Entgeltrisiko insbesondere bei Elementarereignissen*

CHRISTIANHOLZNER (LINZ)
Dienstverhinderungen durch Elementarereignisse, die über die Sphäre des AG hinaus in vergleichbarer Weise die Allgemeinheit treffen, sind nach überwiegender Meinung kein Umstand „auf Seite“ des DG iSd § 1155 Abs 1 ABGB, sie lösen also keine Entgeltfortzahlungspflicht nach dieser Bestimmung aus. Eine dogmatische Analogiebasis für diese Zuweisung des Entgeltrisikos an den AN bei Elementarereignissen könnte die mietrechtliche Risikoverteilung bei Gebrauchsentzug durch „außerordentliche Zufälle“ in §§ 1104, 1105 ABGB bilden, die beide Seiten temporär von ihrer jeweiligen Leistungspflicht befreit. Ausgehend von dieser Basis erörtert der Beitrag zunächst die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Vertragstypen und sodann verschiedene Fragestellungen des Entgeltrisikos beim Arbeitsvertrag, etwa das Verhältnis zu § 1154b ABGB, und insb auch, welche Folgen das Anbietenkönnen der Arbeitskraft durch einzelne AN trotz allgemeiner Kalamität auslösen könnte. Abschließend geht es um den Einfluss von staatlichen Förderungen und Kurzarbeitsregelungen auf die arbeitsvertragliche Risikoverteilung.
  1. Problemstellung und Entstehungsgeschichte

  2. Gefahrtragung beim Bestandvertrag als Vorbild?

  3. Folgerungen für das Arbeitsverhältnis

  4. Verhältnis der „allgemeinen Kalamität“ zu den punktuellen Fortzahlungsfällen des § 1154b ABGB

  5. Detailfragen bei Elementarereignissen

  6. Beachtlichkeit staatlicher Unterstützungen

1.
Problemstellung und Entstehungsgeschichte

Auch für nicht zustande gekommene Dienstleistungen gebührt dem DN nach § 1155 Abs 1 ABGB2) das Entgelt, wenn er zur Leistung bereit war und durch Umstände, die „auf Seite“ des DG liegen, daran verhindert wurde. Die aktuelle Fassung des § 1155 Abs 1 stammt aus der III. Teilnovelle (TN).

Sie sollte klarstellen, dass der DG die Zufallsgefahr nicht nur dann trägt, wenn sie sich in seiner Person ereignet hat (so noch die Urfassung des § 1155). Der DG soll nach dem Bericht der Kommission für Justizgegenstände* vielmehr alle in seiner Sphäre vorkommenden Zufälle tragen; dem DN gebührt diesfalls der Vertragsanspruch auf den Lohn. Das betrifft insb den technischen Ablauf des Betriebs, die Zufuhr von Rohstoffen und Betriebsmitteln, die Auftrags- und Absatzlage oder die rechtliche Zulässigkeit der Tätigkeiten.*

§ 1154b nimmt dem DN überdies auch noch einen Teil jener Gefahren ab, die eigentlich seine Person treffen; Lohnfortzahlung gebührt etwa bei Krankheit, Unglücksfall oder kurzfristiger unverschuldeter Dienstverhinderung aus wichtigem Grund. Die Materialien zur III. TN begründen das mit einer Interessenabwägung und dem Standpunkt der Humanität.* Sie stellen aber gleich zu Beginn der Erläuterungen zu § 1154b auch den Grundsatz klar, dass jeder Teil die auf seiner Seite eintretenden Zufälle zu tragen habe.

Zumindest für die Fassung der §§ 1154b und 1155 durch die III. TN ist damit klargestellt, dass es auch Zufallsgefahren geben muss, die weiterhin den DN treffen. Zwar wurde § 1154b seither punktuell zulasten des DG erweitert, doch entspricht das auch nach wie vor der hM. Zunächst gilt das rein logisch jedenfalls für Gefahren auf Seiten des DN, die nicht ausnahmsweise nach § 1154b oder anderen Normen vom DG zu tragen sind. Darüber hinaus soll der Anspruch auf das Entgelt auch dann verloren gehen, wenn die Störung auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und sie über die Sphäre des AG hinaus in vergleichbarer Weise die Allgemeinheit trifft,* wenn also eine allgemeine Kalamität großflächigen Ausmaßes vorliegt (Erdbeben, Überschwemmungen, allgemeine Lahmlegung des Verkehrs, auch Sperre des Gebiets wegen Seuchengefahr).* Das wird teils mit Geschäfts- 201 grundlageüberlegungen gerechtfertigt, teils durch die Überlegung, dass Störungen, die auch die Allgemeinheit betreffen, nicht mehr ein Gegenstand von Normen sind, welche die Risiken auf die beiden Vertragspartner verteilen.* Es bleibe daher bei der allgemeinen Rechtsfolge des § 1447 – Aufhebung der Verbindlichkeit (die es dann freilich für das Dauerschuldverhältnis noch zu modifizieren gilt, aber dazu später). Am überzeugendsten erscheint mir immer noch die von Spielbüchler gleichsam in einem Schlenker gegebene Erklärung:* Überschreite der hinderliche Umstand den Risikobereich des AG und werde er zu einer allgemeinen Kalamität, entfalle auch der Anspruch des AN, „der jetzt seine Arbeitskraft gleichfalls nicht mehr anbieten“ könne. Sie zeigt, dass auch der geschlossene Arbeitsvertrag dem AN nicht jegliches Risiko der Verwertbarkeit seiner Arbeitskraft abnimmt. Ähnlich übrigens schon § 1160 ABGB 1811 zum Lohnvertrag: „Wird die Arbeit unterbrochen, so verantwortet jeder Theil sein Verschulden, aber keiner den Zufall“, gemeint: „den bloßen Zufall“ (so Zeiller*). Der Zwischenbereich der Zufallsgefahren ist durch die zuvor geschilderte Novellierung des § 1155 und durch die Neueinführung des § 1154b in der III. TN zwar zugunsten des AN schmäler geworden, es gibt aber keinen Anhaltspunkt, dass er ganz verschwunden wäre.* Die „elementaren“ Zufallsgefahren entstammen zwar insofern der von manchen so genannten „neutralen Sphäre“,* als sie durch keine Seite beeinflussbar sind und beide Seiten gleichermaßen schicksalhaft treffen. Sie belasten aber natürlich eine Seite, nämlich hier den AN: Er kann nun seine Arbeitskraft nicht mehr anbieten, also seine – den Vertrag charakterisierende – Hauptleistungspflicht nicht mehr erfüllen, und er erhält daher kein Entgelt. In ihren Folgen sind diese Zufallsgefahren also nicht „neutral“,* aber das ist für Gefahrtragungsregeln ja typisch.

