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Auch bei weit überwiegenden Versicherungszeiten im Inland kein Export von Rehabilitationsgeld

REINHARDMINDEROCK (LINZ)
Art 3, 11 VO (EG) 883/2004; § 143a ASVG
  1. Seit der klaren Einordnung des österreichischen Rehabilitationsgeldes als Leistung bei Krankheit iSd Art 3 Abs 1 lit a VO (EG) 883/2004 durch die E des EuGH vom 5.3.2020, C-135/19, Pensionsversicherungsanstaltund der darauf basierenden österreichischen höchstgerichtlichen Judikatur ist die in der früheren Rsp des OGH (20.12.2016, 10 ObS 133/15d ua) vertretene Ansicht, dem Rehabilitationsgeld komme aufgrund seiner Berührungspunkte mit Leistungen bei Invalidität ein Sondercharakter zu, nicht mehr aufrecht zu erhalten.

  2. Nach den unmissverständlichen Vorgaben des EuGH in seiner E C-135/19 ist es ausgeschlossen, die Zuständigkeitsregelung des Art 11 Abs 3 lit e der VO (EG) 883/2004 unter dem Aspekt der unionsrechtlichen Freizügigkeit auszulegen und damit den Export des Rehabilitationsgeldes iSd früheren, sich insb an den Überlegungen des EuGH in seinem Urteil vom 30.6.2011, C-388/09, da Silva Martins, orientierenden Rsp des OGH zu rechtfertigen.

  3. Die Leistungszuständigkeit nach der VO (EG) 883/2004 für versicherte Personen, die keine Beschäftigung (mehr) ausüben, bestimmt sich ausschließlich nach dem Wohnort und nicht danach, in welchem Mitgliedstaat die versicherte Person die meisten Versicherungszeiten erworben hat.

[1] Der 1975 in Österreich geborene Kl arbeitete von 1.4.2010 bis Mitte 2017 in Deutschland [...]. Das Dienstverhältnis wurde 2017 nach einem einjährigen Krankenstand beendet. Aufgrund der Tätigkeit [...] wohnte der Kl mehrere Jahre in Deutschland. Seit 1.2.2020 hat er seinen Wohnsitz wieder in Österreich. Er war aufgrund seiner Tätigkeit in Deutschland dort bereits seit 1.4.2010 krankenversichert. Seit 1.4.2019 bezieht er von der deutschen Rentenversicherung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.

[2] Strittig ist der Export des Rehabilitationsgeldes für den Zeitraum vom 1.10.2018 (Stichtag) bis zum 31.1.2020, als der Kl noch in Deutschland wohnte.

[3] Mit Bescheid vom 29.5.2019 lehnte die bekl Pensionsversicherungsanstalt die Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension sowie den Anspruch auf medizinische und berufliche Maßnahmen der Rehabilitation sowie auf Rehabilitationsgeld aus der KV ab, weil keine Berufsunfähigkeit vorliege.

[4] Der Kl begehrt mit seiner Klage die Gewährung der Berufsunfähigkeitspension [...].

[...]

[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.10.2018 ab (Spruchpunkt 1), stellte fest, dass beim Kl ab 1.10.2018 vorübergehende Berufsunfähigkeit im Ausmaß von mindestens sechs Monaten vorliege (Spruchpunkt 2) und wies das Klagebegehren, soweit damit die Feststellung begehrt wurde, dass der Kl ab 1.10.2018 für die Dauer der vorübergehenden Berufsunfähigkeit Anspruch auf Gewährung von Rehabilitationsgeld aus der KV im gesetzlichen Ausmaß habe, ab (Spruchpunkt 3). Zum Anspruch des Kl auf Rehabilitationsgeld führte es aus, dass der Kl aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit und seines Wohnsitzes in Deutschland sowie der nunmehrigen Rente der deutschen Rentenversicherung seit mehreren Jahren nur der KV in Deutschland und nicht mehr dem österreichische[n] System der SV unterliege. Der bloße Wohnortwechsel nach Österreich ändere daran nichts.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl, der die Ablehnung seines Anspruchs auf Rehabilitationsgeld aus der KV ab 1.10.2018 bekämpfte, teilweise Folge und wies das diesbezügliche Klagebegehren nur für den Zeitraum von 1.10.2018 bis 31.1.2020 ab. Es stellte ergänzend fest, dass der Kl in Österreich 228 Versicherungsmonate, davon 206 Beitragsmonate in der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit bis Jänner 2010 erworben hat. In der rechtlichen Beurteilung verneinte es mit Hinweis auf die E des EuGH zu C-135/19, Pensionsversicherungsanstalt, die Verpflichtung zum Export des Rehabilitationsgeldes für den Zeitraum, in dem der Kl keinen Wohnsitz in Österreich hatte. Es ließ die Revision zu, weil noch keine Rsp des OGH zur Frage vorliege, ob und inwieweit seine Rsp zum Export von Rehabilitationsgeld nach der in der Rs C-135/19, Pensionsversicherungsanstalt, ergangenen E des EuGH weiterhin für Fälle relevant sei, in denen die weit überwiegenden Versicherungszeiten im Inland erworben worden seien.

