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Zur Möglichkeit des Ausschlusses von aufenthaltsberechtigten UnionsbürgerInnen vom Bezug der Ausgleichszulage

JOHANNESPEYRL (WIEN)
  1. § 292 Abs 1 ASVG ist dahin auszulegen, dass auch der nach § 51 Abs 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) (Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL) rechtmäßige Aufenthalt dann nicht zu einem Anspruch auf Ausgleichszulage führt, wenn die ausreichenden Existenzmittel aus familieninternen Zuwendungen stammen.

  2. Ein Daueraufenthaltsrecht bereits vor fünfjähriger Niederlassung bei Aufgabe der Erwerbstätigkeit aufgrund dauernder Arbeitsunfähigkeit gem Art 17 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL setzt voraus, dass die nunmehr aufgegebene Erwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat ausgeübt wurde.

[1] Der Kl ist 1939 geboren, er ist deutscher Staatsbürger. Gegenstand des Verfahrens ist das Vorliegen eines rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts des Kl im Inland iSd § 292 Abs 1 ASVG zur Beurteilung seines Anspruchs auf Ausgleichszulage ab dem 1.8.2018.

[2] Der Kl wurde im Jahr 2000 von seiner damaligen Ehegattin geschieden. Zu diesem Zeitpunkt lebte er in R* in Deutschland und betrieb dort ein Unternehmen, das er auch nach der Scheidung weiterführte. Seit dem Jahr 1999 verbrachte er die Wochenenden bei seiner Lebensgefährtin in Innsbruck. Unter der Woche hielt er sich in Deutschland oder auf Geschäftsreisen in anderen Staaten Europas auf. Er war stets und ist nach wie vor bei einem deutschen Versicherer krankenversichert. [...]

[4] Im Jahr 2013 meldete der Kl an der Adresse seiner Lebensgefährtin in Innsbruck einen Nebenwohnsitz an. Seinen Hauptwohnsitz hatte er zu diesem Zeitpunkt weiterhin in R* in Deutschland, wo er zunächst bis 1.1.2014 gemeldet war. 2014 wollte der Kl sein Unternehmen nach Innsbruck verlegen, führte dieses Vorhaben aber wegen der damit verbundenen Schwierigkeiten nicht durch und „verlegte“ seinen Wohnsitz wieder nach R*. Bis 2014 lukrierte er aus seiner selbständigen Tätigkeit ein Einkommen, das es ihm erlaubte, die Hälfte der Kosten des gemeinsamen Haushalts mit seiner Lebensgefährtin zu tragen. [...]

[6] Im Jahr 2015 zog er dauerhaft zu seiner Lebensgefährtin nach Innsbruck. Bis zu diesem Zeitpunkt lag der Mittelpunkt seiner Lebensinte ressen in Deutschland. Am 3.2.2015 änderte er die Meldung seines Nebenwohnsitzes in Innsbruck in einen Hauptwohnsitz. Am selben Tag wurde ihm vom Stadtmagistrat Innsbruck eine „Anmeldebescheinigung für EWR-Bürger/-innen und Schweizer Bürger/-innen“ ausgestellt, in der der Grund des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts mit „sonstige Angelegenheit (§ 51 Abs 1 Z 2 NAG)“ angegeben ist.

[7] Im März 2017 erlitt die Lebensgefährtin des Kl einen Schlaganfall und zog in ein Pflegeheim. Der Kl erlitt wenige Wochen später einen Nervenzusammenbruch und gab aus gesundheitlichen Gründen das Autofahren auf. Damit war er nicht mehr in der Lage, sein Unternehmen zu betreiben. Am 24.8.2017 meldete er bei der Gemeinde B* in Deutschland sein Gewerbe ab; als Datum der Betriebsaufgabe führte er den 31.12.2016 an.

[8] Der Kl lebt nach wie vor in der Eigentumswohnung seiner Lebensgefährtin. Diese hat ihm gegen eine Einmalzahlung ein lebenslanges Wohnrecht eingeräumt. Der Kl trägt die laufenden Betriebs- und Heizkosten von 195 € monatlich sowie die Stromkosten von rund 63 € monatlich. Seit Juli 2018 werden diese Ausgaben – sowie weitere im Einzelnen festgestellte Kosten – von seiner Tochter getragen. Der Kl bezahlt für das auswärts eingenommene Mittagessen täglich 8 €.

