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Dienstunfall eines Personalvertreters im Homeoffice

WALTERJ.PFEIL (SALZBURG)
§§ 90 Abs 1, 1a und 1b, 91 Abs 1 Z 1 B-KUVG; §§ 175 Abs 1, 1a und 1b, 2 Z 1 und Z 7, 176 Abs 1 Z 1 ASVG
  1. Das Abstellen auf ein Überwiegen der betrieblichen Nutzung des konkreten Unfallorts, wie sie in der bisherigen Rsp des OGH bei Unfällen im Wohnbereich einer versicherten Person großteils vertreten wurde, ist nicht aufrecht zu erhalten.

  2. Daher unterliegt auch ein Sturz auf einer nicht überwiegend zu betrieblichen Zwecken benutzten Innentreppe des Wohngebäudes dem Schutz der gesetzlichen UV, wenn die Fortbewegung ausschließlich von der objektivierten Handlungstendenz in Richtung einer dienstlichen Tätigkeit getragen ist.

Der Kl ist seit 2000 als Lehrer und seit 2013 zusätzlich in der Personalvertretung für AHS-Lehrer tätig. Zum Zeitpunkt des Unfalls am 27.6.2019 beschränkte sich seine Lehrverpflichtung auf einen Tag pro Woche. Im Übrigen ist er wegen seiner Tätigkeit als Personalvertreter dienstfrei gestellt und arbeitet in diesem Bereich eigenverantwortlich. In Ermangelung eines allein nutzbaren Arbeitsplatzes in der Schule arbeitet der Kl von zu Hause aus, sofern er keinen Außentermin hat. Eine „Homeoffice-Vereinbarung“ mit dem DG gab und gibt es nicht.

Der Kl wohnt in einem dreigeschossigen Reihenhaus, in dessen Erdgeschoss sich Küche, Wohnzimmer, Vorraum und Toilette befinden. Im ersten Stock liegen das Schlafzimmer des Kl, ein Bad mit Toilette sowie ein Büro, in dem zwei Schreibtische, zwei Bücherregale, ein Büroschrank und ein Wandverbau stehen.

An einem Bürotag geht der Kl nach dem Frühstück im Erdgeschoss hinauf ins Arbeitszimmer und arbeitet dort bis Mittag. Zwischendurch geht er manchmal für eine Pause in den Garten, das Wohnzimmer oder die Küche. Wenn er nur ein Glas Wasser trinkt, holt er sich dieses immer im Bad neben seinem Arbeitszimmer. Mittags bereitet er normalerweise das Essen zu und isst dann in der Küche. Gegen 16:00 Uhr macht er eine Stunde Pause, in der er spazieren oder in den Garten geht oder sich bei Schlechtwetter im Wohnzimmer aufhält. In der Regel arbeitet er im Büro im ersten Stock. Telefonate können durchaus auch im Wohnzimmer oder im Garten erfolgen.

Am Donnerstag, 27.6.2019, arbeitete der Kl zu Hause. Für den Nachmittag war ein Beratungsgespräch mit einer Kollegin vereinbart. Überdies erwartete er einen dringenden dienstlichen Anruf eines Kollegen. Gegen 16:00 Uhr klingelte es an der Tür. Der Kl verließ daher sein Büro, ging hinunter zur Haustür, öffnete diese und empfing seine Kollegin. Unmittelbar nach der Begrüßung klingelte das Telefon im Büro im ersten Stock. Der Kl lief die Treppe hinauf, um das Gespräch entgegenzunehmen. Auf der obersten Stufe trat er mit dem linken Fuß ins Leere und verletzte sich.

Mit Bescheid vom 10.12.2019 lehnte die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter die Anerkennung des Vorfalls vom 27.6.2019 als Dienstunfall sowie die Gewährung einer Versehrtenrente nach dem B-KUVG ab.

Der Kl bringt in seiner Klage vor, sich bei einer dienstlichen Tätigkeit in häuslicher Umgebung verletzt zu haben.

Die bekl Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau (Bekl) ordnete den Unfall dem privaten Bereich zu, weil er sich im überwiegend privat genutzten Teil des Gebäudes ereignet habe.

