 Abs 3 ABGB keinen Unterschied, ob sich die Regelung in separaten AGB oder in Vertragsformblättern befindet. Auch der äußeren Form nach individuell gestaltete Vereinbarungen können in Wahrheit AGB enthalten. In all diesen Fällen liegt typischerweise eine besondere Ungleichgewichtslage zwischen den Parteien vor, der das Gesetz Rechnung tragen will. Dies gilt auch für vergleichbare Konstellationen, wie die Verwendung einseitig vorformulierter individueller Vertragstexte, weil der unterlegene Partner sich in derselben Situation befindet wie bei Verwendung von AGB durch den strukturell überlegenen Partner (6 Ob 206/12f mwN).
[...] Die Beurteilung als Vertragsformblatt erfordert nicht, dass von ihm alle Vertragsbestandteile erfasst sind. Ein Vertragsformblatt liegt auch dann vor, wenn es sich nur auf Teile des Vertrags oder bestimmte Vertragspunkte bezieht (7 Ob 93/12w). [...] Das Vorbringen des Kl, dass die Klausel von der Bekl in den Vertrag aufgenommen wurde, wurde von Letzterer nicht bestritten. Bereits aus der Formulierung („Der/Die DienstnehmerIn“) ergibt sich darüber hinaus, dass es sich um eine standardisierte Formulierung handelt.
[...] Es ist daher inhaltlich nach § 879 Abs 3 ABGB zu prüfen, ob diese Klausel gröblich benachteiligend ist. Diese Beurteilung hat sich am dispositiven Recht als dem Leitbild eines ausgewogenen und gerechten Interessenausgleichs zu orientieren (RS0014676 [T7, T13, T43]). Weicht eine Klausel von dispositiven Rechtsvorschriften ab, liegt eine gröbliche Benachteiligung jedenfalls dann vor, wenn die dem Vertragspartner zugedachte Rechtsposition in einem auffallenden Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition des anderen steht (RS0014676 [T21]). § 879 Abs 3 ABGB will vor allem den Missbrauch der Privatautonomie durch Aufdrängen benachteiligender vertraglicher Nebenbestimmungen seitens eines typischerweise überlegenen Vertragspartners entgegenwirken (4 Ob 141/11f).
[...] Im vorliegenden Fall verpflichtet die Klausel den AN, vor Inanspruchnahme der Gerichte sämtliche Streitigkeiten an eine Schlichtungsstelle heranzutragen. Für eine ergänzende Vertragsauslegung, dass auch der AG verpflichtet wäre, Ansprüche zunächst vor eine Schlichtungsstelle zu bringen, bietet der Vertrag keine Grundlage. Das führt aber dazu, dass ausschließlich für den AN und damit einseitig die Durchsetzung von Ansprüchen erschwert wird, weil allein der AN vor Anrufung des Gerichts ein Schlichtungsstellenverfahren einleiten muss. Damit wird aber auch die Durchsetzung seiner Ansprüche verzögert, da erst das Schlichtungsverfahren durchgeführt und abgewartet werden muss, bevor bei einer Nichteinigung eine Anrufung des Gerichts möglich ist. Die Klausel selbst enthält keine Höchstfrist für die Dauer, die vor Anrufung des Gerichts zugewartet werden muss, wenn es im Schlichtungsverfahren zu keiner Einigung kommt, sondern stellt auf „den Abschluss“ des Schlichtungsverfahrens ab, was auch immer darunter zu verstehen ist. Selbst wenn man mit der Judikatur Fristen über sechs Monate als im Regelfall unzulässig ansieht (vgl 8 ObA 28/08p) und diese Befristung ergänzend auf die vorliegende Vereinbarung überträgt, entsteht eine entsprechende Verzögerung bei der Rechtsdurchsetzung nur für den AN, nicht den AG.
