Schmidt (Hrsg)Jahrbuch des Arbeitsrechts 2019 – Gesetzgebung, Rechtsprechung, Literatur

Erich Schmidt Verlag, Berlin 2020, 350 Seiten, gebunden, € 114,–

JULIAHEINDL (WIEN)

Das vorliegende Werk behandelt aktuelle Entwicklungen im deutschen Arbeitsrecht im Jahr 2019. 543 Der Hauptteil umfasst vier detaillierte Abhandlungen: Betriebliche Mitbestimmung im Rahmen des Arbeitsschutzgesetzes, das Zusammenspiel von BetrVG und Datenschutz, Methodenfragen bei der Auslegung des Unionsrechts und Neujustierung des Urlaubsrechtes. Außerdem sind die Gerichtsstruktur, die Gesetzgebung, der Jahresbericht des BAG, die Rsp sowie das Schrifttum abgebildet. Im Nachfolgenden werden einzelne Aspekte der Abhandlungen dargestellt.

Peter Wedde behandelt in seinem Beitrag datenschutzrechtliche Fragen iZm der Betriebsverfassung. In Deutschland wurde die sogenannte Öffnungsklausel des Art 88 DSGVO in § 26 BDSG verwirklicht. Demnach ist die Ausgestaltung des Beschäftigtendatenschutzes in kollektiven Vereinbarungen möglich. Verglichen mit der österreichischen Rechtslage ist zu erwähnen, dass zunächst in § 11 Datenschutz-Anpassungsgesetz 2018 (BGBl I 2017/120) ebenfalls von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde. Darin wurde die Betriebsverfassung zur Sonderbestimmung iSd Art 88 DSGVO erklärt, aber dennoch angeordnet, dass der Datenschutz zur Betriebsverfassung neutral ist. Die österreichische Bestimmung wurde jedoch noch vor ihrem Inkrafttreten dahingehend geändert, dass eine die Öffnungsklausel umsetzende Regelung nun nicht mehr existiert (BGBl I 2018/24). Damit wird auf spezielle Regelungen im arbeitsrechtlichen Umfeld verzichtet (vgl

Brodil
, DRdA 2018, 470 f; ders in Körber-Risak/Brodil, Datenschutz und Arbeitsrecht [2018] 10 f; Körber-Risak in Körber-Risak/Brodil, Datenschutz und Arbeitsrecht 58 f). Weiters behandelt Wedde die Diskussion hinsichtlich der Qualifikation des BR als datenschutzrechtlich Verantwortlichen iSd Art 4 Nr 7 DSGVO. Er zeigt dabei die verschiedenen Ansichten in der Literatur und Judikatur sowie deren Begründung umfassend auf. Nachfolgende Ansichten werden dabei von Wedde näher untersucht: eigenständige Verantwortlichkeit des BR, Qualifikation des BR als „sonstige Stelle“, datenschutzrechtliche Einheit bestehend aus BR und AG oder keine Verantwortung des BR. Auch in Österreich wurde diese Thematik umfassend diskutiert (siehe dazu ua Körber-Risak in Körber-Risak/Brodil 60 f; Jahnel/Bergauer, DS-GVO [2018] 50; Salcher, ecolex 2019, 616; Goricnik, ecolex 2019, 796; Geuer/Wollmann, jusIT 2019, 200). Außerdem hat die österreichische Datenschutzbehörde am 4.12.2019 einen Bescheid erlassen, demzufolge der BR als Verantwortlicher iSd DSGVO qualifiziert wird, sofern er im Rahmen der kollektiven Vertretung personenbezogene AN-Daten verarbeitet. Er ist demnach unabhängig vom Betriebsinhaber verantwortlich (DSB-D084.1389/0001-DSB/2019 ZIIR-Slg 2020/29 = Dako 2020/12). Ferner führt Wedde zur Problematik der Kontrolle des BR durch den Datenschutzbeauftragten aus, dass dies aufgrund der Unabhängigkeit des BR und dem Zweifel an der Neutralität des vom AG benannten Datenschutzbeauftragten unzulässig ist. In Österreich hingegen kommen Teile der Literatur zu einem gegenteiligen Ergebnis (vgl Stupar, ZAS 2018, 207; König in Knyrim, DatKomm Art 38 DSGVO Rn 36). Damit zusammenhängend stellt sich auch noch die Frage, ob ein separater Datenschutzbeauftragter im BR vorhanden sein muss. Nach der DSGVO muss in bestimmten Situationen jeder Verantwortliche einen Datenschutzbeauftragten benennen. Wird der BR daher als Verantwortlicher qualifiziert, wird er wohl auch in nach der DSGVO verpflichtend vorgesehenen Fällen einen Datenschutzbeauftragten benennen müssen (zu dieser Frage siehe Kinast/Stanonik, Datenschutz für KMU: Praxishandbuch [2019] Kapitel 1, 2 f).