[8] Die [...] Revision des Kl ist aus dem vom Berufungsgericht angegebenen Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

[9] 1.1 Der OGH sah zu 10 ObS 133/15d (SSV-NF 30/79 = SZ 2016/141) und zahlreichen Folgeentscheidungen (RIS-Justiz RS0131207) das österreichische Rehabilitationsgeld grundsätzlich als Geldleistung bei Krankheit iSd Art 3 Abs 1 lit a der VO (EG) 883/2004 an. Diese Einordnung hindere aber nicht die Berücksichtigung des Sondercharakters des – die befristete Invaliditäts- und Berufsunfähigkeitspension ersetzenden – Rehabilitationsgeldes [...]. Dieser Sondercharakter müsse auch bei der Anwendung der Koordinierungsvorschriften der VO 883/2004 berücksichtigt werden [...]. Die alleinige Zuständigkeit des ausländischen Wohnmitgliedstaats und der damit einhergehende Leistungsverlust trotz bereits im Inland erworbener Versicherungszeiten könnte in bestimmten Fällen die unionsrechtliche Freizügigkeit beschränken. Um eine Vereinbarkeit mit dem Primärrecht herzustellen, sei Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit für diese Leistung mit Sondercharakter nicht der Wohnsitz, sondern die erworbenen Versicherungszeiten [...].

[10] 1.2 Dieser Judikatur lag zugrunde, dass die versicherten Personen mit Wohnsitz in einem anderen 513 Mitgliedstaat zuvor von den bekl österreichischen Sozialversicherungsträgern eine befristete Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension bezogen hatten, an die das Rehabilitationsgeld unmittelbar angeschlossen hätte [...].

[11] 2.1 In seinem Urteil vom 5.3.2020, C-135/19, Pensionsversicherungsanstalt (Rehabilitationsleistung), beantwortete der EuGH die vom OGH zu 10 ObS 66/18f (RS0132457) gestellte erste Vorlagefrage [...] eindeutig so, dass das Rehabilitationsgeld als Leistung bei Krankheit iSd Art 3 Abs 1 lit a der genannten Verordnung anzusehen ist.

[12] 2.2 Zur zweiten Vorlagefrage stellte der EuGH zu C-135/19 klar, dass die VO (EG) 883/2004 dahin auszulegen ist, dass sie einer Situation nicht entgegensteht, in der eine Person, die in ihrem Herkunftsmitgliedstaat nicht mehr sozialversichert ist, nachdem sie dort ihre Erwerbstätigkeit aufgegeben und ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt hat, in dem sie gearbeitet und den größten Teil ihrer Versicherungszeiten zurückgelegt hat, von der zuständigen Stelle ihres Herkunftsmitgliedstaats die Gewährung einer Leistung über das Rehabilitationsgeld versagt wird, da diese Person nicht den Rechtsvorschriften ihres Herkunftsmitgliedstaats unterliegt, sondern den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sie ihren Wohnsitz hat [...].

