SchaupDie Umqualifizierung scheinselbständiger Beschäftigungen im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht

Manz Verlag, Wien 2021, XXX, 212 Seiten, broschiert, € 56,–

FLORIANMOSING (GRAZ)

Das vorliegende Werk beschäftigt sich mit der Umqualifizierung Scheinselbstständiger in der GSVG-Versicherung zu DN iSd § 4 Abs 4 ASVG. Es wird weder die Fehleinordnung als freier DN noch als Scheinunselbstständiger behandelt (S 4). Letztere soll keine praktische Relevanz haben (S 4). Diese Aussage hätte eine Begründung verdient. Gerade in Zeiten einer Pandemie und durch das Fortschreiten der Digitalisierung ist es mE durchaus denkbar, dass vermeintliche Dienstverhältnisse eigentlich freie Dienstverhältnisse oder Werkverträge (geworden) sind.

Die Monografie beschreitet nach eigenen Angaben Neuland, da die Probleme der Umqualifizierung noch nie in Hinblick auf den Zusammenhang und die Wechselwirkung von Arbeitsrecht und Sozialrecht betrachtet wurden (S 5). Eine Nachprüfung ergibt, dass dies tatsächlich der Fall ist. Zu hinterfragen ist aber die Aussage des Autors, die klassische Umqualifizierung von MitarbeiterInnen sei schon lange, sowohl in der Wissenschaft als auch in der Judikatur, ein Spannungsfeld (S 5). Leider fehlen an dieser Stelle Quellenangaben, die diese Ansicht belegen; noch besser wäre ein historischer Rückblick zur Einführung in das Thema gewesen. So bleibt unklar, welchen Zeitraum der Verfasser als lange wahrnimmt. Zumindest das Literaturverzeichnis (XIII ff) legt den Schluss nahe, dass in der Lehre das vorliegende Rechtsproblem erst beginnend mit den Zweitausenderjahren vermehrt aufgegriffen wurde. Ab diesem Zeitpunkt hat vor allem Kietaibl die Umqualifizierungsproblematik jedenfalls von ihrem wissenschaftlichen Schattendasein befreit und ist diesem Forschungsgebiet bis in die jüngere Zeit treu geblieben (Arbeitsvertragliche Rückabwicklung bei Verkennung der Arbeitnehmereigenschaft durch die Vertragsparteien, JBl 2004, 626; Sozialversicherungsrechtliche Rückabwicklung bei aufgedeckter Scheinselbstständigkeit, ZAS 2006, 169; Arbeitsvertragsrechtliche Rückabwicklung bei aufgedeckter Scheinselbstständigkeit, wbl 2006, 207; Rechtsfolgen bei Fehlqualifikation der Erwerbstätigkeit, in Kietaibl/Resch [Hrsg], Atypische Beschäftigungsformen [2017] 115; Beitragsrechtliche Fragen der Neuzuordnung von Versicherten, in FS Marhold [2020] 315). Insofern erscheint es äußerst passend, dass derselbe Zweitbegutachter der Dissertation war, die diesem Buch zugrunde liegt.

Bezüglich des Inhalts gibt schon die Einleitung genaue Auskunft über die Forschungsfragen, die in drei Abschnitte aufgegliedert sind (S 5):

  1. Welche Rechtsfolgen zieht die Umqualifizierung im Arbeitsrecht nach sich?

  2. Wie wirkt sich die Umqualifizierung im Sozialrecht aus?

  3. Inwieweit hat das Verhältnis von Arbeitsrecht und Sozialrecht im Bezug zur Scheinselbstständigkeit Einfluss auf die Rechtsfolgen der Umqualifizierung von Selbstständigen zu DN?

Im arbeitsrechtlichen Abschnitt (S 6 ff) wird zunächst der Arbeitsvertrag von anderen Vertragstypen abgegrenzt. Das zentrale Problem des Entgelts in Umqualifizierungsfällen liegt in der Frage, welches Entgelt der AG dem AN aufgrund des nun vorliegenden Arbeitsvertrags schuldet, da die Vertragsparteien vom Nichtvorliegen eines Dienstverhältnisses ausgegangen sind. Deswegen wird oftmals ein höheres Entgelt als das kollektivvertragliche Mindestentgelt vereinbart, weil der AG fälschlicherweise davon ausgeht, dass die relativ zwingenden Ansprüche des Arbeitsrechts (zB Urlaub, Entgeltfortzahlung im Krankenstand, Sonderzahlungen; vgl hierzu S 14 ff) nicht zur Anwendung gelangen. Werden diese im Nachhinein vom AN eingefordert, ist zu untersuchen, ob der AG eine rückwirkende Anpassung des Entgelts nach unten verlangen kann. Wie Schaup richtig anmerkt, wird diese oftmals zusätzlich durch die Anordnung des § 2g AVRAG begrenzt sein, weil das Grundgehalt oder der Grundlohn in der ursprünglichen Vereinbarung nicht gesondert ausgewiesen war (S 52 ff). Es folgt eine äußerst weitreichende und 545 wissenschaftliche einwandfreie Untersuchung dahingehend, ob das Zivilrecht Korrekturmöglichkeiten zugunsten des AG zur Verfügung stellt (S 22 ff). Im Ergebnis wird die Möglichkeit einer nachträglichen (teilweisen) Entgeltanpassung nach unten nahezu immer verneint. Lediglich im Falle der arglistigen Täuschung durch den AN soll der AG den Vertrag ex tunc anfechten können und bei Arglist des AN soll der Einwand des Rechtsmissbrauchs zulässig sein (S 116).