Aber beginnen wir nach diesem kurzen Ausflug mitten ins Problem doch mit dogmatisch-systematischen Überlegungen. Sie werden zeigen, wo die hM ihre berechtigte Basis haben könnte. Bestandvertrag, Arbeitsvertrag und Werkvertrag wurzeln allesamt im hybriden Vertragstyp der römischrechtlichen locatio conductio. Sie eint, dass der locator etwas zur Verfügung stellt und der conductor das zur Verfügung Gestellte bestimmungsgemäß verwendet:* Beim Bestandvertrag das Bestandobjekt, beim Arbeitsvertrag (vor der III. TN auch „Dienstmiete“* genannt) seine Arbeitskraft und beim Werkvertrag im klassischen Sinn den zu bearbeitenden Stoff. Hier interessiert vor allem die Gefahrtragungsregelung des Bestandvertrags, weil auch er ein Dauerschuldverhältnis ist und weil er schon von seiner gesetzlichen Regelung her bemerkenswerte Parallelen in der Behandlung allgemeiner Kalamitäten aufweist.*

2.
Gefahrtragung beim Bestandvertrag als Vorbild?

§ 1104 regelt das gänzliche Unbrauchbarwerden des Bestandobjekts wegen „außerordentlicher Zufälle“, als Feuer, Krieg oder Seuche, großer Überschwemmungen, Wetterschläge oder gänzlichen Misswachses. Diesfalls ist der Bestandgeber zur Wiederherstellung des Objekts nicht verpflichtet, doch ist auch kein Miet- oder Pachtzins zu entrichten. Im Kern wird die mögliche Vorbildwirkung für die „allgemeine Kalamität“ auch beim Arbeitsverhältnis sofort sichtbar: Krieg oder Seuche, große Überschwemmungen und wohl auch große Feuersbrünste. Während dieser Gefahren ruhen die wechselseitigen Pflichten aus dem Bestandvertrag. Der Locator muss das Bestandobjekt nicht wiederherstellen, erhält aber auch kein Entgelt. Darin liegt sein Eigentümerrisiko, das er auch ohne die Inbestandgabe zu tragen hätte.* Auch durch Abschluss eines Bestandvertrages hat er dieses Risiko noch nicht erfolgreich auf den Bestandnehmer überwälzt. Nur wenn der Bestandnehmer unbestimmt alle Gefahren übernimmt, gilt § 1106, der dann immer noch eine bestandnehmerfreundliche einschränkende Auslegung vornimmt. Bleibt wenigstens ein beschränkter Gebrauch möglich, so wird nur dem Mieter nach § 1105 Satz 1 ein verhältnismäßiger Teil des Mietzinses erlassen* (für die kurzfristige Pacht treffen Satz 2 und 3 hier nicht weiter interessierende besondere Anordnungen). 202

Das Ruhen der beiderseitigen Pflichten verhindert übrigens nicht die außerordentliche Kündigung des Bestandvertrages durch den Mieter nach § 1117: Wird ein beträchtlicher Teil durch Zufall auf eine längere Zeit entzogen, so ist sie möglich; bereits Zeiller verweist hier ausdrücklich auch auf den Gebrauchsentzug durch die Zufallsgefahren der §§ 1104 und 1105.* Gleiches gilt für die Materialien zur III. TN,* und das entspricht auch der heute hM* (soweit sie auf diesen Fall überhaupt eingeht). Diese auch in der Fassung des § 1117 durch die III. TN bestätigte und eigens klargestellte Kündigungsmöglichkeit ist verständlich, denn der auf Wohnraum angewiesene Mieter muss ja die Reißleine ziehen können. Er wird freilich gerade bei einer allgemeinen Kalamität großflächigen Ausmaßes oft Probleme haben, ein geeignetes Ersatzobjekt zu finden, und daher von einer Auflösung meist absehen. Von selbst löst sich der Vertrag aber jedenfalls nicht auf. Das geschieht nur bei endgültigem Zugrundegehen der Bestandsache iSd § 1112,*) das somit von einem temporären Unbrauchbarwerden zu unterscheiden ist. § 1112 und die zuvor genannten Regelungen passen so die allgemeine Regelung des § 1447 für die nachträgliche zufällige Unmöglichkeit – nämlich Aufhebung der Verbindlichkeit – auf den Bestandvertrag als Dauerschuldverhältnis an.*

