LudvikDer internationale Betrieb – Betriebsverfassung im grenzüberschreitenden Kontext

Linde Verlag, Wien 2021, 516 Seiten, kartoniert, € 89,–

ANDREASMAIR (INNSBRUCK)

Die in der heutigen Arbeitswelt den AN abverlangte Flexibilität betrifft nicht nur mehr die Art, den Umfang oder das zeitliche Ausmaß der Leistungserbringung, zunehmend bezieht sich die Forderung nach Flexibilität auch auf den Ort der Tätigkeit des AN. Die rasant fortschreitende internationale Verflechtung der Wirtschaft sowie die global ausgerichteten Tätigkeitsfelder der Unternehmen geben auch dem Einsatzraum vieler AN einen internationalen, grenzüberschreitenden Zuschnitt. Die Zeiten relativ homogener, abgeschotteter Arbeitsmärkte und Wirtschaftsräume sind überwunden, dementsprechend machen die von den Unternehmen an die AN gestellten Mobilitätserwartungen vor nationalen Grenzen nicht halt. Zugleich gelten aus der Sicht der AN Auslandsaufenthalte und Auslandsstationen als wichtige Karrierebausteine. Europäischer Binnenmarkt und Internationalisierung der Wirtschaft haben somit zur Konsequenz, dass eine steigende Zahl von AN die Grenzen ihres Heimatstaates verlässt.

Dieser rechtstatsächliche Befund führt dazu, dass im Falle einer Auslandstätigkeit des AN – je nach Gestaltung – das Arbeitsverhältnis neben der Heimatrechtsordnung auch die Sphäre einer fremden Rechtsordnung berührt. Dies stellt auch das etablierte System betrieblicher AN-Interessenvertretungen vor Herausforderungen, gilt es doch einerseits sicherzustellen, dass die Effektivität betriebsverfassungsrechtlicher Regelungsstrukturen trotz Einwirkungsfaktoren aus dem Ausland gewahrt bleibt und andererseits dem international-privatrechtlichen Grundsatz zu entsprechen, dem zufolge bei Sachverhalten mit Auslandsbezug die für den zu regelnden Sachverhalt in räumlicher Hinsicht gerechteste Rechtsordnung zur Anwendung zu berufen.

Ludvik begibt sich in seiner Arbeit daher auf die Suche nach einer Kollisionsregel für die österreichische Betriebsverfassung und möchte damit die Frage beantworten, welche Rechtsordnung auf einen betriebsverfassungsrechtlich relevanten Sachverhalt zur Anwendung kommt. Zur Klärung dieser Frage wird herkömmlicherweise – mangels spezifischer Regelung im ArbVG – das Territorialitätsprinzip aufgerufen, dem zufolge der II. Teil des ArbVG auf alle in Österreich liegenden Betriebe anzuwenden ist. Ludvik wendet sich entschieden gegen die Dominanz dieses Prinzips in Lehre und Rsp und legt die Widersprüchlichkeiten bei Annahme von dessen Geltung offen. Zwar anerkennt der Autor die Praktikabilität des Territorialitätsprinzips für den Fall, dass sich alle betriebsverfassungsrechtlich relevanten Vorgänge auf ein Land beschränken. Den Kernwiderspruch ortet Ludvik allerdings dort, wo Lehre und Rsp auf das aus dem Sozialversicherungsrecht bekannte Ausstrahlungsprinzip zurückgreifen müssen, um auch AN im Ausland der Geltung der österreichischen Betriebsverfassung – trotz deren dem Credo des Territorialitätsprinzips eigentlich entsprechenden Anwendungsbeschränkung auf das Inland – unterstellen zu können. Ludvik identifiziert hier zu Recht eine Verkennung der Reihenfolge der sach- und kollisionsrechtlichen Prüfung, womit – aus der international-privatrechtlichen Perspektive betrachtet – der Geltungsanspruch ausländischer Rechtsordnungen miss achtet wird.

Diesem Defizit des Territorialitätsprinzips setzt Ludvik in überzeugender Weise seine eigene Konzeption entgegen. Aufgrund der Tatsache, dass das ArbVG selbst keine Anhaltspunkte für eine allgemeine betriebsverfassungsrechtliche Kollisionsnorm liefert, sind folgende Markierungspunkte für die Entwicklung einer Kollisionsregel dabei für den Autor maßgeblich: Vorrang der kollisionsrechtlichen Verweisung vor der sachrechtlichen Beurteilung, Einbindung betriebsverfassungsrechtlicher Sachverhalte in die allgemeine Regelverweisung und erst daran anschließend die Konfrontation des Verweisungsergebnisses mit dem aus ordre-public-Vorbehalt und Eingriffsnormen gebildeten Reservoir international zwingender Handlungsanweisungen. Normativ stützt sich Ludvik auf § 1 Abs 1 IPRG, wonach Sachverhalte mit Auslandsberührung in privatrechtlicher Hinsicht nach der Rechtsordnung zu beurteilen sind, zu der die stärkste Beziehung besteht. Entsprechend der allgemeinen Strukturierung einer Kollisionsnorm in Anknüpfungsgegenstand und Anknüpfungspunkt beschreibt Ludvik zunächst in den Kernpassagen seiner Arbeit detailreich und kundig den Anknüpfungsgegenstand „Betriebsverfassung“. Ludvik gelangt in diesem Zusammenhang zum Ergebnis, dass eine Rechtswahlmöglichkeit für die Betriebsverfassung aus dem IPRG nicht abgeleitet werden kann. Damit geht es richtigerweise zentral um die objektive Bestimmung des Betriebsverfassungsstatuts, wobei Ludvik die zur Verfügung stehenden Anknüpfungspunkte einer kritischen Prüfung unterzieht. Am Ende seiner Arbeit modelliert Ludvik schließlich eine Kollisionsregel für betriebsverfassungsrechtliche Sachverhalte, in deren Kern Ludvik das Recht der Betriebsverfassung derjenigen Rechtsordnung unterwirft, in deren Staatsgebiet 78 die meisten weisungsabhängigen Beschäftigten eines Betriebs ihren gewöhnlichen Arbeitsort unterhalten. Abgerundet wird die Arbeit von einer beispielhaften Darstellung internationaler Fallkonstellationen, auf die Ludvik die von ihm entwickelte Kollisionsnorm anwendet und so zur besseren Veranschaulichung seiner Konzeption beiträgt.

Ludvik hat ein gewichtiges Buch vorgelegt. Gewichtig nicht nur vom Umfang, sondern auch im Hinblick auf die konzeptionelle, inhaltliche und gedankliche Substanz. Beeindruckend ist die Fülle des verarbeiteten Materials und die Sprachkraft des Autors, die mehrere einprägsame Formulierungen (zB „sachrechtsgetriebenes Territorialitätsprinzip“, „Ökosystem der Betriebsverfassung“ oder das Territorialitätsprinzip als „Blackbox“) zu Tage fördert. Zwar verlangt die Arbeit Leser*innen einiges an Konzentration und dem Willen ab, den dichten Gedankengängen und Argumentationssträngen des Autors zu folgen. Als Gegenleistung für dieses Investment winken aber äußert interessante Einblicke und ertragreiche Erkenntnisse, sodass die Arbeit von Ludvik ohne Übertreibung als neues Standardwerk zum internationalen Betriebsverfassungsrecht bezeichnet werden kann.