[13] 2.3 Der EuGH verwies auf die Regel der Einheitlichkeit der Sozialvorschriften in Art 11 Abs 1 sowie die Zuständigkeitsregel des Art 11 Abs 3 lit e der VO (EG) 883/2004, wonach eine Person, die keine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, nur den Sozialrechtsvorschriften ihres Wohnmitgliedstaats unterliegt (Rn 52). Die Versagung des Rehabilitationsgeldes führt nicht dazu, dass eine Person vom Anwendungsbereich der fraglichen Rechtsvorschriften ausgeschlossen wird, für die diese Rechtsvorschriften nach der VO (EG) 883/2004 gelten, und ihr somit der Schutz auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit vorenthalten wird, weil keine nationalen Rechtsvorschriften für sie gelten (Rn 53).

[14] 3.1 Der OGH qualifizierte in dem nach Einlangen der E des EuGH zu 10 ObS 35/20z fortgesetzten Anlassverfahren und in mehreren Folgeentscheidungen [...] das österreichische Rehabilitationsgeld als Leistung bei Krankheit iSd Art 3 Abs 1 lit a VO (EG) 883/2004. Die Kl würden nach Einstellung ihrer Erwerbstätigkeit und Verlegung ihres Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat ausschließlich den Sozialrechtsvorschriften ihres Wohnmitgliedstaats unterliegen und nicht mehr dem System der sozialen Sicherheit des Herkunftsstaats angehören. Damit bestehe keine Verpflichtung, das Rehabilitationsgeld an die im EU-Ausland wohnenden Kl zu zahlen.

[15] 3.2 Seit der klaren Einordnung des österreichischen Rehabilitationsgeldes als Leistung bei Krankheit iSd Art 3 Abs 1 lit a VO (EG) 883/2004 durch die E des EuGH vom 5.3.2020, C-135/19 und der darauf basierenden österreichischen höchstgerichtlichen Judikatur ist die in der früheren Rsp des OGH (10 ObS 133/15d ua) vertretene Ansicht, dem Rehabilitationsgeld komme aufgrund seiner Berührungspunkte mit Leistungen bei Invalidität ein Sondercharakter zu, nicht mehr aufrecht zu erhalten.

[16] 3.3 Nach den unmissverständlichen Vorgaben des EuGH in seiner E C-135/19 ist es ausgeschlossen, die Zuständigkeitsregelung des Art 11 Abs 3 lit e der VO (EG) 883/2004 unter dem Aspekt der unionsrechtlichen Freizügigkeit auszulegen und damit den Export des Rehabilitationsgeldes iSd früheren, sich insb an den Überlegungen des EuGH in seinem Urteil vom 30.6.2011, C-388/09, da Silva Martins, orientierenden Rsp des OGH zu rechtfertigen [...].

[17] 3.4 In dieser E hatte der EuGH das deutsche Pflegegeld als eine einer Leistung bei Krankheit gleichgestellte Leistung qualifiziert, billigte ihr jedoch einen Sondercharakter zu, der bei Auslegung der Zuständigkeitsregeln zu beachten sei [...]. Das deutsche Pflegegeld stelle die Gegenleistung für Beiträge dar, welche die betroffene Person aufgrund eines eigenständigen Versicherungssystems gezahlt habe, das nicht das Risiko der Krankheit im eigentlichen Sinn betreffe, sondern das des Sondercharakters [...]. Der Gerichtshof sah es daher als nicht mit dem Zweck von Art 48 AEUV vereinbar an, dass der aus Portugal stammende, jahrelang in Deutschland beschäftigte Kl nach der Rückkehr in den Herkunftsstaat das bisher bezogene deutsche Pflegegeld nur deshalb nicht mehr erhielt, weil er nach den unionsrechtlichen Koordinierungsregelungen nach der Rückkehr in den Herkunftsstaat nur dessen Rechtsvorschriften für Leistungen bei Krankheit im eigentlichen Sinn unterlag [...].

[18] 4.1 Hier unterlag der Kl seit April 2010 während der Ausübung seiner Beschäftigung in Deutschland zufolge Art 11 Abs 3 lit a VO (EG) 883/2004 sowie seit der krankheitsbedingten Aufgabe der Beschäftigung zufolge Art 11 Abs 3 lit e VO (EG) 883/2004 ausschließlich den Rechtsvorschriften Deutschlands als Beschäftigungs- bzw Wohnstaat, soweit Leistungen bei Krankheit betroffen sind. Dem österreichischen Rehabilitationsgeld kommt gegenüber anderen Leistungen bei Krankheit im eigentlichen Sinn kein Sondercharakter zu.

