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Kein allgemeiner Kündigungsschutz nach § 105 ArbVG bei vorzeitiger Auflösung des Lehrverhältnisses

ADMIRBAJRIC

Der allgemeine Kündigungsschutz gem § 105 ArbVG kommt aufgrund des klaren Willens des Gesetzgebers bei vorzeitiger Auflösung des Lehrverhältnisses nach § 15a BAG nicht zur Anwendung, die Möglichkeit der Geltendmachung eines besonderen Kündigungsschutzes (zB nach MSchG oder VKG) bleibt davon unberührt.

SACHVERHALT

Der Kl stand ab 1.9.2017 in einem Lehrverhältnis im Lehrberuf „Versicherungskaufmann“ zur Bekl. Das Ausmaß der Lehrzeit beträgt drei Jahre und hätte regulär am 31.8.2020 geendet. Die Bekl löste das Lehrverhältnis mit dem Kl gem § 15a BAG bereits zum 31.8.2019 auf.

Seit Beginn der Lehrlingstätigkeit war der Kl der Abteilung des B („faktischer Ausbilder“) zugeteilt. Nachdem es sowohl am Arbeitsplatz als auch in der Berufsschule Probleme wegen der Unpünktlichkeit des Kl gab, wurde er von diesem mehrfach ermahnt und ein pünktlicher Dienstbeginn eingemahnt. In mehreren Gesprächen wandte er sich an seinen Vorgesetzten, den Lehrlingsverantwortlichen (gemeint: Ausbildungsleiter) bei der Bekl für das Gebiet Wien, schlussendlich mit dem Eingeständnis, „mit dem Kl nicht zurande zu kommen“. Der Lehrlingsverantwortliche entschied gemeinsam mit der Personalabteilung, einen Mediator einzuschalten. Dieser ließ sich zunächst telefonisch von B die Probleme mit dem Kl schildern und konfrontierte daraufhin den Kl mit den von B formulierten Beschwerden. In einem weiteren Gespräch mit B informierte der Mediator diesen über seine Eindrücke und Schlussfolgerungen nach dem Telefonat mit dem Kl. Schließlich führte der Mediator mit dem Lehrlingsverantwortlichen am 6.6.2019 ein Schlussgespräch, in welchem der Mediator wissen ließ, dass man nach Rücksprache mit dem Kl „nicht weiter käme“. Mit dieser Unterredung war für den Mediator der Auftrag abgeschlossen. Dieses abschließende Telefonat mit dem Mediator war dann auch der Grund für die Auflösung des Lehrverhältnisses.

Am 30.7.2019 erklärte die Bekl dem Kl gegenüber, dass das Lehrverhältnis gem § 15a BAG mit 31.8.2019 ende.

Der Kl erachtete die Auflösung für unwirksam und begehrte die Feststellung des aufrechten Lehrverhältnisses über den 31.8.2019 hinaus sowie die Zahlung von € 18.463,48 brutto sA an Lehrlingsentschädigung mit dem Vorbringen, dass die Bekl mit dem durchgeführten Mediationsverfahren den Formvorschriften des § 15a BAG nicht entsprochen und auch das Vorverfahren gem § 105 ArbVG nicht eingehalten habe. Die Bekl bestritt und beantragte Klagsabweisung. Die Vorgaben des § 15a BAG seien eingehalten worden, § 105 ArbVG komme nicht zur Anwendung.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das Erstgericht wies das Begehren ab. In rechtlicher Hinsicht sah es die Voraussetzungen des § 15a BAG als erfüllt an.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge. Durch die Einbeziehung aller unmittelbar in die Lehrlingsausbildung involvierten Personen werde dem Gesetzeszweck entsprochen, durch das Mediationsverfahren die Problemlage darzustellen und auf die Lösung des Konflikts hinzuwirken, um alle Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung des Lehrverhältnisses auszuschöpfen. Eine nicht in den Konflikt involvierte Person vermöge zur Mediation nichts beizutragen. Wenn dann der Mediator nach diesen Gesprächen das Mediationsverfahren für beendet erkläre, begegne dies keinen Bedenken. § 105 ArbVG komme nach der klaren Absicht des Gesetzgebers nicht zur Anwendung. Die Revision sei aber zur Frage der Anwendbarkeit des § 105 ArbVG zulässig.