Das Erstgericht teilte die Auffassung der Bekl und wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge. Innerhalb einer Wohnung könne kein Arbeitsweg iSd § 175 Abs 2 Z 1 ASVG zurückgelegt werden. Wege innerhalb der Wohnung im Zusammenhang mit der Befriedigung lebensnotwendiger Bedürfnisse seien auch nicht nach § 175 Abs 2 Z 7 ASVG geschützt. Der Unfall habe sich auf einer nur selten zu betrieblichen Zwecken benutzten Treppe ereignet. Die Revision sei zulässig, weil a) eine Klarstellung zur Frage geboten erscheine, welche Benutzungen gemischt genutzter Räume für die Feststellung „einer Nutzung im wesentlichen Umfang auch für betriebliche Zwecke“ heranzuziehen seien, und b) überdies die höchstgerichtliche Rsp über die Voraussetzungen für den Versicherungsschutz auf Wegen im eigenen Wohnbereich in der Lehre auf Kritik gestoßen sei und das deutsche Bundessozialgericht seine Rsp mittlerweile geändert habe.

Der OGH hat die Revision des Kl für zulässig erklärt und ihr Folge gegeben sowie dem Erstgericht mit Beschluss die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

1. Dienstunfälle sind Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit dem die Versicherung begründenden Dienstverhältnis oder mit der die Versicherung begründenden Funktion ereignen (§ 90 Abs 1 B-KUVG). § 91 Abs 1 Z 1 B-KUVG stellt Dienstunfällen die Unfälle gleich, die sich bei der Betätigung als Mitglied einer gesetzlichen Vertretung des Personals, ferner als in derselben Dienststätte Beschäftigter bei der Mitwirkung an der Besorgung von Aufgaben einer gesetzlichen Vertretung im Auftrag oder über Ersuchen eines Mitglieds dieser Vertretung oder bei Teilnahme an einer von der gesetzlichen Vertretung des Personals einberufenen Versammlung ereignen. Im ASVG finden sich in § 175 Abs 1 und § 176 Abs 1 Z 1 nahezu idente Regelungen.

2. Es ist unstrittig, dass auf den Unfall des Kl [...] die mit 11.3.2020 bzw 1.4.2021 in Kraft getretenen Neuregelungen über Arbeits- oder Dienstunfälle im Homeoffice in § 175 Abs 1a und 1b ASVG sowie § 90 Abs 1a und 1b B-KUVG [...] nicht anzuwenden sind.28

3. Bisherige Rsp zu (Arbeits- bzw Dienst-)Unfällen im Wohnhaus der versicherten Person:

3.1 Ein Arbeitsweg iSd § 175 Abs 2 Z 1 ASVG ist nach der Rsp des OGH begrifflich ausgeschlossen, wenn die Wohnung der versicherten Person und ihre Arbeitsstätte im selben Gebäude liegen (RS0084866 [T1]). Innerhalb des Wohnhauses ist die versicherte Person nicht den für einen Arbeitsweg typischen Gefahren ausgesetzt, gegen die sie in der UV geschützt werden soll. Die Gefahren gehen auf Umstände des Privatbereichs zurück, die dem Versicherungsschutz im Allgemeinen nicht unterliegen (10 ObS 79/07a SSV-NF 21/65; RS0084866 [T3]). Auch ein Unfallversicherungsschutz nach § 175 Abs 2 Z 7 ASVG (Weg zur Befriedigung lebenswichtiger persönlicher Bedürfnisse) wird abgelehnt, wenn sich der Unfall in der Wohnung der versicherten Person ereignet (10 ObS 275/01s SSV-NF 15/115 mwN).

3.2 Wenn sich in einem Haus neben nur dem betrieblichen Bereich und nur dem persönlichen Bereich zuzuordnenden Räumen auch „gemischt genutzte“ Räume befinden, beginnt der Unfallversicherungsschutz erst dann, wenn der rein persönliche Bereich verlassen und ein in wesentlichem Umfang betrieblichen oder beruflichen Zwecken dienender Teil des Wohngebäudes betreten wird (10 ObS 359/01v SSV-NF 15/132; 9 ObS 30/87 SSV-NF 2/2 = ZAS 1989/2, 14 [Gitter]; RS0084609). Gemischt genützte Räume im Inneren des Gebäudes (wie Treppen) zählen nur dann zu Betriebsräumlichkeiten, wenn sie im wesentlichen Umfang auch für betriebliche Zwecke genutzt werden (RS0084463).