[19] 4.2 Die Leistungszuständigkeit nach der VO (EG) 883/2004 für versicherte Personen, die keine Beschäftigung (mehr) ausüben, bestimmt sich ausschließlich nach dem Wohnort und nicht danach, in welchem Mitgliedstaat die versicherte Person die meisten Versicherungszeiten erworben hat. Wenn sich der EuGH zu C-135/19 auf den Erwerb des größten Teils der Versicherungszeiten in einem anderen Mitgliedstaat [...] bezieht, so antwortet er damit auf die zweite, zu 10 ObS 66/18f gestellte Vorlagefrage. Mit seinen Formulierungen billigt der Gerichtshof dieser Tatsache aber keine Relevanz für den zu klärenden Export des österreichischen Rehabilitationsgeldes zu. Er begründet seine Antwort vielmehr damit, dass die versicherte Person nicht den Rechtsvorschriften ihres Herkunftsmitgliedstaats unterliegt, sondern jenen des Wohnmitgliedstaats. Ein Abweichen von den Zuständigkeitsregeln der VO (EG) 883/2004 als Folge einer Beschränkung der primärrechtlichen Freizügigkeit wird nicht einmal erwähnt. So wie im 514 vorliegenden Fall führte der Wechsel der Leistungszuständigkeit auch nicht zum Verlust einer zuvor in Österreich bezogenen Leistung.

[...]

[21] Der Kl unterliegt für den noch strittigen Zeitraum von 1.10.2018 bis 31.1.2020 ausschließlich den Sozialrechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats Deutschland und gehört nicht mehr dem österreichischen System der sozialen Sicherheit an. Es besteht keine Verpflichtung, das österreichische Rehabilitationsgeld an den bis 31.1.2020 in Deutschland wohnenden Kl zu zahlen.

[...]

ANMERKUNG
1.
Einleitung

In der gegenständlichen E hatte der OGH zu klären, ob seine im Anschluss an EuGH Rs Pensionsversicherungsanstalt (C-135/19, ECLI:EU:C:2020:177) ergangene Rechtsprechungslinie zum Export von Rehabilitationsgeld (RIS-Justiz RS0132457) auch auf einen Fall anzuwenden ist, in dem die weit überwiegenden Versicherungszeiten im Inland erworben wurden. Der OGH bejahte dies, beurteilte dementsprechend die Exportfrage ausschließlich auf Grundlage der Kollisionsregeln der VO 883/2004 und lehnte einen Export des Rehabilitationsgeldes ab. Erscheint dieses Ergebnis im Lichte der jüngeren Rechtsprechungslinie zunächst konsequent, kommt dennoch vor allem bei Sachverhalten, in denen eine besondere Nahebeziehung zum Herkunftsland besteht, die Frage auf, ob die mit dieser Judikatur einhergehende schematische Anwendung der VO 883/2004 auf jegliche Sachverhaltskonstellation tatsächlich sachgemäß ist und durch die Ausführungen des EuGH in der Rs Pensionsversicherungsanstalt überhaupt zwingend so vorgezeichnet war. Zumindest für Fälle einer besonderen Nahebeziehung zu Österreich wäre aufgrund der viele Fragen offenlassenden Begründung des EuGH nämlich mit überzeugenden Argumenten auch eine parallele Fortführung der älteren Rechtsprechungslinie (RIS-Justiz RS0131207), in denen eine Exportpflicht des Rehabilitationsgeldes noch unmittelbar aus den primärrechtlichen Freizügigkeitsrechten abgeleitet wurde, möglich und sogar durchaus zu erwarten gewesen (idS Sonntag, ASoK 2021, 71).

