Stolperfallen beim Frühwarnsystem iSd § 45a AMFG

DIANANIKSOVA (SALZBURG)
Infolge der pandemiebedingten Wirtschaftskrise sehen sich viele Unternehmen zum Personalabbau gezwungen. Beabsichtigt der AG, mehrere Arbeitsverhältnisse innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen aufzulösen, kann unter bestimmten Voraussetzungen das Frühwarnsystem iSd § 45a Arbeitsmarktförderungsgesetz (AMFG) ausgelöst werden, das jedoch zahlreiche Tücken enthält. Da Fehler beim Frühwarnsystem mit der Unwirksamkeit der Kündigungen sanktioniert werden, ist für AG besondere Vorsicht geboten. Der vorliegende Fall thematisiert einige Fallstricke des Frühwarnsystems.
Sachverhalt

Die S-GmbH ist ein österreichweit tätiges Handelsunternehmen mit Sitz in Wien, in dem 350 AN beschäftigt sind. Die Modekette verfügt österreichweit über 19 Filialen und ist in drei Regionen gegliedert – die „Region Ost“, „Region West“ und „Region Süd“. Aufgrund der pandemiebedingten Wirtschaftskrise muss in der „Region Ost“ Personal abgebaut werden. In dieser Region gibt es insgesamt sieben Filialen: zwei in Wien, eine in Vösendorf in der Shopping-City-Süd, eine in St. Pölten, eine in Baden, eine in Krems und eine in Eisenstadt. Die Zentrale Ost befindet sich in Wien. Jede Filiale wird als eigene Kostenstelle behandelt, deren Budget durch die Zentrale in Wien bestimmt wird. Die Zentrale legt auch den Warenbestand und die Prioritäten bei der Verkaufsförderung jeder Filiale fest, stellt das Verkaufssortiment bereit und organisiert die Lieferung der Waren. Alle Filialen verfügen über eine/n eigene/n FilialleiterIn, der/die für die Erfüllung der Zielvorgaben in der jeweiligen Filiale zuständig ist. Der/die FilialleiterIn koordiniert die Arbeitseinsätze und hat Befugnisse zur Einteilung von Urlauben und zur Anordnung von Überstunden. Sonstige Personalentscheidungen, wie die Einstellung von AN oder Beendigung von Arbeitsverhältnissen, werden aber von der Zentrale getroffen. Die FilialleiterInnen können ferner auf die Menge und Art der gelieferten Waren Einfluss nehmen. Rabattaktionen für KundInnen dürfen von den FilialleiterInnen aber nicht selbst festgelegt werden, sondern werden ausschließlich von der Zentrale in Wien vorgegeben.

Insgesamt sind in der „Region Ost“ 200 AN beschäftigt, davon 160 in den Filialen und 40 in der Zentrale Ost. Vom Personalabbau ist zunächst die Filiale in Krems betroffen, in der – inklusive dem Filialleiter – 21 Personen beschäftigt sind. Fünf davon haben einen auf zwei Jahre befristeten Arbeitsvertrag; alle 472 anderen AN sind auf Basis eines unbefristeten Arbeitsvertrags tätig. Einer der befristeten Verträge endet regulär am 31.3.2021, die anderen vier laufen erst im März 2022 aus. Anfang Jänner 2021 informiert der Geschäftsführer die 21 MitarbeiterInnen in der Filiale in Krems über Umsatzrückgänge und über einen geplanten Personalabbau, wobei er zunächst noch keine konkreten Zahlen oder Namen nennt. Nach mehreren Gesprächen zwischen dem Geschäftsführer, dem BR und der Leiterin der Personalabteilung in der Zentrale in Wien werden am 24.2.2021 fünf AN aus der Filiale in Krems per E-Mail darüber verständigt, dass mit ihnen am 25.2.2021 Einzelgespräche geführt werden. Bei den Einzelgesprächen wird den AN eine Vereinbarung über die einvernehmliche Auflösung vorgelegt, die ein konkretes Beendigungsdatum, eine Abfertigung sowie einen Frühabschlussbonus enthält, wenn das Angebot bis zum 11.3.2021 angenommen wird. Allen fünf MitarbeiterInnen ist klar, dass sie gekündigt werden, wenn sie das Angebot innerhalb der vorgesehenen Frist nicht annehmen. Anton nimmt das Angebot deshalb am 1.3.2021 an; das Arbeitsverhältnis wird einvernehmlich zum 15.3.2021 beendet. Die anderen vier AN entscheiden sich gegen die Annahme des Angebots zur einvernehmlichen Auflösung. In der Folge kündigt der AG – jeweils nach vorhergehender Verständigung des BR – zwei AN am 19.3.2021 und zwei am 5.4.2021. Die Kündigungsfristen und -termine sind je nach Arbeitsvertrag unterschiedlich; zwei der gekündigten Verträge enden zum 30.6.2021 und zwei zum 31.7.2021.

Zusätzlich muss auch in der Filiale in Eisenstadt Personal abgebaut werden. In der Filiale in Eisenstadt sind neun AN beschäftigt; vom Personalabbau sind drei AN betroffen. Barbara, Constantin und Dora werden am 15.3.2021 zum 30.6.2021 gekündigt.

Nach rechtlicher Beratung beantragt Anton aus der Filiale Krems die Feststellung des aufrechten Fortbestands seines Arbeitsverhältnisses über den 15.3.2021 hinaus. Die einvernehmliche Auflösung vom 1.3.2021 sei gem § 45a Abs 5 AMFG unwirksam, weil der AG das Frühwarnsystem nicht eingehalten habe.