[...] Zusätzlich findet sich in der Klausel keine Regelung hinsichtlich der Kostentragung. Folgt man dem Standpunkt der Bekl, dass diese Kosten von jeder Partei zunächst selbst zu tragen sind, bedeutet dies für den AN, dass er diese Kosten vorschießen muss. Damit kann auch eine nicht unwesentliche Verteuerung für die Durchsetzung seiner Ansprüche verbunden sein. Allein dass diese Kosten beim nachfolgenden Verfahren als vorprozessuale Kosten geltend gemacht werden können, ändert daran nichts, ist es doch Zweck des Schlichtungsverfahrens, durch eine Einigung im Schlichtungsverfahren ein Gerichtsverfahren zu vermeiden. Darüber hinaus ist auch nicht sichergestellt, dass eine verhältnismäßige Relation zwischen dem vom AN geltend zu machenden Anspruch und den Kosten besteht, tatsächlich ist der Umfang der zu erwartenden Kosten mangels Regelung für den AN nicht absehbar. Auch eine allfällige Verpflichtung zum Kostenvorschuss führt daher, selbst wenn sie oberflächlich betrachtet beide Parteien trifft, zu einer einseitigen Benachteiligung des AN, da sie nur bei Durchsetzung seiner Ansprüche zum Tragen kommt.
[...] Wenn das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass der AN primär zur Arbeitsleistung, der AG zur Zahlung des Entgelts verpflichtet sei, ist daraus eine Rechtfertigung einer bloß einseitigen Schlichtungsklausel [...] nicht ableitbar. Zum einen sind auch finanzielle Ansprüche des AG gegen den AN denkbar, zum anderen zeigt auch das vorliegende Verfahren, dass der AN nicht nur finanzielle Ansprüche hat, sondern etwa auch einen Anspruch auf Ausstellung eines Dienstzeugnisses. Die Klausel schränkt aber nicht auf geldwerte Ansprüche ein.
[...] Dem Kl ist daher darin zuzustimmen, dass die vorliegende Klausel für den AN gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB und daher nichtig ist. [...]
Die vorliegende E ist einer der seltenen Fälle (wenn nicht gar der einzige Fall), wo der OGH eine vorformulierte Arbeitsvertragsklausel systematisch und eingehend der strengen (auf Vertragsformulare zugeschnittenen) Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB unterzieht. Die Verwendung vorformulierter Vertragsklauseln beeinträchtigt die vertragliche Richtigkeitsgewähr und erlaubt es dem Verwender, einseitig belastende Vertragsinhalte durchzusetzen. Deshalb besteht für solche Klauseln nach § 879 Abs 3 ABGB eine besondere Inhaltskontrolle. Die Rsp im allgemeinen Vertragsrecht wendet diese Bestimmung konsequent an und unterscheidet streng danach, ob Vertragsinhalte ausgehandelt oder vorformuliert sind. Obwohl auch Arbeitsverträge regelmäßig auf Grundlage vorformulierter 524 Vertragsbedingungen geschlossen werden, findet § 879 Abs 3 ABGB in der arbeitsrechtlichen Judikatur bislang kaum Beachtung und wird bei der Vertragsinhaltskontrolle kaum nach der Art des Zustandekommens der Abrede differenziert. Dies kann allerdings nicht allein der Judikatur angelastet werden, häufig fehlt es schon an einem entsprechenden Parteivorbringen zu den Modalitäten des Vertragsschlusses. Für diese Zurückhaltung gibt es freilich