2.
Überblick über die Rechtsprechungsentwicklung zum Export von Rehabilitationsgeld

Die höchstgerichtliche Rsp zum Export von Rehabilitationsgeld kann vereinfacht in zwei konträre Rechtsprechungslinien eingeteilt werden: Einerseits, von Ende 2016 bis Ende 2018, konkret von OGH10 ObS 133/15dDRdA 2017, 393 (Karl)= DRdA-infas 2017, 105 (Weißensteiner) = SZ 2016/141 bis zur Vorlage an den EuGH durch OGH10 ObS 66/18fDRdA-infas 2019,153 (Weißensteiner)

, und andererseits ab 2020 von OGH10 ObS 35/20zDRdA 2021, 152 (Felten), das Anlassverfahren der Rs Pensionsversicherungsanstalt, bis zur gegenständlichen E OGH10 ObS 46/21v (vgl der Vollständigkeit halber auch die am selben Tag ergangene E OGH 30.3.2021, 10 ObS 12/21v).

Beginnend mit 10 ObS 133/15d hat der OGH das Rehabilitationsgeld als Geldleistung bei Krankheit iSd Art 3 Abs 1 lit a der VO 883/2004 qualifiziert, was grundsätzlich zur Zuständigkeit des Wohnsitzstaates gem Art 11 Abs 3 lit e führt. Der OGH hat dem Rehabilitationsgeld allerdings auch einen berücksichtigungswürdigen Sondercharakter an der Schnittstelle zwischen Krankheit und Invalidität zugeschrieben (vgl ausführlich Födermayr, ZESAR 2020, 492 ff; dies in Müller/Mosler/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 143a ASVG [249. Lfg] Rz 2; Felten, DRdA 2021, 153 f). Unter Berücksichtigung der Judikatur des EuGH in der Rs da Silva Martins (C-388/09, ECLI:EU:C:2011:439) bejahte er daher trotz der Einordnung als Leistung bei Krankheit eine Exportpflicht, wenn der Wohnsitzstaat keine entsprechende Leistung kannte und eine Nahebeziehung zum österreichischen System der sozialen Sicherheit (dokumentiert durch die erworbenen Versicherungszeiten bzw den Bezug einer befristeten Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension) nachweisbar war (vgl Spiegel in Müller/Mosler/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm Vor § 251a ASVG [207. Lfg] Rz 8/1 f). Als zentrales Argument wurde hierbei angeführt, dass das Rehabilitationsgeld eine Gegenleistung zu den in Österreich gezahlten Versicherungsbeiträgen darstelle und diese erwartete Gegenleistung nicht durch die Inanspruchnahme von primärrechtlich verankerten Freizügigkeitsrechten verloren gehen dürfe. Der Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit waren demnach die erworbenen Versicherungszeiten und nicht der – nach der VO 883/2004 entscheidende – Wohnsitz. War die Wartezeit erfüllt, bestand auch eine Exportpflicht des zuständigen Trägers in den Wohnsitzstaat.

Der OGH hat im Ergebnis auf primärrechtliche Regelungen zurückgegriffen, sofern die Anwendung der schematischen Regeln der VO 883/2004 zu unsachgemäßen Ergebnissen geführt hätte (vgl Felten, DRdA 2021, 154). Der Hintergrund für diese Rechtsprechungslinie lag freilich grundlegend darin, einen rein aus der Systemumstellung (SRÄG 2012) resultierenden Leistungsverlust für im Ausland lebende Bezieher einer befristeten Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension zu vermeiden (vgl Rz 10 der gegenständlichen E). Die 18 Verfahren dieser älteren Rechtsprechungslinie bis Ende 2018 (RIS-Justiz RS0131207) betrafen nämlich überwiegend solche im Ausland lebende Pensionsbezieher (vgl zur bejahten Exportpflicht bei ins Ausland verzogenen Rehabilitationsgeldbeziehern OGH10 ObS 58/16a SVSlg 66.816 und OGH10 ObS 48/16fDRdA-infas 2017, 172 [Weißensteiner]).

