Reissner/Burger (Hrsg)Innsbrucker Jahrbuch zum Arbeitsrecht und Sozialrecht 2020

Linde Verlag, Wien 2020, 256 Seiten, kartoniert, € 52,–

DENISEPOSCH (GRAZ)

Die Ergebnisse der Anfang März 2020 im Rahmen der „Innsbrucker Jahrestagung zum Arbeitsrecht und Sozialrecht“ gehaltenen Vorträge wurden auch dieses Jahr in dem von Univ.-Prof. Mag. Dr. Gert-Peter Reissner und Assoz. Prof. PD Mag. Dr. Florian G. Burger herausgegebenen Tagungsband publiziert.

Das Buch gliedert sich in einen arbeitsrechtlichen und einen sozialrechtlichen Teil, welche jeweils mit einem Beitrag eingeleitet werden, der die aktuelle, von den Autoren als besonders relevant erachtete Judikatur zu den Rechtsgebieten darstellt. Die vom OGH in Arbeitsrechtssachen ergangenen Entscheidungen werden von Prof. Dr. Anton Spenling, ehemaliger Vizepräsident des Höchstgerichts, auf systematische, nach Themenbereichen geordnete Weise wiedergegeben. Der höchstgerichtlichen Judikatur in Sozialrechtssachen hat sich Mag. Jörg Ziegelbauer angenommen, welcher als Hofrat am OGH amtiert.

Im Anschluss an die allgemeine Darstellung der Judikatur folgen Beiträge von AutorInnen, die sich jeweils mit einem Spezialthema befassen. Mag. Dr. Katharina Körber-Risak widmet sich in ihrem Beitrag zu den arbeits- und sozialrechtlichen Problemen des Home-Office einem Thema, das vor allem durch die Covid-19-Pandemie eine immense Bedeutungssteigerung erlangt hat. Der Gesetzgeber musste rasch agieren und es ist daher nur nachvollziehbar, dass der Beitrag angesichts dieser Schnelllebigkeit in mancher Hinsicht ergänzt bzw revidiert werden muss. Wie inzwischen bekannt ist, wurde mit § 2h AVRAG eine ausdrückliche Definition des Home-Office-Begriffs eingeführt, ebenso wie es nunmehr einen gesonderten Ermächtigungstatbestand für die BV hinsichtlich der Festlegung von Rahmenbedingungen für Home-Office gibt (§ 97 Abs 1 Z 27 ArbVG). Die dahingehenden Erläuterungen müssen also vor dem Hintergrund der Neuregelungen betrachtet werden. Vor allem die Ausführungen zu arbeitszeitrechtlichen Thematiken sowie dem Aspekt der Kontrolle der im Home-Office arbeitenden AN 546 durch den AG und Probleme im Zusammenhang mit Datenschutz im Home-Office verlieren allerdings nicht an Aktualität, da es dahingehend zu keinen neuen Regelungen seit Erscheinen des Beitrages kam. Der Beitrag bietet insgesamt also eine sehr übersichtliche und gut gegliederte Rundschau der zentralen Themenbereiche des Home-Office.

Der direkt darauffolgende Beitrag von Mag. Dr. Peter Wallnöfer fügt sich inhaltlich perfekt ins Bild, da der Autor „Aktuelle Aspekte des Arbeitszeitrechts“ erörtert und sich so nach der Lektüre des Home-Office-Beitrages etwaig aufkeimende Detailfragen hinsichtlich Arbeits- und Rufbereitschaft, Wegzeiten und Arbeitszeiterfassung umgehend klären. Die Aufbereitung ist gut nachvollziehbar, zunächst werden zentrale Begriffe samt dahinterstehenden Rechtsquellen prägnant erläutert, um infolge sowohl Rsp des EuGH als auch der nationalen Höchstgerichte wiederzugeben. Als besonders spannend erweisen sich die Ausführungen und Gedanken zu den Regelungen des Vertragsbedienstetenrechts des Landes Tirol, die eine gesetzlich normierte Verpflichtung zu Rufbereitschaft vorsehen. Der Autor erkennt in der vorausgesetzten jederzeitigen Erreichbarkeit vielmehr eine Verpflichtung zur Arbeitsbereitschaft (die sohin als Arbeitszeit zu werten wäre).