Auch Barbara aus der Filiale Eisenstadt möchte gegen die Kündigung vorgehen und argumentiert, dass diese gem § 45a Abs 5 AMFG unwirksam sei, weil für die Berechnung der Schwellenwerte alle Filialen in der „Region Ost“ zusammenzuzählen seien. Bei 160 AN sei der Schwellenwert von 5 % der Arbeitsverhältnisse – das entspreche acht Auflösungen von Arbeitsverhältnissen – erfüllt. Der AG hätte daher das Arbeitsmarktservice (AMS) verständigen müssen.

Wie ist die Rechtslage?

Lösung

1.
Einleitung und Problemstellung

Gem § 45a Abs 1 AMFG müssen AG die nach dem Standort des Betriebs zuständige regionale Geschäftsstelle des AMS durch schriftliche Anzeige verständigen, wenn sie beabsichtigen, innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen Arbeitsverhältnisse von mindestens

  • fünf AN in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 100 Beschäftigten,

  • 5 % der AN in Betrieben mit 100 bis 600 Beschäftigten oder

  • 30 AN in Betrieben mit in der Regel mehr als 600 Beschäftigten

aufzulösen.

Wird mit mindestens fünf AN das Arbeitsverhältnis aufgelöst, die das 50. Lebensjahr vollendet haben, wird das Frühwarnsystem unabhängig von der Betriebsgröße ausgelöst. Die Anzeige ist gem § 45a Abs 2 AMFG mindestens 30 Tage vor der ersten Erklärung der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses zu erstatten. Kündigungen, die vor Einlangen der Anzeige bei der regionalen Geschäftsstelle des AMS oder nach Einlangen der Anzeige, aber ohne vorherige Zustimmung der Landesgeschäftsstelle ausgesprochen werden, sind gem § 45a Abs 5 AMFG unwirksam. Zweck des Frühwarnsystems ist es, das AMS frühzeitig über geplante Massenkündigungen zu verständigen und es damit in die Lage zu versetzen, geeignete arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu ergreifen und dadurch die beabsichtigten Kündigungen zu verhindern oder, wenn das nicht möglich ist, Vorbereitungen für die auf dem regionalen Arbeitsmarkt freigesetzten Personen zu treffen.*

§ 45a AMFG ist die nationale Umsetzungsbestimmung der Massenentlassungs-RL 98/59/EG,* die die Mitgliedstaaten ua verpflichtet, sicherzustellen, dass AG beabsichtigte Massenentlassungen bei der zuständigen Arbeitsmarktbehörde schriftlich anzeigen. Eine Massenentlassung iSd der Massenentlassungs-RL liegt gem Art 1 Abs 1 lit a sublit i vor, wenn der AG aus Gründen, die nicht in der Person des AN liegen, Entlassungen vornimmt und die Zahl der Entlassungen innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen

  • mindestens zehn in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 100 AN,

  • mindestens 10 % der AN in Betrieben mit in der Regel mindestens 100 und weniger als 300 AN,

  • mindestens 30 in Betrieben mit in der Regel mindestens 300 AN

beträgt.

Aufgrund dieses unionsrechtlichen Hintergrunds muss bei der Auslegung des § 45a AMFG auch die zur Massenentlassungs-RL ergangene EuGH-Rsp und die richtlinienkonforme Interpretation beachtet werden.

Ob im vorliegenden Fall Anton und Barbara gegen die einvernehmliche Auflösung bzw gegen die Kündigung vorgehen können, hängt zunächst davon ab, 473ob der Anwendungsbereich des § 45a AMFG eröffnet ist und die dort festgelegten Schwellenwerte erfüllt sind. Problematisch sind im vorliegenden Fall der Betriebsbegriff (Pkt 2), der Begriff der „in der Regel“ im Betrieb beschäftigten Personen (Pkt 3) und der Begriff der „Auflösungen“ iSd § 45a Abs 1 AMFG (Pkt 4). Sollten alle Voraussetzungen erfüllt und die Schwellenwerte erreicht sein, ist in weiterer Folge zu prüfen, ob der AG auch beabsichtigt hat, eine den Schwellenwert übersteigende Anzahl an Arbeitsverhältnissen innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen aufzulösen (Pkt 5). Wenn auch das gegeben sein sollte, ist in einem letzten Schritt zu untersuchen, welche Rechtsfolgen ein Verstoß gegen das Frühwarnsystem auslöst (Pkt 6).

2.
Betriebsbegriff iSd § 45a AMFG
2.1.
Einleitung

In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob der Anwendungsbereich des § 45a AMFG eröffnet ist. Da § 45a Abs 1 AMFG darauf abstellt, dass die Schwellenwerte in einem Betrieb erreicht werden, ist zunächst fraglich, wie der Betriebsbegriff iSd § 45a AMFG auszulegen ist. Insb ist zu untersuchen, ob jede Filiale in der „Region Ost“ für sich als ein Betrieb iSd § 45a AMFG zu qualifizieren ist.