[9] Seit 1.1.2017 lebt er ausschließlich von seiner Rente der Deutschen Rentenversicherung. Die Höhe der Rente betrug (im Jahr 2018) 641,13 € monatlich. Weiters bezieht er ein deutsches Pflegegeld von rund 300 € monatlich. Seit dem Jahr 2019 unterstützt ihn sein Sohn monatlich mit 300 €. Der Kl verfügt weder über Ersparnisse noch über sonstige Vermögenswerte.

[10] Mit Bescheid vom 3.10.2018 lehnte die Bekl die Gewährung der Ausgleichszulage ab.

[11] Mit seiner Klage begehrt der Kl die Zahlung der Ausgleichszulage ab dem 1.8.2018. [...]

[13] Das Erstgericht wies die Klage ab. [...]

[15] Das Berufungsgericht änderte das Urteil im klagestattgebenden Sinn ab und verpflichtete die Bekl, dem Kl eine monatliche Ausgleichszulage von 265,29 € ab 1.8.2018 bis zum 31.12.2018 und von 291,93 € ab 1.1.2019 zu zahlen [...].

[16] Rechtlich erörterte es, der Kl sei bis 31.12.2016 selbständig tätig gewesen, sodass Art 17 Abs 1 lit b iVm „Art 17 Abs 1 vorletzter Unterabsatz“ der Unionsbürger-RL anzuwenden sei. Daraus ergebe sich ein Recht auf Daueraufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat vor Ablauf eines ununterbrochenen Aufenthalts von fünf Jahren für – auch – Selbständige, die sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgegeben hätten. Dabei gälten die Zeiten einer in einem anderen Mitgliedstaat ausgeübten Erwerbstätigkeit als im Aufnahmemitgliedstaat geleistet. Der Kl habe ein Daueraufenthaltsrecht nach dieser Bestimmung erworben. [...]

[18] Darüber hinaus treffe die E des Erstgerichts auch unter dem Aspekt eines „fehlenden fünfjährigen Daueraufenthalts“ nicht zu, weil nach der E des EuGH in der Rs Dano eine individuelle Prüfung der wirtschaftlichen Situation des Unionsbürgers jedenfalls zulässig sei. Hier liege keine Armutszuwanderung vor, weil der Kl bis 31.12.2016 über ein Einkommen aus seinem Unternehmen in Deutschland verfügt habe, ein lebenslanges Wohnrecht an der Wohnung seiner Lebensgefährtin habe, bis zu ihrer Übersiedlung in ein Heim nur die Hälfte der laufenden Wohnkosten tragen habe müssen und seit dem Jahr 2019 von seinem Sohn 496 finanziell unterstützt werde. Selbst ohne sein deutsches Pflegegeld habe der Kl ein ausreichendes Einkommen.

[19] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Bekl [...].

[21] Die Revision ist aus dem von der Revisionswerberin angeführten Grund zulässig, sie ist auch berechtigt.

[...]

[26] 3. Das Berufungsgericht bejahte die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Kl einerseits unter der Annahme, er sei zum Zeitpunkt seines Zuzugs noch wirtschaftlich aktiv gewesen (gem Art 17 Abs 1 Unionsbürger-RL), andererseits auch unter der Annahme, er sei als wirtschaftlich inaktiver Unionsbürger zu betrachten (nach Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL). Die Revisionswerberin wendet sich gegen beide Begründungen.

[27] 4. Zu Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL [...]

[29] 4.2. Beginnend mit der E in der Rs Dano (C-333/13, ECLI:EU:C:2014:2358) räumte der EuGH dem Aufnahmemitgliedstaat die Möglichkeit ein, im Rahmen der Prüfung des Sozialleistungsanspruchs die Erfüllung der Voraussetzungen der Unionsbürger-RL zu prüfen und auf ihrer Grundlage den Sozialleistungsanspruch zu versagen, ohne dass es einer vorherigen Beendigung des Aufenthalts bedürfte (RS0129251 [T2]; insofern anders noch 10 ObS 152/13w). [...]

[30] In der darauffolgenden E in der Rs C-67/14, Alimanovic, ging der EuGH noch einen Schritt weiter [...].

[31] Diese Linie wird im Urteil in der Rs C-299/14, García-Nieto ua(ECLI:EU:C:2016:114, Rz 47), explizit bestätigt. [...]