Bemerkenswerterweise legte der OGH Ende 2018 die Export-Frage schließlich doch dem EuGH vor (OGH10 ObS 66/18fDRdA-infas 2019, 153515 [Weißensteiner]). Dieses Verfahren betraf nun aber keinen im Ausland lebenden Leistungsbezieher, sondern eine österreichische Staatsbürgerin, die bis 1990 in Österreich 59 Versicherungsmonate und nach ihrem Umzug nach Deutschland dort 235 Versicherungsmonate erworben hat. Seit 1990 war sie nicht mehr in Österreich sozialversichert und hat keine Leistungen aus Österreich bezogen. Der EuGH (Rs Pensionsversicherungsanstalt) qualifizierte (wie bereits der OGH) zunächst das Rehabilitationsgeld als Leistung bei Krankheit iSd VO 883/2004. Des Weiteren führte er aus, dass die VO „einer Situation nicht entgegensteht, in der einer Person, die in ihrem Herkunftsmitgliedstaat nicht mehr sozialversichert ist, nachdem sie dort ihre Erwerbstätigkeit aufgegeben und ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt hat, in dem sie gearbeitet und den größten Teil ihrer Versicherungszeiten zurückgelegt hat, [...] die Gewährung einer Leistung wie des [...] Rehabilitationsgelds versagt wird, da diese Person nicht den Rechtsvorschriften ihres Herkunftsmitgliedstaats unterliegt, sondern den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sie ihren Wohnsitz hat.“

Beginnend mit 10 ObS 35/20zDRdA 2021, 152 (Felten) stellte der OGH daher im Wesentlichen alleine auf die Einordnung des Rehabilitationsgeldes als Leistung bei Krankheit und die dadurch aus Art 11 Abs 3 lit e VO 883/2004 resultierende Zuständigkeit des Wohnsitzstaates ab – auf die Inanspruchnahme von primärrechtlichen Freizügigkeitsrechten und den dadurch erlittenen Verlust der Gegenleistung für Beitragszahlungen ging er hingegen nicht mehr ein.

Analysiert man nun die Sachverhalte dieser jüngeren Rechtsprechungslinie (RIS-Justiz RS0132457), so offenbaren sich auch hier Gemeinsamkeiten: Die weit überwiegende Anzahl der Versicherungsmonate wurde im Ausland erworben und die inländischen Versicherungszeiten lagen in der Regel bereits lange zurück. MaW: Eine berücksichtigungswürdige Nahebeziehung lag nicht mehr vor. Für diese Fälle wurde die Exportpflicht des Rehabilitationsgeldes konsequent verneint und der Empfängerkreis im Ausland eingeschränkt. Allerdings war bis zur gegenständlichen E die genaue Weite dieser Einschränkung unklar.

Das gegenständliche Verfahren betraf nun weder einen im Ausland lebenden Leistungsbezieher noch jemanden, der bloß wenige, lange zurückliegende Versicherungszeiten im Inland erworben hat. Der Kl hat vielmehr den weit überwiegenden Teil seines Erwerbslebens in Österreich verbracht und hier auch insgesamt 228 Versicherungsmonate (davon 206 Beitragsmonate in der Pflichtversicherung) erworben. Dieser Sachverhalt ist daher – insb unter dem Aspekt der Nahebeziehung – viel eher mit jenen der älteren Rechtsprechungslinie vergleichbar. Die im gegenständlichen Verfahren entscheidende Frage, ob folglich auf derartige Sachverhalte weiterhin die eine Exportpflicht bejahende ältere Rechtsprechungslinie anzuwenden ist – das Berufungsgericht hat aus diesem Grund die Revision zugelassen –, hat der OGH allerdings mit aller Deutlichkeit verneint.

3.
Ergebnis in der Rs Pensionsversicherungsanstalt nicht zwingend vorgezeichnet – möglicher differenzierter Lösungsansatz

Der OGH orientierte sich in der Begründung kategorisch an den in der Rs Pensionsversicherungsanstalt aufgestellten Grundsätzen. Seit der klaren Einordnung als Leistung bei Krankheit durch den EuGH sei die früher vertretene Ansicht, dem Rehabilitationsgeld komme ein Sondercharakter zu, nicht mehr aufrecht zu erhalten. Ein Abweichen von den Zuständigkeitsregeln der VO 883/2004 als Folge der primärrechtlichen Freizügigkeit werde vom EuGH nicht einmal erwähnt.