Das AMFG enthält keine Definition des Betriebsbegriffs. Allerdings verweist die Bundes-RL des AMS zum Frühwarnsystem* auf den betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff iSd § 34 ArbVG. Zu beachten ist jedoch, dass § 45a AMFG einen unionsrechtlichen Hintergrund hat und der Begriff des Betriebs iSd Massenentlassungs-RL – und folglich auch der Betriebsbegriff iSd § 45a AMFG – nach stRsp des EuGH nicht nach nationalem Verständnis ausgelegt werden darf, sondern unionsrechtlich autonom interpretiert werden muss.* Auch der OGH hat klargestellt, dass der Betriebsbegriff iSd § 34 ArbVG im Arbeitsrecht keine generelle Anwendung findet. Eine analoge Anwendung ist nicht passend, zumal der betriebsverfassungsrechtliche Betriebsbegriff einen anderen Zweck verfolgt als § 45a AMFG. Während nämlich im Betriebsverfassungsrecht durch den Betriebsbegriff solche Einheiten definiert werden sollen, in denen die ANVertretung ihre Mitwirkungsrechte ausüben kann, besteht das Telos des § 45a AMFG – als Umsetzungsnorm der Massenentlassungs-RL – darin, die sozioökonomischen Auswirkungen von Massenkündigungen in einer bestimmten örtlichen und sozialen Umgebung zu begrenzen.* Aus diesem Grund ist nicht der nationale Betriebsbegriff iSd § 34 ArbVG, sondern die unionsrechtlich autonome Auslegung des Betriebsbegriffs maßgeblich,* mit der der EuGH bereits mehrmals befasst war.

2.2.
Unionsrechtlich autonome Auslegung des Betriebsbegriffs iSd § 45a AMFG

Nach stRsp des EuGH handelt es sich beim Betrieb iSd Massenentlassungs-RL um eine unterscheidbare Einheit, die eine gewisse Dauerhaftigkeit und Stabilität aufweist, in der eine oder mehrere Aufgaben erledigt werden sollen und die über eine Gesamtheit von AN, technische Mittel sowie eine organisatorische Struktur verfügt, um diese Aufgaben zu erfüllen. Entscheidend ist, dass die AN der Einheit zur Erfüllung ihrer Aufgaben angehören. Die Einheit muss nach Ansicht des EuGH weder rechtliche noch wirtschaftliche, finanzielle, verwaltungsmäßige oder technologische Autonomie besitzen. Der EuGH verlangt auch nicht, dass der Betrieb eine Leitung hat, die selbständig Massenentlassungen vornehmen kann. Vielmehr genügt eine Leitung, die die ordnungsgemäße Durchführung der Arbeit und die Kontrolle des Gesamtbetriebs der Einrichtungen der Einheit sowie die Lösung technischer Probleme iS einer Aufgabenkoordinierung sicherstellt. Eine räumliche Trennung ist nicht erforderlich.* In den Rs Lyttle* und USDAW und Wilson* musste der EuGH auch konkret zu der Frage Stellung beziehen, ob Filialen als Betriebe iSd Massenentlassungs-RL zu qualifizieren sind. Der Gerichtshof hat das bejaht, sofern die Filiale über eigene AN und Mittel verfügt und eine/n FilialleiterIn hat. Nicht erforderlich sei, dass der/die FilialleiterIn über Leitungsmacht in sozialen und personellen Angelegenheiten verfügt. So hat der EuGH in der Rs Lyttle ein Ladengeschäft einer Modekette dann als einen Betrieb iSd Massenentlassungs-RL qualifiziert, wenn es als eigene Kostenstelle behandelt wird und der Leiter Einfluss auf Menge und Art der Warenlieferung nehmen kann, entscheiden kann, wie das Personal eingesetzt wird und die Zielvorgaben dieses Geschäfts in seiner Verantwortung liegen. Es schadet dagegen nicht, dass die Hauptverwaltung das Budget, den Warenbestand und die Prioritäten bei der Verkaufsförderung festlegt, das Verkaufssortiment bereitstellt und die Lieferung organisiert.*

Im vorliegenden Fall ist daher nach der unionsrechtlich autonomen Auslegung sowohl die Filiale in Krems als auch die Filiale in Eisenstadt als ein Betrieb iSd Massenentlassungs-RL – und damit iSd § 45a AMFG – zu qualifizieren. Dass die Filialen mangels Selbständigkeit nicht als Betriebe iSd § 34 ArbVG zu qualifizieren wären, schadet nicht. Da der EuGH nur geringe Anforderungen an den 474 Betriebsbegriff stellt, können auch unselbständige Betriebsteile, die den nationalen Betriebsbegriff iSd § 34 ArbVG nicht erfüllen, unionsrechtlich als Betrieb iSd Massenentlassungs-RL qualifiziert werden.* Diesem Ergebnis steht auch nicht entgegen, dass in den Filialen keine Betriebsräte errichtet worden sind. Zwar muss gem § 109 ArbVG auch der BR verständigt werden, doch muss dieser nicht in den Einheiten errichtet sein, die für die Berechnung der Schwellenwerte iSd § 45a Abs 1 AMFG heranzuziehen sind. Unionsrechtlich kommt es beim Betriebsbegriff vielmehr darauf an, die sozioökonomischen Auswirkungen von Massenkündigungen in einem bestimmten örtlichen Kontext und einer bestimmten sozialen Umgebung abzufedern. Entscheidend ist für den EuGH daher, ob der regionale Arbeitsmarkt wesentlich belastet wird.*

Da in der Filiale in Eisenstadt jedoch nur neun AN beschäftigt und nur drei Arbeitsverhältnisse aufgelöst worden sind, sodass weder die Betriebsgröße von mindestens 20 Beschäftigten erreicht noch der Schwellenwert von mindestens fünf Beendigungen erfüllt ist, ist noch zu prüfen, ob sich die betroffenen AN nicht doch auf den Unternehmens- oder den Betriebsbegriff iSd § 34 ArbVG berufen dürfen, wenn das für sie zu einem günstigeren Ergebnis führen würde. So argumentiert Barbara, dass die Filialen in der „Region Ost“ als eine Einheit anzusehen seien und aus diesem Grund auch in ihrem Fall der Betriebsbegriff mit den notwendigen Schwellenwerten erfüllt sei, weil bei 160 AN 5 % der Arbeitsverhältnisse aufgelöst worden seien.