§§ 1104 und 1105 entstammen im Wesentlichen bereits der Urmasse des ABGB. Die III. TN hat nur noch klarer formuliert, dass der Bestandgeber bei solchen außerordentlichen Zufällen zwar die Zinsgefahr trägt, aber auch nicht zur Wiederherstellung verpflichtet ist.* Eine Wiederherstellungspflicht wäre auch nicht sinnvoll, solange die Kalamität andauert. Danach wird der Bestandgeber das Objekt meist schon im eigenen Interesse wiederherstellen, um wieder einen Zins lukrieren zu können. Ganz außerordentliche Situationen schienen wohl den Gesetzesverfassern auch eine besondere Art der Risikoverteilung zu erfordern, eine, die über die Tragung normaler Zufallsrisken auf beiden Seiten hinausgeht. Normale Zufallsgefahren, die den Gebrauch des Objekts einschränken, sind zwar ebenfalls vom Bestandgeber als Eigentümer zu tragen,* und sie mindern auch den Zins. Aber sie befreien den Bestandgeber nicht von der Erhaltungspflicht nach § 1096 Abs 1. Das Besondere an §§ 1104, 1105 ist also das Ruhen der wechselseitigen Pflichten.* Die temporäre Störung muss erst von beiden Teilen gleichsam ausgesessen werden und die besondere Gefahrenlage vorüber sein, bis es auch in der wechselseitigen Pflichtenbeziehung wieder normal weitergehen kann.* Gerade bei Kriegsgefahr, Überschwemmungen und Großfeuern erscheint das sinnvoll. Die Kündigungsmöglichkeit des Bestandnehmers bleibt da zwar bestehen, sie ist aber oft ein nur sehr theoretischer Ausweg, weil wie gesagt taugliche Ersatzobjekte fehlen werden.

3.
Folgerungen für das Arbeitsverhältnis

Was läge also näher als die Annahme, die Behandlung der „allgemeinen Kalamität“ im Arbeitsverhältnis durch die hM sei in Anlehnung an die §§ 1104, 1105 aus dem Bestandrecht erfolgt? Eigenartigerweise wird diese mögliche Herkunft bzw Analogiebasis aber fast nirgends angesprochen. Es finden sich zwar Hinweise auf die allgemeine Regel des § 1447 (etwa bei Friedrich* und Rebhahn*), aber nicht auf die für Dauerschuldverhältnisse viel einschlägigere Gefahrenverteilung im Mietrecht, also einen Vertragstyp, der noch dazu derselben Vertragsfamilie angehört, nämlich der locatio conductio. Folgt man dieser Überlegung, trägt das Entgeltrisiko bei allgemeinen Kalamitäten demnach auch beim Arbeitsvertrag grundsätzlich der locator als Bereitsteller der Arbeitskraft – oder wenn man will: als ihr Eigentümer. Er hat diese Arbeitskraft zwar vertraglich dem AG überlassen, kann sie aber – wie Spielbüchler* und andere es ausdrücken – jetzt gleichfalls nicht mehr anbieten. Versperrt ihm die allgemeine Kalamität den Zugang auf den „Markt“, kann er die Arbeitskraft ganz allgemein nicht mehr verwerten, weder im konkreten Betrieb noch sonstwo oder -wie. Dieses besondere Risiko, das der einzelne AN mit allen anderen AN teilt, muss er als locator grundsätzlich selbst tragen, auch wenn ihn am Hinderungsgrund keine Schuld trifft. Versuchen diesfalls also beide Seiten, ihre Verpflichtungen gewissenhaft zu erfüllen, und ist die Arbeitsleistung dennoch nicht möglich, ruhen die beiderseitigen Pflichten. Ob man nun dieses besondere Risiko mit der hM durch den Begriff der „allgemeinen Kalamität“ (oder des Elementarereignisses) eingrenzt* und diese Risikoverteilung auch in Anlehnung an §§ 1104, 1105 bestätigt sieht, oder ob man überhaupt ein Fehlen der Bereitschaft zur Arbeitsleistung iSd § 1155 Abs 1 annimmt, das den Entgeltfortzahlungsanspruch entzieht, also § 1155 in diesem Punkt weit und verschuldensunabhängig versteht wie Felten und Pfeil,* erscheint für eine erste Grobverteilung des Risikos weniger bedeutsam. Man könnte 203 dieses Ergebnis auch wie folgt plakativ formulieren: So wie dem Vermieter bei einer allgemeinen Kalamität das Entgeltrisiko nicht schon deshalb abgenommen wird, weil er einen Mieter gefunden hat, so wird dem AN das Entgeltrisiko nicht schon deshalb abgenommen, weil er einen AG gefunden hat. Bei objektiver Unmöglichkeit der Erbringung jener Hauptleistungspflicht, die den Vertrag ausmacht, ist ihr Schuldner eben „näher dran“ als der Gläubiger.

Festzuhalten ist aber auch für das Arbeitsverhältnis: Der Vertrag bleibt in diesen Fällen bestehen; § 1447, der zu seinem Wegfall führen würde, gilt also nicht.* Ein selbsttätiger Vertragswegfall wäre bei einer temporären, wenngleich großflächigen Störung auch der Situation ganz unangemessen, weil diese ja Besserung erwarten lässt.