Allerdings sind die Ausführungen des EuGH viel weniger konkret, als man es nach dieser Begründung des OGH erwarten könnte. Die E ist daher in der Lehre auf viel Kritik gestoßen, insb weil der EuGH weder auf den Sondercharakter des Rehabilitationsgeldes noch auf seine eigene Vorjudikatur eingeht (krit Sonntag, ASoK 2020, 242; Födermayr, ZESAR 2020, 495 ff; Felten, DRdA 2021, 155 f). Entgegen der Argumentation des OGH, das Ergebnis im gegenständlichen Fall sei im Wesentlichen bereits durch das EuGH-Judikat zwingend vorgezeichnet, können daher doch Aspekte hervorgehoben werden, die weiterhin eine Berücksichtigung des Sondercharakters des Rehabilitationsgeldes in bestimmten Fällen ermöglicht hätten: Zunächst ist festzuhalten, dass der EuGH auf eine konkrete Vorlagefrage eine konkrete Antwort gibt, und zwar, dass in Situationen, in denen der größte Teil der Versicherungszeiten im Wohnsitzstaat zurückgelegt wurde, die VO 883/2004 der Verneinung der Exportpflicht nicht entgegenstehe. Die gegenständliche Konstellation – größter Teil der Versicherungszeiten im Herkunftsland (Inland) – war damit gar nicht Gegenstand dieses Vorabentscheidungsverfahrens (vgl Sonntag, ASoK 2021, 71). Des Weiteren erteilte der EuGH seiner Vorjudikatur (insb Rs da Silva Martins) keine ausdrückliche Absage, er erwähnt sie schlicht nicht. Es ist daher nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sie zumindest für bestimmte Fälle weiterhin anwendbar bleiben soll (aA wohl Felten, DRdA 2021, 155). Aufgrund dieser vom EuGH offen gelassenen Fragen könnte man die Rs Pensionsversicherungsanstalt daher wohl auch als punktuelle Verneinung der Exportpflicht in einem konkreten Fall verstehen, mit welcher der EuGH aber nicht die Intention verfolgt hat, seine Vorjudikatur für gänzlich überholt und obsolet zu erklären. Für den gegenständlichen Fall hätte sich bei dieser Sichtweise der Rs Pensionsversicherungsanstalt aber die Möglichkeit eröffnet, den Sondercharakter des Rehabilitationsgeldes weiterhin zu berücksichtigen und eine den unterschiedlichen Sachverhalten geschuldete Differenzierung vorzunehmen, und zwar danach, ob eine – orientiert an der älteren Rechtsprechungslinie des OGH – besondere Nahebeziehung zu Österreich vorliegt oder – orientiert an der jüngeren Rechtsprechungslinie – nicht.

Um das Kriterium der besonderen Nahebeziehung gründlich herauszuarbeiten, fehlt in gegebenem 516 Rahmen freilich der Raum. Hingewiesen werden kann bloß darauf, dass in der gegenständlichen E das Berufungsgericht hierfür aufgrund der Formulierung des EuGH in der Rs Pensionsversicherungsanstalt darauf abgestellt hat, dass die „weit überwiegenden Versicherungszeiten im Inland“ erworben wurden. Ohne aber nun an dieser Stelle näher auf dieses Kriterium einzugehen, kann für den gegenständlichen Fall aus der Judikatur des OGH wenigstens Folgendes abgeleitet werden: Nahm der OGH eine Nahebeziehung bei einem befristeten Pensionsbezug stets an (vgl die gegenständliche E Rz 10; OGH 20.12.2016, 10 ObS 133/15dFelten, DRdA 2021, 154; Födermayr, ZESAR 2020, 495 ff; Spiegel in Müller/Mosler/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm Vor § 251a ASVG [207. Lfg] Rz 8/1 f; Mucha, SozSi 2020, 408), so wird jemand zumindest eine vergleichbare Nahebeziehung haben, der die Wartezeit (auch) bereits alleine mit inländischen Beitragszeiten erfüllt (und insb sogar ausreichend inländische Versicherungszeiten für eine Alterspension erworben hat).