Mag. Dr. Andreas Mair widmet sich in weiterer Folge zentralen Entscheidungen des europäischen Höchstgerichts im Bereich des Antidiskriminierungsrechts. Die durch den Autor aufbereiteten Urteile behandeln Sachverhalte, in denen eine Diskriminierung aufgrund von behinderungsgleichen Krankheiten oder Religionsangehörigkeit vorlag. Dabei wird auch das allseits bekannte „Karfreitags-Urteil“ behandelt. Weiters bietet der Beitrag eine leicht verständliche Erklärung des Viktimisierungsverbots (also jenes Verbot, solche AN, die diskriminierten KollegInnen helfen bzw unterstützen wollen, zu benachteiligen) in Zusammenhang mit der aktuellen europäischen Rsp in diesem Kontext.

Der arbeitsrechtliche Block wird durch einen Beitrag von Mag. Dr. Johanna Naderhirn geschlossen, der von hoher praktischer Relevanz ist. Die Autorin beschäftigt sich mit ausgewählten Aspekten der Personalplanung und der Einstellung von AN. Dabei werden neben dem in diesem Zusammenhang besonders brisanten Thema Schwangerschaft noch weitere zentrale und alltägliche Fragestellungen erörtert: Darf nach abgeleisteten Präsenz-/Zivildienstzeiten gefragt werden? Gibt es eine Offenbarungspflicht für den vorbestraften AN und inwieweit müssen eine etwaige Eigenschaft als begünstigt Behinderter oder allfällige Krankheiten preisgegeben werden? Die Aufarbeitung dieser Themenbereiche erfolgt sehr systematisch und aufschlussreich, es wird stets die Rechtsprechungslinie aufgezeigt und anschließend die verschiedenen Lehrmeinungen detailliert dargestellt. Als ebenso gelungen erweist sich der zweite Teil des Beitrags, welcher vom personellen Informationsrecht iSd § 98 ArbVG handelt.

Im sozialrechtlichen Teil des Jahrbuches nimmt sich Dr. Gerhard Kohlegger, Richter des OLG Innsbruck, dem Berufungsverfahren in Sozialrechtssachen an und beschreibt auf anschauliche Art und Weise den Verfahrensablauf sowie die wesentlichen Rechtsmittelbeschränkungen, Zuständigkeiten und erläutert die amtswegige Ermittlung von kollektivvertraglichen Normen. Besonders positiv hervorzuheben sind die zahlreichen Praxistipps und greifbaren Beispiele aus der Rsp, die den Beitrag deutlich und wohl auch für den „juristischen Laien“ extrem nützlich machen.

Die letzten beiden Beiträge lassen sich unter dem Schlagwort „Pflegegeld“ zusammenfassen: Dr. Werner Engers, Richter des OLG Innsbruck, beschäftigt sich ausgehend von einem vor dem OLG Innsbruck geführten Berufungsverfahren mit der Frage, wann eine Gewährung von Pflegegeld der Stufe 7 bei demenziellen Erkrankungen rechtens ist. Dabei zeigt er auf, dass in derartigen Prozessen auch die formalrechtlichen Gesichtspunkte nicht außer Acht gelassen werden dürfen (wie oft in so gelagerten Fällen: Probleme der Vertretungsverhältnisse) und erläutert, welche körperlichen und geistigen Zustände bei demenzkranken Menschen einen Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 7 begründen.

Dr. Clemens Hofmann, Richter des LG Innsbruck, leitet seinen Beitrag mit dem aussagekräftigen Kapitel „Krankheit kennt keine Grenzen“ ein und den LeserInnen wird infolgedessen eine aufschlussreiche Übersicht zum Pflegegeld bei Auslandsbezug aufbereitet. Der Autor teilt die anspruchsberechtigten Personen in drei große Fallgruppen und erörtert – wann immer angebracht – auch den unionsrechtlichen Konnex. Eine ausgezeichnete Darstellung einer komplexen Materie.

Wie sich sohin unschwer erkennen lässt, ist es abermals gelungen, mit dem Innsbrucker Jahrbuch zum Arbeitsrecht und Sozialrecht 2020 eine Sammlung von herausragenden Fachbeiträgen zu bieten. Die gewählten Themenbereiche sind aktuell und von großer praktischer Relevanz. Jeder einzelne Beitrag besticht durch Übersichtlichkeit und fachliche Expertise, eine Bereicherung für Lehre und Praxis! 547