2.3.
Günstigerer nationaler Betriebs- oder Unternehmensbegriff?

Aufgrund der Günstigkeitsklausel in Art 5 Massenentlassungs-RL, nach der die Mitgliedstaaten für AN günstigere Rechts- oder Verwaltungsvorschriften oder Kollektivverträge anwenden dürfen, lässt der EuGH grundsätzlich zu, dass die Mitgliedstaaten zugunsten der AN zusätzlich – nicht jedoch alternativ – zum unionsrechtlich autonom auszulegenden Betriebsbegriff auch auf den Unternehmensbegriff abstellen.* Unionsrechtlich wäre es daher auch zulässig, zusätzlich zum unionsrechtlichen Betriebsbegriff iSd Massenentlassungs-RL auf einen für die AN günstigeren nationalen Betriebsbegriff abzustellen. ME ist aber der Betriebsbegriff iSd § 45a AMFG einheitlich iSd EuGH-Rsp auszulegen; eine stets günstigere Auslegung des Begriffs je nach Einzelfall, entweder nach der unionsrechtlich autonomen Definition oder nach

§ 34 ArbVG, ist abzulehnen. Auch der OGH betont, dass § 34 ArbVG im österreichischen Arbeitsrecht keine generelle Anwendung findet und eine analoge Anwendung des § 34 ArbVG nicht in Betracht kommt, weil § 34 ArbVG einen anderen Zweck verfolgt als § 45a AMFG.* Im Übrigen würden im gegenständlichen Fall die Filialen in der „Region Ost“ ohnehin auch nicht gemeinsam den nationalen Betriebsbegriff iSd § 34 ArbVG erfüllen, sodass die Argumentation von Barbara, alle AN aus den sieben Filialen seien zusammenzuzählen, weil die sieben Filialen gemeinsam einen Betrieb bilden würden, nicht überzeugt. Der Betriebsbegriff iSd § 34 ArbVG wäre nur erfüllt, wenn man die AN aus der „Zentrale Ost“ hinzuzählt. Dann wäre aber wiederum der Schwellenwert iSd § 45a AMFG nicht erfüllt; 5 % von 200 AN wären nämlich mindestens zehn Auflösungen von Arbeitsverhältnissen.

Barbara kann sich aus diesem Grund nicht auf § 45a AMFG stützen; ihre Klage ist abzuweisen. Ob sich Anton auf § 45a AMFG berufen kann, hängt in weiterer Folge davon ab, ob in dem Betrieb in Krems auch die entsprechende Betriebsgröße von mindestens 20 beschäftigten Personen erreicht ist. Dazu ist zu prüfen, ob auch der Filialleiter und AN mit befristeten Arbeitsverträgen bei der Ermittlung der Anzahl der „in der Regel“ im Betrieb beschäftigten Personen zu berücksichtigen sind.

3.
Berechnung der Betriebsgröße
3.1.
Berücksichtigung des Filialleiters bei der Berechnung der Betriebsgröße

Neben dem Betriebsbegriff bereitet auch die Auslegung des Begriffs der „Beschäftigten“ iSd § 45a Abs 1 AMFG einige Schwierigkeiten. Fraglich ist insb, ob dabei auf den arbeitsvertragsrechtlichen AN-Begriff iSd § 1151 ABGB oder auf den betriebsverfassungsrechtlichen AN-Begriff iSd § 36 ArbVG abzustellen ist. Sollte nämlich § 36 ArbVG maßgeblich sein, wäre zu prüfen, ob der Filialleiter ein leitender Angestellter iSd § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG ist, der vom Beschäftigten-Begriff iSd § 36 ArbVG wiederum ausgenommen wäre.

Anders als der OGH, der zur Auslegung des „Beschäftigten“-Begriffs iSd § 45a AMFG bislang nicht Stellung beziehen musste, war der EuGH bereits mehrfach mit dem AN-Begriff iSd Massenentlassungs-RL befasst. Art 1 Abs 1 der Massenentlassungs-RL stellt sowohl bei der Ermittlung der Anzahl der in der Regel im Betrieb beschäftigten Personen als auch bei der Anzahl der Beendigungen auf den AN-Begriff ab, den der Gerichtshof wiederum unionsrechtlich autonom auslegt. AN iSd Art 1 Abs 1 Massenentlassungs-RL sind dem EuGH zufolge Personen, die während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisungen Leistungen erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhalten.* Diese Definition erfüllen nach Ansicht des EuGH für die Zwecke der Massenentlassungs-RL auch leitende Angestellte* und Fremdgeschäftsführer. 475*