Gerade in einem solchen Fall zeigt sich besonders deutlich, dass durch die Verneinung der Exportpflicht eine bereits alleine im Inland erworbene Rechtsposition (Gegenleistung), und zwar ganz ohne Berücksichtigung ausländischer Beitragszeiten (also ohne Anwendung der Zusammenrechnungsvorschriften der VO 883/2004), bloß aufgrund der Inanspruchnahme von primärrechtlich verankerten Freizügigkeitsrechten verloren geht. Schließlich kann ein Ansatzpunkt für eine differenzierte Beurteilung zumindest dieser Fälle, in denen die Voraussetzungen nach rein innerstaatlichen Vorschriften erfüllt sind, wiederum in der Vorjudikatur des EuGH (Rs da Silva Martins) gefunden werden – sofern man sie nicht für gänzlich überholt hält und weiterhin einen Anwendungsbereich neben der Rs Pensionsversicherungsanstaltsieht. Wiederholt hat der EuGH ausgesprochen, dass die sekundärrechtlichen Koordinierungsvorschriften – an primärrechtlichen Grundsätzen orientiert – letztlich so anzuwenden sind, dass sie dem Berechtigten nicht eine Leistung aberkennen, die er alleine nach dem Recht eines Mitgliedstaates gewährt bekommen würde (vgl insb Rs da Silva Martins, Rz 74 ff: deutsches Pflegegeld als Gegenleistung für gezahlte Beiträge, Voraussetzungen alleine nach deutschen Vorschriften erfüllt; vgl auch EuGH Rs C-352/06, Bosmann, ECLI:EU:C:2008:290, Rz 28 f; EuGH verb Rs C-611/10 und C-612/10Hudzinski und Wawrzyniak, ECLI:EU:C:2012:339, Rz 56; EuGH Rs C-382/13Franzen ua, ECLI:EU:C:2015:216, Rz 58 ff, wobei hier jeweils aber der Aspekt einer erwarteten Gegenleistung keine Rolle spielt; vgl auch Sonntag, ASoK 2020, 254 f). Genau das ist aber das Resultat der Verneinung der Exportpflicht im gegenständlichen Fall.

4.
Fazit

Im Ergebnis hätte auch noch infolge der Rs Pensionsversicherungsanstalt zumindest für jene Fälle, in denen eine besondere Nahebeziehung dadurch gegeben ist, dass bereits alleine mit inländischen Beitragszeiten die Wartezeit erfüllt ist, die auf den Grundsätzen der Rs da Silva Martins und OGH10 ObS 133/15dDRdA 2017, 393 (Karl) = DRdAinfas 2017, 105 (Weißensteiner) = SZ 2016/141 basierende ältere Rechtsprechungslinie weiterhin anwendbar bleiben können (vgl Sonntag, ASoK 2020, 254 f; ders, ASoK 2021, 71), was vor allem unter primärrechtlichen Gesichtspunkten zu einem sachgemäßeren Ergebnis geführt hätte. Für derartige Fälle mit besonderer Nahebeziehung wären folglich die erworbenen Versicherungszeiten als entscheidender Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit heranzuziehen, für alle anderen Fälle wäre die Exportfrage hingegen künftig – entsprechend der jüngeren Rechtsprechungslinie des OGH – generell ausschließlich auf Grundlage der sekundärrechtlichen Kollisionsnormen der VO 883/2004 zu beantworten. Die Rs Pensionsversicherungsanstalt wäre einer solchen, den Sondercharakter des Rehabilitationsgeldes berücksichtigenden und den grundlegend unterschiedlichen Sachverhalten geschuldeten Differenzierung nicht entgegengestanden. Denn entgegen dem OGH war die Verneinung der Exportpflicht für die vorliegende Konstellation im gegenständlichen Fall nicht zwingend bereits im EuGH-Judikat vorgezeichnet. Ob seine auf die Inanspruchnahme primärrechtlicher Freizügigkeitsrechte abstellende Vorjudikatur (insb Rs da Silva Martins) nun tatsächlich infolge der Rs Pensionsversicherungsanstalt gänzlich überholt oder doch auch noch weiterhin auf bestimmte Fälle (wenn ja, welche?) anzuwenden ist, hätte letztlich nur der EuGH selbst klären können. 517