75 Jahre Arbeitsinspektionsgesetz 1947 – Eine durchwachsene Erfolgsgeschichte
75 Jahre Arbeitsinspektionsgesetz 1947 – Eine durchwachsene Erfolgsgeschichte
Das Bundesgesetz über die Arbeitsinspektion, Arbeitsinspektionsgesetz – ArbIG,* dessen Beschlussfassung sich zum 75sten Male jährt, trat mit 6.9.1947 in Kraft. Es baut in hohem Maße auf seinen Vorgängergesetzen, dem Gewerbeinspektionsgesetz von 1921,* und dieses wiederum auf dem Gewerbeinspektorengesetz von 1883* auf. Die Entwicklungskontinuität ist so weitgehend, dass unmittelbar nach der Befreiung 1945 bloß an eine Wiederinkraftsetzung des GewIG 1921 gedacht wurde.*
Um die Kontinuitäten in der Geschichte des ArbIG, aber auch das Fortbestehen von Mängeln und Lücken verstehbar zu machen, empfiehlt es sich, die Entwicklungsstränge der staatlichen Überwachung des „Arbeiterschutzes“ wie auch die Widerstände gegen diese zu betrachten.
Die Gewerbeinspektion wurde in Österreich vergleichsweise spät, nämlich erst 1883, eingerichtet. Schon seit 1833 bestand eine Fabrikinspektion in England. Die schweizerische Fabrikinspektion begann ihre Tätigkeit 1878.* In den deutschen Staaten wurden Inspektionen ab 1839 ausgehend von Preußen schrittweise und uneinheitlich eingeführt.*
Victor Adler, der Armenarzt und spätere Einiger der österreichischen Sozialdemokratie, der sich selbst als Gewerbeinspektor beworben hatte,* unternahm 1883 eine viermonatige Studienreise, um die Fabrikinspektionen in England, in Deutschland und in der Schweiz zu analysieren.*
Vorläufer einer Fabrikinspektion gab es auch in Österreich, doch diese waren, wie die ab etwa 1760 zeitweilig bestehenden Kommerzinspektoren oder Manufakturkommissäre, vorwiegend mit Aufgaben der Produktionsförderung und -statistik betraut.* Aufgrund extrem schlechter Unterbringung und Behandlung von „Fabrikkindern“ ordnete Joseph II. 1786 an, dass über deren Arbeits- und Lebensbedingungen „Aufsicht und Obacht zu tragen“ ist.*
Die Entstehung des Gewerbeinspektorengesetzes (GewIG 1883), die sich über 16 Jahre hinschleppte, sowie die Dispute um die damit in Zusammenhang stehenden GewO-Novellen von 1883 und 1885 beschreibt Ebert in einer profunden Untersuchung.* Die ursprünglich beabsichtigte Schaffung der „Gewerbsinspectoren“ innerhalb der aus 1859 stammenden GewO* erfolgte nicht, was die spätere Umgestaltung zur Arbeitsinspektion wohl wesentlich erleichterte.
1874 sprach sich der sozialdemokratische Parteitag in Neudörfl für unabhängige Fabrikinspektoren aus. Zahlreiche Eingaben – andere Mittel bestanden nicht – an das AH (Abgeordnetenhaus) verlangten neben Höchstarbeitszeitgrenzen, allgemeinem Wahlrecht und Arbeiterkammern auch die 362 Wahl von Fabrikinspektoren.* Um die Wünsche von Arbeitervereinen nicht völlig zu brüskieren, durften sich 1883 in einer Enquete drei Arbeiter zum weitgehend fertiggestellten GewIG äußern. Sie begrüßten das Vorhaben grundsätzlich, verlangten jedoch die Wahl der Inspektoren durch die Arbeiter.* Die meisten Handels- und Gewerbekammern befürworteten das Gesetz, einige hielten die Gewerbebehörden für ausreichend.* Letztlich folgte das beschlossene GewIG 1883 diversen ausländischen Vorbildern.*
Die Aufgaben der ArbI, wie sie das ArbIG 1947 enthält, hatten sich seit 1883 nicht grundlegend geändert. Sie bestehen in der Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen zum Schutz von Leben, Gesundheit und Sittlichkeit, über die Nachtarbeit, Sonntagsruhe, Arbeitszeit, Pausen und Lehrlingsausbildung.* Dazu kommt die Kontrolle der Beschränkungen für Kinder, Jugendliche und weibliche AN. Weiters hatte die ArbI auf die Lohnzahlung* und die Einhaltung arbeitsrechtlicher Bestimmungen in Kollektivverträgen zu achten und die Arbeitsordnungen* zu vidieren. 1947 kam die Kontrolle über die Gewährung des Urlaubs dazu.
