TraunwieserEinführung in die Unternehmensethik

Facultas Verlag, Wien 2021, 144 Seiten, kartoniert, € 19,–

KLAUSFIRLEI (SALZBURG)

Der Titel „Einführung“ ist etwas irreführend, ja er kann als ausgeprägtes Understatement bezeichnet werden. Sehr viel besser beschreibt der Untertitel „Ausführungen zur 4-Ebenenmatrix der Führungs- und Unternehmensethik“ Inhalt und Anliegen des Buches. Hier reiht sich nicht noch ein Werk in die Prozession der unzähligen Einführungen und Grundrisse zur Unternehmensethik ein, sondern der Leser ist mit neuen, spannungsgeladenen, aktuellen und auf brisante Problemfelder fokussierten Ausführungen konfrontiert.

Die Anwendung des von der Autorin entwickelten Konzepts und Analyseinstruments der 4-Ebenenmatrix 73 auf aktuell recht heftig diskutierte Problemfelder, die allesamt mit der rasenden Technikentwicklung, insb der Digitalisierung, zu tun haben, erweist sich als substanzieller und gleichwohl praxisorientierter wissenschaftlicher Input, der dazu in der Lage ist, das doch eher diffuse und auch sehr modische Thema der Unternehmensethik vom Kopf auf die Füße zu stellen.

Einleitend ist hervorzuheben, dass hier in besonders intensiver Weise auf Probleme in der Arbeitswelt eingegangen wird und den mit Arbeitsrecht, Personalmanagement oder der Interessenvertretung von Beschäftigten befassten Berufen eine hilfreiche Ergänzung an entscheidungsrelevanten Kriterien anbietet.

Das Werk beginnt mit einer kompakten, angesichts der zumeist marginalen Bedeutung ethischer Kompetenz, wohl unverzichtbaren Einführung über die Grundlagen der Ethik, um dann sogleich wichtige Kennzeichen des laufenden Megatrends der Digitalisierung zu skizzieren. In den Vordergrund gerückt werden dabei aus ethischer Perspektive brisante Entwicklungen in den Bereichen der Künstlichen Intelligenz, menschenähnlicher Roboter oder der umfassenden technikgestützten Mitarbeiterüberwachung.

Es folgt ein Überblick über wichtige Ansätze der Wirtschafts- und Unternehmensethik: Vorgestellt werden die Konzeption von Karl Homann, ua mit seiner These, dass sich moralisch empörende Zustände letztlich als ordnungsbedingte Regeldefizite erweisen, und die Theorien von Peter Ulrich („integrative Unternehmensethik“), der meint, so die Zusammenfassung der Autorin, dass sich moralische und ökonomische Rationalität zu einer vernünftigen Einheit verbinden lassen. Der dritte von der Autorin skizzierte Ansatz ist das „Wertemanagement- Konzept“ von Josef Wieland. Für ihn ist das Unternehmen kollektiv-moralischer Akteur in Form von Unternehmensverfassungen und Ethikkodizes.

Im Anschluss daran stellt die Verfasserin umfassend und anschaulich das von ihr entwickelte Konzept der 4-Ebenenmatrix vor. Es geht ihr darum, einzelne komplexe und schwer greifbare Phänomene der Unternehmensethik (wie Korruption, Whistleblowing oder Corporate Social Responsibility [CSR, Unternehmerische Gesellschaftsverantwortung]) anhand von Macht und Verantwortung zu strukturieren. Der Gesichtspunkt der Verantwortung wird durch die „Prinzipien“ der Partizipation, der organisationalen Gerechtigkeit und der Freiheit/ Autonomie angereichert. Silvia Traunwieser intendiert ein Modell, das ua Aspekte der digitalen Arbeitswelt erklärt, strukturiert, problematisiert und Lösungswege anbietet. Überzeugend sind dabei ihre Reflexionen zur sinnhaften Arbeit und zur personalen Autonomie.

In der Folge finden sich zahlreiche anregende und kluge Gedanken etwa zu Fairness und Gerechtigkeit, zu Freiheit und Autonomie, zum Verhältnis von Technik und Werten, zum negativen und positiven Verantwortungsprinzip. Für JuristInnen, die zunehmend mit Fragen der Menschenwürde, der Kontrolle und der umfassend gefährdeten Privatsphäre befasst sind, erweisen sich die Ausführungen zu einer ethisch grundierten Sicht auf die personale Integrität als eine Fundgrube an – auch für das rechtsdogmatische Räsonieren – brauchbaren Argumenten und Abwägungskriterien.

