Glowacka/KullmannRechtsprechung zum Europäischen Arbeitsrecht – Band I (Judikate) und Band II (Erläuternde Ausführungen)

Manz Verlag, Wien 2020, XXXVI, 229 und 227 Seiten, broschiert, € 64,–

ANDREASMAIR (INNSBRUCK)

Einer bekannten Charakterisierung zufolge handelt es sich beim Europarecht um „Fallrecht reinsten Wassers“. Diese Beschreibung lässt sich ohne Weiteres auch auf den Bereich des Europäischen Arbeitsrechts übertragen. Zwar zeichnet sich dieses – neben den primärrechtlichen Grundlagen und Bezügen – durch einen mittlerweile doch umfangreichen Korpus an sekundärrechtlichen Regelungen in Gestalt von Verordnungen und Richtlinien aus, dennoch obliegt es vor allem dem EuGH, in seinem Fallrecht die Konturen des Europäischen Arbeitsrechts sichtbar zu machen. Es ist daher verdienstvoll, wenn Glowacka/Kullmann mit dem zu besprechenden Werk die einschlägige Judikatur des EuGH in den Blick nehmen, gelingt es den Autorinnen dadurch doch, ein eindrucksvolles Bild vom Kosmos des Europäischen Arbeitsrechts in seiner durch den EuGH in jahrzehntelanger Rsp geprägten Ausformung zu zeichnen.

Folgerichtig ist das Gesamtwerk in zwei Bände aufgeteilt. Der erste Band enthält die thematisch gegliederten zentralen Judikate des EuGH, konzentriert auf deren Kernaussagen. Im zweiten Band finden sich – parallel zur Strukturierung des ersten Bandes – erläuternde Ausführungen, wobei diese bei den einzelnen Themengebieten jeweils mit einer Darstellung der einschlägigen Rechtsgrundlagen beginnen. Daran anschließend werden die in weiterer Folge vorgestellten EuGH-Entscheidungen benannt, dies gefolgt von einer Präsentation von Literaturstellen, wobei diese nicht nur auf die österreichische Literatur beschränkt ist, sondern in besonders verdienstvoller Weise auch deutsche und internationale Literaturstellen angeführt werden. Danach findet sich ein Punkt, der seiner Überschrift zufolge kritische Fragen zu den Entscheidungen des EuGH formuliert, wobei mE nicht alle unter diesem Punkt gestellten Fragen das Prädikat „kritisch“ iS einer analytischen Anfrage an die Stimmigkeit, Nachvollziehbarkeit und dogmatischen Stringenz der Entscheidungen des EuGH verdienen, da sich vielfach Fragen finden, die eher als Wissensfragen (zB „Wer ist AN iSd Art 45 AEUV?“ [S 3] oder „In welcher Höhe gebührt die Entgeltfortzahlung im Schwangerschaftsfall?“ [S 152]) oder als Kontrollfragen (zB „Kann unmittelbare Diskriminierung auf ein Merkmal gestützt werden, welches die Klägerin selbst nicht aufweist?“ [S 71] oder „Kommt der Niederlassungsfreiheit eine horizontale Direktwirkung zu?“ [S 123]) zu kategorisieren wären, was nicht zu beanstanden ist, richtet sich das Werk doch ua an Studierende und soll somit auch zu Lehrzwecken verwendbar sein. Abschließend werden unter dem Punkt „Sukkus“ die zentralen Aussagen der themeneinschlägigen EuGH-Judikate angeführt, wobei sich manches Mal bei einzelnen Entscheidungen zusätzliche Anmerkungen, Bewertungen oder Einordnungen finden, die zwar das Verständnis der Judikaturaussagen erleichtern (etwa S 19 Rz 13, S 85 Rz 56 oder S 187 Rz 17), mE aber gewisse Überschneidungen mit dem Punkt „kritische Fragen“ aufweisen (siehe etwa S 105 Rz 153).

Inhaltlich werden die Bereiche AN-Freizügigkeit, Arbeitszeit, Befristung, Betriebsübergang, Entsendung, Gleichbehandlung, Insolvenzschutz, Kollektives Arbeitsrecht, Kollisionsrecht und Zuständigkeit, Leiharbeit, Massenentlassung, Mutterschutz, Nachweis von Arbeitsbedingungen, technischer AN-Schutz, Teilzeit, Unionsbürgerschaft, Urlaub und Vereinbarkeit von Familie und Beruf behandelt. Eine starke Gewichtung erfährt dabei – mE zu Recht – die Rsp des EuGH zum Gleichbehandlungsrecht, die im zweiten Band auf insgesamt 38 Seiten in den Blick genommen wird. Die Auswahl der Entscheidungen zu den einzelnen Themenfeldern des Europäischen Arbeitsrechts ist dabei voll und ganz gelungen, es wird keine wesentliche Entscheidung übersehen und zugleich wird die Aufmerksamkeit auf weniger bekannte Entscheidungen des EuGH gelenkt, sodass sich durch die Lektüre speziell des zweiten Bandes auch die Möglichkeit eröffnet, den eigenen Kenntnisstand von der Rechtsprechungstätigkeit des EuGH zu erweitern.

Der an sich positive Eindruck wird leider durch den streckenweise etwas defizitären Umgang mit der textlichen Gestaltung getrübt. Bspw fehlen an mehreren Stellen im „Sukkus“-Teil ganze Wörter, sodass manchmal nicht ganz klar ist, was der EuGH eigentlich aussagt (zB Rz 42 auf S 36: es fehlt im einleitenden Satzteil das Wort „geltende“ oder Rz 42 auf S 118: es fehlt im Eingangssatz das Wort „anwendbar“). Zudem irritieren teilweise Aussagen, so wenn „von einem primärrechtlichen Charakter der Altersdiskriminierung“ die Rede ist (S 97 Rz 122; gemeint wohl: primärrechtlicher Charakter des Verbots der Altersdiskriminierung) oder von einer „Neuregelung der Bundesbediensteten“ gesprochen wird (S 96 Rz 115, wobei der ganze Satz schief formuliert ist: „Der Neuregelung der Bundesbediensteten [...] wurde abermals in den ÖGB [Rz 134] und Leitner [Rz 135] der Persilschein versagt“). Auch beim Lesen von manchen Entscheidungsdarstellungen im „Sukkus“-Teil hat sich mir die Frage gestellt, warum es nicht möglich war, die an sich oft schon schwer verständlichen, weil verschachtelt formulierten, Aussagen des EuGH in eine zugänglichere sprachliche Gestaltung zu überführen (zB der erste über 13 Zeilen gehende Satz in Rz 40 auf S 78 oder der erste Satz in Rz 131 auf S 99), sodass der zentrale Aussagegehalt der präsentierten Entscheidung klar und deutlich zum Ausdruck kommt. Gerade wenn die Autorinnen im Vorwort für ihr Werk in Anspruch nehmen, eine konzise Darstellung der Judikatur im Europäischen Arbeitsrecht bieten zu wollen, wäre diese Erwartungshaltung mE nicht ganz unberechtigt.

Alles in allem verbleibt ein etwas ambivalenter Befund: Das Werk überzeugt zwar in seiner innovativen Herangehensweise und in seiner Intention, die Rsp des EuGH zum Europäischen Arbeitsrecht prominent zu präsentieren. Ein wenig mehr Sorgfalt im Hinblick auf die textliche Gestaltung würde dem Werk aber mE zu noch mehr Qualität verhelfen. Eine starke Beachtung in Wissenschaft, universitärer Lehre und juristischer Praxis hat sich das Werk aber jedenfalls verdient! 83