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Leiharbeit: Anfechtung einer in Folge diskriminierender Rückstellung erfolgten Kündigung

ANDREASSCHLITZER

Der Kl war von Beginn seines Dienstverhältnisses mit der Bekl ab 1.2.2018 als Facharbeiter an denselben Beschäftiger überlassen worden. Pkt III. des Arbeitsvertrags lautet – unter der Überschrift „Dienstort“ – wie folgt: „Als Dienstort wird Wien festgelegt. Dem Arbeitgeber bleibt es vorbehalten, den Arbeitnehmer bei Bedarf auch an anderen Dienststellen des Arbeitgebers vorübergehend oder auf Dauer einzusetzen. Der mögliche Einsatzbereich erstreckt sich auf das Bundesland Wien.“

Mündlich wurde hierzu nichts besprochen. Gleichzeitig mit dem schriftlichen Dienstvertrag erhielt der Kl die Überlassungsmitteilung nach § 12 AÜG. Darin ist als Ort der Arbeitsaufnahme und Einsatzort das Kraftwerk Freudenau und ua auch festgehalten, dass auch Dienstreisen außerhalb des Kraftwerks Freudenau zu verrichten sind. Auch hierzu wurde mündlich nichts erörtert. Die Überlassung war bis Ende Februar 2021 befristet.

Während seiner Überlassung verrichtete der Kl insgesamt drei Einsätze in den Kraftwerken Greifenstein bzw Altenwörth, wobei der längste dieser Einsätze zwei Monate dauerte. Der Kl fuhr jeweils zu Dienstbeginn mit einem Kollegen mit einem Dienstwagen aus Wien zum Einsatzort und kam zu Dienstschluss wieder in Wien an. Übernachtungen auswärts waren nicht erforderlich. Vor dem ersten dieser Einsätze fragte der Kl beim damaligen Kraftwerksmeister in Freudenau an, ob er solche Einsätze überhaupt verrichten dürfe. Dieser antwortete nach Rückfrage, dass es kein Problem sei, solange der Kl zustimme. Darüber hinaus verrichtete der Kl innerhalb Wiens Dienste im Kraftwerk Nußdorf. Der Kl verrechnete Tagesgeld für Einsätze außerhalb der Betriebsstätte Freudenau.

Im September 2020 erfuhr der Kl ohne nähere Details von seinem geplanten Einsatz in Ybbs. Bei diesem Einsatz hätte der Kl zur Vermeidung von Arbeitszeitüberschreitungen in Ybbs übernachten müssen, weshalb der Kl sich gegen diesen Einsatz aussprach. Unter der Stammbelegschaft hätte es geeignete Mitarbeiter gegeben, die bereit gewesen wären, den für den Kl vorgesehenen Einsatz in Ybbs zu verrichten, allerdings war dies vom Kraftwerksleiter nicht gewünscht, da die Betreffenden in Freudenau für den Bereitschaftsdienst eingeschult werden sollten.

Mitte September 2020 erfuhr der Kl vom Kraftwerksleiter, dass es sich bei seinem Einsatz in Ybbs um einen längerfristigen Einsatz handle, der bis zum Ende der Überlassung dauern könne. Der Kl hatte vom 21. bis 27.9.2020 Urlaub vereinbart. Trotz der Einwendungen des Kl teilte der Kraftwerksleiter diesem kurz vor Beginn seines Urlaubs mit, dass sein Arbeitseinsatz in Ybbs keine Versetzung, sondern eine Dienstreise darstelle, weshalb er nach seinem Urlaub seinen Dienst in Ybbs anzutreten habe.

Am 28.9.2020 trat der Kl – nach Rücksprache mit der Gewerkschaft – seinen Dienst im Kraftwerk Freudenau an. Er wurde daraufhin in das Büro des Kraftwerkleiters bestellt, welcher das Ende der Überlassung aussprach, da sich der Kl weigerte, seinen Dienst im Kraftwerk Ybbs zu verrichten. Im Kraftwerk Freudenau hätte es für den Kl weiterhin Arbeit gegeben. Der Arbeitsplatz fiel nicht weg.

Nach der Rückstellung wurde der Kl von der Bekl dienstfrei gestellt. Bereits am 28.9.2020 traf der Geschäftsführer der Bekl die Entscheidung, den Kl zu kündigen, sofern keine andere Überlassungsmöglichkeit bestünde. Am 7.10.2020 wurde dem Kl das Kündigungsschreiben (Kündigung mit Wirkung zum 22.10.2020) übergeben.