Damit ist freilich nur ein erster Schritt für einen dogmatischen Zugang getan. Schon aus dem Vergleich mit dem Bestandrecht erhellt, dass es auch maßgebliche Unterschiede zwischen den beiden Vertragstypen gibt. Das Mietobjekt ist als unbewegliches ortsgebunden und daher den geschilderten Störungen weit stärker ausgeliefert. Demgegenüber ist die Arbeitskraft viel flexibler einsetzbar, man denke nur an andere erreichbare Betriebsstätten, oder sie steht überhaupt ortsungebunden zur Verfügung (Homeoffice). Gelingt es dem AN, seine Arbeitskraft ungeachtet der widrigen Umstände anzubieten, liegt der Ball grundsätzlich wieder beim AG. Flexibilität wird ja in dieser besonderen Lage nicht nur vom AN erwartet (soweit der Arbeitsvertrag das überhaupt zulässt), sondern auch vom AG. Für die Organisation, den Ablauf des Betriebs, die Versorgung mit Rohstoffen und anderes auf seiner Seite ist nach § 1155 Abs 1 ja grundsätzlich der AG verantwortlich.* Wie weit diese Verantwortlichkeit des AG im Einzelnen geht, ist bekanntlich sehr umstritten* (vgl die lokalisierende These einerseits [wo hat sich die Ursache der Verhinderung erstmalig geäußert*] und andererseits – die Haftung des AG einschränkend – die Einfluss-* [war das Hindernis für den AG vorherseh- und abwendbar] sowie die Zurechnungsthese [Tomandl,* Schnorr,*Schrammel:* Wer hat die stärkere Beziehung zum Hindernis?]). Da will ich mich im Detail auch gar nicht zu sehr einmischen. § 1104 ist dazu nur der grenzziehende Gesichtspunkt zu entnehmen, dass das Gesetz in einer allgemein prekären Situation den Vertragsparteien ein sinnloses, mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne Erfolg bleibendes Verhalten nicht auferlegt. Und selbst dieser Gesichtspunkt ist beim Bestandvertrag auch nur für den Bestandgeber als locator ausgedrückt:* Er muss das Bestandobjekt derzeit nicht wiederherstellen. Beim Arbeitsvertrag wird Analoges aber nicht nur für den AN als locator gelten, sondern wohl auch für den AG. Sinnloses, weil keinen wirtschaftlichen Erfolg versprechendes Organisationsverhalten bzw Umkrempeln der Organisation oder der Arbeitsaufträge, damit diese etwa auch zuhause durchgeführt werden können, wird die Rechtsordnung in einer allgemeinen Kalamität auch dem AG nicht zumuten. Es bleibt dann grundsätzlich bei den Folgen für die allgemeine Kalamität – also kein Entgelt.

Eine Anleihe bei der mietrechtlichen Regelung erscheint auch für die Frage denkbar, ob der AN, der wegen einer allgemeinen Kalamität kein Entgelt erhält, berechtigterweise vorzeitig austreten kann. Das Ruhen der wechselseitigen Pflichten könnte zwar dagegen sprechen, doch zeigt die mietrechtliche Regelung, dass der existenziell auf eine Sachleistung Angewiesene – bei der Miete also der Mieter auf das Objekt – das Rechtsverhältnis aus wichtigem Grund vorzeitig beenden kann (§ 1117). Auch Pisko/Gschnitzer sprechen bei Teilunmöglichkeit in Dauerschuldverhältnissen wohl in Bezug auf den Mietfall vom temporären Entfall der Entgeltpflicht, unbeschadet des Rechts zur Auflösung des Verhältnisses ex nunc.* Beim Arbeitsvertrag ginge es freilich umgekehrt um das Austrittsrecht des sachleistungspflichtigen AN, nicht um das des geldleistungspflichtigen AG. Da der AN aber typischerweise auf das Entgelt ähnlich existenziell angewiesen ist wie der Mieter auf das Mietobjekt, muss auch ihm wohl die vorzeitige Beendigungsmöglichkeit zukommen. Ob sich das für ihn lohnt, etwa weil er woanders trotz der allgemeinen Kalamität schnell wieder Arbeit findet, muss er dann selbst einschätzen.

4.
Verhältnis der „allgemeinen Kalamität“ zu den punktuellen Fortzahlungsfällen des § 1154b ABGB

Schwierig zu beurteilen und daher ebenfalls strittig ist das Verhältnis der allgemeinen Kalamität zu den punktuellen Fortzahlungsfällen des § 1154b (insb bei sogenannten Mehrfachverhinderungen*). § 1154b ordnet eine Entgeltfortzah- 204 lung in bestimmten Fällen sogar dann an, wenn die Störung in der Sphäre des AN liegt (Krankheit, schuldlose kurzfristige Verhinderung durch wichtige, seine Person betreffende Gründe). Diese bewusste Durchbrechung der Sphärenzuordnung des § 1155 durch § 1154b muss in Grenzfällen notwendig zu Abgrenzungsproblemen führen, weil das bei einander diametral entgegengesetzten Wertungen unvermeidbar ist.

Welches Dilemma hier entsteht, zeigt sich sofort, wenn man für das Zusammentreffen beider Störfälle eine Lösung sucht, etwa weil eine kurzfristige Verhinderung der AN aufgrund einer allgemeinen Kalamität vorliegt. Hier scheint man mehrheitlich davon auszugehen, dass das Vorliegen einer allgemeinen Kalamität die zeitlich befristete Entgeltfortzahlung nach § 1154b Abs 5 nicht ausschließt.* Das auf den ersten Blick bestechende Argument, es wäre eigenartig, wenn die AN bei einem begrenzten Ereignis schutzwürdiger wären als bei einem allgemeinen,* muss aber doch mit einem Einwand kämpfen: § 1154b – auch Abs 5 – geht von Hindernissen aus, die die Person des einzelnen AN betreffen, sodass die Fortzahlung summarisch betrachtet auch für den AG noch verkraftbar und daher – so die eingangs* erwähnten Materialien – „aus Gründen der Humanität“ geboten erscheint. Ist der Masse der AN das Erscheinen nicht möglich, bekommt der Ausfall aber auch finanziell eine andere Dimension. Das mag zwar, solange ausschließlich § 1154b verwirklicht ist, aufgrund einer typisierenden Betrachtung noch ausnahmsweise hinzunehmen sein. Liegt das Nichterscheinen aber an einer allgemeinen Kalamität, muss es einen Punkt geben, an dem die Entgeltgefahr zulasten der AN kippt, die ja ihre Arbeitskraft nun gleichfalls nicht mehr anbieten können.