Der Begriff der „Beschäftigten“ iSd § 45a Abs 1 AMFG muss daher unionsrechtskonform dahingehend ausgelegt werden, dass auch leitende Angestellte davon erfasst sind. Im österreichischen Recht ist deshalb nicht auf den betriebsverfassungsrechtlichen Begriff iSd § 36 ArbVG abzustellen;* ausschlaggebend ist vielmehr die unionsrechtlich autonome Auslegung des AN-Begriffs iSd EuGHRsp. Selbst wenn aber entgegen der hier vertretenen Ansicht § 36 ArbVG maßgeblich sein sollte, wäre der Filialleiter im gegenständlichen Fall mangels entsprechender Personalbefugnisse ohnehin nicht als leitender Angestellter zu qualifizieren, weil nach Ansicht des OGH bei leitenden Angestellten iSd § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG der Einfluss auf die Eingehung und Auflösung von Arbeitsverhältnissen im Vordergrund steht.* Der Filialleiter in der Filiale in Krems ist daher bei der Berechnung der Betriebsgröße jedenfalls mitzuzählen.

3.2.
Berücksichtigung befristeter Arbeitsverträge bei der Ermittlung der Anzahl der „in der Regel“ im Betrieb Beschäftigten

Ferner stellt sich die Frage, ob auch AN mit befristeten Arbeitsverträgen bei der Berechnung der Betriebsgröße zu berücksichtigen sind, weil in der Filiale in Krems nur dann die erforderliche Betriebsgröße von mehr als 20 Beschäftigten erreicht wäre. Zwar erfüllen Personen mit befristeten Arbeitsverträgen zweifelsfrei den „Beschäftigten“-Begriff, doch ist fraglich, ob sie auch „in der Regel“ im Betrieb beschäftigt sind. Zudem nimmt Art 1 Abs 2 lit a Massenentlassungs-RL Arbeitsverträge, die für eine bestimmte Zeit geschlossen werden, vom Anwendungsbereich der Massenentlassungs-RL aus, es sei denn, dass sie aufgrund der Massenentlassungen vor Zeitablauf enden. Zu prüfen ist daher, ob die Berücksichtigung von Personen mit befristeten Arbeitsverträgen bei der Berechnung der Betriebsgröße unionsrechtskonform ist.

Dem EuGH zufolge erfüllen AN mit befristeten Arbeitsverträgen den unionsrechtlichen AN-Begriff iSd Art 1 Abs 1 Massenentlassungs-RL und sind auch „in der Regel“ im Betrieb beschäftigt, weil dabei nicht auf die Dauer der Beschäftigung eines AN abzustellen ist. Aus der Wendung „in der Regel“ könne nicht geschlossen werden, dass befristete Arbeitsverhältnisse bei der Berechnung der Betriebsgröße außer Betracht bleiben müssten. Jedenfalls dann, wenn AN mit befristeten Arbeitsverträgen „jedes Jahr für eine bestimmte Tätigkeit eingestellt werden“, sind sie nach Ansicht des EuGH als „in der Regel“ in dem betreffenden Betrieb beschäftigt anzusehen.*

Die Ausnahme von befristeten Arbeitsverträgen in Art 1 Abs 2 lit a Massenentlassungs-RL bezieht sich nur auf die Rechtsfolgen, nicht jedoch auf die Berechnung der Betriebsgröße. So können sich Personen mit befristeten Arbeitsverträgen nicht auf den Massenentlassungsschutz berufen, wenn ihr Arbeitsvertrag durch Zeitablauf endet. Denn das Ziel der Massenentlassungs-RL, Entlassungen zu vermeiden oder ihre Zahl zu beschränken und nach Möglichkeiten zu suchen, diese Folgen abzumildern, kann bei befristeten Arbeitsverträgen nicht erreicht werden. Die Beendigung eines Arbeitsvertrags durch Zeitablauf ist aus diesem Grund keine „Entlassung“ iSd Art 1 Abs 1 lit a der Massenentlassungs-RL. Etwas anderes gilt aber dann, wenn befristete Arbeitsverhältnisse vor Ablauf der im Vertrag festgelegten Laufzeit beendet werden. Dann befinden sich Personen mit einem befristeten Arbeitsvertrag nämlich in einer vergleichbaren Lage wie unbefristet beschäftigte Personen. Aus diesem Grund nimmt Art 1 Abs 2 lit a der Massenentlassungs-RL AN mit befristeten Arbeitsverträgen nur insofern von ihrem Anwendungsbereich aus, als für sie in Fällen, in denen ihr Arbeitsvertrag regulär durch Zeitablauf endet, kein gleichgelagertes Schutzbedürfnis besteht wie für unbefristet Beschäftigte.*

Im gegenständlichen Fall sind die fünf AN mit befristeten Arbeitsverträgen in der Filiale in Krems daher bei der Berechnung der Betriebsgröße mitzuzählen, sodass in der Filiale in Krems mehr als 20 Personen beschäftigt sind. Die im österreichischen Recht umstrittene Frage, ob für die Ermittlung der Beschäftigtenanzahl der Zeitpunkt der Anzeige maßgeblich ist, der Durchschnitt der Beschäftigtenzahlen der letzten drei Monate oder ob noch ein längerer Beobachtungszeitraum vor der Anzeige heranzuziehen ist,* kann hier dahingestellt bleiben, weil die fünf AN mit befristeten Arbeitsverträgen in allen Varianten im Betrieb in Krems beschäftigt waren. Wenn einer der fünf befristeten Arbeitsverträge am 31.3.2021 endet, hat aber der Zeitablauf dieses befristeten Arbeitsvertrags bei der Berechnung der Anzahl der aufgelösten Arbeitsverhältnisse außer Betracht zu bleiben, weil dieser Vertrag regulär durch Zeitablauf am 31.3.2021 endet. In weiterer Folge ist daher zu prüfen, ob neben den vier AG-Kündigungen auch die einvernehmliche Auflösung von Anton in die Berechnung der Schwellenwerte miteinzubeziehen ist, weil nur dann der Schwellenwert von mindestens fünf „Auflösungen“ von Arbeitsverhältnissen erreicht wäre.