keine normative Erklärung (§ 879 Abs 3 ABGB erfasst sämtliche Verträge und damit auch den Arbeitsvertrag). Zum Teil dürfte dafür das fehlende Bewusstsein der Arbeitsrechtspraxis für die Geltung des allgemeinen Vertragsrechts auch im Arbeitsrecht verantwortlich sein, sowie – damit zusammenhängend – die Tendenz des Arbeitsvertragsrechts zur „Abschottung“ gegenüber dem allgemeinen Zivilrecht. Begünstigt wird (wurde) dies auch durch die lange vorherrschende Neigung der Judikatur im Arbeitsrecht, sich (zu Lasten der Inhaltskontrolle insgesamt) auf eine Billigkeitsprüfung der Rechtsausübung im Einzelfall zu beschränken. Dies betrifft vor allem die Entscheidungen zu einseitigen Leistungsbestimmungsrechten wie Widerrufs-, Versetzungs- und anderen Änderungsvorbehalten, wo oftmals nur die Gestaltungsrechtsausübung nach Zumutbarkeit kontrolliert und die (Vor-)Frage der Grenzen der Vereinbarung des Gestaltungsrechts ausgeblendet wird. Im arbeitsrechtlichen Schrifttum wurde die Anwendbarkeit des § 879 Abs 3 ABGB auf Arbeitsverträge mitunter sogar bezweifelt (vgl etwa Tomandl, Weiterentwicklung des Arbeitsrechts durch den Obersten Gerichtshof [2009] 33 ff; Engelbrecht, ecolex 2008, 887). All dem ist der Rezensent in einer Monographie aus dem Jahr 2011 entgegengetreten und hat darin für die konsequente Anwendung des § 879 Abs 3 ABGB auch im Arbeitsvertragsrecht plädiert (Kietaibl, Allgemeine Arbeitsbedingungen [2011]).
Umso erfreulicher ist für den Rezensenten das jetzt vorliegende klare Bekenntnis des OGH zur spezifischen Inhaltskontrolle vorformulierter Arbeitsvertragsklauseln. Dabei ist hervorzuheben, dass der Gerichtshof vorliegend nicht bloß die Anwendung des § 879 Abs 3 ABGB dem Grunde nach bestätigt hat, sondern auch die Anwendung der dazu von Rsp und Lehre im allgemeinen Vertragsrecht über Jahrzehnte entwickelten Kontrollgrundsätze. Das betrifft etwa die Abgrenzung des genauen Gegenstandes der Kontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB, den das Gesetz mit „Allgemeine Geschäftsbedingungen“ und „Vertragsformblätter“ umschreibt. Dabei macht das äußere Erscheinungsbild des Vertragswerks keinen Unterschied und spielt insb keine Rolle, ob das Klauselwerk unmittelbar in der Arbeitsvertragsurkunde enthalten oder nur kraft vertraglicher Verweisung in den Vertrag einbezogen ist, wie etwa Mitarbeiterhandbücher, Unternehmensrichtlinien oder Betriebsordnungen. Ebenso spielt keine Rolle, ob die vom AG verwendeten Klauselwerke von ihm selbst oder von dritter Seite wie einer Interessenvertretung verfasst oder einem Musterhandbuch entnommen wurden – stets fehlt es am individuellen Aushandeln mit dem einzelnen AN. Ferner betont die vorliegende E zu Recht, dass auch nicht erforderlich ist, dass der gesamte Vertragsinhalt vorformuliert ist. Sind nur bestimmte Vertragsteile betroffen, unterliegen (nur) diese der strengen Inhaltskontrolle, nicht aber jene Vertragsinhalte, die Gegenstand von Verhandlungen waren. Die Frage des individuellen Aushandelns kann somit letztlich nur für jede Vertragsklausel gesondert beurteilt werden.