Mit Erreichen des von den Betroffenen lang geforderten HeimarbeitsG 1918 trug dieses der GewI die Aufsicht über diese Arbeitsbedingungen auf.* Um das soziale Elend zu mildern, das durch den Ersten Weltkrieg noch verschärft wurde, musste auch die GewI einspringen. Angeordnet durch entsprechende Spezialvorschriften hatte die GewI die Einstellungspflicht nach dem Invalidenbeschäftigungsgesetz zu überwachen und ihre Fachkunde in Ausschüsse einzubringen. In die Arbeitsämter (industrielle Bezirkskommissionen) und in die Pflichteinstellung von Arbeitslosen war sie beratend einbezogen.* Gegen das massive Problem der Kinderarbeit sollte eine umfangreiche Zusammenarbeit von Jugendfürsorge, GewI, Kinderschutzorganisationen, Heimen, Schulen und speziellen Aufsichtsstellen helfen.*
Eine Aufgabe der InspektorInnen, die sich auch im ArbIG 1947 wiederfindet, ist ihre „vermittelnde Tätigkeit“, um das Vertrauen der AG und AN zu gewinnen und zu gutem Einvernehmen beizutragen.* Diese Funktion wurde in das GewIG 1883 „lediglich zur Zerstreuung des Misstrauens“ aufgenommen, „welches diesem Institute in beteiligten Kreisen entgegen gebracht wird“. Gem GewIG 1921 sollten die Inspektorate auch bei der Vorbereitung von Kollektivverträgen mitwirken. Die Tätigkeitberichte jener Jahre berichten eindrucksvoll über die enorme Zahl an Arbeitskämpfen und über Fälle der Schlichtung.* Umso mehr unfaire und benachteiligende „frei vereinbarte“ Arbeitsbedingungen zurückgedrängt werden konnten, verlor wohlwollendes Einschreiten an Bedeutung.*
Wenn heute wieder gerne „Beraten statt Strafen“ gefordert wird – bisweilen aus dem Munde längst beratener AG –, verdient eine Äußerung des späteren Sozialministers Geppert Beachtung: Es „sollte die Sachverständigenbehörde Arbeitsinspektion zur Stärkung ihres eigenen Ansehens und damit auch zur besseren Durchsetzung der Arbeitnehmerschutzvorschriften mehr als bisher von der ihr zur Verfügung stehenden Zwangsgewalt des Staates Gebrauch machen. Anderenfalls müssen die bestgemeinten Arbeitnehmerschutzvorschriften erfolglos bleiben“
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Um die Überwachung vorzunehmen, ist es selbstverständlich nötig, alle Betriebsanlagen, aber bspw auch die Pausenräume und die vom AG beigestellten Unterkünfte besichtigen zu können.* Das Inspektionsorgan kann die Begleitung durch den AG verlangen.* Den Besichtigungen ist der BR beizuziehen.* ArbeitsinspektorInnen sind befugt, in einschlägige Unterlagen, Pläne, Prüfbefunde, AN-Verzeichnisse usw Einsicht zu nehmen. Sie dürfen den AG sowie AN des Betriebs, auch ohne 363 Beisein weiterer Personen, vernehmen.* Weiters dürfen sie Proben entnehmen und untersuchen lassen, etwa wenn durch einen Arbeitsstoff die Gesundheit von AN gefährdet erscheint.*
Schon 1883 ging man davon aus, dass weder die Gewerbeinspektoren noch die Gewerbebehörden alle erforderlichen Kenntnisse besitzen. Auf Antrag des Inspektors konnte die Gewerbebehörde bei vermuteter Gesundheitsgefährdung Sachverständige beiziehen. Die Wirkungslosigkeit dieser Kann- Bestimmung wurde von AN-Seite kritisiert. Seit dem GewIG 1921 muss die zuständige Behörde auf Antrag der GewI ExpertInnen beiziehen.*
Um die Zuständigkeiten der ArbI, wie sie mit dem ArbIG 1947 erreicht waren, bewerten zu können, ist ein Blick auf die seit 1883 vergangenen sechs Jahrzehnte erforderlich.
Schon das GewIG 1883 galt nicht nur für die Industrie,* sondern auch für das Kleingewerbe.