[32] 4.3. Im Ergebnis bedeutet das, dass Unionsbürger, die nicht erwerbstätig sind und nur zum Zweck eines Sozialleistungsbezugs mobil sind, auf der Grundlage von Unionsrecht keine Ansprüche auf Sozialleistungen wie die Ausgleichszulage geltend machen können (10 ObS 73/19m; 10 ObS 107/18k SSV-NF 33/9; 10 ObS 106/18p SSV-NF 32/64; 10 ObS 160/17b SSV-NF 32/12; 10 ObS 53/16s ua) [...].

[35] Der Kl verfügte ab 1.8.2018 über seine gesetzliche Rente von 641,13 €; dazu kommen die Unterstützungsleistungen seiner Tochter und – ab dem Jahr 2019 – auch seines Sohns, sowie ein Pflegegeld aus der deutschen Pflegeversicherung.

[36] Der OGH hat bereits klargestellt, dass das Pflegegeld nach dem BPGG im Hinblick auf Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL nicht zur Erhöhung des Einkommens dient, sondern ausschließlich dazu beitragen soll, Pflegeleistungen „einkaufen“ zu können. Es stellt daher kein Einkommen zur Abdeckung allgemeiner Lebenserhaltungskosten dar (10 ObS 106/18p SSV-NF 32/64 mwN). [...]

[38] 4.6. Das gleiche gilt für die von den Kindern des Kl erbrachten Unterstützungsleistungen. Auch wenn von einem Dritten stammende Mittel zum Lebensunterhalt für die aufenthaltsrechtliche Beurteilung anzuerkennen sind (vgl dazu Abermann in Abermann/Czech/Kind/Peyrl, NAG2 [2019] § 51 Rz 13 mwN), sind sie hier nicht geeignet, einen Anspruch auf Ausgleichszulage zu begründen.

[39] Dies hat der OGH im Hinblick auf die Bestimmung des § 52 Abs 1 Z 3 NAG, die das Aufenthaltsrecht des Angehörigen eines EWR-Bürgers davon abhängig macht, dass diesem familienintern Unterhalt gewährt wird, klargestellt:

[40] Würde eine von den Unterhaltszuwendungen abgeleitete Rechtmäßigkeit des Aufenthalts in Österreich zu einem Ausgleichszulagenanspruch führen, käme es zu einem „Unionsbürgerschaft als Münchhausen“-Effekt (Rebhahn, Der Einfluss der Unionsbürgerschaft auf den Zugang zu Sozialleistungen – insb zur Ausgleichszulage [EuGH-Urteil Brey], wbl 2013, 605 [611]): Die innerfamiliären Zuwendungen, die staatliche Unterstützung entbehrlich machen, machen den Aufenthalt rechtmäßig, woraus sich dann der Anspruch auf eben diese staatlichen Unterstützungsleistungen ergäbe (10 ObS 31/16f SSV-NF 30/45).

[41] Um ein solches Ergebnis zu vermeiden, gleichzeitig aber die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht zu tangieren, ist § 292 Abs 1 ASVG im Lichte des § 52 Abs 1 Z 3 NAG dahin auszulegen, dass der durch § 52 Abs 1 Z 3 NAG rechtmäßige Aufenthalt nicht zu einem Anspruch auf Ausgleichszulage führt, weil die Kosten des Aufenthalts in Österreich in den ersten fünf Jahren nicht von staatlicher Seite, sondern über den familieninternen Unterhalt finanziert werden sollen (10 ObS 31/16f).

[42] Die selben Wertungen kommen auch in einem Fall wie dem vorliegenden zum Tragen, in dem durch das Abstellen auf ausreichende Existenzmittel gem § 51 Abs 1 Z 2 NAG – sei es aus dem eigenen Einkommen oder Vermögen des Betroffenen, sei es aus Zuwendungen Dritter – ebenfalls die Unabhängigkeit des Betroffenen von staatlichen Zuwendungen während der ersten fünf Jahre seines Aufenthalts sichergestellt werden soll.

[43] Das bedeutet im Ergebnis, dass § 292 Abs 1 ASVG dahin auszulegen ist, dass auch der nach § 51 Abs 1 Z 2 NAG (Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL) rechtmäßige Aufenthalt dann nicht zu einem Anspruch auf Ausgleichszulage führt, wenn die ausreichenden Existenzmittel – wie im vorliegenden Fall – aus familieninternen Zuwendungen stammen.