Relevant ist schließlich, ob bloß zur Mehrfachverwendung (für eine Vielzahl von Vertragsabschlüssen) bestimmte Klauseln (AGB im engeren Sinn) der spezifischen Inhaltskontrolle nach § 879 As 3 ABGB unterliegen oder auch für den Einzelfall vorformulierte Vertragstexte. Die vorliegende E möchte hier nicht unterscheiden und stützt sich dabei auf die Rsp zum allgemeinen Vertragsrecht, die ebenfalls zur Gleichbehandlung tendiert. In der Lehre zum allgemeinen Vertragsrecht ist dies aber umstritten und sprechen dort gute Gründe gegen eine generelle Erstreckung der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle auf im Einzelfall vorformulierte Klauseln (vgl eingehend Kietaibl, Allgemeine Arbeitsbedingungen 168 ff): Denn nur die massenweise (generelle) Verwendung vorformulierter Vertragstexte indiziert in weitgehender Übereinstimmung mit der Rechtswirklichkeit, dass der Verwender strukturell überlegen ist und deshalb seine Vertragsbedingungen generell gegenüber seinen Vertragspartnern durchsetzen kann, weil für diese keine zumutbaren Ausweichmöglichkeiten bestehen. Hingegen lässt die Verwendung eines bloß im Einzelfall vorformulierten Vertragstextes noch nicht ohne weiteres (ohne Hinzutreten weiterer Umstände) auf eine strukturelle Überlegenheit des Verwenders sowie das Fehlen realistischer Ausweichmöglichkeiten des Gegenübers schließen. Erst wenn von vornherein (so wie im Arbeitsrecht oder etwa auch Mietrecht) typischerweise eine strukturell-bedingte Überlegenheit der einen Vertragsseite vorliegt, rechtfertigt schon das Vorformulieren im Einzelfall die strenge Inhaltskontrolle: Denn hier zeigt das Moment des Vorformulierens, dass die strukturelle (im Einzelfall typischerweise aber kaum messbare) Überlegenheit des AG im Einzelfall auch tatsächlich vorliegt und vom AG im Wege des Vorformulierens auch konkret ausgenützt wurde. Für das Arbeitsrecht geht die vorliegende E daher zu Recht von einer unterschiedslosen Anwendung des § 879 Abs 3 ABGB auf generell und im Einzelfall vorformulierte Vertragsbedingungen aus, sodass sich auch genaue Sachverhaltsfeststellungen zu einer allfälligen Mehrfachverwendung der auf dem Prüfstand stehenden Klausel erübrigen. Festzuhalten ist freilich, dass dies nur für den Individualprozess gilt. Hingegen setzt das kollektive Feststellungsverfahren nach § 54 ASGG Betroffenheit mehrerer AN und damit Mehrfachverwendung voraus. Gleiches würde für Verbandsklagen nach § 29 KSchG gelten, welche der OGH aber im Arbeitsrecht (zu Unrecht) für nicht anwendbar hält (vgl OGH 18.12.2014, 9 ObA 113/14d; dagegen Kodek, DRdA 2015, 220 ff; Kietaibl, ZAS 2015, 547 ff). Ferner kommt auch die für AGB typische, objektive und gleichförmige Auslegung ohne Rücksicht auf die individuellen Umstände des einzelnen 525 AN nur bei zur Mehrfachverwendung bestimmten Klauselwerken in Betracht. Nur bei diesen verlangt der damit verfolgte Rationalisierungs- und Gleichbehandlungszweck (für den Erklärungsgegner erkennbar) eine gleichförmige Auslegung und darf deshalb der Erklärungsgegner nicht erwarten, anders behandelt zu werden als die restlichen Klauselunterworfenen.