Die Inspektoren des GewIG 1883 waren nur für die Arbeiter*nur in gewerblichen Unternehmungen zuständig, nicht aber für Angestellte. Von der GewO – und daher von der GewI – ausgenommen waren insb Banken, Versicherungen, Anwaltskanzleien, Zeitungsunternehmen, Krankenhäuser und Heilkunde, private Unterrichtsanstalten und Theater, Bergbau, Eisenbahn, Heimarbeit sowie Land- und Forstwirtschaft.* Generell keine Zuständigkeit bestand bis 1921 für staatliche Betriebe (durch Erlass waren die staatlichen Tabakfabriken, die Arbeitseinrichtungen in Gefängnissen und die Maschinen in gewerblichen Lehranstalten der GewI unterstellt*).
Die Angestellten* fielen demgemäß nicht unter den Schutz des GewIG 1883, obwohl deren Arbeitsund Lebensbedingungen oft beklagenswert waren. Im Handel und in Büros, so diese nicht von der GewO ausgenommen waren, galten die bescheidenen Schutzbestimmungen der GewO – etwa Höchstarbeitszeit und Sonntagsruhe – nur für die Hilfsarbeiter, nicht aber für Angestellte. Mangels Zuständigkeit konnte die GewI für Angestellte weder ausreichende Beheizung und Beleuchtung noch bspw Sitzgelegenheiten einfordern.
Für das Nicht-/Zustandekommen von Sozialgesetzen in der späten Monarchie bietet die Lage der Angestellten ein eindrucksvolles Beispiel: Seit den 1890ern fordern Angestelltenorganisationen, aber zB auch der Wr Kaufmännische Verein, ein Angestelltenschutzrecht und dessen Überwachung durch die GewI.* Da die Regierung sich wohl zu einem Handlungsgehilfengesetz drängen lässt, eine Überwachung aber nicht vorsieht, werden sogar eigene Handelsinspektoren gefordert. Mühsam beschließt das AH das HandlungsgehilfenG, dessen § 40 die Kontrolle durch die GewI vorsieht.*
Das Herrenhaus (HH) behandelt den AH-Beschluss nicht und dieser verfällt. Um weitere Verzögerung zu verhindern, bringen Sozialdemokraten einen neuen Antrag im AH ein, worauf die Regierung dem HH eine RV vorlegt; wieder wird der Reichsrat geschlossen, ohne das Gesetz zu beschließen. In der nächsten RV, diesmal an das AH gerichtet, ist die Überwachung durch die GewI bereits auf eine Kann-Bestimmung herabgedrückt, die durch Verordnung zu regeln und in Kraft zu setzen sei. Endlich treten 1910 zumindest die Arbeitsvertrags- Bestimmungen des HandlungsgehilfenG in Kraft.*
Da die Ausdehnungsverordnung neben der Überwachung auch Sonntagsruhe und Höchstarbeitszeit zu regeln hat, wird ihre Ausarbeitung ab 1913 zwischen dem Arbeitsbeirat,* dem Industriebeirat und dem Gewerberat hin und her geschoben:* erst seien empirische Erhebungen erforderlich, usw. Der Erste Weltkrieg beendet diese Manöver, wie den Arbeiterschutz überhaupt.*
Erst mit dem GewIG 1921 erhalten die Angestellten im Handel, in Banken, Versicherungen, Theatern, usw erstmals eine Arbeitsaufsichtsbehörde.* Die Absicht, alle Angestellten einzubeziehen, kann nicht verwirklicht werden. Bereits der Erstentwurf* klammert private Erziehungs- und Unterrichtsan- 364 stalten aus. Auf Druck des Justizministeriums fallen im Zweitentwurf* die Rechtsanwalts- und Notars- Kanzleien weg,* desgleichen die Postanstalt auf Wunsch anderer Ministerien. Der Drittentwurf* beugt sich den Forderungen, auch die Heilanstalten* und die Büros der Patentanwälte und Ziviltechniker auszunehmen. Der Versuch, die Ausnahmen im Ausschuss abzuschwächen, scheitert.* Die sozialdemokratische Abg Anna Boschek berichtet vom Desinteresse der Rechtsanwaltskammer an der ihr obliegenden Angestelltenschutzkontrolle und von empörender Behandlung der Angestellten in Sanatorien, Erziehungsheimen udgl.*
Die Nebenbetriebe der privaten Kranken-, Pflege-, Erziehungs- und Unterrichtsanstalten sowie jene der Strafanstalten (Küchen, Wäschereien, Werkstätten, Heizzentralen etc) werden 1921, wie auch im ArbIG 1947, der Inspektion unterstellt. Dasselbe gilt für die wirtschaftlichen Betriebe des Staates. Die AN in Ämtern der Gebietskörperschaften und öffentlich-rechtlicher Körperschaften sind hingegen ausgenommen.