Wie üblich bei kasuistischen Billigkeitsnormen, die punktuell eine Grundregel durchbrechen, ist der Kipppunkt nicht exakt festzumachen. Vielleicht könnte man im Überschneidungsbereich zur Entschärfung auch über die Möglichkeit einer Entgeltskürzung nachdenken* oder im Fall des § 1154b Abs 5 (bei kurzzeitiger Verhinderung aus wichtigem Grund) über eine Verkürzung des Fortzahlungszeitraums. Unzulässig und mit den Materialien zu § 1154b wohl auch unvereinbar wäre es freilich, aus dem gereichten Finger des § 1154b ableiten zu wollen, dass damit auch gleich die ganze Hand verbunden sei, also Entgeltfortzahlung selbst bei allgemeiner Kalamität gebühre. Die Grundregel, dass jeder Teil die Gefahr der auf seiner Seite eintretenden Zufälle zu tragen habe,* und das allgemeine Fehlen der Möglichkeit, die Arbeitskraft anzubieten – was die Entgeltfortzahlung nach § 1155 Abs 1 hindert –, sollte auch weiterhin die Grundregel bleiben.*

Entsprechendes muss umso mehr auch für das Zusammentreffen von allgemeiner Kalamität (etwa großflächigen Überschwemmungen) und individueller Erkrankung gelten, also bei unterschiedlichen Ursachen für das Fernbleiben: § 1154b Abs 1 will nur verhindern, dass die Krankheit zum finanziellen Unglücksfall für den AN wird. Dass sie in einer allgemeinen Kalamität, in der auch Gesunde kein Entgelt erhalten, für die gerade Erkrankten zum Glücksfall mutiert, ist nicht sein Anliegen.* Im Überschneidungsbereich sollte also eher die Grundregel greifen, die Ausnahmen des § 1154b sind daher eng zu verstehen.

5.
Detailfragen bei Elementarereignissen

Wann konkret ein Elementarereignis vorliegt, das das Entgeltrisiko auf den Anbieter der Arbeitskraft legt, ist im Einzelnen sehr umstritten. Eindeutige Situationen sind eher selten. Sieht man mit Spielbüchler den maßgeblichen Grund in der Unmöglichkeit, während der allgemeinen Kalamität die Arbeitskraft anbieten zu können, wäre etwa an großflächige Überschwemmungen oder Waldbrände zu denken, die das Verlassen der Wohnung und/oder das Erreichen des Betriebes unmöglich machen, wenn dieses Erreichen denn für die Art der Arbeit erforderlich ist. Gleiches könnte für rigide Ausgangssperren wegen Krieg oder wegen Seuchengefahr gelten, alles aber Situationen, wie wir sie während COVID-19 nicht oder nur sehr kleinräumig gehabt haben. Bei vereinbarter Telearbeit könnten umgekehrt großflächige Strom- oder Internetausfälle in Betracht kommen.

Was gilt aber, wenn die wenigen trotz eines Elementarereignisses erschienenen, weil besonders findigen oder nahe am Betrieb wohnenden AN für die Produktion beim besten Willen nicht sinnvoll einsetzbar sind? Ist das dann der auf Seite des AG liegenden Betriebsorganisation zuzurechnen, die der AG vielleicht auch flexibler und damit störungssicherer hätte gestalten können? Oder bleibt auch dieses Risiko beim AN hängen, der seine Arbeitskraft in einem Bereich oder Betrieb verdingt hat, dessen Funktionieren eine kritische Zahl arbeitsbereiter anderer AN voraussetzt, etwa weil nur so die innerbetriebliche Vorkette intakt bleibt? Um das an einem Beispiel festzumachen: Naderhirn etwa will bei Überflutung des Betriebs durch ein Hochwasser, das auch viele AN am Erscheinen hindert, darauf abstellen, wie viele AN dem konkreten AG ihre Arbeitskraft typischerweise nicht mehr anbieten können.* Sei das die Mehrzahl, würden auch die Erschienenen – also die Minderheit – weder nach § 1155 Abs 1 noch nach § 1154b 205 Abs 5 (kurzfristige Verhinderung) einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung haben.*

Naderhirns „Mehrheitskonzept“ hat zunächst jedenfalls den Vorteil der Klarheit über die Rechtsfolgen für sich. Für die Überflutung eines produzierenden Betriebs durch Hochwasser könnte es insofern jedenfalls gut passen, als auch ein Einsatz der trotz des Elementarereignisses Erschienenen (also der Minderheit) kaum in Betracht kommen wird. Andererseits: Der betrieblich sinnvolle Einsatz der Erschienenen würde bei Betriebsüberflutung auch dann meist ausscheiden, wenn mehr als die Hälfte der AN erschienen wäre. Ein Abstellen auf die Mehrheit der Erschienenen misst also offenbar der konkreten Einsatzmöglichkeit keine entscheidende Bedeutung zu (zumindest dann nicht, wenn diese Einsatzmöglichkeit unabhängig von der Zahl der Erschienenen nicht besteht wie bei Betriebsüberflutung). Die Einsatzmöglichkeit würde also über das Mehrheitskriterium gleichsam nur abstrahierend wahrgenommen.

Stellt man sich freilich eine andere Art der Störung vor, bei der die Einsatzmöglichkeit unabhängig von der Zahl der Erschienenen gegeben ist, wäre es wieder eigenartig, warum die erschienene Minderheit nicht auch jedenfalls beschäftigt und bezahlt werden sollte.*

Aber zurück zum Überschwemmungsbeispiel und zum Fehlen einer Einsatzmöglichkeit: Auch hier bliebe zudem das vom Grundansatz Spielbüchlers her naheliegende Gegenargument zu entkräften, dass es den doch Erschienenen ja möglich war, ihre Arbeitskraft anzubieten. Die Fortzahlungspflicht ist diesfalls für besondere Fälle etwa auch nach der – eine Zurechnung an den AG an sich einschränkenden – Einfluss- und nach der Zurechnungstheorie anerkannt. Liegt der Betrieb in einem überschwemmungsgefährdeten Gebiet, soll die Entgeltfortzahlungspflicht wegen der Vorhersehbarkeit der Gefahr auch dann bestehen, wenn das Hochwasser eine allgemeine Kalamität darstellt.* Auch andere vorhersehbare und vermeidbare oder doch abstrakt beeinflussbare Risiken könnten bei diesem Ansatz noch zur Fortzahlung führen.