[44] 4.7. Lässt man das vom Kl bezogene Pflegegeld und die Zuwendungen seiner Kinder außer Betracht, liegen ausreichende Existenzmittel weder zum 1.8.2018 noch danach vor.

[45] Auch wenn dafür kein fester Betrag angesetzt werden kann (vgl Art 8 Abs 4 Unionsbürger-RL), gibt es objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen ausreichender Existenzmittel: So wird in der Literatur vertreten, solche Mittel seien jedenfalls dann ausreichend, wenn sie über der im Aufnahmemitgliedstaat geltenden Sozialhilfegrenze – in Österreich: der Höhe der bedarfsorientierten Mindestsicherung – liegen (Abermann in Abermann/Czech/Kind/Peyrl, NAG2 § 51 Rz 13) [...].

[52] [...] Auch die Betrachtung des konkreten Einzelfalls ergibt daher, dass das Pensionseinkommen des Kl ohne staatliche Sozialhilfeleistungen zur Deckung seiner Lebenshaltungskosten nicht ausreicht.

[53] 4.9. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Kl als nicht aktiver Unionsbürger einen 497 Anspruch auf Ausgleichszulage nach § 292 Abs 1 ASVG habe, weil er aufgrund familieninterner Zuwendungen über ausreichende Existenzmittel iSd Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL (§ 51 Abs 1 Z 2 NAG) verfüge, trifft daher nicht zu.

[54] 5. Zu Art 17 Abs 1 Unionsbürger-RL

[55] 5.1. Art 17 Abs 1 der Unionsbürger-RL gewährt wirtschaftlich aktiven Unionsbürgern abweichend von Art 16 der RL vor Ablauf eines ununterbrochenen Aufenthalts von fünf Jahren das Recht auf Daueraufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat. [...]

[57] 5.3. Das Berufungsgericht stützte seine Beurteilung, der Kl habe ein Recht auf Daueraufenthalt nach Art 17 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL erworben, auf die zentrale Erwägung, seine in Deutschland ausgeübte Erwerbstätigkeit gelte nach „Art 17 Abs 1 vorletzter Unterabsatz“ als im Aufnahmemitgliedstaat – also in Österreich – ausgeübt. [...]

[60] Die Fallgruppen des Art 17 Abs 1 Unionsbürger-RL privilegieren wirtschaftlich aktive Unionsbürger, die aus bestimmten Gründen aus dem Erwerbsleben ausscheiden (lit a und b) oder ihre Erwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat beenden (lit c), im Hinblick auf den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat.

[61] [...] Im vorliegenden Fall ist entscheidend, ob diese Erwerbstätigkeit auch im Fall des Art 17 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL im Aufnahmemitgliedstaat ausgeübt werden muss. [...]

[65] Hinsichtlich des Tatbestands des Art 17 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL ergibt sich das Erfordernis, dass der Unionsbürger auch seine Erwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat ausgeübt haben muss, nicht aus dem Wortlaut allein, sondern erst aus der systematischen Auslegung. Der Wortlaut der deutschsprachigen Fassung der Bestimmung enthält nämlich keine ausdrückliche Einschränkung der Ausübung der Erwerbstätigkeit des Unionsbürgers auf den Aufnahmemitgliedstaat. Dies gilt etwa auch für die italienische Sprachfassung [...].

[66] Hingegen ergibt sich etwa aus der englischen [...] und der französischen Sprachfassung [...] des Art 17 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL das Erfordernis der Aufgabe einer im Aufnahmemitgliedstaat ausgeübten Erwerbstätigkeit. [...]

[67] Aus der Systematik des Art 17 Abs 1 Unionsbürger-RL folgt allerdings eindeutig, dass der Tatbestand der lit b unabhängig von seiner Formulierung in den unterschiedlichen Sprachfassungen jedenfalls voraussetzt, dass die Erwerbstätigkeit, die auf die gesetzlich bevorzugte Weise beendet wird, im Aufnahmemitgliedstaat ausgeübt wurde. [...]

[70] Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass auch der Tatbestand des Art 17 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL (ebenso wie dessen lit a) die Aufgabe einer im Aufnahmemitgliedstaat – und nicht in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union – ausgeübten Erwerbstätigkeit erfordert. [...]

[75] 5.7. Im Ergebnis erfüllt der Kl daher ab 1.8.2018 nicht die Voraussetzungen eines Rechts auf Daueraufenthalt nach Art 17 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL.