4.
Berechnung des Schwellenwertes iSd § 45a AMFG: Begriff der „Auflösung“ des Arbeitsverhältnisses
4.1.
Auslegung des Begriffs der „Auflösung“ des Arbeitsverhältnisses iSd § 45a AMFG

Der österreichische Gesetzgeber verwendet in Abs 1 des § 45a AMFG für die Berechnung der476Schwellenwerte den Begriff der „Auflösung“ von Arbeitsverhältnissen; in Abs 5 leg cit, der sich auf die Rechtsfolgen bezieht, stellt er dagegen nur auf die Kündigung ab. Das deutet darauf hin, dass Abs 1 leg cit auch andere Beendigungsarten als die Kündigung erfasst. Das bestätigen auch die Gesetzesmaterialien, die neben Kündigungen und Entlassungen auch einvernehmliche Auflösungen berücksichtigen.* Teleologisch ist es jedenfalls stimmig, vom AG initiierte einvernehmliche Auflösungen miteinzubeziehen.* So hat auch der OGH bereits in mehreren Entscheidungen bejaht, dass von § 45a Abs 1 AMFG nicht nur AG-Kündigungen erfasst sind, sondern auch vom AG veranlasste einvernehmliche Auflösungen des Arbeitsverhältnisses. In beiden Fällen beabsichtigt der AG, das Arbeitsverhältnis aufzulösen.* Fraglich ist aber, ob diese Auslegung auch unionsrechtskonform ist.

4.2.
Unionsrechtliche Auslegung des Begriffs der „Massenentlassung“ iSd Art 1 Abs 1 Massenentlassungs-RL

Art 1 Abs 1 Massenentlassungs-RL stellt auf den Begriff der „Massenentlassungen“ ab. Eine solche liegt demnach vor, wenn ein AG aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der AN liegen, eine Entlassung vornimmt. Der Begriff „Massenentlassung“ iSd Art 1 Abs 1 Massenentlassungs- RL ist nach stRsp des EuGH wiederum unionsrechtlich autonom auszulegen. Der Gerichtshof versteht darunter jede vom AN nicht gewollte, also ohne seine Zustimmung erfolgte, Beendigung des Arbeitsvertrags.* In der E Pujante Rivera hat der EuGH auch eine einvernehmliche Auflösung als „Entlassung“ iSd Art 1 Abs 1 Massenentlassungs-RL qualifiziert, die zwar auf Verlangen des AN zustande kam, jedoch eine Reaktion auf eine vorher vom AG einseitig vorgenommene Änderung von Arbeitsbedingungen infolge einer Unternehmenskrise darstellte (Herabsetzung des Entgelts um 25 %) und letztlich mit einer Summe entschädigt wurde, deren Höhe der Entschädigung für eine unstatthafte Kündigung entsprochen hat.*

Neben Entlassungen sind gem Art 1 Abs 1 UAbs 2 der Massenentlassungs-RL für die Berechnung der Zahl der Massenentlassungen überdies solche Beendigungen des Arbeitsvertrags Entlassungen gleichgestellt, die auf Veranlassung des AG und aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person des AN liegen, erfolgen, sofern die Zahl der „echten“ Entlassungen mindestens fünf beträgt. „Entlassungen“ unterscheiden sich von „gleichgestellten Beendigungen“ durch die fehlende Zustimmung des AN.*

Ob eine vom AG veranlasste einvernehmliche Auflösung den unionsrechtlichen Begriff der Massenentlassung erfüllt oder nur eine gleichgestellte Beendigung iSd Art 1 Abs 1 UAbs 2 ist, ist in der Literatur nicht abschließend geklärt;* der OGH hat aber zuletzt klargestellt, dass es sich um gleichgestellte Beendigungen iSd Art 1 Abs 1 UAbs 2 Massenentlassungs-RL handelt.* Für die Berechnung des Schwellenwerts spielt das grundsätzlich – anders als bei den Rechtsfolgen (unten Pkt 6) – keine Rolle, weil eine vom AG veranlasste einvernehmliche Auflösung jedenfalls zumindest eine gleichgestellte Beendigung ist, die bei der Berechnung des Schwellenwertes mitzuzählen ist. Auf die Einschränkung in Art 1 Abs 1 UAbs 2 Massenentlassungs-RL, dass zumindest fünf „echte“ Entlassungen vorliegen müssen, damit eine solche Gleichstellung erfolgen darf, hat der österreichische Gesetzgeber in § 45a AMFG verzichtet. Das ist jedoch aufgrund der Günstigkeitsklausel iSd Art 5 Massenentlassungs-RL zulässig.*

In der Filiale in Krems ist daher der Schwellenwert von mindestens fünf Auflösungen von Arbeitsverhältnissen erfüllt. In einem nächsten Schritt muss geprüft werden, ob der AG auch beabsichtigt hat, die fünf Auflösungen innerhalb von 30 Tagen vorzunehmen, weil er die einvernehmliche Auflösung und die vier Kündigungen zeitlich gestreut hat.