Clemens Höpfner behandelt in seinem Beitrag methodische Fragen iZm der Auslegung des europäischen Rechts. Der Vergleich der Grundsätze der deutschen Verfassung mit jenen auf Unionsebene ergibt, dass vergleichbare Normen vorhanden sind, welche bei der Interpretation zu beachten sind (dies gilt auch für die österreichische Rechtslage). Besonders hervorzuheben sind hier das Demokratieprinzip, das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, das Subsidiaritätsprinzip und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Höpfner kritisiert in seinem Beitrag den Umstand, dass der EuGH sowohl die Funktion eines Fach- als auch jene eines Verfassungsgerichts innehat. Dies hat zur Folge, dass der EuGH im Hinblick auf den Stufenbau der Rechtsordnung und die Methodik bedenkliche Entscheidungen gefällt hat. Es wird in der Rsp eine von Höpfner so zitierte „kombinierte Anwendung von Richtlinien und Primärrecht“ angewandt (so auch Danwitz, JZ 2007, 697 ff). Mit dieser Vorgehensweise kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass das Verbot der Diskriminierung als Grundsatz des Unionsrechts ein Recht ist, das der AN im Privatrechtsverkehr gegenüber seinem AG geltend machen kann (EuGH 17.4.2018, C-414/16, Egenberger, Rn 76). Ein methodisch fragwürdiger Schluss wurde auch in Entscheidungen durch diese Interpretationsmethode gefällt, welche zu Art 7 Abs 2 RL 2003/88/EG ergangen sind. Die relevante Bestimmung der RL sieht vor, dass der bezahlte Mindestjahresurlaub (vier Wochen) nicht ersatzweise finanziell abgegolten werden kann, es sei denn, das Arbeitsverhältnis wird beendet. Art 31 Abs 2 GRC bestimmt hingegen nur ein Recht auf bezahlten Jahresurlaub. In der Primärrechtsbestimmung ist weder ein Mindestumfang noch die Ausgestaltung für die Inanspruchnahme des Jahresurlaubs geregelt.

Der EuGH kam zu dem Ergebnis, dass sowohl die RL als auch Art 31 Abs 2 GRC dem Ausschluss des Abgeltungsanspruchs entgegensteht. Das Grundrecht hinsichtlich des bezahlten Jahresurlaubes muss der Entscheidung folgend weder durch das Unionsrecht noch durch das mitgliedstaatliche Recht konkretisiert werden (EuGH 6.11.2018, C-569/16 und C-570/16, Bauer und Willmeroth, Rn 85). Höpfner sieht dies kritisch, da Art 31 Abs 2 GRC keinen Mindestumfang des Jahresurlaubes festlegt. Zunächst überschritt der EuGH seine Kompetenzen und missachtete dabei grundlegende Prinzipien des europäischen Rechts, weil im Sekundärrecht nicht festgelegt ist, auf Basis welcher Bedingungen der Mindestjahresurlaub in Anspruch genommen werden kann. Dies richtet sich nämlich nach mitgliedstaatlichem Recht. Zusätzlich entfaltete eine durch Richter entwickelte Regelung zum Urlaubsrecht aufgrund der kombinierten Interpretation von RL und GRC unmittelbare Wirkung im Privatrechtsverkehr (siehe auch Wutte, EuZA 2019, 230 f). Diese kombinierte Auslegungsmethode wandte der EuGH auch in den Entscheidungen Max-Planck-Gesellschaft (EuGH 6.11.2018, C-684/16) und Kreuziger (EuGH 6.11.2018, C-619/16) an. Er ging dabei von einer unmittelbaren Wirkung der GRC im privaten Bereich aus (EuGH Rs 544Max-Planck-Gesellschaft Rn 76 ff). Grundsätzlich ist das Sekundärrecht (hier die RL 2003/88/EG) unter Berücksichtigung auf Art 31 Abs 2 GRC zu interpretieren, damit Grundrechtsverletzungen vermieden werden (Schubert in Franzen/Gallner/Oetker, EU ArbR3 [2020] Art 31 GRC Rn 26). Art 51 Abs 1 GRC sieht eine Verbindlichkeit der Grundrechte nur für Organe der Union und Mitgliedstaaten hinsichtlich der Durchführung des Unionsrechts vor. Eine direkte Grundrechtsbindung Privater ist umstritten (ablehnend etwa Hüpers/Reese in Meyer/Hölscheidt, Charta der Grundrechte der Europäischen Union5 [2019] Art 31 GRC Rn 38; nicht von vornherein ausschließend etwa Berka/Binder/Kneihs, Grundrechte2 [2019] 147; Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union7 [2020] Rn 179). Der EuGH ging in seiner jüngeren Rsp davon aus, dass Art 51 Abs 1 GRC keine Bestimmung darüber enthält, ob Privatpersonen zur Einhaltung einzelner Grundrechtsbestimmungen verpflichtet werden können. Er ging aber auch nicht von einem kategorischen Ausschluss dessen aus (EuGH Rs Max-Planck-Gesellschaft Rn 76 ff). Jedoch wird in dieser jüngeren Rsp nicht das sekundäre Unionsrecht primärrechtskonform ausgelegt, sondern das Primärrecht durch sekundärrechtliche Bestimmungen und Auslegungen dazu konkretisiert. Der Gerichtshof „transformiert“ dabei Rsp zum Richtlinienrecht auf die Primärrechtsebene. Nach Höpfner wird in einer solchen Vorgehensweise bewusst und gewollt die Begrenzung der Rechtswirkungen europäischer Richtlinien iSd Art 288 Abs 3 AEUV unterlaufen. Über die Konstruktion dieser Grundrechtskonkretisierung durch Richtlinieninhalte kommt es faktisch zu einer unmittelbaren Wirkung der Richtlinien auch im Privatrechtsverkehr (siehe auch GA Kokott, SchlA vom 6.5.2010, C-499/08, Andersen, Rn 22).

Das vorliegende Werk stellt die Entwicklungen im deutschen Arbeitsrecht im Jahr 2019 verständlich und übersichtlich dar. Die darin behandelten Themen sind auch in Österreich von praktischer Relevanz. Das Jahrbuch des Arbeitsrechts ist daher auch aus österreichischer Sicht empfehlens- und lesenswert, um einen tieferen Einblick in arbeitsrechtliche Problemstellungen und deren Lösungsansätze zu erlangen.