Teilt man die Zurechnungstheorie nicht und stellt für das „auf Seite“ bloß lokalisierend darauf ab, wo sich das Risiko verwirklicht, erweitert sich die Fortzahlungspflicht noch darüber hinaus. Gerhartl etwa meint dazu ganz allgemein, im Falle des Erscheinens könne er einen Grund für die Überwälzung des Entgeltrisikos auf den AN nicht erkennen.* Dem lässt sich ausgehend vom lokalisierenden Ansatz wenig entgegenhalten, außer vielleicht die bereits angeklungene Überlegung, auch die AN hätten sich mit dem Eingehen des Arbeitsvertrags den konkreten Betrieb samt seiner mehr oder weniger störanfälligen Betriebsorganisation und örtlichen Lage selbst ausgesucht. Daher säßen sie nun bei Elementarereignissen alle im selben Boot, ähnlich wie Vermieter und Mieter, für die ja Vergleichbares gälte. Würde man diesem Argument größere Bedeutung beimessen, könnte also ein und derselbe großflächige Störfall je nach Flexibilität der konkreten Betriebsorganisation und der örtlichen Lage des Betriebs im einen Fall den Entgeltverlust auslösen, im anderen aber nicht. Auch eine solche Art der Risikoabgrenzung nach der konkret herrschenden Betriebsorganisation und -lage mag zwar vielleicht die Entscheidung über Lagerisiken erleichtern, lässt aber bei der Bewertung der Organisationsrisiken immer noch schwierige Grenzziehungen erwarten, sofern man das tatsächliche Organisationshandeln im Einzelfall noch als überprüfbar ansieht. Eines steht aber fest: Einen Anreiz für den AG, die eigentlich in seinem Bereich liegende Arbeitsorganisation störunanfälliger zu machen, würde ein zwar individualisierender, zugleich aber die vorhandene Organisation konservierender Zugang nicht schaffen. Das leistet eine streng verstandene Zurechnungsthese besser, weil sie den AG dazu nötigt, vorhersehbare Schwachstellen zu beseitigen. Damit wären wir wieder beim grundsätzlichen Zugang zum Problem, und spätestens an diesem Punkt mutiert jeder Lösungsversuch bis zu einem gewissen Grad auch zur Glaubensfrage. An Glaubensfragen möchte ich aber nicht unnötig Energie verschwenden. Das geschilderte Dilemma ist zugleich typisch für jedes allzu bewegliche System. Gibt es zu viele maßgebliche Gesichtspunkte, wird die Entscheidung zwangsläufig willkürlich. Es fällt daher auch viel leichter, ein fremdes Lösungskonzept argumentativ zu erschüttern als ein eigenes – widerspruchsfreies – aufzubauen.

Die extreme Gegenposition zu einer mit Maßen individualisierenden, auch auf den aktuellen AG blickenden Sichtweise bestünde darin, für die Fortzahlung schon das abstrakte Anbietenkönnen der Arbeitskraft auf dem örtlich erreichbaren Arbeitsmarkt genügen zu lassen. Dieser Zugang taugt freilich wenig, nicht nur, weil er sogleich die Frage aufwirft, ob man zumindest auf eine vergleichbare Art der Beschäftigung bzw eine ähnliche Branche abstellen sollte. Zudem fänden gerade Vollzeitbeschäftigte ja kaum eine rechtlich korrekte Möglichkeit, während des Ruhens der wechselseitigen Rechte und Pflichten aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis noch ein weiteres Arbeitsverhältnis einzugehen, weil gerade das Ruhen ja in seiner Dauer nur schwer abschätzbar ist.* Hinge der Entgeltfortzahlungsanspruch nur von der abstrakten Möglichkeit des Anbietens der Arbeitskraft bei Dritten ab, wären die AN zu diesem Anbieten ihrer Arbeitskraft zwar auch wirtschaftlich gar nicht genötigt, weil der Anspruch 206 ja fortbestünde. Zahlen müsste das Entgelt aber der konkret vom Elementarereignis betroffene AG. Das wird man diesem aber kaum zumuten können. Dazu kommt noch: Selbst derjenige AN, der daneben ein weiteres Arbeitsverhältnis wirklich eingegangen wäre,* müsste sich wohl analog § 1155 Abs 1 2. HS anrechnen lassen, was er durch diese anderweitige Verwendung erworben hat. Auch diese gesetzlich vorgesehene Entlastung des bisherigen AG, die im Falle der konkret übernommenen anderen Arbeit einträte, spricht schon grundsätzlich gegen einen Fortzahlungsanspruch wegen eines bloß abstrakten Anbietenkönnens der Arbeitskraft. In diesem Punkt ist Naderhirn also wohl recht zu geben: Das Anbietenkönnen der Arbeitskraft muss sich grundsätzlich auf den konkreten AG beziehen.* Wer von der Möglichkeit profitieren möchte, seine Arbeitskraft überhaupt einem anderen anzubieten, muss normalerweise das alte Arbeitsverhältnis beenden und sich einen neuen AG suchen.

Welche Schlüsse ergeben sich aus dem Gesagten für betriebliche Störungen durch COVID-19? Eindeutig eine allgemeine Kalamität läge vor, wenn umfassende Betretungsverbote des öffentlichen Raums die AN am Anbieten ihrer Arbeitskraft hindern würden. Derart umfassende Betretungsverbote hat es aber meines Wissens nicht oder zumindest nicht rechtmäßigerweise gegeben.*

Betriebliche Betretungsverbote für AN, die wegen großflächig auftretender Seuchen große Gruppen von Betriebsstätten selbst dann betreffen, wenn die Seuche im konkreten Betrieb noch nicht aufgetreten ist, scheinen vordergründig zwar den AG-Bereich zu treffen. Sie könnten aber mangels Möglichkeit eines Anbietens der Arbeitskraft beim konkreten AG – und zwar in der geschuldeten Weise – ebenfalls als allgemeine Kalamität zu werten sein, soweit nicht Homeoffice Auswege eröffnet.*