[76] 6. Da die Voraussetzungen des § 292 Abs 1 ASVG nicht vorliegen, erweist sich die außerordentliche Revision der Bekl als berechtigt. Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist im klageabweisenden Sinn abzuändern. [...]

ANMERKUNG
1.
Einleitung

Auch im schon wieder auslaufenden Jahr 2021 gibt es eine Fortsetzung der Serie von Urteilen zum Anspruch auf Ausgleichszulage in Zusammenhang mit (Nicht-)Vorliegen eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts. Wie die meisten höchstgerichtlichen Verfahren in jüngerer Vergangenheit endet auch dieses mit der inhaltlichen Abweisung des Anspruchs. Anders als in den vorangegangenen Verfahren sind aber in diesem Fall die Ableitungen jedenfalls nicht in allen Punkten nachvollziehbar und es stellt sich zudem die Frage, ob sich der OGH noch auf gesichertem europarechtlichen Terrain bewegt – eine Frage, die letztlich mit Nein beantwortet werden muss. Im Wesentlichen waren zwei Themenkreise strittig: Zum einen, ob der Kl aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht verfügt, das zum Bezug einer Ausgleichszulage berechtigt (siehe dazu Pkt 2), und zum anderen, ob er bereits ein Daueraufenthaltsrecht erworben hatte, da in diesem Fall jedenfalls eine Ausgleichszulage zugestanden wäre (siehe dazu Pkt 3).

2.
Anspruch auf Ausgleichszulage bei vorliegendem Aufenthaltsrecht gem Art 7 Abs 1 lit b RL 2004/38

Der Kl verfügt über eine eigene deutsche Pension von etwa € 640,– pro Monat, bezieht weiters deutsches Pflegegeld und erhält Zuwendungen von seinen beiden Kindern. Es ist unstrittig, dass er – rechnet man alle verfügbaren Unterhaltsmittel zusammen – seinen Lebensunterhalt damit bestreiten kann, zumal seine Wohnkosten sehr niedrig sind, da er ein Wohnrecht in der Wohnung seiner Lebensgefährtin hat und nur Betriebskosten tragen muss (Rn 8, 9 und 35).

Die zentrale Frage dieses Falls ist, ob der Kl über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht verfügt und falls ja, ob er mit diesem einen Anspruch auf Ausgleichszulage hat. Gem Art 7 Abs 1 lit b RL 2004/38/EG (sowie dessen unbedenkliche Umsetzung in § 51 Abs 1 Z 2 NAG) haben UnionsbürgerInnen, die nicht erwerbstätig sind, nur dann ein Aufenthaltsrecht, wenn sie über ausreichende Existenzmittel verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen.

Der OGH bestreitet explizit nicht, dass der Kl über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht verfügt (vgl Rn 38: „Auch wenn von einem Dritten stammende Mittel zum Lebensunterhalt für die aufenthaltsrechtliche Beurteilung anzuerkennen sind [...]“), 498 ist aber der Auffassung, dass dieses unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht geeignet ist, einen Anspruch auf Ausgleichszulage zu begründen.

Es ist auch zutreffend, dass ein Aufenthaltsrecht gem Art 7 Abs 1 lit b RL 2004/38/EG vorliegt, da, wie der OGH richtigerweise ausführt, die Mittelherkunft nicht relevant ist und daher auch von Dritten stammen könnte (EuGH 23.3.2006, C-408/03, KOM/Belgien, ECLI:EU:C:2006:192; VwGH 12.12.2017, Ra 2015/22/0149 mit Verweis auf EuGH 19.10.2004, C-200/02, Zhu und Chen, ECLI:EU:C:2004:639).