1946 geht man wenig ambitioniert daran,* das Stückwerk der Geltungsbereichs-Ausnahmen zu bereinigen. Die AK fordert eine einheitliche ArbI für alle Wirtschaftssektoren mit Strafkompetenz. Jedoch nur die 1921 verfügte Ausnahme der Anwaltskanzleien* und Ziviltechniker wird zurückgenommen. Die AK verlangt, alle Heilanstalten sowie die privaten Erziehungs- und Unterrichtsanstalten in die ArbI einzubeziehen, doch nur die privaten Kranken- und Pflegeanstalten kommen ins ArbIG 1947. Die Einbeziehung der übrigen Krankenanstalten und der privaten Erziehungs- und Unterrichtsanstalten sollte erst mit dem ArbIG 1974 gelingen.
Eine Kontroverse entwickelt sich um jene Haushalte, die Hausangestellte und -gehilfInnen beschäftigen. Auf Verlangen der AK soll die ArbI die Zuständigkeit erhalten, die Arbeitsbedingungen auch dieser AN zu kontrollieren. Aus dem ArbIG-Vorentwurf wird daher die Ausnahme der Hauswirtschaft entfernt, dies wieder vom Handelsministerium zurückgewiesen, die Frage im Ministerrat heftig diskutiert (wobei der Vorwurf der Verschleppung im Raum steht) und dem NR zur Entscheidung weitergegeben. Das Vorhaben wird mit ÖVP-Mehrheit abgelehnt. Ebenso der Vorschlag, die ArbI durch unbezahlte Hilfsorgane zu entlasten.*
Ähnliche Kämpfe gegen legistische Blockaden könnten von den Eisenbahnern, den Bergarbeitern und den LandarbeiterInnen berichtet werden. Die Organisationen dieser Gruppen und – sobald es das Wahlrecht zuließ – ihre Abgeordneten forderten unparteiische Einrichtungen für die Kontrolle ihrer Arbeitsbedingungen und die Mitwirkung von gewählten Arbeiterdelegierten. Was insb die AN der Eisenbahnen betrifft, wurde die 1952 geschaffene Verkehrs-ArbI (VAI) 2012 mit der allgemeinen ArbI zusammengelegt.*
Besonders umstritten waren die Bergbehörden, die auch die Arbeitssicherheit im Bergbau zu kontrollieren hatten, aber als arbeitgebernah wahrgenommen wurden. „Von einer strengen und objektiven Kontrolle der Gruben ist keine Rede“, hieß es angesichts von jährlich etwa 200 Unfalltoten im Bergbau.* Gut 60 Jahre später notierte Handelsminister Staribacher, dass „selbstverständlich“ auch die Arbeitssicherheit im Bergbau von der ArbI kontrolliert werden sollte und nicht von den antiquierten Bergbehörden.* Dass die Bergbehörde bei der Katastrophe von Lassing* nicht gewillt oder in der Lage war, den Schutz der Bergleute an die erste Stelle zu setzen, war nach der damaligen Leiterin des ZAI, Szymanski,* wesentlicher Grund dafür, dass die Bergbehörden aufgelöst und der AN-Schutz, spät aber doch, der ArbI zugewiesen wurde.*
Victor Adler schreibt über die österreichische Gewerbeinspektion: „der Arbeiter freut sich an ihr, wenn er von ihr liest, aber er vermißt sie fast stets, wenn er ihrer bedarf“
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Dass die GewI im 19. Jahrhundert die ihr zugewiesenen Aufgaben nur bruchstückhaft erfüllen konnte, lag, neben beschränkten rechtlichen Möglichkeiten (dazu gleich unten), an unzureichenden 365 Ressourcen. Für ein Gebiet* in der 3,6-fachen Größe des heutigen Österreichs, waren bloß neun Gewerbeinspektoren zuständig,* die auch alle Schreibarbeiten persönlich durchführen mussten. Trotz geringer Industrialisierung bestand eine enorme Anzahl an (klein-)gewerblichen Betrieben, die der GewI unterlagen. Gewerbeinspektoren selbst beklagten regelmäßig ihre Arbeitsüberlastung.