5.
Zeitliche Streuung von Kündigungen und einvernehmlichen Auflösungen
5.1.
Verständigungszeitpunkt des AMS

Gem § 45 Abs 1 AMFG wird die Verständigungspflicht ausgelöst, wenn der AG beabsichtigt, eine den Schwellenwert überschreitende Anzahl von Arbeitsverhältnissen aufzulösen. Daraus schließt der OGH, dass die Verständigungspflicht nicht erst an den erfolgten Ausspruch der Kündigung oder die erfolgte einvernehmliche Auflösung eines Arbeitsverhältnisses – und schon gar nicht das tatsächliche Ende des Arbeitsverhältnisses – anknüpft, sondern bereits an die Absicht des AG, die Arbeitsverhältnisse aufzulösen. Dadurch soll das Frühwarnsystem bereits vor der Beendigung der Arbeitsverhältnisse in Gang gesetzt werden, damit frühzeitig arbeitsmarktpolitische Maßnahmen vorbereitet werden können.*477 Im vorliegenden Fall kann den am 24.2.2021 abgesendeten E-Mails noch keine Absicht des AG entnommen werden, mindestens fünf Arbeitsverhältnisse innerhalb von 30 Tagen aufzulösen, sehr wohl aber den Einzelgesprächen vom 25.2.2021, bei denen fünf AN konkrete Angebote zu einvernehmlichen Auflösungen vorgelegt worden sind, die auch ein Beendigungsdatum, Abfertigungsleistungen und einen Frühabschlussbonus enthielten und nur mehr der Annahme durch die betroffenen AN bedurften. Allen fünf AN war auch klar, dass sie gekündigt werden, wenn sie das Angebot nicht annehmen. Die Absicht des AG, mit fünf AN das Arbeitsverhältnis zu beenden, hat sich daher bereits am 25.2.2021 manifestiert. Fraglich bleibt noch, ob der AG argumentieren könnte, dass daraus noch nicht folgt, dass er auch die Absicht hatte, die Arbeitsverhältnisse innerhalb eines 30-tägigen Zeitraums aufzulösen. Denn tatsächlich wurde die einvernehmliche Auflösung am 1.3.2021 abgeschlossen; zwei Kündigungserklärungen erfolgten am 19.3.2021 und zwei am 5.4.2021.

5.2.
Zeitliche Streuung der Kündigungen

Grundsätzlich hat der OGH bereits in mehreren Entscheidungen bestätigt, dass eine Streuung von Kündigungen und einvernehmlichen Auflösungen zulässig ist. Die 30-tägige Frist iSd § 45a Abs 1 AMFG wandert kontinuierlich,* sodass der AG mittels zeitlicher Streuung der Kündigungen oder einvernehmlichen Auflösungen verhindern kann, dass der Schwellenwert iSd § 45a Abs 1 AMFG überschritten wird. Allerdings ist eine Streuung der Kündigungen oder einvernehmlichen Auflösungen dem OGH zufolge nur dann zulässig, wenn sie schon in der ursprünglichen Absicht des AG lag. MaW: Die zeitliche Streuung von Kündigungen oder einvernehmlichen Auflösungen bezieht sich auf die Auflösungsabsicht des AG. Wird hingegen eine solche Streuung erst faktisch vorgenommen, obgleich sie ursprünglich gar nicht vorgesehen war, kann sich der AG nicht darauf berufen. Das würde nämlich dem Telos des Frühwarnsystems widersprechen, schon bei der Absicht des AG, eine den Schwellenwert übersteigende Anzahl von Arbeitsverhältnissen zu beenden, das AMS zu verständigen.*

Im vorliegenden Fall spiegelte sich in den Einzelgesprächen am 25.2.2021 nicht nur die Absicht des AG wider, Arbeitsverhältnisse von fünf AN aufzulösen, sondern auch die Absicht, diese Auflösungen innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen vorzunehmen. Zwar konnte der AG zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, ob die AN die unterbreiteten Angebote zu den einvernehmlichen Auflösungen annehmen und die Arbeitsverhältnisse innerhalb von 30 Tagen aufgelöst würden. Doch war dies nach dem Willen des AG jedenfalls möglich und nur mehr von der Zustimmung der AN abhängig. Die Absicht des AG, die Arbeitsverhältnisse innerhalb des 30-Tage-Zeitraums einvernehmlich aufzulösen, wurde auch durch den angebotenen Frühabschlussbonus entsprechend zum Ausdruck gebracht. Dadurch hat sich auch die Gefahr, dass eine bestimmte Anzahl an Arbeitsverhältnissen beendet wird, verwirklicht, auf die der Arbeitsmarkt entsprechend vorbereitet werden soll.* Aus diesem Grund hätte der AG im vorliegenden Fall die regionale Geschäftsstelle des AMS verständigen müssen.