Der OGH bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts und gab der Revision nicht Folge.87

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG
„[…]1.2. Die Auflösungsmöglichkeit nach § 15a BAG wurde mit BGBl I 2008/82geschaffen, weil die damals bestehenden Möglichkeiten zur Auflösung eines Lehrverhältnisses als zu eng erachtet wurden (RV 505 BlgNR 23. GP 1: „insbesondere im Hinblick auf jene Fälle, in denen sich nach der Probezeit eine nur geringe Eignung oder schwerwiegende Motivationsmängel des Lehrlings bei der Erlernung des Lehrberufs herausstellen“). (…)1.3. Zur Art dieser Beendigung nehmen die Erläuternden Bemerkungen ausdrücklich wie folgt Stellung: „Die außerordentliche Auflösung ist keine Kündigung, sondern eine Auflösungsart sui generis. Es ist jedoch gerechtfertigt, den besonderen Kündigungsschutz nach dem MSchG, VKG, APSG und für Mitglieder des Jugendvertrauensrates oder Betriebsrates auch nach dem ArbVG anzuwenden, da anderenfalls der Kündigungsschutz durch ein Mediationsverfahren ohne Einigung umgangen werden könnte. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Erklärung der Auflösung, nicht jedoch des Mediationsverfahrens. Aus der taxativen Aufzählung folgt, dass andere Bestimmungen über den Kündigungsschutz, insbesondere über den allgemeinen Kündigungsschutz nach dem ArbVG, nicht zur Anwendung kommen.“ (RV aaO 7) Nach dem klaren Willen des Gesetzgebers sollte es bei dieser Art der Beendigung – ungeachtet der Frage, ob die Beendigungserklärung als (außerordentliche) Kündigung einzuordnen ist oder nicht – daher bewusst nicht zur zusätzlichen Anwendung des allgemeinen Kündigungsschutzes nach § 105 ArbVG kommen. Hervorzuheben ist, dass mit den in § 15a Abs 3 BAG vorgesehenen Informationspflichten materiell auch ein wesentlicher Gehalt des § 105 Abs 1 und 2 ArbVG für diese Lösungsform übernommen wurde (s Trost in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 105 Rz 109). Eine planwidrige Lücke liegt danach nicht vor.1.4. Das entspricht auch dem Standpunkt der herrschenden Lehre (zB Spitzl in Neumayr/Reissner ZellKomm3 § 15a BAG Rz 14; Strohmayer in Aust/Ghittenberger/KnallnigPrainsack/Strohmayer, BAG § 15a Rz 67 [„taxative Aufzählung“]; Gahleitner in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfasssungsrecht6 § 105 Rz 21; Burger in Resch, Neuerungen zur Beendigung des Arbeitsvertrags [2009] 17, 41; aA Mathy/Trost, DRdA 2017, 446 [planwidrige Lücke]).1.5. Entgegen den Revisionsausführungen verbleiben Lehrlinge mit dieser Beendigungsmöglichkeit noch nicht in einem „rechtsleeren Raum“. Zum einen sind der Auflösung die Mitteilungspflichten des § 15a Abs 3 BAG und das – wenngleich gerichtlich nicht überprüfbare – Mediationsverfahren vorzuschalten, das auch den Regeln des ZivMedG unterliegt. Nach dessen Zweck ist die Problemlage für die Beteiligten nachvollziehbar darzustellen und zu erörtern, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Fortsetzung des Lehrverhältnisses möglich ist (RV aaO 7). Nach allgemeinen Grundsätzen darf die Rechtsausübung – hier die außerordentliche Auflösung – aber auch nicht willkürlich erfolgen.Demgegenüber ist im Hinblick auf die Anfechtungsmöglichkeit nach § 105 ArbVG zu bedenken, dass ein Lehrvertrag im Gegensatz zu einem regulären Dienstverhältnis schon seiner Art nach auf die Dauer der Lehrzeit befristet abgeschlossen wird (§ 13 BAG) und