Der Kl begehrte mit seiner Klage, die Kündigung für rechtsunwirksam zu erklären. Die Beendigung sei nur auf den Umstand der offensichtlich nicht unberechtigten Geltendmachung von Ansprüchen des Kl bzw auf die diskriminierende Rückstellung durch den Beschäftiger zurückzuführen. Das Erstgericht erklärte die Kündigung für rechtsunwirksam. Der dagegen erhobenen Berufung wurde nicht Folge gegeben. Mangels Revision ist das Urteil in Rechtskraft erwachsen.

Wie auch die Berufung anführt, hat sich der Kl auf eine Kündigung wegen der Geltendmachung nicht offensichtlich unberechtigter Ansprüche berufen. Nach § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG kann eine Kündigung beim Gericht angefochten werden, 82wenn die Kündigung wegen der offenbar nicht unberechtigten Geltendmachung vom AG in Frage gestellter Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis durch den AN erfolgt ist. Gibt das Gericht der Anfechtungsklage statt, so ist die Kündigung rechtsunwirksam (Abs 7 leg cit).

Das OLG hebt in seiner Entscheidungsbegründung hervor, dass die Entscheidung zur Rückstellung des Kl seitens des Beschäftigerbetriebs deshalb getroffen worden ist, weil der Kl sich weigerte, den Dienst im Kraftwerk Ybbs zu verrichten. Dies war dem Geschäftsführer der Bekl bekannt, der noch am selben Tag die Entscheidung traf, den Kl zu kündigen (sofern keine andere Überlassungsmöglichkeit bestünde). Wäre die Überlassung des Kl durch den Beschäftiger nicht beendet worden, hätte der Geschäftsführer den Kl nicht gekündigt. Daraus folge, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Kl wegen seiner Weigerung, den Dienst in Ybbs anzutreten und damit wegen der Geltendmachung eines Rechts aus seinem Arbeitsvertrag, nämlich nicht außerhalb Wiens eingesetzt zu werden, erfolgt sei.

Dies stellt dem OLG zufolge eine offenbar nicht unberechtigte Geltendmachung vom AG in Frage gestellter Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG dar, weswegen der Kl gekündigt wurde. Dass außerhalb der genannten Betriebsstätte Dienstreisen ohne Einschränkung auf das Bundesland Wien zu verrichten wären, lasse sich dem Vertrag nicht entnehmen. Auf eine – von der Berufung gewünschte – Differenzierung zwischen Versetzung und Dienstreise komme es hier rechtlich nicht entscheidend an, da auch ein allfälliger Einsatz des Kl im Rahmen einer Dienstreise aufgrund der arbeitsvertraglichen Vereinbarung zwischen den Parteien auf Wien zu beschränken war.

Mit der Weigerung, den Dienst – wie ihm aufgetragen – im Kraftwerk Ybbs anzutreten, hat der Kl daher dem OLG zufolge offenbar nicht unberechtigt Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend gemacht, und deshalb habe der Geschäftsführer der Bekl noch am selben Tag der Rückstellung die Entscheidung getroffen, den Kl zu kündigen. Damit ist dem Kl aber die erforderliche Glaubhaftmachung des verpönten Motivs iSd § 105 Abs 5 ArbVG gelungen. Der Kündigungsanfechtung kommt daher laut OLG Berechtigung zu.

Im Übrigen verweist das OLG auch auf die Rsp des OGH zu 9 ObA 233/98z vom 7.10.1998 zu einer Kündigungsanfechtung nach § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG, wonach es mit dem Verständnis der Arbeitskräfteüberlassung nicht vereinbar ist, wenn der Überlasser jegliches Risiko der Auslastung des AN ablehnt, indem er diesen nur so lange beschäftigt, als er von einem konkreten Beschäftiger benötigt wird. Der Standpunkt, der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit im Beschäftigerbetrieb bedinge die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem AG-Pflichten treffenden Überlasser, entspricht in dieser Allgemeinheit nicht dem Gesetz. Im Hinblick auf die Verpflichtung, das Risiko der Auslastung der vereinbarten Arbeitszeit zu tragen, ist nämlich eine betriebsbedingte Notwendigkeit zur Kündigung nach § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG laut OGH auch dann zu verneinen, wenn nach dem üblichen Geschäftsgang damit zu rechnen ist, dass sich innerhalb eines zumutbaren Zeitraumes – nicht nur im Zeitpunkt der Kündigung – eine Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung des DN bei anderen Auftraggebern eröffnen wird. Bei der in diesem Sinne vorzunehmenden Prüfung der Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung des Kl ist nicht nur auf die ihm zuletzt konkret ausgeübte Tätigkeit abzustellen; vielmehr sind sämtliche Tätigkeiten zu berücksichtigen, die der Kl auszuüben bereit und in der Lage ist.