Soweit die Seuchenbestimmungen nur ein Betreten durch die Benutzer verbieten (etwa für Touristen bei Seilbahnen),* bestünde aber sehr wohl die Möglichkeit des Anbietens der Arbeitskraft. Ob man hier bei einer großflächig auftretenden Seuche und wegen der Wahl des konkreten Arbeitsplatzes dennoch eine allgemeine Kalamität annimmt oder das Risiko wegen seiner Lozierung im Betrieb des AG eher in dessen Sphäre fallen sieht, das ist bis zu einem gewissen Grad wieder eine Glaubensfrage, zu der ich mich nicht endgültig festlegen möchte. Nur soviel: Ein typisches Elementarrisiko bleiben solche Ereignisse auch dann, wenn der Gesetzgeber als Gegenmittel „bloß“ den Ausschluss aller Kunden vorsieht und die AN anders als am Kunden nicht sinnvoll einsetzbar sind. Und dass allein die Rechtstechnik der Bekämpfungsmaßnahme über die Frage der Sphärenzurechnung entscheiden sollte, erschiene zumindest fragwürdig.* Organisatorisch kann der AG für solche Fälle kaum Vorsorge treffen. Andererseits: Entgelt schuldet er nicht nur in Fällen, für die er Vorsorge treffen kann.* Und im konkreten Fall wurde der bloße Ausschluss der Benutzer offenbar nach Herstellung des Einvernehmens mit den AG bewusst gewählt, um den Einsatz der AN für andere Arbeiten zu ermöglichen.* Dann ist aber auch Entgelt geschuldet. Allenfalls könnten bei dennoch bloß beschränkter Einsetzbarkeit der AN auch Entgeltkürzungen in Betracht kommen, wenn man den Gedanken des § 1105 auf das Arbeitsverhältnis übertrüge.

Aber es gibt ja ohnehin als weiteren relevanten Gesichtspunkt noch die

6.
Beachtlichkeit staatlicher Unterstützungen

COVID-19 hat das EpidemieG wieder stärker in den Blick treten lassen. Sind seine einschlägigen Bestimmungen über die verordnete Betriebsschließung nach § 20 EpiG und über die diesfalls nach § 32 EpiG zu leistende Entgeltfortzahlung sowie den Vergütungsanspruch der AG gegen den Bund anwendbar, ortet etwa Gruber-Risak eine weitere, staatliche Sphäre der Tragung des Entgeltrisikos.* Dieses Risiko wird letztlich den Parteien des Arbeitsverhältnisses abgenommen. Nach § 13 Abs 2 COVID-19-Maßnahmengesetz(-MG) (zuletzt BGBl I 2021/143, davor § 4 bzw § 12) gelangen freilich die Bestimmungen des EpiG betreffend die Schließung von Betriebsstätten nicht zur Anwendung, wenn der BM gem § 3 COVID-19-MG eine Verordnung über Betretenseinschränkungen oder -verbote betreffend Betriebsstätten erlassen hat. ME ist daher mit dem VfGH,*Gruber-Risak*und Friedrich* davon auszugehen, dass das verordnete Betretungsverbot auch die Anwendung der Regelungen über den Vergütungsanspruch in § 32 EpiG ausschließt. Das gilt nicht nur, weil § 32 EpiG auf § 20 EpiG verweist und weil die Schließungsregelung in einem unlösbaren Zusammenhang mit ihren Abgeltungsfolgen steht. Es gilt auch, weil der Gesetzgeber beabsichtigt hat, die Abgeltungsfrage anders abzufedern, insb durch das großzügige Ermöglichen von Kurzarbeit usw; der VfGH spricht hier von einem alternativen Maßnahmen- und Rettungspaket. Temporär gehörte dazu auch die Änderung des § 1155 betreffend die einseitige Anordenbarkeit insb des Alturlaubsverbrauchs (Abs 4 iVm mit Abs 3).

Nach Gruber-Risak soll die Möglichkeit der Beantragung von Kurzarbeitsbeihilfe und Förderungen – 207 wodurch das Entgeltrisiko ohnehin wesentlich nicht mehr auf den AG laste – auch die Berufung auf das Vorliegen einer allgemeinen Kalamität überhaupt ausschließen, weil auch hier eine indirekte Verlagerung des Entgeltrisikos in die Sphäre des Staates vorliege.* Das schaffe eine zumutbare Möglichkeit der AG, auf das Risiko auch kurzfristig zu reagieren. Man könne dem Gesetzgeber nicht zusinnen, er habe einerseits in einem wesentlichen Ausmaß Mittel für die Kurzarbeit und diverse andere Beihilfen zur Verfügung gestellt, und andererseits den AG weiterhin die Möglichkeit eröffnet, AN ohne einen Anspruch auf Entgelt freizustellen.

Der AG wäre – dieser Auffassung folgend – also auch dann zur Entgeltfortzahlung nach § 1155 Abs 1 verpflichtet, wenn er staatliche Beihilfen gar nicht beansprucht. Diese Fortzahlungspflicht würde ihn so im Ergebnis meist zur Kündigung zwingen und den AN zumindest zu Arbeitslosengeld verhelfen. Für die AN immer noch besser als ein aufrechtes Arbeitsverhältnis, das längere Zeit ohne Entgelt fortdauert – so könnte man sagen.