Der OGH geht nun davon aus, dass trotz des Vorliegens eines Aufenthaltsrechts kein Anspruch auf Ausgleichszulage gegeben sein soll und begründet dies damit, dass es sonst zu einem „Münchhausen- Effekt“ kommen würde: Die innerfamiliären Zuwendungen, die staatliche Unterstützung entbehrlich machen, machen den Aufenthalt rechtmäßig, woraus sich dann der Anspruch auf eben diese staatlichen Unterstützungsleistungen ergäbe (Rn 40). Der Gerichtshof führt selbst die mittlerweile sattsam bekannten EuGH-Urteile in den Rechtssachen Dano (EuGH 11.11.2014, C-333/13, ECLI:EU:C:2014:2358) Alimanovic (EuGH 15.9.2015, C-67/14, ECLI:EU:C:2015:597) bzw García-Nieto ua (EuGH 25.2.2016, C-299/14, ECLI:EU:C:2016:114) an und schließt aus diesen Judikaten, dass nicht erwerbstätige UnionsbürgerInnen, die nur zum Zweck eines Sozialleistungsbezugs mobil sind, auf der Grundlage von Unionsrecht keine Ansprüche auf Sozialleistungen wie die Ausgleichszulage geltend machen können (siehe Rn 29 ff zum Verweis auf Vorjudikatur des OGH). In dieser Allgemeinheit lassen sich diese Urteile aber zur Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts nicht zusammenfassen: Der EuGH hat zwar (explizit in den Rechtssachen Dano und Alimanovic) einen Anspruch auf Leistungen, die im Lichte der RL 2004/38/EG als Sozialhilfeleistungen zählen, verneint, wenn kein Aufenthaltsrecht gem Art 7 RL 2004/38/EG vorliegt und daher gem Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, Sozialhilfeleistungen zu gewähren (ähnlich Rs García-Nieto ua, in dem nur ein Aufenthaltsrecht gem Art 6 RL 2004/38/ EG vorlag, das ebenfalls sekundärrechtlich nicht zu einem Sozialhilfebezug berechtigt). Liegt aber ein Aufenthaltsrecht gem Art 7 RL 2004/38/EG vor, greift das Gleichbehandlungsgebot des Art 24 Abs 1 RL 2004/38, das primärrechtlich durch Art 18 AEUV abgesichert ist. Anders ausgedrückt: Liegt ein Aufenthaltsrecht vor, bei dem nicht explizit der Anspruch auf Gleichbehandlung bei Sozialhilfebezug ausgeschlossen wird, dürfen diese aufenthaltsberechtigten UnionsbürgerInnen nicht gegenüber eigenen StaatsbürgerInnen diskriminiert werden. Das untermauert auch das jüngst ergangene Urteil des EuGH 6.10.2020, C-181/19, JD, ECLI ECLI:EU:C:2020:794, Rn 60, in dem der EuGH klar ausgesprochen hat, dass ein auf anderer Grundlage bestehendes Aufenthaltsrecht (im Anlassfall Art 10 VO 492/2011) nicht von der „Sozialhilfeausschlussklausel“ des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG umfasst wäre. In diesem Urteil judiziert der EuGH explizit, dass Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG als Ausnahme von dem in Art 18 AEUV normierten Grundsatz der Gleichbehandlung eng auszulegen ist (Verschueren, The Right to Social Assistance for Migranting Union Citizens: A Step Forward in the Case Law of the Court of Justice This Time, European Journal of Migration and Law 2021, 202 [211]).

Somit trifft es zwar zu, dass Leistungen wie auch die Ausgleichszulage, die gem der RL 2004/38/EG als Sozialhilfeleistungen einzustufen sind (EuGH 19.9.2013, C-140/12, Brey, ECLI:EU:C:2013:565, Rn 58 ff), unionsrechtlich nicht zwingend zu gewähren sind, wenn die betreffenden Personen nur zum Zweck eines Sozialleistungsbezugs mobil sind und dementsprechend kein Aufenthaltsrecht gem Art 7 RL 2004/38/EG haben (zur mE nicht gänzlichen Überlagerung der Rs Brey durch die Rs Dano und Alimanovic siehe Peyrl, The Judgments of Brey, Dano and Alimanovic: A Case of Derogation or a Need to Solve the Riddle?, in Mantu/Minderhoud/Guild [Hrsg], EU Citizenship and Free Movement Rights [2020] 109-121).

Diese Ableitung hat aber schon deshalb im Falle eines Aufenthaltsrechts gem Art 7 RL 2004/38/EG nicht Gültigkeit, weil diese Personen eben nicht nur (dh ausschließlich) zum Zweck eines Sozialleistungsbezugs mobil sind. In den oben angeführten Judikaten hatte der EuGH stets die Fragen zu klären, ob Personen, die eben entweder gar kein Aufenthaltsrecht (Rs Dano) hatten bzw eines, das explizit gem Art 24 Abs 2 vom Gleichbehandlungsgebot ausgenommen war (Rs Alimanovic, García-Nieto ua), zum Bezug von beitragsunabhängigen Geldleistungen, die aber für die Zwecke der RL 2004/38/EG als Sozialhilfe einzustufen waren, berechtigt waren.

