Schmitz/Urban (Hrsg)Demokratie in der Arbeit. Eine vergessene Dimension der Arbeitspolitik?
Bund Verlag, Frankfurt am Main 2021, 377 Seiten, gebunden, € 39,90
Schmitz/Urban (Hrsg)Demokratie in der Arbeit. Eine vergessene Dimension der Arbeitspolitik?
Seit 2009 veröffentlicht der renommierte Bund Verlag alljährlich einen Band der Schriftenreihe „Gute Arbeit“. Dabei werden grundsätzliche und aktuelle Themen der Arbeitspolitik durch WissenschaftlerInnen, PraktikerInnen, GewerkschafterInnen und Betriebsräte diskutiert. Im Rahmen dieser verdienstvollen und überaus anregenden Serie ist nunmehr der Jahresband 2021 erschienen, gewidmet dem Thema „Demokratie in der Arbeit“. Das Buch enthält 31 Beiträge. Ausgangspunkt ist der Sachverhalt, dass Corona-Pandemie und Lockdown auf einen krisenhaften Kapitalismus treffen, in dem Zukunftsangst, soziale Polarisierung, unsichere und prekäre Beschäftigung, die Plünderung öffentlicher Güter, ökologische Destruktion und eine Tendenz zur Postdemokratie virulent sind. Die Pandemie habe diese Krisen zugespitzt.
Die AutorInnen gehen davon aus – was die gemeinsame Klammer der vielfältigen Beiträge ist –, dass Demokratie der archimedische Punkt einer arbeitsorientierten Krisenstrategie sein kann und soll. Die Arbeitswelt sei nach wie vor ein demokratiefreier Raum. Thema ist vor allem der Zusammenhang zwischen Kapitalismus, Krise und mangelnder Demokratie in der Arbeitswelt, gerade auch unter den verschärften Bedingungen der Corona-Pandemie.
Das Buch wird durch einen ausführlichen Anhang komplettiert, in dem Daten, Schwerpunkte und Trends dokumentiert werden. Diese werden knapp und sachkundig kommentiert. Dieser Teil hat mich besonders beeindruckt, vor allem als gut abgesicherte empirische Basis für die Überlegungen der AutorInnen. Aus der Vielzahl von Thesen, Befunden und strategischen Anregungen können im Folgenden nur einige wenige herausgegriffen werden.
Hans-Jürgen Urban bekräftigt, dass nunmehr das ökonomische Wachstum kapitalistischer Prägung vom 72 Problemlöser zum Problemtreiber mutiert sei. Es gehe daher um ein neues Wachstumsmodell und neue Formen demokratisierter Arbeit. Er setzt sich auch mit den Postdemokratie-Thesen von Colin Crouch und dessen Kernfrage auseinander, warum gesellschaftliche Erzählungen ihre hegemoniale gesellschaftliche Position erhalten oder sogar ausbauen konnten, obwohl sie die Gesellschaften in tiefe Krisen geführt haben. Urban teilt die Auffassung, dass dafür die Macht der Kader des Finanzmarkt-Kapitalismus (Investment-, Pensions- und Hedgefonds Manager, Investment Banker und Analysten) maßgeblich verantwortlich ist. Diese Macht gründe sich ua auf den Verzicht der nationalen Regierungen und der transnationalen Institutionen auf eine durchgreifende Re-Regulierung der Finanzmärkte und einer Kontrolle und Enteignung der großen Finanzagenturen.
Christoph Schmitz betont die Bedeutung einer demokratischen Beteiligung an der Gestaltung von Digitalisierungsprozessen. Es sei wichtig, eine Arbeitspolitik von unten zu implementieren, also „nicht für, sondern mit den KollegInnen zu handeln“, eine auch für Österreich bedenkenswerte Forderung. Subjekt der Demokratisierung sollten die Beschäftigten selbst sein. Dies sei ein Mittel gegen Teilnahmslosigkeit, Organisationsskepsis und Desolidarisierung.
Nicole Mayer-Ahuja beklagt, die öffentlichen Diskussionen über die Digitalisierung würden vielfach dazu beitragen, Ohnmachtsgefühle zu verbreiten. Die Digitalisierungsstrategien würden über die Köpfe der Beschäftigten hinweg formuliert und digitale Technologien dazu genutzt, um die Machtressourcen der Beschäftigten zu reduzieren.