Gehen wir einmal davon aus, dass das Betretungsverbot für die Betriebsstätte (oder die Einschränkung) mit der allgemeinen Kalamität (der Seuche) zusammenhängt oder vielleicht auch erst die Sperre das Ereignis zum arbeitsrechtlichen Elementarereignis macht. Wie kommt man dann aus dem Vorliegen einer allgemeinen Kalamität und ihrer Folge – dem Entfall des Entgelts – wieder heraus? Entweder könnte die Berufung auf eine allgemeine Kalamität angesichts der in Aussicht gestellten Beihilfen sittenwidrig sein. Oder man nimmt an, dass schon die bloße Möglichkeit der Beantragung der Kurzarbeitsbeihilfe etc dem AG eine zusätzliche Organisationsmöglichkeit der Arbeit oder vielmehr des Nichtarbeitendürfens bzw -könnens eröffnet. Beansprucht der AG die Beihilfe nicht, läge ein vermeidbarer Umstand auf seiner Seite vor, der ihn zur Entgeltfortzahlung nach § 1155 Abs 1 verpflichtet. Also ähnlich, wie wenn die Möglichkeit von Homeoffice den Betrieb aufrechterhalten könnte und der AG diese Möglichkeit nicht anbietet. Der faktisch eröffnete Ausweg einer betrieblichen Neu- oder Umorganisation durch Kurzarbeit und Förderungen hätte also Auswirkungen auf die Tragung des Entgeltrisikos. Das erscheint dogmatisch – gerade auch aus dem Blickwinkel von Einfluss- und Zurechnungsthese – durchaus vertretbar und weit weniger verwegen, als es auf den ersten Blick anmutet, insb für die Tragung eines Risikos, das zwar in einem Elementarereignis wurzelt, dessen finanzielle Belastung aber nun „verstaatlicht“ werden soll. § 1155 Abs 1 weist dem AG nun einmal auch das Organisationsrisiko zu; das kann den AG auch dazu nötigen, im Falle einer allgemeinen Kalamität die dafür gesetzlich maßgeschneiderte staatliche Unterstützung zu beanspruchen.

Aus diesem Blickwinkel wäre somit sehr zu bezweifeln, ob es dem AG dennoch freistehen sollte, die Kurzarbeitsbeihilfe und andere Unterstützungen nicht zu beanspruchen und stattdessen das Entgelt unter Berufung auf die allgemeine Kalamität zu verweigern. Dass die Kurzarbeitsregelung den AG die Zahlung des während der Kurzarbeit erworbenen Urlaubsentgelts nicht abnimmt, könnte freilich wieder ein gewisses Hindernis sein. Beihilfen für entgangenen Umsatz etc könnten das aber auch wieder ausgleichen (ob sie dafür hinreichen, kann und will ich jedoch nicht beurteilen). Ähnlich sieht das auch der VfGH,* der die einschränkenden Maßnahmen nach dem COVID-19-MG bzw der MaßnahmenV als entschädigungsfrei zulässig erachtet hat, angesichts der diversen Ausgleichsmechanismen (Lockdown-Umsatzersatz, Beihilfen zur Kurzarbeit, Fixkostenzuschuss, Übernahme von Garantien für Bankkredite).

Diese gesetzgeberische Einmischung in die Risikoverteilung durch begleitende Maßnahmen kam auch in der befristet bis 31.12.2020 geltenden Novellierung des § 1155 durch die Abs 3 bis 5 zum Ausdruck: Nach Abs 3 galten„Maßnahmen auf Grundlage des COVID-19-MG, die zum Verbot oder zu Einschränkungen des Betretens von Betrieben führen, als Umstände iSd Abs 1“, also solche auf Seiten des AG. Im Gegenzug waren AN, deren Dienstleistungen aufgrund solcher Maßnahmen nicht zustande kamen, nach Abs 4 auf Verlangen des AG zum Verbrauch näher definierter Urlaubsund Zeitguthaben verpflichtet. Es bedurfte hier also keiner Urlaubsvereinbarung.

ME stellte die Formulierung des § 1155 Abs 3 „Maßnahmen ... gelten als Umstände iSd des Abs 1“ nur die Rechtsfolge der Entgeltfortzahlung klar. Sie erlaubte also nicht etwa den Umkehrschluss, dass ohne diese Anordnung des Abs 3 wegen Vorliegens einer allgemeinen Kalamität keine Fortzahlungspflicht bestanden hätte.* Das Wort „gelten“ steht also nicht für eine Fiktion, denn der eigentliche Normzweck lag nicht im bewussten Abweichen von einer anerkannten Risikoverteilungsregel.* Als Sachenrechtler erinnere ich nur an die ähnlich formulierte Regelung der Maschinenanmerkung in § 297a ABGB durch die III. TN: Fremde Maschinen „gelten“ im Fall der grundbücherlichen Anmerkung ihrer Fremdheit „nicht als Zugehör“ der Liegenschaft: Auch hier hat der Gesetzgeber diese Formulierung gewählt, weil er die Frage, ob auch fremde Sachen und nicht nur eigene als Zubehör mit der Liegenschaft mitverpfändet sind, als unklar ansah.* Er wollte daher für die wirtschaftlich wichtigen Maschinen eine klare Regelung vorsehen, aber damit ganz bewusst keine Aussage über die Behandlung von Nicht-Maschinen machen.* Das ist für sehr strittige Fragen ein legitimer und auch kluger Zugang des Gesetzgebers. Dieser Zugang lag wohl auch § 1155 Abs 3 zugrunde: Er sollte schlicht die Rechtsfolge der Entgeltfortzahlung 208klarstellen, aber nicht etwa die umstrittene Frage entscheiden, ob ein Elementarereignis mit der Folge des Entgeltausfalls vorliegt.

Dass schon das Auslaufen der einseitigen Urlaubsverbrauchsanordnung nach § 1155 Abs 4 für sich genommen die maßgeblichen Wertungen grundlegend verändert hätte, erscheint mir übrigens unwahrscheinlich. Eine solche Regelung läuft sich ja nach einer gewissen Zeit tot, weil die Alturlaube dort, wo das gewünscht ist, aufgebraucht sind; und das war wohl von vornherein miteinkalkuliert. Die wertungsmäßig viel entscheidendere großzügige Finanzierung der Kurzarbeit sowie diverse Beihilfen gab es ja auch noch danach.