3.3 Nach dieser Rsp ist entscheidend, ob eine im Inneren eines Gebäudes liegende Treppe, über die (auch) beruflichen Zwecken dienende Räumlichkeiten erreicht werden, überwiegend (im wesentlichen Umfang) beruflich und nicht privat genutzt werden.

3.3.1 So forderte der zu 9 ObS 30/87 (Sturz eines Gastwirts auf der Treppe zwischen dem ersten Stock, in dem der Wohnbereich, aber auch Fremdenzimmer lagen, und dem Erdgeschoss, in dem die Gastwirtschaft betrieben wurde) ergänzende Feststellungen zum Umfang der Vermietung der Gästezimmer in der Nachsaison, in der sich der Unfall ereignet hatte.

3.3.2 Zu 10 ObS 359/01v (SSV-NF 15/132) bejahte der OGH den Unfallversicherungsschutz nach der Generalklausel des § 175 Abs 1 ASVG bei einem Sturz auf einer Innentreppe zwischen Wohnräumen im Erdgeschoss und Wohnräumen im Obergeschoss (einschließlich des Büros). Entscheidend waren nach dem OGH zwei Punkte: 1. Der Kl hatte die Treppe regelmäßig überwiegend (nach den Feststellungen zu mehr als 50 %) für die Wege zwischen Erdgeschoss und Büro genützt und damit beim Betreten der Treppe den persönlichen Lebensbereich bereits verlassen. 2. Die Absicht des Kl ging dahin, eine versicherte Tätigkeit auszuüben. Das Erreichen der betrieblichen Sphäre im Zusammenhang mit dieser Absicht wertete der OGH als in einem erheblichen Maß betriebsbezogen und der betrieblichen Tätigkeit zurechenbar.

3.3.3 Zu 10 ObS 275/01s (SSV-NF 15/115) verneinte der OGH den Unfallversicherungsschutz mit der Begründung, dass die Versicherte zwar zur Unfallszeit eine betriebliche Tätigkeit (Abhören der Mobilbox des beruflich genutzten Mobiltelefons) ausgeübt habe, der Sturz auf hauptsächlich privaten Zwecken dienenden Stufen zwischen Büroraum und Wohnraum nicht hauptsächlich dem betrieblichen, sondern dem privaten Risikobereich zuzuordnen sei. Die beabsichtigte oder bereits aufgenommene betriebliche oder dienstliche Tätigkeit alleine würde nach diesen Kriterien für den Unfallversicherungsschutz nicht ausreichen.

4. Die Judikatur des OGH, die auf die überwiegende betriebliche oder berufliche Nutzung des Unfallorts innerhalb des Wohnhauses abstellt, wurde in der Lehre kritisiert.

4.1 Für R. Müller (EAnm zu 10 ObS 79/07aDRdA 2009/23, 314; Der Arbeitsunfall im Homeoffice, DRdA 2020, 311 [313 ff]; R. Müller in Mosler/Müller/Pfeil, SV-Komm § 175 ASVG Rz 110) ist nicht die Häufigkeit der Verwendung der Unfallsörtlichkeit, sondern entweder die Ausübung der beruflichen Tätigkeit oder die entsprechende Handlungsintention/ Handlungstendenz des DN entscheidend. Ereigne sich der Unfall bei einer privaten Tätigkeit, sei er auch dann nicht geschützt, wenn der Unfallort überwiegend beruflich genutzt werde.

Zu dem zu 10 ObS 359/01v SSV-NF 15/132 entschiedenen Fall bejaht R. Müller den Unfallversicherungsschutz mit der Begründung, dass sich der Unfall auf einem Betriebsweg ereignet habe, der im Wohnhaus begonnen und außerhalb des Wohnhauses geendet habe. Entscheidend für die Qualifikation des Weges sei die Handlungstendenz des Versicherten (DRdA 2020, 314 f; R. Müller in Mosler/Müller/Pfeil, SV-Komm § 175 ASVG Rz 110 ff).