Die Aufsichtsbezirke waren riesig. Beispielsweise hatte bis Mitte 1886 ein einziger Inspektor die Einhaltung des Arbeiterschutzes in allen gewerblichen und industriellen Einrichtungen in NÖ, OÖ und Salzburg zu überwachen.*
Eine Erweiterung der GewI erfolgte äußerst schleppend und nur auf beharrlichen Druck. Nach Victor Adler entsprang die „Verständnislosigkeit, ja unverhohlene Abneigung“ des Handelsministeriums für den Arbeiterschutz daraus, dass „der ganze Körper [des Ministeriums] in liberalen, das heißt ‚manchesterlichen‘ Doktrinen aufgewachsen ist“
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„Was soll es heißen, wenn in der Holz-, Dreh-, Flecht- und Schnitzwarenindustrie von 19.000 Betrieben 17.000 nicht kontrolliert worden sind?“ fragte Ferdinand Hanusch am Gewerkschaftstag 1913.* Praktisch alle Fraktionen im AH forderten den Ausbau der GewI, die zumeist auch von der AG-Seite ua wegen ihres Vermittlungsauftrags geschätzt wurde. Diese Rufe aus dem AH ertönten nach der Abschwächung des Privilegienwahlrechts* immer lauter.* Dieser Druck und die wachsende Gewerkschaftsbewegung* bewirkten schrittweise die Errichtung von 42 Aufsichtsbezirken.* Mit durchschnittlich 2,5 Inspektionsorganen pro Aufsichtsbezirk war ihre Wirksamkeit dennoch sehr bescheiden.
„Zur Schonung der Staatsfinanzen“, so der Handelsminister 1888, werde die Vermehrung der Inspektoren auf Kosten der Arbeiter-UV erfolgen.* Tatsächlich aber wurde nur ein neuer Aufsichtsbezirk geschaffen, die Arbeitslast für die GewI stieg hingegen beträchtlich.* Häufig wurde die GewI mit Nebenaufgaben belastet, etwa mit jahrelangen statistischen Erhebungen zur Lage der HeimarbeiterInnen, zur Arbeitszeit in den Fabriken oder zur Kinderarbeit.*
Bis 1889 war jeder Gewerbeinspektor allein in seinem Aufsichtsbezirk. Erst danach wurden erste „Gewerbeinspektorsassistenten“* und vereinzelt Bürokräfte* eingestellt.
Doch bestanden die Personalengpässe, wenn auch abgeschwächt, in der Republik weiter.*
Von der Möglichkeit, eigene Gewerbeinspektoren für besondere Wirtschaftsbereiche zu beauftragen,* machte man ab 1886 Gebrauch.* Nach Gründung der 1. Republik erhielt diese 15 Aufsichtsbezirke; für Wien wurden das Gewerbeinspektorat für Bauarbeiten sowie eines für Handels- und Transportunternehmungen errichtet.* Das schon bestehende 366 Inspektorat für die Binnenschifffahrt musste dem Verkehrsministerium unterstellt werden,* 1952 wurde es bei Schaffung der Verkehrs-Arbeitsinspektion* in diese eingegliedert. Nach der raschen Wiedererrichtung der GewI 1945 wurden auf Basis des ArbIG 1947 17 Aufsichtsbezirke und drei Sonder-Arbeitsinspektorate eingerichtet.*
Angesichts der umfangreichen Beschäftigung von Frauen erhob sich früh die Forderung nach weiblichen Inspektionsorganen.* 16 Frauenvereine erbaten 1896 vom AH die Einführung weiblicher Inspektoren.* Eine erste „Assistentin der Gewerbe-Inspektion“ wurde aber erst zehn Jahre später eingestellt.* In den 1920er-Jahren waren etwa 11 weibliche Inspektionsorgane tätig;* ihnen wurde primär die Überwachung der Frauen-, Kinder- und Heimarbeit zugeteilt.
Um die Lehrlinge vor Ausbeutung zu schützen, wurden Rufe nach LehrlingsinspektorInnen laut; mit ihnen sei die GewI fachlich und personell zu verstärken.*
Wegen der krassen Unterentlohnung und schrecklicher Missstände bei der Heimarbeit – einem „Stück modernen Großstadtelends“* – wurden fachlich spezialisierte GewerbeinspektorInnen gefordert.* § 20 Abs 2 ArbIG 1947 ordnete die Bestellung von Arbeitsinspektionsorganen zumindest für Jugendschutz, Frauen- und Kinderarbeit in jedem Arbeitsinspektorat an.
