Klawitter/Beck/Günther/Kleinert/Kontowicz/Seitz/Tölle/ Tomas (Hrsg)Arbeitsrecht im Zeitalter der Digitalisierung – Dokumentation der 9. Assistentinnen- und Assistententagung im Arbeitsrecht vom 25.-27.07.2019

Nomos Verlag, Baden-Baden 2020, 198 Seiten, kartoniert, € 49,–

ANDREFLATSCHER (SALZBURG)

Bei diesem Werk handelt es sich um die Dokumentation der 9. Assistentinnen- und Assistententagung, welche im Juli 2019 in Berlin stattgefunden hat. Darin enthalten sind insgesamt neun spannende Beiträge junger WissenschaftlerInnen, die sich dem Generalthema „Arbeitsrecht im Zeitalter der Digitalisierung“ widmen: Verändernde Weisungsstrukturen (Kurt, Zieske), soziologisch begründete Implikationen der Plattformökonomie für das kollektive Arbeitsrecht (Diekmann), Dauererreichbarkeit (Holuschka), Beschäftigtendatenschutz (Plote, Holzer), Facebook in der Unternehmenspraxis (Pionteck), Mitbestimmung des Betriebsrats bei technischer Arbeitnehmerüberwachung (Zöllner) und Arbeitnehmerweiterbildung (Bromme). Exemplarisch werden hier vier Beiträge herausgegriffen.

Die ersten beiden Beiträge beschäftigen sich mit aktuellen Herausforderungen zum Direktionsrecht. Im Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung erhält der AN nicht nur Weisungen und Arbeitskonkretisierungen vom Vertrags-AG, sondern auch von sogenannten neuen „modernen Weisungsträgern“. Als solche kommen das Team oder der AN selbst, aber auch Dritte, wie ein Kunde, ein Matrixmanager und theoretisch sogar künstliche Intelligenz in Frage. Anhand von Grundnormen des deutschen bürgerlichen Rechts wird der Frage nachgegangen, inwiefern das Direktionsrecht auf moderne Weisungsträger übertragen bzw delegiert werden kann. Auffallend ist, dass sich insb bei der Betrachtung von Matrixorganisationen ein wesentlicher Unterschied in der Argumentationslinie der AutorInnen findet. Kurt verfolgt jenen Lösungsweg, wonach das 542 arbeitsrechtliche Direktionsrecht hierfür in zwei unterschiedliche Funktionen geteilt werden müsse: In ein fachliches Weisungsrecht, welches übertragen werden kann und in ein, davon zu trennendes, grundsätzlich nicht übertragbares disziplinarisches Weisungsrecht (S 14; ähnliche Auslegung im österreichischen Recht: Schubert, Konzernstrukturen und Arbeitsrecht – Arbeitsrecht in Konzernen mit Matrixorganisation, DRdA 2019, 409). Zieske plädiert hingegen dafür, dass das Weisungsrecht als Ganzes zu betrachten sei und vollumfänglich an Dritte delegiert werden könne, da eine derartige Differenzierung nicht vom Gesetz vorgegeben sei und der weiteren rechtsdogmatischen Qualifizierung von Delegationsmöglichkeiten im Weg stehen würde (S 39 f).

Ebenso interessant ist der Beitrag zu den Möglichkeiten und Grenzen von Facebook in der Unternehmenspraxis. Pionteck widmet sich zunächst der Frage, wie der Einsatz von Facebook für das Bewerber-Screening aus datenschutzrechtlicher Sicht zu bewerten ist. Zu beachten gilt es hierbei, dass Deutschland anders als Österreich von der Öffnungsklausel nach Art 88 Datenschutz- Grundverordnung (DSGVO) bewusst Gebrauch gemacht und in § 26 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) eine spezielle (Beschäftigten-)Datenschutzvorschrift verankert hat – diese ist beim Background-Check von potenziellen AN zusätzlich zu den allgemeinen Grundsätzen der DSGVO einzuhalten. Der zweite Teil befasst sich damit, wann das Facebook-Verhalten eines AN den AG zu einer außerordentlichen Kündigung (Entlassung) berechtigt. Der Autor argumentiert überzeugend, dass die Meinungsfreiheit des AN gegenüber dem Persönlichkeitsrecht, oder (bei geschäftsschädigenden Aussagen) der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit des AG, abzuwägen ist. Anhand von Fällen aus der deutschen Rsp wird hier sehr gut herausgearbeitet, welche Aspekte dabei in welchem Ausmaß zu berücksichtigen sind. Die Meinungsfreiheit des AN soll etwa stärker ins Gewicht fallen je vertraulicher die Kommunikation ausgestaltet ist, ebenso sollen die Form der Äußerung und die Konnexität zum Arbeitsverhältnis eine maßgebliche Rolle spielen.

