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Ausgleichszulage: Pandemiebedingter längerer Auslandsaufenthalt kann gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich beenden

ALEXANDERDE BRITO

Die 1945 geborene Kl, eine türkische Staatsbürgerin, hat seit 1999 ihren Hauptwohnsitz im Land Salzburg. Sie bezieht zu ihrer Alterspension die Ausgleichszulage. Ab 29.2.2020 hielt sie sich in der Türkei auf, um dort bis 30.4.2020 Urlaub zu machen. Am 2.4.2020 gab sie gegenüber einem Mitarbeiter der Pensionsversicherungsanstalt telefonisch bekannt, dass sie in der Türkei „festsitze“ und nicht wisse, wann sie zurückkommen dürfe. Aufgrund dieser Mitteilung wurde die Ausgleichszulage mit Bescheid vom 2.4.2020 ab 1.4.2020 vorläufig eingestellt.

Die Kl gehört einer SARS-CoV-Risikogruppe an. Wegen ihrer individuellen gesundheitlichen Situation hat sie nach einer SARS-CoV-Infektion ein erhöhtes Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs. Nach dem Attest eines Lungenfacharztes wäre für sie nach Ausbruch der COVID-19-Pandemie eine Flugreise aus der Türkei nach Österreich im Zeitraum von März bis August 2020 mit einem erhöhten Risiko einer SARS-CoV-Infektion und einem hohen Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf verbunden gewesen, sodass aus medizinischer Sicht von einer Flugreise abzuraten war. Insb im Hinblick auf diese ärztliche Empfehlung und auch wegen der Bewegungseinschränkungen hatte sich die Kl entschieden, nach Ausbruch der COVID-19-Pandemie in der Türkei zu bleiben. Sie hielt sich im Raum Antalya an wechselnden Orten bei Freunden auf und kehrte am 21.9.2020 nach Österreich zurück.

Mit Bescheid vom 1.10.2020 sprach die Bekl aus, dass für den Zeitraum von 1.1. bis 31.12.2020 kein Anspruch auf Ausgleichszulage bestehe und der im Zeitraum von 1.1. bis 31.3.2020 entstandene Überbezug von € 1.845,- in monatlichen Raten in Höhe von € 49,- zurückgefordert werde.

Das Erstgericht sprach der Kl die begehrte Ausgleichszulage von 1.1. bis 31.12.2020 zu und stellte fest, dass die Bekl nicht berechtigt sei, einen Betrag von € 1.845,- zurückzufordern.

Das Berufungsgericht entschied, dass die Kl Anspruch auf Ausgleichszulage von 1.1. bis 30.4.2020 und von 21.9. bis 31.12.2020 hat. Das Mehrbegeh104ren auf Zuspruch der Ausgleichszulage für den Zeitraum von 1.5. bis 20.9.2020 wurde abgewiesen.

Diese Rechtsansicht wurde vom OGH geteilt. Die Kl habe demnach ab dem Verstreichen des geplanten Rückkehrtermins aus dem Urlaub keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland mehr gehabt, diese E des OLG überschreite nicht den durch die bisherige Rsp des OGH vorgegebenen Rahmen. Nach den Feststellungen steht im Vordergrund, dass die Kl nach dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie – entsprechend dem ihr erteilten ärztlichen Rat – im Hinblick auf ihre individuelle gesundheitliche Situation längerfristig die Rückreise nach Österreich nicht antreten wollte und sich deshalb entschloss, länger in der Türkei zu bleiben. Sie entschied sich auch nicht für die sofortige Rückkehr nach Österreich, nachdem ab Mai 2020 die Bewegungseinschränkungen in der Türkei gelockert und im Juni 2020 der (seit Mitte März 2020 eingestellte) Flugverkehr nach Österreich wieder aufgenommen worden war. Diese Umstände sprechen im strittigen Zeitraum für einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Türkei.

Die Ausgleichszulage hat sozialhilfeähnlichen, auf den individuellen Mindestbedarf abgestellten Charakter. Mit dieser Leistung sollen (nur) die Lebenshaltungskosten im Inland abgedeckt werden. Dieser Charakter legt es nahe, dass die Ausgleichszulage nur im Inland beansprucht werden kann. Sie setzt daher den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland voraus. Ob ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland vorliegt, richtet sich nach seiner Dauer, seiner Beständigkeit sowie anderen Umständen persönlicher oder beruflicher Art, die dauerhafte Beziehungen zwischen einer Person und ihrem Aufenthalt anzeigen. Kurzfristige und vorübergehende Auslandsaufenthalte schaden dem Aufrechtbleiben eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht. Der Ausnahmecharakter des Aufenthalts im Ausland muss aber stets gewahrt werden. Seine zeitliche Begrenzung wird ein Auslandsaufenthalt jedenfalls dann finden müssen, wenn er eine Dauer erreicht hat, die geeignet ist, einen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland zu begründen. Hält sich ein Pensionsberechtigter etwa mehr als die Hälfte des Jahres im Ausland auf, kann jedenfalls nicht mehr davon ausgegangen werden, dass er noch einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Daran kann auch beispielsweise das Beibehalten einer Wohnung im Inland nichts ändern. Ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland liegt erst dann wieder vor, wenn der Pensionsbezieher tatsächlich nach Österreich zurückgekehrt ist und nach den Umständen indiziert ist, dass er seinen Aufenthalt auf Dauer (wieder) ins Inland verlegt.

Ein gewöhnlicher Aufenthalt im Ausland kann auch dann begründet werden, wenn eine Person krankheitsbedingt nicht zu einer Rückkehr nach Österreich in der Lage ist. Ob ein gewöhnlicher Aufenthalt vorliegt, kann immer nur anhand der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, insb auch im Zusammenhang mit „verlängerten“ Auslandsaufenthalten aufgrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie.

Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.