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Hart formulierte Kritik eines Betriebsratsmitglieds stellt keine erhebliche Ehrverletzung dar

CHRISTINANEUNDLINGER

Der als Jurist in der Lehre und in der Abteilung Weiterbildung, Studienadministration und studienrechtliche Angelegenheiten beschäftigte bekl AN war Mitglied des BR. Die kl AG erhob gegen ihn den Vorwurf der erheblichen Ehrverletzung (§ 122 Abs 1 Z 5 ArbVG) und der beharrlichen Pflichtverletzung (§ 121 Z 3 ArbVG) und begehrte bei Gericht die Zustimmung zur Entlassung, in eventu zur Kündigung.

Die Vorinstanzen verneinten übereinstimmend das Vorliegen einer erheblichen Ehrverletzung und der beharrlichen Pflichtverletzung. Hinter all den Vorwürfen, die der Bekl als Mitglied des Kollegiums erhoben habe, stecke letztlich eine hart formulierte, auf einen konkreten Sachverhalt bezogene Kritik. Diese richte sich einerseits gegen eine befürchtete Einflussnahme der Geschäftsführung der Kl auf eine Lehrauftragsvergabe, in deren Zusammenhang auch die Haltung des Leiters des Kollegiums bemängelt werde, und stelle andererseits eine Reaktion auf den vom Leiter des Kollegiums gegenüber dem Bekl am 10.1.2020 geäußerten Vorwurf der „Hasspropaganda“ dar bzw handle es sich um die Wahrnehmung der Interessen eines vertretenen Kollegen. Dagegen wendete die Kl ein, das E-Mail des Bekl vom 14.1.2020, in dem er den Leiter des Kollegiums bezichtigte, gegen ihn vorzugehen, etwa indem er „Kolleginnen und Kollegen geradezu anzufischen“ scheine, „um ihnen Belastung, Frust und/oder dergleichen zu entlocken“, um das dann gegen den Bekl verwenden zu können, sei nicht mehr als „Reaktion“ auf die Äußerung des Leiters vom 10.1.2020 betreffend die behauptete „Hasspropaganda“ des Bekl anzusehen. Der Bekl habe den Leiter einfach weiterhin mit Vorwürfen überschütten wollen. Der OGH wies die außerordentliche Revision der Kl mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurück.

Nach § 122 Abs 1 Z 5 ArbVG kann das Gericht die Zustimmung zur Entlassung ua dann erteilen, wenn sich das Betriebsratsmitglied einer erheblichen Ehrverletzung gegen den Betriebsinhaber, dessen im Betrieb tätige oder anwesende Familienangehörige oder AN des Betriebs zuschulden kommen lässt, sofern durch dieses Verhalten eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen Betriebsratsmitglied und Betriebsinhaber nicht mehr zu erwarten ist. Erhebliche Ehrverletzungen verlieren den Charakter eines Entlassungsgrundes, wenn die Begleitumstände des Falls, wie etwa die Erregung über das vorausgegangene Verhalten des Beleidigten oder die Verteidigung gegen einen vermeintlich ungerechtfertigten Standpunkt die Beleidigung im Einzelfall als noch entschuldbar und die Weiterbeschäftigung des betreffenden AN als noch nicht unzumutbar erscheinen lassen.

Der Bekl nahm in dem E-Mail vom 14.1.2020 inhaltlich nicht nur (zum wiederholten Mal) auf die „Verbalentgleisung“ des Leiters des Kollegiums Bezug. Er knüpfte darin thematisch auch an den bereits seit dem Jahr 2018 schwelenden Konflikt um die Nichtvergabe eines Lehrauftrags an ein ehemaliges Kollegiumsmitglied an, der im Dezember 2019 mit einem gegen den Willen des Leiters abgeschickten E-Mail des Bekl an die zuständige Bundesministerin einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte. Angesichts der Einbettung in eine schon länger emotionalisiert geführte Debatte bewegt sich das E-Mail zeitlich gesehen jedenfalls nicht außerhalb jeglicher „angemessenen Reaktionszeit“.84

Die E-Mails des Bekl vom Dezember 2019 an den Geschäftsführer und die Bundesministerin (der nach § 10 Abs 10 FHG ein Informationsrecht zukommt) qualifizierten die Vorinstanzen – ungeachtet einer allfälligen Verfristung als Entlassungsgrund – nicht als Ehrverletzung, weil es dem Bekl in seiner Funktion als Mitglied des Kollegiums (aber letztlich auch des BR) nicht verwehrt werden könne, die vermutete Beeinflussung der Lehrauftragsvergabe durch die GmbH-Geschäftsführung aufzugreifen. Auch wenn die in diesem Zusammenhang vom Bekl erhobenen Vorwürfe der Willkür, Kompetenzüberschreitung bzw der „eigentümlichen Handlungen“ der Geschäftsführung und „unzulässigen Einwirkung auf die Studiengangsleitung“ durchaus als unpassend und inadäquat empfunden werden können, kann (noch) nicht davon gesprochen werden, dass sie ihrer Art nach und nach den Umständen, unter denen sie erfolgten, von einem Menschen mit normalem Ehrgefühl nicht anders als mit dem Abbruch der Beziehungen beantwortet werden könnten.

Im vorliegenden Fall war darüber hinaus strittig, ob ein Gespräch am Gang vor dem Besprechungszimmer unmittelbar vor einer unter das Mandat fallenden Besprechung unter die Mandatsschutzklausel fällt. Der Mandatsschutz des § 120 Abs 1 ArbVG kommt einem Betriebsratsmitglied nur dann zugute, wenn sein Verhalten in Ausübung des Mandats gesetzt wurde und unter Abwägung aller Umstände entschuldbar war. Da es ohne Zuziehung des Bekl als BR zu dem Gespräch gar nicht zu dieser Begegnung mit dem Geschäftsführer gekommen wäre, ist nach Ansicht des OGH nicht ersichtlich, warum der Bekl nicht zumindest der Meinung hätte sein können, bereits zu diesem Zeitpunkt in Ausübung seines Mandats tätig zu werden.

Abschließend hält der OGH fest, dass der AG gerade auch in einem Gerichtsverfahren, in dem die Zustimmung zur Auflösung des Dienstverhältnisses des AN begehrt wird, in schärfster Form die Ablehnung des Verhaltens des AN gegenüber anderen Mitarbeitern zum Ausdruck bringt und dies einer Verwarnung gleichzuhalten ist. Künftiges grenzüberschreitendes und streitsuchendes Verhalten des AN vor allem auch gegenüber seinen Kollegen und Kolleginnen wird daher unter dieser Prämisse zu beurteilen sein.