4.2 Brodil (Neue Arbeitsformen und Unfallversicherung, Versicherungsschutz bei entgrenzter Arbeit, ZAS 2019/3, 12 [13, 17]) löst das Problem der Zurechnung mittels der Theorie der wesentlichen Bedingung. Die UV ist leistungspflichtig, wenn die aus dem geschützten Bereich stammende und in einem inneren Sinnzusammenhang mit der geschützten Tätigkeit stehende Ursache wesentliche Bedingung für die Verletzung war. Als Beispiele nennt er Unfälle im Zusammenhang mit der beruflichen Kommunikation über Mail und Whats-App oder mit Internetrecherchen (ZAS 2019, 17).

4.3 Gitter kritisierte in der Besprechung der E 9 ObS 30/87, ZAS 1989/2, 14, dass das Ausmaß der betrieblichen Nutzung saisonal verschieden und damit der Unfallversicherungsschutz variabel wäre (ZAS 1989, 16).

5. In Deutschland lehnt die neuere Rsp des BSG (5.7.2016, B 2 U 5/15 R [Rz 24 f]; 31.8.2017, B 2 U 9/16 R [Rz 12, 14]; 27.11.2018, B 2 U 8/17 R [Rz 12 f]) die frühere Anknüpfung an die Häufigkeit der Nutzung des konkreten Unfallorts mittlerweile ab und stellt auch innerhalb der häuslichen Sphäre auf die objektivierte Handlungstendenz der versicherten Person ab, differenziert also danach, ob diese eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Hand-29lungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wurde.

6. Der österreichische Gesetzgeber hat der – schon vor der Pandemie – zugenommenen Bedeutung von dienstlichen Tätigkeiten, die außerhalb des klassischen „fixen“ Arbeitsplatzes vorwiegend mittels (mobiler) elektronischer Kommunikation bzw „Teleworking“ erfolgen, Rechnung getragen, indem er mit [...] BGBl I 2021/62 in § 175 Abs 1 Z 1a und 1b ASVG im Unfallversicherungsrecht den Aufenthaltsort der versicherten Person (Homeoffice) als Arbeitsstätte und Unfälle im zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung im Homeoffice als Arbeitsunfälle iSd Generalklausel des § 175 Abs 1 ASVG qualifizierte. Nach der Legaldefinition des § 2h Abs 1 AVRAG idF BGBl I 2021/62 liegt Arbeit im Homeoffice vor, wenn der AN „regelmäßig Arbeitsleistungen in der Wohnung erbringt“. Diese Regelungen zum Homeoffice sind nicht mehr als (auf die Geltungsdauer der COVID-19-Maßnahmen) zeitlich beschränkte reine Krisenmaßnahme konzipiert, sondern in das Dauerrecht übernommen worden.

7. Angesichts der kritischen Stellungnahmen in der Literatur, der neueren deutschen Rsp und der zunehmenden Bedeutung von Homeoffice ist das Abstellen auf ein Überwiegen der betrieblichen Nutzung des konkreten Unfallorts, wie sie in der bisherigen Rsp des OGH großteils vertreten wurde, nicht aufrecht zu erhalten.

8. Im vorliegenden Fall hat der Kl – blendet man den Unfallort innerhalb des Wohngebäudes aus – von einer nach § 91 Abs 1 Z 1 B-KUVG unfallversicherungsrechtlich geschützten Tätigkeit zu einer nach § 90 Abs 1 B-KUVG geschützten dienstlichen Tätigkeit (Entgegennahme eines dienstlichen Telefonats im Arbeitszimmer) gewechselt. Die Fortbewegung über eine nicht überwiegend zu betrieblichen Zwecken benutzte Innentreppe des Wohngebäudes diente keinem privatwirtschaftlichen Zweck wie bspw eine Bewegung im Zusammenhang mit einer Mittags- oder Kaffeepause. Sie war ausschließlich von der objektivierten Handlungstendenz in Richtung einer dienstlichen Tätigkeit getragen. Der Zusammenhang mit dem die Versicherung begründenden Dienstverhältnis iSd § 90 Abs 1 B-KUVG und der Unfallversicherungsschutz nach dieser Bestimmung sind zu bejahen.

