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Kein allgemeiner Kündigungsschutz beim Ausbildungsübertritt?

THOMASMATHY (INNSBRUCK)
  1. Bei der außerordentlichen Auflösung des Lehrverhältnisses gem § 15a Berufsausbildungsgesetz (BAG) soll es nach dem klaren Willen des Gesetzgebers nicht zur zusätzlichen Anwendung des allgemeinen Kündigungsschutzes kommen.

  2. Mit der Regelung des § 15a BAG sollte kein Spielraum für eine willkürliche Auflösung von Lehrverhältnissen geschaffen werden. Nach allgemeinen Grundsätzen darf die außerordentliche Auflösung nicht willkürlich erfolgen.

[1] Der Kl stand ab 1.9.2017 in einem Lehrverhältnis im Lehrberuf „Versicherungskaufmann“ zur Bekl. Das Ausmaß der Lehrzeit beträgt drei Jahre und hätte regulär am 31.8.2020 geendet. Die Bekl löste das Lehrverhältnis mit dem Kl gem § 15a BAG bereits zum 31.8.2019 auf.

[2] Der Kl erachtet die Auflösung für unwirksam und begehrt die Feststellung des aufrechten Lehrverhältnisses über den 31.8.2019 hinaus sowie die Zahlung von 18.463,48 € brutto sA an Lehrlingsentschädigung mit dem Vorbringen, dass die Bekl mit dem durchgeführten Mediationsverfahren den Formvorschriften des § 15a BAG nicht entsprochen und auch das Vorverfahren gem § 105 ArbVG nicht eingehalten habe.

[3] Die Bekl bestritt und beantragte Klagsabweisung. Die Vorgaben des § 15a BAG seien eingehalten worden; § 105 ArbVG komme nicht zur Anwendung.

[4] Das Erstgericht wies das Begehren ab. Es stellte fest, dass der Kl seit Beginn der Lehrlingstätigkeit der Abteilung des * B* („faktischer Ausbilder“) zugeteilt war. Nachdem es sowohl am Arbeitsplatz als auch in der Berufsschule Probleme wegen der Unpünktlichkeit des Kl gab, wurde er von diesem mehrfach ermahnt und ein pünktlicher Dienstbeginn eingemahnt. Weiter bemängelte B* eine schlampige oder gar nicht erfolgte Arbeitserledigung des Kl. In mehreren Gesprächen wandte er sich an seinen Vorgesetzten, den Lehrlingsverantwortlichen (gemeint: Ausbildungsleiter) bei

der Bekl für das Gebiet Wien, schlussendlich mit dem Eingeständnis, „mit dem Kl nicht zurande zu kommen“. Nach einer ernsthaften Unterredung des Lehrlingsverantwortlichen mit dem Kl setzten sich nach einem kurzen Wohlverhalten die Verfehlungen beim Kl fort. Der Lehrlingsverantwortliche entschied gemeinsam mit der Personalabteilung, einen Mediator einzuschalten. Sämtliche Verständigungen erfolgten gesetzeskonform. Dieser ließ sich zunächst telefonisch von B* die Probleme mit dem Kl schildern und entschied, den Kl mit diesen Vorhalten zu konfrontieren. Nachdem ihn der Mediator zuvor vergeblich telefonisch zu erreichen versuchte, nahm der Kl um 20:30 Uhr jenes Tages das Gespräch mit dem Mediator an. Dieses dauerte rund 25 Minuten und wurde von starken Hintergrundgeräuschen begleitet. Der Kl wechselte nicht in eine ruhigere Umgebung, um zumindest die akus tische Qualität des Telefonats zu verbessern. Der Mediator konfrontierte den Kl mit den von B* formulierten Beschwerden. Er sieht seine Aufgabe als Mediator darin zu ermitteln, ob das Lehrverhältnis trotz des Auflösungswunsches des Ausbilders noch fortgesetzt werden könne.

Nicht zuletzt aufgrund des vom Kl vermittelten Desinteresses fand er dafür keine Anhaltspunkte. In einem weiteren Gespräch mit B* informierte der Mediator diesen über seine Eindrücke und Schlussfolgerungen nach dem Telefonat mit dem Kl. Schließlich führte der Mediator mit dem Lehrlingsverantwortlichen am 6.6.2019 ein Schlussgespräch, in welchem der Mediator wissen ließ, dass man nach Rücksprache mit dem Kl „nicht weiter käme“. Mit dieser Unterredung war für den Mediator der Auftrag abgeschlossen. Dieses abschließende Telefonat mit dem Mediator war dann auch der Grund, dass der Lehrlingsverantwortliche die Auflösung des Lehrverhältnisses des Kl in die Wege leitete. Am 30.7.2019 ging eine Erklärung der Bekl zu, dass das Lehrverhältnis gem § 15a BAG mit 31.8.2019 ende.

[5] In rechtlicher Hinsicht sah das Erstgericht die Voraussetzungen des § 15a BAG als erfüllt an.

