34

Verpflichtung zur Achtung der körperlichen Unversehrtheit genügt nicht für Haftungsprivileg wegen Aufseherfunktion

DAVIDKOXEDER

Sowohl Kl als auch Bekl waren als AN auf einer Baustelle beschäftigt. Am 1.12.2011 hat der Bekl als Kranführer ein von einem Dritten am Kranausleger eingehängtes Baudrahtrollenbündel an die vorgesehene Stelle geschwenkt. Hierbei stürzte die Rolle aufgrund mangelnder Befestigung ab und verletzte den Kl schwer.

Der Kl begehrte im Verfahren ua Schmerzengeld und pauschale Unkosten und brachte vor, dass der Bekl wegen unsachgemäßer Sicherung der Ladung das Alleinverschulden an dem Unfall trage. Der Bekl wandte das alleinige Verschulden des Kl ein und berief sich auf das DG-Haftungsprivileg nach § 333 ASVG.

Sowohl das Erstgericht als auch das Berufungsgericht sprachen dem Kl – nach vorangehenden Rechtsmittelverfahren – im dritten Rechtsgang ein Teilschmerzengeld und pauschale Unkosten zu und bestätigten den Zuspruch des Feststellungsbegehrens.

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts an den OGH gerichtete außerordentliche Revision des Kl und des Bekl wurde mangels Vorliegens der Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO als unzulässig zurückgewiesen.

Zur Revision des Kl hielt der OGH in seinen rechtlichen Ausführungen fest, dass bei der Bemessung des Schmerzengeldes regelmäßig auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen ist. Eine Einzelfallentscheidung ist höchstgerichtlich nur dann überprüfbar, wenn im Interesse der Rechtssicherheit ein grober Fehler bei der Auslegung der anzuwendenden Rechtsnorm korrigiert werden müsste. Anders ausgedrückt: Im Fall des Schmerzengeldes wäre nur bei eklatanter Fehlbemessung, die außerhalb des Rahmens der stRsp fällt, zur Vermeidung gravierender Ungleichbehandlungen durch die Rsp und damit letztlich aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit eine Revision ausnahmsweise zulässig.

Nach Ansicht des OGH wurden vonseiten des Kl derartige besondere Umstände nicht aufgezeigt und die Berufsentscheidung bewegte sich innerhalb der Grenzen des ihm bei der Schmerzengeldbemessung offenstehenden Spielraums, weshalb die Revision des Kl zurückgewiesen wurde.

Betreffend die Revision des Bekl vertrat der OGH die Rechtsansicht, dass die Beurteilung, ob eine bestimmte Person bei einem konkreten Arbeitseinsatz als Aufseher im Betrieb iSd § 333 Abs 4 ASVG anzusehen ist, stets einzelfallbezogen ist, 85sodass sich idZ grundsätzlich keine erheblichen Rechtsfragen stellen. Die Qualifikation als Aufseher erfordert einen gewissen Pflichtenkreis und eine mit Selbständigkeit verbundene Stellung zur Zeit des Unfalls, wobei er (der Aufseher) die Verantwortung für ein Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte tragen muss. Nicht entscheidend ist, ob die Aufsicht ganz unbeschränkt oder mit Unterordnung unter einem Vorgesetzten ausgeübt wird; ebenso muss es sich nicht um eine Dauerfunktion im Betrieb handeln. In der Situation, in der sich die Schädigung ereignet, muss sich die konkrete, vom DG übertragene Verantwortung für die körperliche Sicherheit der DN von der allgemeinen Ingerenzpflicht jedes DN gegenüber Kollegen im Betrieb deutlich abheben.

Die allgemeine Verpflichtung, die körperliche Unversehrtheit Dritter nicht zu beeinträchtigen, genügt nicht für die Aufsehereigenschaft. Insofern erfüllt die Aufgabe, andere DN vor den mit einer bestimmten Arbeit verbundenen Gefahren durch Abgabe von Signalen zu warnen und aus dem Gefahrenbereich zu verweisen, mangels besonderer Überwachungs- und Anordnungsbefugnis nicht das Kriterium des § 333 Abs 4 ASVG.

Unter Berücksichtigung der dargestellten Grundsätze vertrat der OGH die Rechtsmeinung, dass die Beurteilung der Vorinstanzen, wonach dem Bekl beim gegenständlichen Vorgang keine Aufseherfunktion iSd § 333 Abs 4 ASVG zukam, keine aufzugreifende Fehlbeurteilung darstellt und somit mangels einer erheblichen Rechtsfrage aufzuwerfende Fehlbeurteilung auch die Revision des Bekl zurückzuweisen war.