9. Die Revision des Kl ist aus diesen Erwägungen berechtigt. Der Unfall vom 27.6.2019 war ein Dienstunfall nach § 90 Abs 1 B-KUVG. Ein auf einen Arbeits- oder Dienstunfall gestütztes Leistungsbegehren (Versehrtenrente) erfasst nach § 82 Abs 5 ASGG ein Eventualbegehren auf Feststellung, dass eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeits- oder Dienstunfalls ist. Ein Teilurteil über die begehrte Anerkennung als Dienstunfall ist nach der Rsp ausgeschlossen, weil über das Eventualfeststellungsbegehren erst nach Entscheidung über das Leistungsbegehren abgesprochen werden kann (10 ObS 93/16y SSV-NF 30/67 mwN). Der Anspruch auf Versehrtenrente setzt nach § 101 B-KUVG voraus, dass die Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch die Folgen eines Dienstunfalls über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalls hinaus um mindestens 20 vH vermindert ist. Feststellungen dazu fehlen, weshalb die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben sind. [...]

ANMERKUNG
1.
Problemstellung

Der vorliegende Beschluss ist die erste E des OGH zu Unfällen im häuslichen Umfeld der versicherten Person, die nach der ausdrücklichen unfallversicherungsrechtlichen Erfassung von Homeoffice- Situationen ergangen ist. Auch wenn diese Regelungen, die durch BGBl I 2020/23 zunächst nur befristet und durch BGBl I 2021/61 dann als Dauerrecht in Geltung gesetzt wurden, nicht anwendbar waren, haben sie die Entscheidung erkennbar beeinflusst (vgl deren Pkt 6.). Sie wurde im Anwendungsbereich der §§ 90 und 91 des B-KUVG getroffen, hat aber wegen der letztlich nur begrifflichen Differenzierung zwischen „Dienstunfall“ und „Arbeitsunfall“ auch für §§ 175f ASVG (bzw § 148c BSVG) grundlegende Bedeutung. Die hier vom OGH vorgenommene Neubewertung von Unfällen im Wohnbereich der versicherten Person verdient daher besondere Beachtung. Im zur Verfügung stehenden Rahmen kann dafür allerdings nur kurz die Ausgangslage in Erinnerung gerufen und die nun bewirkte Veränderung deutlich gemacht werden (2.), um dann voraussichtliche Perspektiven zu beleuchten (3.).

2.
Das bisher herrschende Verständnis ist überholt

Unfällen im häuslichen Umfeld der versicherten Person ist die Rsp bisher mit großer Skepsis begeg net. Das ist vor dem Hintergrund des die UV prägenden Alles-oder-Nichts-Prinzips und des daraus resultierenden Abgrenzungsbedarfs gegenüber nicht der jeweiligen versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Bereichen nicht unverständlich. Angesichts der unstrittigen Dominanz des ursächlichen Zusammenhangs gegenüber den Kriterien „örtlich“ bzw „zeitlich“ in Generalklauseln wie § 175 Abs 1 ASVG (vgl nur R. Müller in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm, Vor §§ 174-177 ASVG Rz 19) muss der Ausschluss von Unfällen in der eigenen Wohnung etc freilich an Grenzen stoßen.

Das betrifft vor allem die Beurteilung von Ereignissen in gemischt genutzt Räumen und da besonders Treppen, die in einer Unfallsituation benutzt werden mussten, um von einem ausschließlich privat genutzten Bereich in ein Arbeitszimmer, Büro oder einen sonst (zumal sogar ausschließlich) betrieblichen Zwecken dienenden Raum zu gelangen. Hier hat die Rsp bisher auf die überwiegende Nutzung abgestellt, ein Differenzierungsmerkmal, das zu merkwürdigen Ergebnissen – und zwar in beiden Richtungen – geführt hat oder führen hätte können. Dessen begrenzte Tauglichkeit räumt der OGH nun ausdrücklich ein (vgl Pkt 4.1.) und vermeidet damit zum einen die unfallversicherungsrechtliche Anerkennung von eigentlich dem nicht geschützten30Bereich zuzurechnenden Unfällen, nur weil sie sich in einem zumindest überwiegend betrieblich bzw arbeitsbezogen genutzten Umfeld ereignet haben.