Aus der EuGH-Judikatur ergibt sich aber klar, dass im Fall eines bestehenden Aufenthaltsrechts, das einen Sozialhilfebezug nicht sekundärrechtlich ausschließt, eine Schlechterstellung zu eigenen StaatsbürgerInnen nicht zulässig ist (EuGH Rs JD, Rn 60, 63 und 70, vgl auch EuGH 11.4.2019, C-483/17, Tarola, ECLI:EU:C:2019:309, Rn 55).

Zwar ist es mE ein berechtigtes Anliegen, die vom OGH unter Berufung auf Rebhahn „Münchhausen- Effekt“ genannte Folge, dass durch familiäre Zuwendungen erst ein Aufenthaltsrecht entsteht, dieses aber dann zum Ausgleichszulagenbezug berechtigt, zu vermeiden (Rebhahn, Der Einfluss der Unionsbürgerschaft auf den Zugang zu Sozialleistungen – insb zur Ausgleichszulage [EuGH-Urteil Brey], wbl 2013, 605 [611]). Schließlich ist es dem Aufenthaltsrecht gem Art 7 RL 2004/38/EG für ökonomisch nicht aktive UnionsbürgerInnen immanent, dass diese eben idR ohne Sozialhilfebezug ihren Unterhalt decken sollen. Allerdings ist diese Frage mE ohne Verletzung des Gleichbehandlungsgebots innerstaatlich iSd §§ 292 ff ASVG auf Basis einer möglichen Anrechnung von zufließenden, anrechenbaren Einkünften zu lösen (zur Anrechnung von Unterhaltszahlungen siehe Ziegelbauer in Sonntag [Hrsg], ASVG11 [2020] § 292 Rn 11 bzw 21; Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 292 ASVG [Stand 1.10.2019, rdb.at], Rn 18).

Nun könnte eingewendet werden, dass diese Judikatur nicht völlig neu ist und der OGH bereits 499 zuvor unter Hinweis auf den von Rebhahn entwickelten Münchhausen-Effekt judiziert hatte, dass § 292 Abs 1 ASVG im Lichte des § 52 Abs 1 Z 3 NAG dahingehend auszulegen sei, dass der durch § 52 Abs 1 Z 3 NAG rechtmäßige Aufenthalt nicht zu einem Anspruch auf Ausgleichszulage führe, weil die Kosten des Aufenthalts in Österreich (in den ersten fünf Jahren) nicht von staatlicher Seite, sondern über den familieninternen Unterhalt finanziert werden sollen (OGH 19.7.2016, 10 ObS 31/16f). Allerdings lag diesem Urteil ein Sachverhalt zugrunde, in dem das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zumindest fraglich war (es basierte insb auf einer Schenkung von € 10.000,–, die fast unmittelbar wieder zurückgezahlt wurde), sodass die Ausführungen des OGH nicht losgelöst von diesem Sachverhalt betrachtet werden können. Zudem hat der EuGH erst jüngst im oben angeführten EuGH-Urteil JD klargestellt, dass der Sozialhilfeausschluss des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG eng auszulegen ist und nur die explizit in Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG angeführten Fälle betrifft. Damit hat der EuGH eine erhebliche Einschränkung des Anwendungsbereichs der Rsp vorgenommen (Verschueren, aaO 210).

Somit hätte der OGH keinesfalls ohne Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens gem Art 267 AEUV diese Frage entscheiden dürfen, ein acte clair liegt jedenfalls nicht vor. Grundsätzlich besteht eine Vorlageverpflichtung bei jeder sich stellenden Auslegungsfrage des Europarechts (EuGH 6.10.1982, C-283/81, CILFIT, ECLI:EU:C:1982:335, Rn 11 f), keine Vorlagepflicht besteht nur dann, wenn eine Auslegungsfrage nicht entscheidungserheblich oder bereits entschieden ist oder die Auslegung des Europarechts offenkundig erscheint (Mayer, Verfassungsgerichtsbarkeit, in von Bogdandy/Bast [Hrsg], Europäisches Verfassungsrecht2 [2009] 559, 563).