[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge. Durch die Einbeziehung aller unmittelbar 432 in die Lehrlingsausbildung involvierten Personen werde dem Gesetzeszweck entsprochen, durch das Mediationsverfahren die Problemlage darzustellen und auf die Lösung des Konflikts hinzuwirken, um alle Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung des Lehrverhältnisses auszuschöpfen. Eine nicht in den Konflikt involvierte Person vermöge zur Mediation nichts beizutragen. Wenn dann der Mediator nach diesen Gesprächen das Mediationsverfahren für beendet erkläre, begegne dies keinen Bedenken. § 105 ArbVG komme nach der klaren Absicht des Gesetzgebers nicht zur Anwendung. Die Revision sei aber zur Frage der Anwendbarkeit des § 105 ArbVG zulässig.

[7] In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Kl die Abänderung des Berufungsurteils iS einer Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Die Bekl beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

[9] Die Revision ist zur Klarstellung zulässig, jedoch nicht berechtigt.

[10] 1. Der Kl erachtet zunächst die Anwendung des § 105 ArbVG bei Auflösungen nach § 15a BAG für erforderlich. Dazu war Folgendes zu erwägen: [11] 1.1. § 15a BAG lautet auszugsweise [...]

[12] 1.2. Diese Auflösungsmöglichkeit nach § 15a BAG wurde mit BGBl I 2008/82 geschaffen, weil die damals bestehenden Möglichkeiten zur Auflösung eines Lehrverhältnisses als zu eng erachtet wurden (RV 505 BlgNR 23. GP 1: „insbesondere im Hinblick auf jene Fälle, in denen sich nach der Probezeit eine nur geringe Eignung oder schwerwiegende Motivationsmängel des Lehrlings bei der Erlernung des Lehrberufs herausstellen“). Die mangelnde Auflösbarkeit des Lehrverhältnisses in solchen Fällen wurde oft als Hindernis bei der Schaffung zusätzlicher Lehrstellen angesehen (RV aaO 1). Es sollte damit aber kein Spielraum für willkürliche Auflösungen von Lehrverhältnissen geöffnet werden. Daher wurde für diese nach der Probezeit zur Anwendung kommende Auflösungsmöglichkeit des Lehrverhältnisses entsprechende Rahmenbedingungen festgelegt (s RV aaO 7). Der Gesetzgeber hat in Abs 8 leg cit auch eine Kollisionsregel zum Kündigungsschutz nach den vorgenannten Bestimmungen festgelegt.

[13] 1.3. Zur Art dieser Beendigung nehmen die Erläuternden Bemerkungen ausdrücklich wie folgt Stellung:

[14] „Die außerordentliche Auflösung ist keine Kündigung, sondern eine Auflösungsart sui generis. Es ist jedoch gerechtfertigt, den besonderen Kündigungsschutz nach dem MSchG, VKG, APSG und für Mitglieder des Jugendvertrauensrates oder Betriebsrates auch nach dem ArbVG anzuwenden, da anderenfalls der Kündigungsschutz durch ein Mediationsverfahren ohne Einigung umgangen werden könnte. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Erklärung der Auflösung, nicht jedoch des Mediationsverfahrens. Aus der taxativen Aufzählung folgt, dass andere Bestimmungen über den Kündigungsschutz, insbesondere über den allgemeinen Kündigungsschutz nach dem ArbVG, nicht zur Anwendung kommen.“ (RV aaO 7)

[15] Nach dem klaren Willen des Gesetzgebers sollte es bei dieser Art der Beendigung – ungeachtet der Frage, ob die Beendigungserklärung als (außerordentliche) Kündigung einzuordnen ist oder nicht – daher bewusst nicht zur zusätzlichen Anwendung des allgemeinen Kündigungsschutzes nach § 105 ArbVG kommen. Hervorzuheben ist, dass mit den in § 15a Abs 3 BAG vorgesehenen Informationspflichten materiell auch ein wesentlicher Gehalt des § 105 Abs 1 und 2 ArbVG für diese Lösungsform übernommen wurde (s Trost in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 105 Rz 109). Eine planwidrige Lücke liegt danach nicht vor.

[16] 1.4. Das entspricht auch dem Standpunkt der herrschenden Lehre (zB Spitzl in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 15a BAG Rz 14; Strohmayer in Aust/Gittenberger/Knallnig-Prainsack/Strohmayer, BAG § 15a Rz 67 [„taxative Aufzählung“]; Gahleitner in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht6 § 105 Rz 21; Burger in Resch, Neuerungen zur Beendigung des Arbeitsvertrags [2009] 17, 41; aA Mathy/Trost, DRdA 2017, 446 [planwidrige Lücke]).

[17] 1.5. Entgegen den Revisionsausführungen verbleiben Lehrlinge mit dieser Beendigungsmöglichkeit noch nicht in einem „rechtsleeren Raum“. Zum einen sind der Auflösung die Mitteilungspflichten des § 15a Abs 3 BAG und das – wenngleich gerichtlich nicht überprüfbare – Mediationsverfahren vorzuschalten, das auch den Regeln des ZivMedG unterliegt. Nach dessen Zweck ist die Problemlage für die Beteiligten nachvollziehbar darzustellen und zu erörtern, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Fortsetzung des Lehrverhältnisses möglich ist (RV aaO 7). Nach allgemeinen Grundsätzen darf die Rechtsausübung – hier die außerordentliche Auflösung – aber auch nicht willkürlich erfolgen.