Sarah Nies beschäftigt sich mit „eingehegter Autonomie und Perspektiven der Demokratisierung im Zuge der digitalen Transformation des Betriebes“. Sie schildert die Gefahren eines durchsteuernden Zugriffs auf die Arbeit: etwa durch digitale Echtzeitsteuerung, automatisierte Datengenerierung, ein radikales Kontrollregime, Zergliederung und Abwertung der Arbeit, minutiöse Handlungsvorgaben und totale Leistungsüberwachung. Daran müssten Demokratisierungsstrategien ansetzen, ua sei die Dominanz von Sachzwangargumenten zu durchbrechen.
Spannung verspricht der Beitrag von Beckmann/Wötzel, die das Thema „sozialökologischer Umbau und Wirtschaftsdemokratie“ anschneiden, eine der wohl heikelsten Fragen, denn die Konflikte zwischen ökologischen Erfordernissen und einer sozialen Abfederung der Kosten der grünen Wende sind evident. Zu Recht heben die Autoren hervor, dass eine wirtschafsdemokratische Konzeption einen Ansatz gesamtwirtschaftlicher Steuerung integrieren muss. Voraussetzung dafür sei es, den Druck der Finanzmärkte zu brechen. Wirtschaftsdemokratie dürfe sich nicht auf den innerstaatlichen Rahmen beschränken. Ua müssten Finanzmarktprodukte auf ihren volkswirtschaftlichen Nutzen geprüft werden. Bei Ausschreibungen sollten soziale und ökologische Kriterien zwingend berücksichtigt werden, vor allem auch die Einhaltung von Tarifverträgen und globalen sozialen Standards, zB jenen der ILO. Sie verweisen dazu ua auf das vom Deutschen Gewerkschaftsbund unterstützte Projekt eines Lieferkettengesetzes. Dabei gehe es nicht nur um Transparenz und Berichterstattungen, um die Einhaltung von Sorgfaltspflichten der Unternehmen kontrollieren zu können, sondern auch um Sanktionen wie Bußgelder oder der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen.
Agilität ist das Thema mehrerer Beiträge. In der österreichischen Diskussion ist dieser Begriff erst dabei, in den arbeitspolitischen Debatten (zu) langsam Fuß zu fassen. Darunter versteht man ein Höchstmaß an Anpassungsfähigkeit im Unternehmen. Organisationen sollen schnell und dynamisch auf Veränderungen reagieren und sich in hohem Tempo an Veränderungen anpassen. Im Zuge der Digitalisierung würden, wie Müller/Wille ausführen, die Anforderungen an agiles Arbeiten massiv zunehmen. Selbstorganisierte Teams und motivierte Individuen würden verstärkt benötigt. Es gehe letztlich um komplexe Kooperation und kooperative Individualität. In dieser Entwicklung liege auch Potenzial für „Gute Arbeit“. Wie Lion Salomon hervorhebt, könne nämlich Agilität auch ein Chiffre für die Rationalisierung digitaler Arbeit werden. Oft richten sich die Bestrebungen der Unternehmen zu mehr Agilität gegen kollektive Interessenvertretungen der AN und arbeitsrechtliche Schutznormen. Die Beteiligung der Betriebsräte wird als Schüsselfrage erkannt. Sie könnten dem Zugriff des AG auf Wissen, Kraft, Zeit und Gesundheit der Beschäftigten die erforderlichen Grenzen setzen.
Hervorgehoben sei noch ein weiterer Beitrag: Maurice Laßhof äußert sich zu „People Analytics: Digitale Entmachtung im Unternehmen“. Im Zuge der Digitalisierung und des Einsatzes von KI würden die soft skills massiv an Bedeutung gewinnen. Big Data werde zum digitalen Informationsraum und zum Rückgrat des agilen Unternehmens, wobei Effizienz und Flexibilität kombiniert werde. People Analytics, angeboten zB von Microsoft mit dem Produkt „Workplace Analytics“, biete Möglichkeiten, Leistung und Potenziale von Beschäftigten und agilen Arbeitsgruppen zu messen, zu analysieren, vorauszusagen und zu steuern.
Viele weitere Beiträge liefern wertvolle Informationen, Befunde und Handlungsmöglichkeiten, dem roten Faden einer notwendigen Demokratisierung der Arbeitswelt, ja der ganzen Wirtschaft folgend. Das Buch ist uneingeschränkt zu empfehlen, für arbeitsrechtlich Interessierte wie auch für Betriebsräte und gewerkschaftlich engagierte Personen.