Für den „früheren Auftraggeber“ und nunmehrigen AG stellt sich daher die Frage, ob eine Umqualifizierungsklausel (insb S 46 ff) – das Entgelt wird nur unter der Bedingung gewährt, dass eine selbstständige Tätigkeit vorliegt – oder eine Verfallsklausel (S 69 ff) das finanzielle Risiko einer Umqualifizierung beseitigen bzw reduzieren kann. Eine Umqualifizierungsklausel soll nach Ansicht des Autors zumeist unvorhersehbar oder sittenwidrig iSv § 879 ABGB sein. Bezüglich des Verfalls wird die von der höchstgerichtlichen Rsp nicht geteilte Meinung einer Unverfallbarkeit (relativ) zwingender arbeitsrechtlicher Ansprüche vertreten (S 93). Unabhängig davon soll der Einwand des Verfalls auch gegen Treu und Glauben verstoßen; nämlich dann, wenn der AG seinen gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Pflichten nicht nachgekommen ist (zB Aushändigen eines Dienstzettels) (S 94).

Der sozialversicherungsrechtliche Teil beginnt mit einem Überblick über die gesetzlichen Versicherungstatbestände (S 119 ff), an welchen die Verfahrensarten des Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetzes (SV-ZG) anschließen (S 134 ff). Nachdem die Beitragsgrundlage geklärt ist (S 143 ff), folgt eine kritische Auseinandersetzung mit § 41 Abs 3 GSVG, weil die GSVGBeiträge nicht nur auf die DN-, sondern auch auf die DG-Beiträge des ASVG angerechnet werden. Zu Recht wird schlussendlich der abschließende Charakter der Gesetzesstelle bejaht, ein Rückforderungsrecht des DN daher ausgeschlossen (S 152 f). Dadurch entstehen aber verfassungsrechtliche Bedenken, die nach Ansicht Schaups durch eine Verfassungswidrigkeit bestätigt werden, die ua in einer Verletzung des Gleichheitssatzes und des Sachlichkeitsgebots liegt (S 155 ff). Den Abschluss des Kapitels (S 164 ff) bilden dann noch insb der zeitliche Umfang der ASVG-Beitragsschuld, verrechnungstechnische Fragestellungen und Ersatzansprüche der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS) gegenüber der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK).

Der letzte Teil untersucht Wechselwirkungen zwischen Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht iZm der Umqualifizierung (S 186 ff). Er kommt zum Ergebnis, dass sich für die arbeitsrechtlichen Rechtsfolgen aufgedeckter Scheinselbstständigkeit de lege lata keine Neuerungen aufgrund bestehender sozialversicherungsrechtlicher Bestimmungen, Gedanken oder Prinzipien ergeben. Selbiges gelte vice versa für das Sozialversicherungsrecht (S 202).

Nach vollständiger Lektüre des Werkes lässt sich kaum Anlass für zusätzliche Kritik finden. Vereinzelt wurde auf Fußnoten verzichtet (zB analoge Anwendung von Bestimmungen des Dienstvertrages – S 11; Zweck des Urlaubs – S 19; Grundkonsens in der Lehre – S 23; Kritik an der fehlenden Bescheidpflicht – S 134) und teilweise wäre mE eine zusätzliche rechtliche Begründung angebracht gewesen (zB warum hält die Abgeltungsvereinbarung einem Günstigkeitsvergleich nicht stand – S 65 f; warum kann eine Kündigungsentschädigung mit einer Überzahlung nicht gegenverrechnet werden – S 68; warum schadet eine zivilrechtliche Verjährung/ ein zivilrechtlicher Verfall nicht einer Zurechnung zur Beitragsgrundlage – S 144). Diese Umstände trüben aber das Lesevergnügen nicht. Dieses liegt auch darin begründet, dass sich der Autor einer äußerst klaren Sprache bedient, Rechtsstandpunkte minutiös abwägt und dadurch immer zu einer rechtlich vertretbaren und nachvollziehbaren Lösung kommt. Insgesamt handelt es sich daher um ein äußerst informatives Werk, das die Umqualifizierung einer abschließenden Behandlung zuführt und damit gleichzeitig eine Literaturlücke in der österreichischen Arbeits- und Sozialrechtswissenschaft schließt.