Schon der erste Metallarbeiterkongress (1890) forderte, den Gewerbeinspektoren von den lokalen Gewerkschaften frei gewählte Arbeiter als Assistenten beizustellen.* Wiederholt verlangt wurden Inspektoren, die „sich nicht hinters Licht führen lassen“, „die alle Kniffe kennen“ und „die Schliche der Unternehmer“ durchschauen,* Personen, die ihre Inspektion nicht vorher anmelden. Ein im AH eingebrachter Entwurf für ein GewIG enthielt die Wahl von Arbeiterdelegierten, die in Abstimmung mit dem Gewerbeinspektor Inspektionsaufgaben übernehmen und vom Staat entlohnt werden;* er wurde nicht behandelt.
Angesichts derartiger Forderungen des AH bekannte der Handelsminister, dass die Heranziehung von AN zu Inspektionsaufgaben „eine gewisse Berechtigung“ habe.* Der GewI-Bericht für 1909 erwähnt zwei „dem Arbeiterstand entnommene Hilfskräfte“
, die die Inspektion des Baugewerbes unterstützen. Damit schien diese Forderung aber offiziell abgehakt zu sein. Im Sozialgefüge der Republik und mit der (anfänglich kaum vorhandenen) systematischen Einschulung der Inspektoren in ihre Tätigkeit verlor dieses Verlangen an Bedeutung.
Dass angesichts der arbeitsassoziierten Gesundheitsgefahren Ärzte in der GewI zu beschäftigen seien, forderte Abg Roserschon während der Ausarbeitung des GewIG 1883.* 1902 und nochmals 1908 verlangt das AH sogar per Entschließung (erfolglos) ärztlich vorgebildete Hygieniker.* Als 1921 das Budget keinen Betrag für die Anstellung gewerbehygienisch qualifizierter Ärzte vorsieht, wohl aber 10 Mio Kronen für Reiterklubs (getarnt als Pferdezucht), bringt dieser Eklat die Sache in Schwung.* Um die Wellen zu glätten, wird Jenny Adler*als – allerdings einzige* – Arbeitsmedizinerin eingestellt und entfaltet eine umfangreiche Tätigkeit. Umso peinlicher berührt es, dass die mit § 20 ArbIG 1947 nun vorgesehene Bestellung von ArbeitsinspektionsärztInnen damit begründet wird, dass „diese überaus wertvolle Einrichtung“ 1940 durch eine NS-Verordnung (!) eingeführt 367 wurde* Verdrängt scheint die Tatsache, dass die Gewerbeinspektionsärztin Jenny Adler 13 Tage nach dem „Anschluss“ als Jüdin (und Sozialistin) des Dienstes enthoben wurde.*
Die Gewerbeinspektoren von 1883 waren beaufsichtigende, berichtende und beratende Hilfsorgane der Gewerbebehörde. Ihr Recht war darauf beschränkt, den AG aufzufordern, die in seinem Betrieb festgestellten Missstände zu beseitigen. Geschah dies nicht, hatten sie Anzeige an die Gewerbebehörde zu erstatten. Aufgabe der letzteren war, dem Sachverhalt entsprechend Schutzmaßnahmen vorzuschreiben, eine Strafe zu verhängen oder das Verfahren einzustellen. Die Entscheidung war dem Gewerbeinspektor mitzuteilen. Dieser konnte dagegen berufen. Das aber nur, wenn überhaupt entschieden und das auch mitgeteilt wurde. Dass diese Schritte häufig unterblieben, war Anlass wiederkehrender Kritik.*
Eine im Auftrag des Staatssekretärs Hanusch Ende 1918 durchgeführte Analyse eines Vorentwurfs zum GewIG 1921 kritisiert die Gewerbebehörden scharf, denn von diesen „konnten die Gewerbeaufsichtsbeamten hinsichtlich eines Viertels bis eines Drittels ihrer Anzeigen* überhaupt keine Erledigung erreichen, und unter den erledigten Anzeigen befindet sich ein hoher Prozentsatz von Fällen, wo die Gewerbebehörde keinen Anlass zum Einschreiten fand“. Zwischen Anzeige und Erledigung durch die Gewerbebehörde liege „meist ein monats-, mehrfach sogar jahrelanger Zeitraum“. Die Arbeitsgruppe verlangte eine wesentlich stärkere exekutive Macht bis hin zur Strafkompetenz.*
Bei der Ende 1917 begonnenen Ausarbeitung des GewIG 1921 hatte man sehr weitgehende Exekutivbefugnisse beabsichtigt, sei aber schon innerhalb des k.k.-Ministeriums „an vielfachen Widerständen“ gescheitert.* Eine „Insider-Erklärung“ gab der vormalige Staatssekretär Hanusch: Wenn die Exekutivgewalt wieder nicht enthalten ist, „so ist das auf den alten Streit zwischen Technikern und Juristen zurückzuführen, wer von ihnen die Oberhand gewinnen soll. Die Juristen erklärten bei Ausarbeitung dieses Gesetzes, man könne den Verwaltungsbeamten unmöglich eine Exekutivgewalt geben“
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In dieser Bedrängnis verlegte man sich auf die von den Gewerbebehörden zu verhängenden Strafhöhen. Diese waren häufig gering und unwirksam. Abg Hanuschdazu: „Dass die Bezirkshauptleute den Industriellen nicht allzusehr weh tun, ist bekannt.“
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Die Lösung versuchte man darin, dass die GewI mit der Anzeige ein Strafausmaß beantragen kann. Seit 1921 hat die GewI nun diese Möglichkeit. Weicht die Strafbehörde davon nach unten ab, kann die ArbI dagegen Rechtsmittel ergreifen.