damit nicht regulär kündbar ist. Ein Kündigungsschutz nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG wegen Sozialwidrigkeit ginge in typisierter Betrachtung auch oft ins Leere, weil sich die Auflösung eines Lehrverhältnisses meistens aufgrund des geringen Alters von Lehrlingen, ihrer kurzen Betriebszugehörigkeit und des geringen Einkommensverlustes nicht als sozialwidrig erweisen wird (Burger aaO 41). Überdies enthält § 15a Abs 7 BAG Mitteilungspflichten, um einen reibungslosen Ausbildungsübertritt des Lehrlings auf einen neuen Ausbildungsplatz (§ 38e AMSG) zu gewährleisten. Die Situation eines Lehrlings, dessen Lehrverhältnis nach § 15a BAG aufgelöst wurde, ist damit nicht ausreichend mit jener vergleichbar, die nach § 105 ArbVG zur Anfechtung einer Kündigung wegen Sozialwidrigkeit berechtigt. Eine Überprüfung wegen einer Motivkündigung nach § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG steht im vorliegenden Verfahren nicht zur Diskussion. Der Anregung des Klägers, eine Überprüfung des § 15a BAG durch den Verfassungsgerichtshof wegen Gleichheitswidrigkeit der Bestimmung zu veranlassen, ist nicht näherzutreten.1.6. Insgesamt bestehen sohin keine Gründe, sich über den erklärten Willen des Gesetzgebers, die Beendigung eines Lehrverhältnisses nach § 15a BAG nicht auch dem allgemeinen Kündigungsschutz des § 105 ArbVG zu unterwerfen, hinwegzusetzen.2. Der Kläger sieht weiter einen Verstoß gegen die Formvorschriften bei Auflösungen nach § 15a BAG darin, dass kein Gespräch mit dem Lehrberechtigten – laut Lehrvertrag dem Ausbilder – stattgefunden habe.2.1. Das BAG unterscheidet zwischen dem Lehrberechtigten (§ 2 BAG) und dem Ausbilder (§ 3 BAG). Ist der Lehrberechtigte – wie hier – eine juristische Person, hat der Lehrberechtigte mit der Ausbildung von Lehrlingen nach Maßgabe des § 3 Abs 1 BAG andere Personen (Ausbilder) zu betrauen. Ein Lehrberechtigter, der gemäß § 3 Abs 1 BAG nicht verpflichtet ist, einen Ausbilder mit der Ausbildung von Lehrlingen zu betrauen, ist dazu berechtigt (§ 3 Abs 2 BAG). Sofern in einem Unternehmen mehrere Ausbilder mit der Ausbildung von Lehrlingen betraut wurden, hat der Lehrberechtigte eine Person mit der Koordination der gesamten Ausbildung zu betrauen (Ausbildungsleiter), wenn es zur sachgemäßen Ausbildung der Lehrlinge erforderlich ist (§ 3 Abs 5 BAG).2.2. Nach § 15a Abs 5 BAG sind in die Mediation der Lehrberechtigte, der Lehrling, bei dessen Minderjährigkeit auch der gesetzliche Vertreter und 88 auch auf Verlangen des Lehrlings eine Person seines Vertrauens einzubeziehen. Von Gesetzes wegen wird sohin nicht auf die Einbeziehung des Ausbilders, sondern des Lehrberechtigten abgestellt.2.3. Wie dargelegt, ist es Zweck der Mediation, die Problemlage für die Beteiligten nachvollziehbar darzustellen und zu erörtern, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Fortsetzung des Lehrverhältnisses möglich ist (RV aaO 7). Hier wurde der Ausbildungsleiter – wie auch der faktische Ausbilder – in das Mediationsverfahren einbezogen. Damit wurde aber sowohl dem Wortlaut des Gesetzes (§ 2 iVm § 3 Abs 5 BAG) als auch diesem Zweck des Gesetzes entsprochen. Einem möglichen willkürlichen Vorgehen wurde damit gerade nicht Tür und Tor geöffnet. Ein Formverstoß liegt nicht vor. Davon ausgehend bestehen auch die geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel nicht.“
ERLÄUTERUNG

