NormannDas bedingungslose Grundeinkommen und die Digitalisierung der Arbeit

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2021, 82 Seiten, € 49,90

KLAUSFIRLEI (SALZBURG)

Die politische, wissenschaftliche und ökonomische Diskussion rund um das sogenannte bedingungslose Grundeinkommen (BGE) verlief bisher weitgehend normativ, ideologisch aufgeladen, teilweise auch messianisch. Die Fragestellung hat sich als veritables Kampfthema etabliert und tritt assoziiert mit allerlei kühnen Gesellschaftsentwürfen auf, so etwa Postwachstumsökonomie, Gemeinwohlökonomie, Verlangsamung, Zeitreichtum und romantischen Ausstiegs-Visionen. Umso gefragter sind Untersuchungen, die auf der Grundlage elaborierter wissenschaftlicher Methodik und präziser Fragestellungen Licht in die Vor- und Nachteile, in die Aus- und Nebenwirkungen, auch hinsichtlich der vielfältigen Ausgestaltungsvarianten des BGE, bringen.

Eine solche Arbeit liegt mit diesem schlanken, aber sehr gehaltvollen Buch von Lars Neumann vor. Das Interesse am Thema hat nach einer Zeit der Flaute im Zuge von zunehmender Arbeitslosigkeit und Auswirkungen der Digitalisierung deutlich an Fahrt aufgenommen. In Österreich wurde das BGE durch das Liberale Forum (ab 1998) in den politischen Raum eingebracht. 2019 wurde ein Volksbegehren gestartet. Die Hauptakteure der österreichischen Sozial- und Arbeitspolitik zeigen sich gegenüber dem Modell allerdings (erwartungsgemäß) sehr reserviert. Der Vorschlag findet jedoch in einem breiten und bunten politischen Spektrum aus unterschiedlichen Motiven zunehmend Anhänger.

Das Interesse an der Auseinandersetzung wird durch mehrere Faktoren befeuert, die Neumann ausführlich darstellt: vor allem durch die Digitalisierung und die dadurch hervorgerufenen Ängste, dass sich die Arbeitsgesellschaft ihrem Ende zuneigt, durch Kritik an einer effektiven Bewältigung von Fragen der prekären Arbeit und der damit verbundenen Verarmungsprozesse („working poor“).

Einer der Schwerpunkte der vorliegenden Untersuchung besteht in der Auseinandersetzung mit der Hypothese, der technische Fortschritt, insb die Digitalisierung würde zu einem Ende der Arbeit, wie wir sie kennen, führen, so dass das BGE als einzige Möglichkeit erscheint, den sozialen Frieden in Zusammenhang mit der disruptiven digitalen Revolution zu sichern.

Das Buch gliedert sich in drei Abschnitte: Eine Darstellung der unterschiedlichen Modelle von Grundeinkommen in den drei Varianten Arbeitslosengeld II, solidarisches Grundeinkommen (als Brückenmodell) und Varianten des bedingungslosen Grundeinkommens. Der nächste Abschnitt thematisiert das BGE als Kompensation des digitalisierten Arbeitsmarktes, wobei die Auswirkungen der Digitalisierung auf den deutschen Arbeitsmarkt und deren Beurteilung durch Wissenschaft, Wirtschaft und Parteien dargestellt und bewertet werden. Der dritte Teil widmet sich schließlich dem Spannungsfeld von Grundeinkommen und digitaler Transformation der Arbeitswelt in Form einer Zusammenfassung und einer kompakten Darstellung der Ergebnisse der Untersuchung.

Dargelegt wird, für manchen wohl durchaus überraschend, dass das Grundeinkommensmodell des Arbeitslosengeldes II durchaus elastisch auf neue Anforderungen reagieren kann. Es liegen Reformvorschläge aus Wissenschaft und Praxis vor, um die Transformation der Arbeitswelt durch die Digitalisierung zu bewältigen. Ein Blick auf das „Brückenmodell“ des solidarischen Grundeinkommens, das vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung entwickelt und von der SPD Berlin als rechtspolitischer Vorschlag aufgegriffen wurde, lohnt sich auch für die österreichische Diskussion. Das Modell ist systematisch zwischen dem Arbeitslosengeld II und dem BGE zu verorten. Es wird seit August 2019 in Berlin getestet. Die Maßnahmen sind für erwerbslose Arbeitslosengeld II-Empfänger gedacht, die freiwillig eine geförderte gesellschaftlich relevante Tätigkeit bei kommunalen oder landeseigenen Unternehmen aufnehmen. Dadurch soll ein „sozialer Arbeitsmarkt“ entstehen, der geringere Anforderungen an die Hilfsbedürftigen hinsichtlich ihrer Eigenbemühungen zur Überwindung der individuellen Hilfsbedürftigkeit stellt. Im Unterschied zum BGE ist aber eine Beschäftigungsaufnahme erforderlich.