Diese Auslegung widerspricht auch nicht der Massenentlassungs-RL und ist unionsrechtskonform. Gem Art 3 Abs 1 Massenentlassungs-RL kommt es nämlich für die Anzeigepflicht auch unionsrechtlich auf „beabsichtigte“ Massenentlassungen an. In der Rs Junk war der EuGH mit der Frage konfrontiert, ob es bei der Massenentlassung auf die Kündigungserklärung oder die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Ablauf der Kündigungsfrist ankommt. Der Gerichtshof hat auf die Kündigungserklärung abgestellt und betont, die Mitteilung der Kündigung des Arbeitsvertrags sei Ausdruck einer Entscheidung, das Arbeitsverhältnis zu beenden; die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Ablauf der Kündigungsfrist stelle nur die Wirkung dieser Entscheidung dar und sei nicht relevant.* Ob aber auf einen noch früheren Zeitpunkt als die Kündigungserklärung abgestellt werden darf, musste der EuGH nicht beurteilen. Im Übrigen ist eine für die AN günstigere Auslegung nach nationalem Recht aufgrund der Günstigkeitsklausel in Art 5 Massenentlassungs-RL zulässig.

Da der AG aus diesem Grund in der Filiale in Krems gegen die Verständigungspflicht iSd § 45a AMFG verstoßen hat, ist zuletzt noch die Rechtsfolge bei Verletzung des Frühwarnsystems zu untersuchen.

6.
Rechtsfolge
6.1.

Gem § 45a Abs 5 AMFG sind Kündigungen, die eine Auflösung von Arbeitsverhältnissen iSd Abs 1 bezwecken, rechtsunwirksam, wenn sie vor Einlangen der Anzeige bei der regionalen Geschäftsstelle des AMS ausgesprochen werden, oder nach Einlangen der Anzeige bei der regionalen Geschäftsstelle des AMS, aber ohne deren vorherige Zustimmung. Da sich § 45a Abs 5 AMFG jedoch nur auf Kündigungen bezieht, ist fraglich, ob diese Rechtsfolge auch für einvernehmliche Auflösungen gilt. Das Arbeitsverhältnis mit Anton wurde nämlich einvernehmlich aufgelöst und nicht gekündigt.

6.2.
Unwirksamkeit von einvernehmlichen Auflösungen?

Der Wortlaut des § 45a Abs 5 AMFG spricht eindeutig gegen die Unwirksamkeit von einvernehmlichen 478 Auflösungen, weil er sich – anders als § 45a Abs 1 AMFG – ausdrücklich nur auf Kündigungen bezieht. Das Telos könnte hingegen dafür sprechen, die Rechtsfolge der Unwirksamkeit auch auf einvernehmliche Auflösungen, die vom AG initiiert sind, zu erstrecken, weil diese AN genauso wie vom AG gekündigte AN auf den Arbeitsmarkt freigesetzt werden und sich die zuständige regionale Geschäftsstelle des AMS entsprechend darauf vorbereiten können soll. In der Literatur war diese Frage deshalb lange Zeit umstritten.* Der OGH hat aber erst kürzlich mit überzeugenden Argumenten klargestellt, dass sich die Rechtsfolge aufgrund des eindeutigen Wortlauts nur auf Kündigungen bezieht. Ein anderes Ergebnis wäre nur dann vertretbar, wenn eine planwidrige Lücke vorläge. Eine solche ist aber zu verneinen. Denn der Gesetzgeber hätte die Möglichkeit gehabt, eine Gesetzesänderung des § 45a AMFG vorzunehmen, als er in Vorbereitung zum Beitritt zur EU § 45a Abs 1 AMFG dahingehend geändert hat, dass er nicht nur Kündigungen, sondern auch andere Beendigungsarten erfasst. Abs 5 leg cit blieb dennoch unverändert und nur auf Kündigungen beschränkt. Aus diesem Grund hat der OGH zu Recht eine planwidrige Lücke verneint, die im Wege der Analogie zu schließen wäre.*

Auch die Massenentlassungs-RL gebietet keine andere Auslegung. Wie bereits erwähnt, unterscheidet die Massenentlassungs-RL in Art 1 Abs 1 UAbs 2 grundsätzlich zwischen Entlassungen und den Entlassungen gleichzustellenden Beendigungen. Die Schutzvorschriften der Massenentlassungs- RL beziehen sich aber nur auf die „echten“ Entlassungen; gleichzustellende Vertragsbeendigungen werden lediglich bei der Berechnung der Schwellenwerte mitberücksichtigt. Einvernehmliche Auflösungen, die vom AG veranlasst sind, sind nach Ansicht des OGH* gleichgestellte Beendigungen iSd Art 1 Abs 1 UAbs 2 Massenentlassungs-RL, für die die Rechtsfolgen nicht gelten. Im Übrigen verlangt die Massenentlassungs-RL nicht die Rechtsfolge der Unwirksamkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern lässt es den Mitgliedstaaten freigestellt, welche Rechtsfolgen sie anordnen, wenn die Anzeige bei der Arbeitsmarktbehörde unterbleibt.

7.
Ergebnis

Die Klage von Anton ist abzuweisen. Obgleich der Betriebsbegriff und die Schwellenwerte iSd § 45a Abs 1 AMFG erfüllt sind und der AG daher gegen das Frühwarnssystem verstoßen hat, bezieht sich die Rechtsfolge der Unwirksamkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses de lege lata nur auf Kündigungen und nicht auf vom AG initiierte einvernehmliche Auflösungen.

Auch Barbara kann sich nicht auf die Unwirksamkeit der Kündigung berufen, weil die Filiale in Eisenstadt, in der sie tätig ist, als Betrieb iSd § 45a Abs 1 AMFG zu qualifizieren ist und die Schwellenwerte iSd § 45a Abs 1 AMFG in dieser Filiale erfüllt sein müssten. Da das nicht der Fall ist, musste der AG das AMS nicht verständigen.479