Interessant ist die Grenzziehung zwischen Monitoring- Methoden, bei denen ein „informed consent“ genügen soll, und solchen, die nach dem Nicht-Schadensprinzip zu lösen sind. Allerdings wird dabei mE übersehen, dass im Arbeitsverhältnis mit dem Prinzip des „informed consent“ durchwegs nicht das Auslangen gefunden werden kann, sondern nur zwingende und damit unverzichtbare gesetzliche Regelungen oder auch Mitbestimmungsrechte kollektiver AkteurInnen hilfreich sind.

Der zweite Teil des Buches besteht in der „Anwendung“ des wirtschaftsethischen Ansatzes von Traunwieser auf konkrete Fragestellungen. Behandelt werden ua die Problemfelder Führungsethik, CSR, und hochaktuell das Thema Home-Office in Zeiten der Coronaepidemie, weiters Korruption, Whistleblowing und ethische Kodizes.

Herausgegriffen sei aus naheliegenden Gründen der Fragenkomplex „Work-Life-Balance im Home-Office“ und „Home-Office in Zeiten der Coronaepidemie“. Daran kann der Leser auch die Leistungsfähigkeit und Plausibilität der 4-Ebenenmatrix ermessen. Die Autorin kennzeichnet das Home-Office (mangels gesetzlicher Regelung – wobei seither eine rudimentäre, allerdings auch komplett verunglückte Regelung erfolgt ist) als „selbstgewählte positive Verantwortung des Arbeitgebers“, als Maßnahme der Führungs- und Unternehmensethik und als interne CSR-Maßnahme. Am Rande spielen auch Fragen der Gerechtigkeit, insb auch der feministischen Gerechtigkeit, eine Rolle. In Zeiten der Pandemie sei Home-Office zu einem Massenphänomen geworden, und dabei hätten sich, so Traunwieser, verstärkt Vorteile der Telearbeit herauskristallisiert. Dieser optimistischen Sicht ist entgegenzuhalten, dass der Primat des Ökonomischen – also der grenzenlosen Profitgier – gegenüber dem integrativen Ansatz der 4-Ebenenmatrix in aller Regel durchschlägt und sich die Vision einer Gleichberechtigung der vier Ebenen in der Realität kaum entfalten kann. Unternehmensethische Ansätze vermögen offensichtlich die Gefahr der Ausbeutung der AN nicht zu bannen, ethische Konzepte müssten daher die Fixierung auf das Unternehmen und die Unternehmensführung um eine Ethik der öffentlichen Rahmenbedingungen erweitern, um den ökonomischen Aspekten der Entscheidungen ihre offensichtliche Gefährlichkeit zu nehmen.

Abschließend noch ein Blick auf die ethisch wie rechtlich brisante Frage des Verhältnisses von Korruption und Whistleblowing: Die Autorin verweist auf das Spannungsverhältnis einerseits zwischen Whistleblowing als Instrument der Korruptionsbekämpfung und andererseits als Möglichkeit eines gefährlichen Denunziantentums. Dazu werden die Aspekte Verantwortung und organisationale Gerechtigkeit abgehandelt. Traunwieser plädiert im Ergebnis dafür, Whistleblowing eher als Recht denn als Pflicht auszugestalten. Die vieldiskutierte Frage, ob es für Whistleblowing finanzielle Anreize geben soll, lässt die Autorin offen. Sie konstatiert positive Wirkungen der „Pay“-Strategie, im Fokus der Incentives sollten aber gravierende Missstände stehen.

Zusammenfassend ist die Lektüre dieses Werkes gerade auch im arbeitsrechtlichen Kontext äußerst gewinnbringend. Das Konzept der 4-Ebenenmatrix ist eine gut argumentierte Vision, wie verantwortungsbewusste Unternehmen in den weiten Räumen der Unternehmerfreiheit in Form einer transparenten Selbstbindung auch ökonomisch erfolgreich sein könnten. Soweit Autonomie-, Partizipations- und Gerechtigkeitsaspekte 74 aber, wie so häufig, mit dem Profitprinzip kollidieren, könnte sich das Konzept zumindest als brauchbare Grundlage für den Ausbau von Unternehmensmonitoring, Unternehmensberichterstattung und in der Folge auch als solide Grundlage für kollektive Gegenstrategien bewähren.