Mit Einführung des § 15a BAG wurden die bestehenden einseitigen Auflösungsmöglichkeiten des BAG erweitert. Dabei wurde die Beendigung durch den Lehrberechtigten nach § 15a BAG im Wesentlichen durch Mitteilungspflichten und Durchführung eines Mediationsverfahrens bedingt.

Gleichzeitig wurde mit § 15a Abs 8 BAG bestimmt, dass bei Auflösung durch den Lehrberechtigten der besondere Kündigungsschutz nach dem Mutterschutzgesetz 1979, dem Väter-Karenzgesetz, dem Arbeitsplatz-Sicherungsgesetz 1991, dem Behinderteneinstellungsgesetz und für Mitglieder des Jugendvertrauensrates oder BR nach dem Arbeitsverfassungsgesetz weiterhin bestehen bleibt.

Laut den Erläuternden Bemerkungen handelt es sich hierbei um eine taxative Aufzählung, aus welcher der Schluss folgt, dass andere Bestimmungen über den Kündigungsschutz nicht zur Anwendung kommen, daher auch nicht der allgemeine Kündigungsschutz nach § 105 ArbVG. Laut OGH entspricht dies dem klaren Willen des Gesetzgebers und auch dem Standpunkt der herrschenden Lehre. Eine planwidrige Lücke wurde vom OGH ausgeschlossen.

Der OGH setzte sich auch mit der Frage auseinander, ob im gegenständlichen Fall die Formvorschriften des § 15a BAG eingehalten wurden, da in dem Mediationsverfahren kein Gespräch mit dem Lehrberechtigten – laut Vertrag dem Ausbildner – stattgefunden hat.

Zur Beantwortung dieser Frage stellte der OGH zum einen auf den Zweck der Mediation (nachvollziehbare Darstellung und Erörterung der Problemlage für die Beteiligten, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Fortsetzung des Lehrverhältnisses möglich ist) und zum anderen darauf ab, ob den gesetzlichen Anforderungen nach § 2 iVm § 3 Abs 5 BAG entsprochen wurde:

Nach § 2 BAG sind Lehrberechtigte iSd BAG natürliche und juristische Personen sowie offene Gesellschaften und Kommanditgesellschaften. Gem § 3 Abs 5 BAG hat der Lehrberechtigte, sofern in einem Unternehmen mehrere Ausbilder mit der Ausbildung von Lehrlingen betraut wurden, eine Person mit der Koordination der gesamten Ausbildung zu betrauen (Ausbildungsleiter), wenn es zur sachgemäßen Ausbildung der Lehrlinge erforderlich ist. In die Mediation sind nach § 15a Abs 5 BAG der Lehrberechtigte, der Lehrling, bei dessen Minderjährigkeit auch der gesetzliche Vertreter und auch auf Verlangen des Lehrlings eine Person seines Vertrauens einzubeziehen. Es wird von Gesetzes wegen daher nicht auf die Einbeziehung des Ausbilders, sondern auf die des Lehrberechtigten abgestellt.

Im gegenständlichen Fall wurde festgestellt, dass es sich beim Lehrberechtigten um eine juristische Person handelt, die einen Ausbildungsleiter gem § 3 Abs 5 BAG mit der Koordination der gesamten Ausbildung betraut hat.

Sowohl der Ausbildungsleiter als auch der faktische Ausbilder wurden in das Mediationsverfahren einbezogen. Daher wurde nach Ansicht des OGH dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes entsprochen und war die Entscheidung des Erstgerichts zu bestätigen.