Von den zahlreichen Modellen des BGE konzentriert sich das Buch auf die Vorschläge und Arbeiten von Thomas Straubhaar und Götz Werner. Straubhaar (Radikal gerecht [2017]) hat der Digitalisierung ein eigenes Kapitel gewidmet. Er geht von einem düsteren Szenario für den Arbeitsmarkt aus. Sein Vorschlag ist im Kern ein negatives Einkommensteuermodell. Für Werner bietet das BGE die Chance, anspruchsvollere und sinnvollere Tätigkeiten zu ermöglichen.

Scharfsichtig stellt der Autor als Resümee seines Überblicks über die Grundeinkommensmodelle fest, die Gretchenfrage für die Einführung eines BGE als Alternative zu den Arbeitslosengeld-Systemen sei die Verhaltensänderung auf das Anreizsystem zur Such-, Arbeits- und Bildungsmotivation.

Was die Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt anlangt, so wurden die lange Zeit sehr einflussreichen technikskeptischen Positionen (insb im Gefolge der Studie von Osborne und Frey [2013], bekannt als „Oxford Studie“) nunmehr durch differenziertere Befunde und Sichtweisen abgelöst. Für Neumann widerlegen deutsche Studien die Ergebnisse der Oxford-Studie jedenfalls für den deutschen Arbeitsmarkt.

Aus den wissenschaftlichen Stellungnahmen zum BGE greift der Autor ua die These von Hüther auf, dass ein BGE eher zu Anspruchsdenken und Unselbständigkeit führt, anstatt Bildungsinvestitionen zu fördern. Die von Normann aufbereiteten Studienergebnisse sind anregend. Er geht auf die sehr unterschiedlichen Motive der Protagonisten und Gegner des BGE ein. So etwa wollten Hayek und Friedmann mit dem BGE den377Sozialstaat abschaffen. Die SPD bewerte das BGE als Stillhalteprämie, die CDU könne mit ihrem Leitprinzip des „Förderns und Forderns“ mit der Bedingungslosigkeit sozialer Absicherungen folgerichtig gar nichts anfangen.

Beachtenswert ist auch der Blick auf das finnische Experiment. Im Ergebnis sind für Normann die bisherigen internationalen Erfahrungen enttäuschend. In Finnland zeigten sich nur geringe aktivierende Effekte des BGE.

Zusammenfassend geht der Autor davon aus, dass der Grad der Weiterbildung und Qualifikation den Unterschied machen wird, ob die Digitalisierung eine Chance oder ein Risiko für den Arbeitsmarkt sein wird. Das BGE werde in der Wissenschaft mehrheitlich kritisch gesehen, vor allem wegen fehlender Arbeitsanreize, wegen Verstoßes gegen das Grundprinzip der sozialen Gerechtigkeit sowie gegen das Subsidiaritätsprinzip. Internationale Modellversuche seien schwer auf andere Staaten übertragbar. Die finnischen Ergebnisse seien weder extrapolierbar noch universalisierbar.

Jedenfalls habe sich die Digitalisierung als „Diskurstreiber“ für die BGE-Debatte erwiesen. Der Autor fordert eine nähere Erforschung der Substituierbarkeitspotenziale. Fragen der Weiterbildung und Qualifizierung seien ein weitgehend blinder Fleck im Kontext der Transformation der Arbeitswelt. Letztlich bleibe hinsichtlich der Auswirkungen eines BGE zur Arbeitsund Bildungsmotivation Skepsis angezeigt. Menschen in Arbeit zu vermitteln sei ethisch geboten, weil es um Würde geht.

Das Buch ist lesenswert, wenn es auch die Thematik etwas fragmentarisch abhandelt und die ganze Breite der BGE-Modelle nicht abgebildet wird. Leider beschränkt sich die Darstellung von „Zwischenlösungen“ (also umfassenden Reformen ohne die „Bedingungslosigkeit“ von Sozialtransfers) auf das „Brückenmodell“ der SPD Berlin. Neumann zeigt die Forschungsdefizite auf, die es zu all diesen Themen gibt. Eindrucksvoll wird deutlich gemacht, dass den BGE-Modellen und ähnlichen Reformvorschlägen oft voreilige Prämissen zugrunde gelegt werden.

Das verdienstvolle Werk zeigt dem Leser, dass die wissenschaftlichen Grundlagen für weitreichende Entscheidungen, die den Umbau des Sozialstaats betreffen, schlicht (noch) nicht vorliegen. Das BGE ist und bleibt daher wohl eher ein ideologischer Kampfbegriff, der von konkreten, umsetzbaren und ausreichend differenzierten Lösungen anstehender Probleme am Arbeitsmarkt sehr weit entfernt ist.