Auf der anderen Seite wird damit die Erfassung von Ereignissen ermöglicht, die zwar örtlich klar dem Privatbereich zugehören, aber einen starken inneren Bezug zur versicherten Tätigkeit aufweisen. Dabei folgt der OGH dem vom deutschen BSG vorgezeichneten und insb von R. Müller literarisch aufbereiteten Weg, der auf die „objektivierte Handlungstendenz“ der versicherten Person abstellt. Dieser Weg ist im Übrigen auch der österreichischen Rsp schon länger vertraut, insb im Hinblick auf an der Grenze zwischen Kern- und Randbereich der versicherten Tätigkeit liegende Verrichtungen (vgl nur die Nachweise bei Müller in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm, Vor §§ 174-177 ASVG Rz 29 f).

Der alternative Zugang, darauf abzustellen, ob ungeachtet des privaten Rahmens doch eine wesentliche Bedingung für den Unfall aus dem Schutzbereich der UV stammt, wird im vorliegenden Beschluss zwar erwähnt (Pkt 4.2.), aber nicht weiter verfolgt. Prononciertester Vertreter dieses Ansatzes ist Brodil, der aus den neuen Bestimmungen wie § 175 Abs 1a und 1b ASVG sogar ein deutlich erweitertes Verständnis der Theorie der wesentlichen Bedingung gewinnen will (zuletzt und dezidiert in Köck [Hrsg], Der Homeoffice-Kommentar [2021] § 175 ASVG Rz 53).

Auf diese Weise wird man wohl in den meisten „gemischten Fällen“ zum gleichen Ergebnis kommen wie beim Ansatz mit der objektivierten Handlungstendenz. Dennoch ist letzterer zu bevorzugen, weil er stärker die Notwendigkeit einer Wertung vermeidet, ob denn der mitverursachende Umstand „wesentlich“ war. Das führt nämlich nicht selten zu unklaren Antworten, wie ein recht realistisch erscheinendes Beispiel zeigt: Während Brodil (ZAS 2019, 15) ebenso wie Gruber-Risak (Arbeitsunfall im Homeoffice. Alles neu durch das 3. COVID-19-Gesetz, CuRe 2020/29) etwa das Herunterfallen einer über dem Esstisch angebrachten Lampe, wenn dieser im Homeoffice gerade auch als Arbeitstisch benutzt wird, als unwesentliche Zufallsursache deuten, ordnet Müller (DRdA 2020, 315) diesen Vorgang dem von der UV geschützten Bereich zu. Insofern liegt es wohl doch näher, den Zusammenhang mit der – auch in concreto – erfolgenden Ausübung der versicherten Tätigkeit (argursächlich“) stärker in den Vordergrund zu rücken. Demnach ist es entscheidend, ob sich der Unfall (wo auch immer) entweder unmittelbar bei Verrichtung der versicherten Tätigkeit ereignet hat oder ob – wie es bei Treppenstürzen häufiger sein wird – mit Blick auf die versicherte Tätigkeit eine innere Handlungstendenz bestanden hat, die auch durch äußere Umstände objektiviert werden kann (vgl noch einmal Müller in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 175 ASVG Rz 111/1 f).

Das war im vorliegenden Sachverhalt der Fall. Völlig zu Recht ist der OGH (vgl Pkt 8. der E) davon ausgegangen, dass sich der Unfall – nachweislich – auf dem unmittelbaren Weg von einer nach § 91 Abs 1 Z 1 B-KUVG unfallversicherungsrechtlich geschützten Tätigkeit (als Personalvertreter) zu einer nach § 90 Abs 1 B-KUVG geschützten dienstlichen Tätigkeit (Entgegennahme eines dienstlichen Telefonats im Arbeitszimmer) ereignet hat. Dass das Wohnhaus des Versicherten den örtlichen Rahmen dafür gebildet hat, ist nicht nur nicht wesentlich, sondern muss für die Prüfung des Vorliegens eines Arbeits- bzw hier Dienstunfalls unerheblich sein. Es gibt vielmehr einen starken – und auch objektivierbaren – inneren Zusammenhang zur versicherten und bereits im Rahmen der jeweiligen Generalklausel erfassten bzw dieser ausdrücklich gleichgestellten Tätigkeit.