Ergänzend soll angemerkt werden, dass die Aussagen des OGH hinsichtlich Hinzurechnen von Pflegegeld zu den nötigen Unterhaltsmitteln (Rn 26) in dieser Allgemeinheit jedenfalls unscharf sind: Demnach dient Pflegegeld nach dem Bundespflegegeldgesetz (BPGG) (bzw im Anlassfall Pflegegeld eines anderen Mitgliedstaates) im Hinblick auf Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL nicht zur Erhöhung des Einkommens, sondern soll ausschließlich dazu beitragen, Pflegeleistungen „einkaufen“ zu können und stellt daher kein Einkommen zur Abdeckung allgemeiner Lebenserhaltungskosten dar (Hinweis auf OGH 23.10.2018, 10 ObS 106/18p). In diesem Urteil hat aber der OGH explizit offengelassen, wie diese Frage zu beurteilen wäre, wenn diese Leistungen eben nicht „eingekauft“ werden, sondern von anderen Haushaltsmitgliedern unentgeltlich erbracht werden (dies ist zwar im vorliegenden Ausgangssachverhalt nicht der Fall, soll aber an dieser Stelle dennoch kurz erwähnt werden). Für die Zwecke der Feststellung der nötigen Unterhaltsmittel von Drittstaatsangehörigen zur Erteilung eines Aufenthaltstitels gem § 11 Abs 5 NAG ist eine Hinzurechnung des Pflegegeldes in den Fällen möglich, in denen Pflegeleistungen durch Angehörige selbst erbracht werden und nicht das gesamte Pflegegeld aufgewendet werden muss, um den in § 1 BPGG umschriebenen Aufwand (durch Dritte) abzudecken (VwGH 16.12.2010, 2008/01/0604; VwGH 18.3.2010, 2008/22/0632). Nichts anderes kann aber mE für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht von UnionsbürgerInnen in anderen Mitgliedstaaten gelten, sodass im Einzelfall zu prüfen ist, wie das zuerkannte Pflegegeld verwendet wird, um beurteilen zu können, ob Pflegegeld für die Zwecke des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts beachtlich ist.

3.
Zum Vorliegen eines unionsrechtlichen Daueraufenthaltsrechts gem Art 17 RL 2004/38/EG

Weiters hatte der OGH zu prüfen, ob dem Kl nicht gem Art 17 RL 2004/38/EG (umgesetzt durch § 53a NAG) bereits vor Ablauf von fünf Jahren Niederlassung durch Aufgabe der Erwerbstätigkeit aufgrund dauernder Arbeitsunfähigkeit ein Daueraufenthaltsrecht zukommt (Rn 54 ff); in einem solchen Fall wäre jedenfalls eine Ausgleichszulage zu gewähren. Im Einzelnen ist Art 17 RL 2004/38/EG legistisch nicht geglückt und daher in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht schwer verständlich. Der Hinweis des OGH auf die englische und französische Sprachfassung machen die Rechtsansicht in dieser Hinsicht nachvollziehbar; somit kann im konkreten Fall kein Daueraufenthaltsrecht entstanden sein, da die Erwerbstätigkeit nicht in Österreich ausgeübt wurde. Nicht befasst hat sich der OGH mit einer möglichen Grenzgängereigenschaft des Kl bzw ob sich damit an der aufenthaltsrechtlichen Position etwas geändert hätte.

4.
Conclusio

Mit dem vorliegenden Urteil setzt der OGH seine Judikaturlinie fort, das Zusammenspiel des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts mit der Gewährung der Ausgleichszulage restriktiv zu beurteilen. War allerdings bisher diese Linie unionsrechtlich im Wesentlichen nicht zu beanstanden und innerstaatlich nachvollziehbar, ist das in diesem Fall zumindest zweifelhaft: Das Verneinen eines Gleichbehandlungsanspruchs trotz explizit festgestelltem Aufenthaltsrecht gem Art 7 RL 2004/38/EG ist mE sekundärrechtlich nicht gedeckt, da die Ausnahmebestimmung des Art 24 Abs 2 R 2004/38 nach der oben angeführten EuGH-Judikatur eng auszulegen ist und ist daher auch mit Art 18 AEUV nicht zu vereinbaren. Unverständlich ist aber, dass der OGH diese Entscheidung ohne Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH getroffen hat. Ob es möglich ist, UnionsbürgerInnen, die über ein Aufenthaltsrecht verfügen, für das im Unionsrecht keine (eng auszulegende) Ausnahme vom Gleichbehandlungsgebot bezüglich Sozialhilfe greift, von der Gewährung einer Ausgleichszulage auszuschließen, kann mE nur mit nein beantwortet werden, allenfalls wäre diese Frage vom EuGH zu klären. 500