Eine solche Prüfung lässt sich dem festgestellten Sachverhalt nicht entnehmen.

Eine Treuepflichtverletzung bzw der von der Bekl behauptete Umstand, dass der Einsatz des Kl dringend notwendig gewesen wäre, kann hier nicht angenommen werden, zumal andere geeignete Mitarbeiter bereit gewesen wären, den für den Kl vorgesehenen Einsatz in Ybbs zu verrichten.

Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

Anmerkung des Bearbeiters

Soweit ersichtlich, ist dies die allererste E zweiter Instanz zu § 6a AÜG, der anlässlich der Umsetzung der Leiharbeits-RL in das AÜG aufgenommen wurde und seit 1.1.2013 in Kraft ist. Gem § 6a Abs 1 AÜG gilt hinsichtlich der Beschäftigung im Betrieb des Beschäftigers auch der Beschäftiger als AG der überlassenen Arbeitskräfte iSd Gleichbehandlungsvorschriften und Diskriminierungsverbote, die für vergleichbare AN des Beschäftigers gelten. Den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1903 BlgNR 24. GP 3) zufolge soll diese Regelung gewährleisten, dass auch für die überlassenen Arbeitskräfte trotz des Dreiecksverhältnisses zwischen überlassener Arbeitskraft, Überlasser und Beschäftiger die Rechte auf Gleichbehandlung gewahrt bleiben. Als Beispiel für Diskriminierungsverbote außerhalb von Gleichbehandlungsvorschriften wird dabei ausdrücklich auf den Motivkündigungsschutz des § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG hingewiesen. Damit ist klargestellt, dass auch die Beendigung einer Überlassung nicht aus verpönten Motiven erfolgen darf.

Vor dem Inkrafttreten des § 6a AÜG gab es diesbezüglich erhebliche Schutzdefizite. Der/die betroffene AN konnte sich im Falle einer diskriminierenden Rückstellung weder gegenüber dem Beschäftiger noch gegenüber dem Überlasser zur Wehr setzen. Der Beschäftiger konnte die Überlassung jederzeit und ohne Angabe von Gründen beenden, und der Überlasser hatte ja selbst keine diskriminierende Handlung gesetzt, auch wenn er das Dienstverhältnis in Folge der diskriminierenden Rückstellung aufgelöst hat.83

Nach Ansicht beider Instanzen hat der Kl gegenüberdem Beschäftiger berechtigte Ansprüche geltend gemacht, was zur diskriminierenden Rückstellung geführt hat. Der Überlasser, der in Folge das Dienstverhältnis gekündigt hat, muss sich diese Diskriminierung zurechnen lassen. § 6a Abs 4 AÜG normiert dazu, dass die Beendigung angefochten werden kann, als wäre die Beendigung auf Grund der Diskriminierung erfolgt.

Damit erfolgt im Ergebnis eine verschuldensunabhängige Zurechnung der diskriminierenden Rückstellung an den Überlasser, der mit § 6a Abs 5 aber auch einen Rückgriffsanspruch gegen den Beschäftiger erhält. Ein solcher war nicht Gegenstand der E. Durch § 6a AÜG wird die Schutzlücke, die sich bisher aus der Aufspaltung der AG-Rolle auf Beschäftiger und Überlasser in diesem Bereich ergeben hat, beseitigt. Konsequent für diese verschuldensunabhängige Zurechnung der Diskriminierung ist, dass es für diese gerade nicht darauf ankommen kann, ob der Überlasser von der Diskriminierung wusste oder wissen musste (ausführlicher dazuLaback in Schrattbauer, AÜG [2020] § 6a Rz 32 undSchindler in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 6a AÜG Rz 17).

Bedauerlicherweise hat das OLG selbst zu § 6a AÜG nicht explizit Stellung bezogen. Es hat jedoch ausdrücklich die Rechtsauffassung der ersten Instanz gebilligt. Aus der E ergibt sich, dass eine Zurechnung der diskriminierenden Rückstellung an den Überlasser vorgenommen wurde.