Dem vorliegenden Beschluss ist daher zuzustimmen, auch wenn keine endgültige Entscheidung gefällt werden konnte, weil im Verfahren keine Feststellungen zu Ausmaß und Dauer der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Kl getroffen wurden – und nach der bisherigen Rsp ja auch nicht getroffen werden mussten.

3.
Weitere Perspektiven

Keine Aussage enthält die Entscheidung naturgemäß auch zu anderen möglichen Unfallkonstellationen in Zusammenhang mit Homeoffice. Dafür enthalten die neuen dauerrechtlichen Regelungen in § 175 Abs 1b ASVG (bzw § 90 Abs 1b B-KUVG) wichtige Klarstellungen bzw Erweiterungen. Wenn und weil die Wohnung der versicherten Person demnach ausdrücklich als Betriebs- bzw Dienststätte gilt, ist auch die Reichweite des Schutzes der dort jeweils bezogenen Bestimmungen neu zu definieren.

Das betrifft zum einen den Weg von der Wohnung zur Arbeits- oder Ausbildungsstätte und zurück bzw von einer allenfalls anderen Unterkunft nach Abs 2 Z 1 der genannten Bestimmungen. Wenn die Wohnung, in der regelmäßig im Rahmen von Homeoffice gearbeitet wird (vgl § 2h Abs 1 AVRAG), nun als Ausgangs- und Endpunkt von (notabene) beruflichen Wegen gilt, sind Unfälle nun auch innerhalb des Hauses geschützt, etwa wenn der AN spontan in den Betrieb gerufen wird (vgl Brodil in Köck [Hrsg], Homeoffice § 175 Rz 39) oder sich sonst zu einer beruflichen Verrichtung außer Haus begeben muss (vgl Marcian/Panhölzl, Unfallversicherungsschutz im Homeoffice – genauso gut wie im Betrieb? DRdA-infas 2021, 152 [155]). Gleiches gilt insb für Wege zum Arzt, zur Inanspruchnahme einer Interessenvertretung, zur Bank oder für das Bringen oder Abholen eines Kindes zur/von der Schule etc, jeweils natürlich nach Maßgabe der Z 2, 6, 8 oder 10 in § 175 Abs 2 (iVm Abs 1b) ASVG.

Nicht so eindeutig scheint indes die Gleichstellung im Hinblick auf die Befriedigung lebenswichtiger persönlicher Bedürfnisse nach § 175 Abs 2 Z 7 ASVG. Sich die Jause in einem Geschäft oder Lokal in der Nähe des Homeoffice zu holen, wird zweifellos vom Unfallversicherungsschutz erfasst sein. Das gilt sowohl für den Weg dorthin und zurück in die „Arbeitsstätte“ sowie die Einnahme eines schnellen Essens. Die Verrichtung muss freilich kraft ausdrücklicher Anordnung im letzten Teilsatz der genannten Bestimmung „außerhalb der Wohnung des Versicherten“ erfolgen. Dass damit der Weg zur Toilette während der Arbeitszeit oder einer Pause31ausgeschlossen sein soll, nur weil diese sich nicht im Betrieb befindet (dort wird der Unfallversicherungsschutz ja bejaht, vgl nur 10 ObS 169/12v SSV-NF 27/18 = ZAS 2014/6, 37 [Schrattbauer]), sondern in der Wohnung, in der im Rahmen von Homeoffice gearbeitet wird, ist grob sachwidrig. Die insoweit zu kurz greifende Gleichstellung in § 175 Abs 1b ASVG muss daher auch hier durchschlagen, womit aber nicht einsichtig wäre, warum das Holen und der rasche Verzehr der Jause aus/in der eigenen Küche nicht geschützt sein soll (diesen Schutz bejahend Marcian/Panhölzl, DRdA-infas 2021, 155 f; verneinend hingegen Brodil in Köck [Hrsg], Homeoffice § 175 Rz 43, unter Verweis auf Müller in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 175 ASVG Rz 223 ff, der dort aber auf die neue Rechtslage noch nicht eingeht).

Bei konsequenter Fortsetzung des – um es noch einmal zu betonen: überzeugenden – Ansatzes in der vorliegenden E zumal vor dem Hintergrund der neuen Rechtslage müsste die Rsp aber eigentlich auch diese Hürde nehmen.