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Keine Kürzung des Kinderbetreuungsgeldes bei Verschiebung der Mutter-Kind-Pass-Untersuchung aus medizinischen Gründen

ELISABETHBISCHOFREITER

Bei Verschiebung eines von der Mutter ursprünglich innerhalb des Untersuchungszeitraums des § 3 Abs 3 Mutter-Kind-Pass-Verordnung vereinbarten Untersuchungstermins aufgrund medizinischer Erwägungen der behandelnden Ärztin auf wenige Tage nach dem Untersuchungszeitraum kann der Mutter nur der Vorwurf gemacht werden, die Einhaltung der Fristen für die Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen nicht gesondert nachgerechnet zu haben. Zieht man ergänzend in Betracht, dass Grund für die Terminverschiebung eine aufgrund von Beschwerden der Mutter nur drei Tage vor Beginn des relevanten Untersuchungszeitraums durchgeführte Untersuchung war, trifft die Eltern an der Versäumung der Untersuchungsfrist kein rechtlich relevanter Vorwurf.

SACHVERHALT

Die Kl sind die Eltern der am 16.12.2019 geborenen Tochter. Die 17. Schwangerschaftswoche begann am 1.7.2019, die 20. Schwangerschaftswoche endete am 28.7.2019. Die Erstkl wurde am 28.6.2019 bei einem spontanen, aufgrund von Beschwerden ausgemachten Termin von ihrer Gynäkologin untersucht. Über Initiative der Gynäkologin wurde nach dieser Untersuchung ein bereits für den 9.7.2019 fixierter Untersuchungstermin storniert, weil die Gynäkologin meinte, ein derart kurzfristiger Termin zwei Wochen später sei aus medizinischer Sicht nicht notwendig.

Am 22.7.2019 suchte die Erstkl die Praxis ihrer Gynäkologin auf, wo die im Mutter-Kind-Pass vorgesehene Hebammenberatung stattfand. Am 24.7.2019 unterzog sich die Erstkl der vorgesehenen internen Untersuchung bei einem Facharzt für Innere Medizin. Am 9.8.2019 suchte sie das nächste Mal ihre Gynäkologin auf. Der Termin wurde von der Gynäkologin als Wahlärztin gegenüber der Bekl als „zweite Untersuchung der Schwangeren zwischen der 17. und der 20. Schwangerschaftswoche“ verrechnet. Die Untersuchung wurde im Mutter-Kind-Pass mit dem Datum 9.8.2019 und dem Stempel der Gynäkologin als zweite Untersuchung der Mutter eingetragen.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Mit Bescheiden vom 2.4.2020 sprach die Bekl gegenüber beiden Kl aus, dass sich ihr jeweiliger Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld um EUR 1.300,– reduziere, weil der Nachweis der vorgeschriebenen Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen während der Schwangerschaft fehle.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren – nach Verbindung der Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung – ab. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Der OGH hielt die Beurteilung des Berufungsgerichts für korrekturbedürftig und daher die außerordentliche Revision für zulässig. Diese war auch berechtigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„[…]

15. Nach § 3 Abs 3 Mutter-Kind-Pass-Verordnung 2002 (MuKiPassV) ist die zweite Untersuchung der Schwangeren in der 17., 18., 19. oder 20. Schwangerschaftswoche vorzunehmen. Sie hat eine interne Untersuchung einzuschließen.

16. Gemäß § 7 Abs 2 Z 1 KBGG besteht der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe nur, sofern die fünf Untersuchungen während der Schwangerschaft und die erste Untersuchung des Kindes nach der MuKiPassV vorgenommen und bei der Beantragung des Kinderbetreuungsgeldes durch Vorlage der entsprechenden Untersuchungsbestätigungen nachgewiesen werden.

17. Werden die im § 7 Abs 2 KBGG vorgesehenen Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen nicht bis zu den vorgesehenen Zeitpunkten nachgewiesen, so reduziert sich der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für jeden Elternteil um 1.300 EUR (§ 3 Abs 4 KBGG).