Hinsichtlich des im Gesetz genannten Kontrollmaßstabes der „gröblichen Benachteiligung“ knüpft die Entscheidung an Rsp and hM zum allgemeinen Vertragsrecht an, welche darunter ein auffallendes Missverhältnis zwischen den vertraglich eingeräumten Rechtspositionen der Parteien versteht. Ein praktisch wichtiger Fall der gröblichen Benachteiligung ist die sachgrundlose Verschlechterung der Rechtsposition einer Vertragsseite durch Abweichen vom dispositiven Recht, das als gesetzliches Leitbild eines angemessenen Interessenausgleichs gilt. Dabei ist zu beachten, dass auch dann eine Abweichung vom dispositiven Recht vorliegen kann, wenn dieses zu einer Sachfrage auf den ersten Blick scheinbar keine besondere Regelung enthält. Denn die Nichtregelung bedeutet immerhin, dass das dispositive Recht eine bestimmte Rechtsposition nicht vorsieht. Als sachliche Rechtfertigung für Abweichungen von der dispositiven Rechtslage kommen vor allem ein legitimer Vertrags- oder Klauselzweck oder ein Nachteilsausgleich durch andere, vorteilhafte Klauseln in Betracht (eingehend zu den Rechtfertigungsmöglichkeiten Kietaibl, Allgemeine Arbeitsbedingungen 277 ff). Vor dem Hintergrund dieser etablierten Grundsätze war die gegenständliche Schlichtungsklausel klar als gröblich benachteiligend anzusehen. Im Gegensatz zur dispositiven Rechtslage erschwert die Klausel für den AN die Anrufung des Gerichts und damit die Anspruchsdurchsetzung, ohne dass eine legitime Rechtfertigung dafür ersichtlich ist oder eine solche im Verfahren vorgebracht wurde. Vorliegend war die gröbliche Benachteiligung des AN auch deshalb offenkundig, weil die Schlichtungsklausel ihrer Formulierung nach nur AN-Ansprüche erfasste. Allgemein gilt die asymmetrische Klauselgestaltung als wichtiger Anwendungsfall der gröblichen Benachteiligung (vgl zB Graf in Kletecka/Schauer, ABGB-ON § 879 Rz 282 f). Zu beachten ist allerdings, dass eine einseitige (gröbliche) Benachteiligung auch dann vorliegen kann, wenn eine Klausel formal beide Vertragsteile in gleicher Weise erfasst, aber faktisch typischerweise eine Seite weitaus stärker betroffen ist. Wäre etwa vorliegend die Schiedsklausel symmetrisch ausgestaltet und würde sie rechtlich auch AG-Ansprüche erfassen, oder würde sie zB unterschiedslos „wechselseitige Geldansprüche“ erfassen, so könnte sie faktisch dennoch einseitig zu Lasten des AN wirken, wenn und weil faktisch typischerweise dieser die erfassten Ansprüche geltend macht. Die symmetrische Klauselgestaltung schließt daher die gröbliche Benachteiligung nicht aus. Auch die in Arbeitsvertragsformularen häufig anzutreffenden pauschalen Verfallsklauseln, die sich auf „alle wechselseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ beziehen, sollten nicht schon deshalb als gerechtfertigt angesehen werden, weil sie auch AG-Ansprüche erfassen. De facto wirken sich Verfallsklauseln meist zu Lasten des (regelmäßig vorleistungspflichtigen) AN aus, was auch die reichhaltige Judikatur zu Verfallsklauseln belegt, die überwiegend die (rechtzeitige) Geltendmachung von AN-Ansprüchen zum Gegenstand hat.
Insgesamt ist die vorliegende E höchst beifallswert und bleibt zu hoffen, dass die Rechtspraxis im Arbeitsrecht künftig verstärkt auf die in § 879 Abs 3 ABGB positivierte Differenzierung zwischen ausverhandelten und vorformulierten Abreden Rücksicht nimmt. Es gibt kaum eine wirklichkeitsnähere Anknüpfung zur Feststellung gestörter Vertragsparität im Einzelfall. Die konsequente Anwendung des § 879 Abs 3 ABGB im Arbeitsrecht bedeutet auch nicht zwingend eine strengere Vertragskontrolle insgesamt, sondern kann sich durchaus auch zu Gunsten der Vertrags- und Gestaltungsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien auswirken: Wird im Arbeitsrecht das Bewusstsein für die notwendige Unterscheidung zwischen ausverhandelten und vorformulierten Vereinbarungen gestärkt, so gewinnt gleichzeitig auch das Argument des Aushandelns mehr Bedeutung für die Bestandfestigkeit einer Vereinbarung. Es ist durchaus denkbar, dass manche bislang pauschal unter Berufung auf die typische Unterlegenheit des AN verworfene Abreden als zulässig angesehen werden, wenn sie nachweislich frei ausverhandelt wurden. 526