Wegen weiterhin schleppender Erledigung durch die Strafbehörden wurden diese 1947 verpflichtet, das Strafverfahren binnen zwei Wochen einzuleiten.*
Diese Frist blieb jedoch sehr häufig auf dem Papier. „Allzu häufig“* blieben Anzeigen sogar so lange liegen, dass Verjährung dem AG die Strafe ersparte. Persönliche Mitteilungen von ArbeitsinspektorInnen erhärten die Befürchtung, dass die von Hanusch ausgesprochene Wahrnehmung auch heute bisweilen noch zutrifft.
Zufolge der späteren Zentral-Arbeitsinspektorin Szymanski „ist die Haltung mancher Bezirksverwaltungsbehörden zu Fragen des Arbeitnehmerschutzes offensichtlich von regional-politischen ‚Sachzwängen‘ beeinflusst und ließe ... nahezu auf eine ‚gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnende oder gleichgültige Einstellung‘ schließen“.* Die ArbI hat rechtlich kein Mittel, das Verfahren zu beschleunigen. Die auch von der AK geforderte Übertragung der Strafbefugnis auf die ArbI wäre nach Szymanski „entschieden zu begrüßen“ und würde viele der skizzierten Probleme lösen.*
Bereits 1883 wurde im Gewerbeausschuss des AH vorgeschlagen, die Gewerbeinspektoren mit dem Recht auszustatten, erforderliche Schutzmaßnahmen an Ort und Stelle verbindlich anzuordnen, wenn der AN-Schutz sofortige Abhilfe erfordert.*
Erst 1921 erhielten die Gewerbeinspektoren dieses 368 Recht,* nachdem es die Eisenbahnarbeiter für die ihre Arbeitssicherheit beaufsichtigenden Organe bereits 1903 errungen hatten.* Ein Rechtsmittel gegen die „Sofort-Verfügung“ hat keine aufschiebende Wirkung.
Die „Sofort-Verfügung“ wie auch die Möglichkeit, ein Strafausmaß zu beantragen, stießen auf heftige Ablehnung der meisten AG-Organisationen und anfänglich auch des Handelsministeriums. Da aber die GewI regelmäßig wegen fehlender Exekutivmacht und wegen ihres engen Wirkungsbereichs kritisiert wurde, musste der Sozialminister im Ministerrat auf diese ohnehin spärlichen Neuerungen bestehen, weil diese verglichen mit „den im Abgeordnetenhause laut gewordenen Forderungen ein Mindestmaß darstellen“, um im AH viel radikalere Beschlüsse abzuwenden.*
Gem GewIG 1883 stand es im Belieben der Gewerbebehörde, die GewI im Betriebsanlagengenehmigungsverfahren beratend beizuziehen.* Seit 1921 ist der GewI verpflichtend in allen Sachen, die den AN-Schutz berühren, Gelegenheit zur Äußerung und Antragstellung zu geben; sie hat auch das Recht, gegen Entscheidungen zu berufen.*
Über Jahrzehnte konzentrierte sich der gesellschaftliche Kampf für Arbeiterschutz insb auf die gesetzliche Höchstarbeitszeit, Beseitigung der Kinderarbeit, Beschränkung der Jugendlichen- und Frauenbeschäftigung, auf die Sonn- und Feiertagsruhe, die KV und Altersversicherung. Obwohl Arbeitszeit- und Verwendungsschutz den fundamentalen Gesundheitsforderungen entsprang, bestanden anfänglich nur wenige Vorschriften zum Schutz vor Unfällen und vor unmittelbarer Gesundheitsschädigung durch Arbeitsvorgänge und -stoffe. Als solche Vorschriften nach und nach entstanden,* beruhten sie alle auf der Verordnungsermächtigung der GewO.* Dadurch aber war ihre rechtliche Geltung auf den Anwendungsbereich der GewO (siehe oben) beschränkt. Für Betriebe und Branchen außerhalb der GewO waren sie höchstens als Option anzusehen,* von der GewI aber nicht einzufordern. Bereits die RV von 1921 meinte, es werde sich „die Veranlassung ergeben“
, die Schutzvorschriften „auf die nunmehr von der Inspektion umfassten [Betriebe] zu erstrecken“
.* Die Veranlassung ergab sich aber leider nicht.
