KornemannKopftuchverbote im privaten Arbeitsverhältnis – Eine gleichbehandlungsrechtliche Würdigung
Tectum/Nomos Verlag, Baden-Baden 2020, 312 Seiten, kartoniert, € 66,–
KornemannKopftuchverbote im privaten Arbeitsverhältnis – Eine gleichbehandlungsrechtliche Würdigung
Die vorliegende Untersuchung nimmt sich des aktuell wohl meistdiskutierten Themas des Gleichbehandlungsrechts an – arbeitgeberseitiger Verbote des (islamischen) Kopftuchs. Sie tut das fast ausschließlich aus gleichbehandlungsrechtlicher Perspektive, was angesichts der (älteren) Judikatur des BAG zu dieser Frage, welche sich auf die Persönlichkeitsrechte der AN stützte, nicht selbstverständlich ist. Diese Vorgehensweise ist jedoch zu begrüßen, weil nur auf diese Weise den unionsrechtlichen Vorgaben – insb in Gestalt der Urteile in den Rs Achbita und Bougnaoui – Rechnung getragen werden kann. Grundlage der zu rezensierenden Publikation ist die Dissertation der Autorin, die 2020 der Philipps-Universität Marburg vorgelegt wurde.
In den beiden ersten Teilen der Arbeit werden die Grundlagen der gewählten Thematik dargelegt. Neben den möglichen Rechtsgrundlagen eines Kopftuchverbots und seinen unterschiedlichen Ausgestaltungen widmet sich Valérie Kornemann der kulturellen und religiösen Bedeutung des Kopftuchs und möglichen Ursachen für Konflikte. Dabei fallen zwei Umstände auf: Einerseits geht die Autorin von einer religiösen Verpflichtung zum Tragen des Kopftuchs bzw einem entsprechenden Verpflichtungsgefühl der betreffenden AN aus. Die Arbeit wird folglich auf diese Sachverhalte beschränkt (S 40). Da aber sowohl die Religionsfreiheit, welche auch religiöse Gebräuche schützt, als auch das Gleichbehandlungsrecht (vgl OGH 25.5.2016, 9 ObA 117/15v) grundsätzlich auch das Tragen eines Kopftuchs ohne religiöses Verpflichtungsgefühl schützen, ist diese Einschränkung mE nicht notwendig. Auch die Untersuchung der Motive der AN im Einzelfall (S 52 ff) ist daher idR entbehrlich, solange der religiöse Bezug des Kopftuchs nicht bloß vorgeschoben wird. Andererseits betont die Autorin mehrfach, dass das Kopftuch für sich genommen gar kein Symbol, sondern lediglich 532 ein Stück Stoff sei (S 43 ff, 82). Auch wenn das stimmen mag, verstellt die Betonung dieser Tatsache doch den Blick auf das Wesentliche: In den hier interessierenden Konflikten ist das (islamische) Kopftuch eben nicht nur ein beliebiges Stück Stoff, was sowohl die rechtswissenschaftliche als auch die gesellschaftliche Debatte eindrucksvoll beweisen. Daran anschließend werden die rechtlichen Grundlagen und die bisher ergangene Judikatur dargestellt.
Im dritten Teil untersucht die Autorin zunächst verschiedene Erscheinungsformen des Kopftuchverbots auf das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Benachteiligung aufgrund der Religion, des Geschlechts und der ethnischen Zugehörigkeit. Mehrheitlich überzeugen die Ausführungen sowohl in der Argumentation als auch im Ergebnis. Nicht gefolgt werden kann der Autorin jedoch bei der Beurteilung einer Vorgabe „neutraler Kleidung“ als unmittelbar aufgrund der Religion benachteiligend (S 177 ff). Dass hier im Ergebnis auch religiöse Symbole verboten werden und sich areligiöse Menschen häufig ohnehin neutral kleiden, ist keine hinreichende Begründung für eine unmittelbare Benachteiligung. Weiters wäre eine – an anderer Stelle durchaus vorhandene – Klarstellung, dass sich ein AG, der alle Formen des Kopftuchs verbietet (S 152 f), regelmäßig dem Verdacht aussetzen wird, er mache dies mit Diskriminierungsabsicht, und sich daher nicht erfolgreich darauf berufen kann, dass er nicht nur islamische Kopftücher verbiete, vor allem für jene Leser wünschenswert gewesen, die nur punktuell nachschlagen möchten.
Im Anschluss daran widmet sich Kornemann möglichen Rechtfertigungen für die gefundenen Benachteiligungen. Dazu stellt sie die verschiedenen Rechtfertigungsmöglichkeiten zunächst dar, um darauf aufbauend ihre Relevanz für die verschiedenen Kopftuchverbote zu untersuchen. Auch hier kommt die Autorin zu ganz überwiegend überzeugenden Ergebnissen – etwa wenn sie hinsichtlich der Legitimität von Kundenwünschen entgegen den Ausführungen des EuGH in der Rs Bougnaoui auf deren Hintergrund bzw Ursache abstellt (S 279 ff). Lediglich der Annahme, für den Benachteiligten mache es keinen Unterschied, ob er unmittelbar oder mittelbar benachteiligt wird (S 192 f), kann so nicht zugestimmt werden. Einerseits hat der Gesetzgeber bewusst zwei verschiedene Rechtfertigungstatbestände geschaffen, andererseits macht es für die Verletzung der Würde des Benachteiligten in vielen Fälle sehr wohl einen Unterschied, ob unmittelbar oder mittelbar an ein geschütztes Kriterium angeknüpft wird.
Einer der inhaltlichen Schwerpunkte dieses dritten Teils ist sicherlich die durch den EuGH mit dem Urteil in der Rs Achbita entfachte Debatte über religiöse Neutralität im privaten Arbeitsverhältnis. Überzeugend legt die Autorin die Schwachstellen dieser Entscheidung dar: Einerseits zeigt sie, dass eine Verpflichtung zur religiösen Neutralität richtigerweise als unmittelbare Benachteiligung aufgrund der Religion zu qualifizieren ist (S 157 ff). Andererseits legt sie die einseitige Beurteilung der Angemessenheit eines solchen Vorgehens durch den EuGH offen (S 250 ff) und kommt zu dem zutreffenden Ergebnis, dass „die anlasslose Neutralitätspolitik kein schützenswertes Gut der unternehmerischen Freiheit“
sei (S 205). Diesen Ausführungen ist nichts hinzuzufügen.
Wo ausnahmsweise auch auf andere Formen der Religionsausübung eingegangen wird, fehlt es stellenweise an nötigen Differenzierungen. So schützt etwa die negative Religionsfreiheit Arbeitskollegen nicht vor jeglichen Missionierungsversuchen (dazu S 75), ist die Missionierung Andersgläubiger doch eine geschützte Form der Religionsausübung (EGMR 25.5.1993, 14307/88, Kokkinakis/Griechenland, Rz 31). Auch die Begründung für ein Recht auf kurze Gebetspausen, denen keine betrieblichen Bedürfnisse entgegenstehen, ist etwas kurz geraten (S 75, 264).
Die Autorin behandelt die gewählte Fragestellung mitsamt ihren Grundlagen umfassend und trotz der hier punktuell geäußerten Kritik durchwegs überzeugend, sodass sowohl Rechtsanwender als auch wissenschaftlich Interessierte von dieser Publikation profitieren können. Der Stil ist sehr angenehm und verständlich, die Gliederung ist sehr gut nachvollziehbar, das Werk somit uneingeschränkt zu empfehlen.