18. § 7 Abs 3 KBGG sieht Ausnahmen von dieser Kürzungsregel vor: Nach § 7 Abs 3 KBGG besteht ungeachtet dessen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe, wenn (Z 1:) die Vornahme oder der Nachweis der Untersuchungen nur aus Gründen, die nicht von den Eltern zu vertreten sind, unterbleibt […].107

19. Für die Beurteilung, ob die nicht rechtzeitige Vornahme oder der nicht rechtzeitige Nachweis der Untersuchungen von den Eltern zu vertreten sind, kommt es darauf an, ob den Eltern ein rechtlich relevanter Vorwurf gemacht werden kann (10ObS88/16p&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 88/16p SSV-NF 30/53; 10ObS2/21y&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 2/21y; 10ObS33/21g&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 33/21g ua). Nach der Rechtsprechung reicht […] das bloße Übersehen der Verpflichtung zur Vornahme oder zur Erbringung eines rechtzeitigen Nachweises einer Mutter-Kind-Pass-Untersuchung nicht aus, um einen nicht von den Eltern zu vertretenden Grund annehmen zu können (10ObS157/14g&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 157/14g SSV-NF 29/31), ebenso wenig das allgemeine Ansteckungsrisiko während einer Grippewelle im Warteraum eines Kinderfacharztes als Grund für eine verspätete Vornahme der Untersuchung (10ObS45/15p&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 45/15p SSV-NF 29/27; 10ObS26/16w&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 26/16w SSV-NF 30/35). Hingegen billigte der Oberste Gerichtshof jüngst die Rechtsansicht, die wegen der Erkrankung des Kindes vom Kinderarzt vorgenommene Verschiebung des ursprünglich innerhalb der dafür vorgesehenen Frist angesetzten Untersuchungstermins über den von § 7 Abs 6 MuKiPassV vorgeschriebenen Untersuchungszeitraum hinaus sei von der Mutter nicht zu vertreten (10ObS15/20h&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 15/20h).

20. Auch im hier zu beurteilenden Fall hatte die Mutter für die Durchführung der zweiten Mutter-Kind-Pass-Untersuchung während der Schwangerschaft einen innerhalb des Untersuchungszeitraums des § 3 Abs 3 MuKiPassV liegenden Untersuchungstermin bei ihrer Gynäkologin vereinbart, der aufgrund medizinischer Erwägungen von der behandelnden Ärztin storniert und auf einen wenige Tage nach dem Untersuchungszeitraum liegenden Termin verschoben wurde. Die nach § 3 Abs 3 MuKiPassV im Zuge der zweiten Untersuchung der Schwangeren vorzunehmende interne Untersuchung wurde bei einem Facharzt für Innere Medizin innerhalb des Untersuchungszeitraums durchgeführt.

21. Der Klägerin kann daher nur der Vorwurf gemacht werden, nach der von der behandelnden Gynäkologin initiierten Verschiebung des […] Untersuchungstermins die Einhaltung der Fristen für die Mutter-Kind-Pass-Untersuchung nicht gesondert nachgerechnet zu haben. Zieht man ergänzend in Betracht, dass Grund für die – von der Ärztin ausgehende – Terminverschiebung eine aufgrund von Beschwerden der Mutter nur drei Tage vor Beginn des relevanten Untersuchungszeitraums durchgeführte Untersuchung war, trifft die Eltern an der Versäumung der Untersuchungsfrist im vorliegenden Fall kein rechtlich relevanter Vorwurf.“

ERLÄUTERUNG

Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die Eltern die verspätete – nicht in der 17., 18., 19. oder 20. Schwangerschaftswoche erfolgte – Durchführung der zweiten Mutter-Kind-Pass-Untersuchung zu vertreten haben und deren Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld gekürzt werden darf. Grundsätzlich kann der zuständige Sozialversicherungsträger das Kinderbetreuungsgeld um einen Pauschalbetrag in Höhe von EUR 1.300,– kürzen, wenn die vorgesehenen Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen nicht rechtzeitig durchgeführt werden. Eine Ausnahme besteht dann, wenn die Vornahme nur aus Gründen, die nicht von den Eltern zu vertreten sind, unterbleibt.

Das Berufungsgericht führte diesbezüglich aus, dass Ausnahmen von der Kürzungsregel nur zuzulassen wären, wenn die Fristversäumnis „gänzlich außerhalb der Einflusssphäre“ der Eltern liege. Im gegenständlichen Fall kann der Mutter lediglich der Vorwurf gemacht werden, dass sie die Einhaltung der Fristen für die Untersuchung nicht gesondert nachgerechnet hat. Der OGH kam aufgrund der Tatsache, dass der Untersuchungstermin aus medizinischen Gründen durch die behandelnde Gynäkologin verschoben wurde, dennoch zum Ergebnis, dass den Eltern hinsichtlich der Versäumung der Frist kein rechtlich relevanter Vorwurf gemacht werden kann.