Erst § 24 ArbIG 1947 erstreckte die hygienischtechnischen Schutzvorschriften der GewO auf alle dem ArbIG unterstehende Betriebe. Dass dieser wichtige Schritt überfällig war, erhellt ein Referentenentwurf für ein „BG über die Arbeitsaufsicht“, der diesen schon 1929 beabsichtigte.*
Im Übrigen wurde die Unzahl der vom NS-Staat in der „Ostmark“ in Kraft gesetzten Unfallverhütungsvorschriften vom ArbIG 1947 befristet in Geltung belassen, bis österreichische Verordnungen erarbeitet waren.* Das dauerte bis 1953.
Das ArbIG 1947 enthält folgende Bestimmungen, die bis 1883 zurückreichen:
Seit 1884 veröffentlicht die GewI jährliche Tätigkeitsberichte.* Diese umfassen bis zu 800 Druckseiten und berichten sozialgeschichtlich instruktiv von den Arbeits- und Lebensverhältnissen der ArbeiterInnen wie auch von Arbeitskämpfen.
Die ArbI kann vom Ministerium mit der Erstattung von Gutachten und Vorschlägen zum AN-Schutz beauftragt werden.* Für Aufgaben, die ihrem Wirkungskreis fremd sind, darf sie jedoch nicht in Anspruch genommen werden.*
Die 1921 angeordnete gegenseitige Rechtshilfe aller mit AN-Schutz beauftragten Behörden wurde 1947 dahin geändert, dass Behörden sowie die gesetzlichen Interessenvertretungen der AN und AG die ArbI bei der Aufgabenerfüllung zu unterstützen haben. Die Zusammenarbeit und gemeinsame Betriebsbesichtigungen mit Sozialversicherungsträgern erhielten eine gesetzliche Basis.*369 Über lange Zeit hatte die GewI keine oder eine nur äußerst ungenaue Kenntnis der Zahl jener Betriebe, für die sie zuständig war.* Nachdem die GewI ab 1921 systematisch in Genehmigungsverfahren eingebunden war, konnte sich die Statistik der in ihre Zuständigkeit fallenden Betriebe langsam der Realität nähern. Seit 1947 sind der ArbI alle neuen Gewerbebetriebe mitzuteilen.*
Von Beginn an sind ArbeitsinspektorInnen verpflichtet, über alle ihnen dienstlich bekannt gewordenen Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, auch nach Ausscheiden aus dem Dienst, strengste Verschwiegenheit zu wahren.* Unternehmen, die der ArbI unterliegen, dürfen sie nicht betreiben, sich an diesen nicht beteiligen und zu diesen kein Dienstverhältnis haben.* Die Pflicht, „angebotene Gastfreundschaft abzulehnen“, wurde 1921 unter Hinweis auf das Beamtendienstrecht nicht übernommen.*
Letztlich sieht das Gesetz Strafen für die Behinderung der Kontrolltätigkeit der ArbI vor.*
Wie sich zeigt, geht das ArbIG 1947 überwiegend auf das GewIG 1883 und dessen Erweiterung 1921 zurück. Wenn es in der Debatte um das GewIG 1883 hieß „Ohne Gewerbeinspectoren ist die gewerbliche Reformgesetzgebung kaum das Druckpapier werth, das sie verschlingt, oder sie wird gar zur Heuchelei und zum aufreizenden Hohne“
,* so ist mit dem ArbIG 1947 zumindest die Ausdehnung der Schutzbestimmungen sowie der Inspektionsmöglichkeit auf größere Gruppen der Angestellten erreicht. 370