Wenn von brandaktuellen Themen gesprochen wird, muss zwangsläufig auch der Beitrag zur Dauererreichbarkeit erwähnt werden, schließlich legt mobiles Arbeiten nicht erst seit Beginn der Covid-19-Pandemie stark zu. Holuschka verfolgt hierfür einen ähnlichen Lösungsansatz wie Risak: Die Erreichbarkeit durch moderne Kommunikationsmittel stellt keine Arbeitsbereitschaft, sondern Rufbereitschaft dar, wobei jedoch die für die Rufbereitschaft in § 20a AZG (10 Tage pro Monat bzw 30 Tage in drei Monaten) und § 6a ARG (zweimal pro Monat während der wöchentlichen Ruhezeit) festgelegten Höchstgrenzen nicht zur Anwendung kommen sollen, wenn vom AN nur kurze Tätigkeiten erwartet werden, die mittels Smartphone einfach und ortsunabhängig erledigt werden können. Da sich der AN nicht mehr in den Betrieb begeben müsse, sei die Einschränkung geringer als bei Rufbereitschaft nach traditionellem Verständnis (Risak, Arbeiten in der Grauzone zwischen Arbeitszeit und Freizeit – Dargestellt am Beispiel der „Dauererreichbarkeit“ am Smartphone, ZAS 2013, 299 f). Lediglich Vereinbarungen, die den AN zur Erreichbarkeit während der Wochenend- und Feiertagsruhe verpflichten, seien nach Ansicht von Holuschka (anders als nach Risak) nicht zu befürworten, da für diese Zeiträume grundsätzlich ein Beschäftigungsverbot gilt, von welchem bloß bestimmte Tätigkeiten ausgenommen sind (§§ 2 Abs 2, 10-18 ARG).

Diese Argumentation überzeugt mE nicht. Freilich mag es in manchen Branchen üblich sein, dass einzelne AN ihr Smartphone ständig mit sich führen und in ihrer Freizeit dienstliche Telefonate führen oder Arbeits-E-Mails lesen und gegebenenfalls bearbeiten. Heilegger weist in dem Zusammenhang aber zutreffend darauf hin, dass iSd AN-Schutzes dafür gesorgt werden muss, dass eine derartige jederzeitige Verfügbarkeit nicht verpflichtend angeordnet werden kann (Heilegger in Gasteiger/Heilegger/Klein [Hrsg], Arbeitszeitgesetz5 [2019] § 20a AZG Rn 13). Die Intensität einer Arbeitsleistung, die mittels Smartphone erledigt werden kann, ist zwar geringer als bei Arbeitsleistungen, die bei Anruf im Betrieb erledigt werden müssen, die Einschränkung für den AN durch die Rufbereitschaft selbst ändert sich damit jedoch kaum. Die Rufbereitschaft iSd Smartphone- Erreichbarkeit beschränkt nämlich den AN insofern, als dieser sein Smartphone bspw im Kino, in der Sauna oder beim Sport nicht stumm schalten kann, oder auf derartige Aktivitäten verzichten muss, ferner ist stets auf ausreichend Empfang und Akkuladung zu achten. Der AN kann daher nicht, wie von der Definition der Rufbereitschaft jedoch verlangt wird, seinen Aufenthaltsort selbst wählen und über die Verwendung solcher Zeiten im Wesentlichen frei entscheiden (OGH9 ObA 96/91 ecolex 1991, 719 [Mazal]). Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass die ständige Erreichbarkeit durch das Smartphone für die Betroffenen – das sind bereits mehr als ein Drittel aller österreichischen AN (so eine Umfrage des Jobportals karriere.atkarriere.at vom 6.4.2021) – eine nicht zu unterschätzende psychische Belastung darstellt, weswegen eine teleologische Reduktion von § 20a AZG und § 6a ARG, wie sie im gegenständlichen Beitrag vorgeschlagen wird, eher nicht mit dem Gesetzeszweck in Einklang zu bringen ist.

Zuletzt sei noch darauf hingewiesen, dass in den einzelnen Beiträgen, neben unionsrechtlichen Anknüpfungspunkten, überwiegend die deutsche Rechtsordnung als Ausgangspunkt genommen wird, allerdings können auch österreichische LeserInnen einen Nutzen daraus ziehen. Schließlich gibt es – wie dieses Buch auch beweist – genügend Parallelen zum österreichischen Arbeitsrecht. Trotz der oben angeführten Kritikpunkte kann ich diesen Sammelband nur empfehlen, denn es handelt sich um eine qualitativ hervorragende und lesenswerte Lektüre. Den arbeits- und sozialrechtlichen AssistentInnen ist es wieder einmal gelungen, einen spannenden Einblick in aktuelle und zukünftige rechtliche Problemstellungen zu liefern.