[18] Demgegenüber ist im Hinblick auf die Anfechtungsmöglichkeit nach § 105 ArbVG zu bedenken, dass ein Lehrvertrag im Gegensatz zu einem regulären Dienstverhältnis schon seiner Art nach auf die Dauer der Lehrzeit befristet abgeschlossen wird (§ 13 BAG) und damit nicht regulär kündbar ist. Ein Kündigungsschutz nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG wegen Sozialwidrigkeit ginge in typisierter Betrachtung auch oft ins Leere, weil sich die Auflösung eines Lehrverhältnisses meistens aufgrund des geringen Alters von Lehrlingen, ihrer kurzen Betriebszugehörigkeit und des geringen Einkommensverlustes nicht als sozialwidrig erweisen wird (Burger aaO 41). Überdies enthält § 15a Abs 7 BAG Mitteilungspflichten, um einen reibungslosen Ausbildungsübertritt des Lehrlings auf einen neuen Ausbildungsplatz (§ 38e AMSG) zu gewährleisten. Die Situation eines Lehrlings, dessen Lehrverhältnis nach § 15a BAG aufgelöst wurde, ist damit nicht ausreichend mit jener vergleichbar, die nach § 105 ArbVG zur Anfechtung einer Kündigung wegen Sozialwidrigkeit berechtigt. Eine Überprüfung wegen einer Motivkündigung nach § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG steht im vorliegenden Verfahren nicht zur Diskussion. Der Anregung des Kl, eine Überprüfung des § 15a BAG durch den VfGH wegen Gleichheitswidrigkeit der Bestimmung zu veranlassen, ist nicht näherzutreten. 433

[19] 1.6. Insgesamt bestehen sohin keine Gründe, sich über den erklärten Willen des Gesetzgebers, die Beendigung eines Lehrverhältnisses nach § 15a BAG nicht auch dem allgemeinen Kündigungsschutz des § 105 ArbVG zu unterwerfen, hinwegzusetzen.

[20] 2. Der Kl sieht weiter einen Verstoß gegen die Formvorschriften bei Auflösungen nach § 15a BAG darin, dass kein Gespräch mit dem Lehrberechtigten – laut Lehrvertrag dem Ausbilder – stattgefunden habe.

[21] 2.1. Das BAG unterscheidet zwischen dem Lehrberechtigten (§ 2 BAG) und dem Ausbilder (§ 3 BAG). Ist der Lehrberechtigte – wie hier – eine juristische Person, hat der Lehrberechtigte mit der Ausbildung von Lehrlingen nach Maßgabe des § 3 Abs 1 BAG andere Personen (Ausbilder) zu betrauen. Ein Lehrberechtigter, der gem § 3 Abs 1 BAG nicht verpflichtet ist, einen Ausbilder mit der Ausbildung von Lehrlingen zu betrauen, ist dazu berechtigt (§ 3 Abs 2 BAG). Sofern in einem Unternehmen mehrere Ausbilder mit der Ausbildung von Lehrlingen betraut wurden, hat der Lehrberechtigte eine Person mit der Koordination der gesamten Ausbildung zu betrauen (Ausbildungsleiter), wenn es zur sachgemäßen Ausbildung der Lehrlinge erforderlich ist (§ 3 Abs 5 BAG).

[22] 2.2. Nach § 15a Abs 5 BAG sind in die Mediation der Lehrberechtigte, der Lehrling, bei dessen Minderjährigkeit auch der gesetzliche Vertreter und auch auf Verlangen des Lehrlings eine Person seines Vertrauens einzubeziehen. Von Gesetzes wegen wird sohin nicht auf die Einbeziehung des Ausbilders, sondern des Lehrberechtigten abgestellt.

[23] 2.3. Wie dargelegt, ist es Zweck der Mediation, die Problemlage für die Beteiligten nachvollziehbar darzustellen und zu erörtern, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Fortsetzung des Lehrverhältnisses möglich ist (RV aaO 7). Hier wurde der Ausbildungsleiter – wie auch der faktische Ausbilder – in das Mediationsverfahren einbezogen. Damit wurde aber sowohl dem Wortlaut des Gesetzes (§ 2 iVm § 3 Abs 5 BAG) als auch diesem Zweck des Gesetzes entsprochen. Einem möglichen willkürlichen Vorgehen wurde damit gerade nicht Tür und Tor geöffnet. Ein Formverstoß liegt nicht vor.

[24] [...]

[25] Da die Revision des Kl insgesamt nicht berechtigt ist, war ihr ein Erfolg zu versagen.

[26] [...]

ANMERKUNG
1.
Einleitung

Mit BGBl I 2008/82fand der sogenannte Ausbildungsübertritt Eingang in das BAG. Der Gesetzgeber schuf damit die Möglichkeit, den befristeten Lehrvertrag (auch nach Ablauf der Probezeit) durch Erklärung eines Vertragspartners aufzulösen, ohne dass dafür ein wichtiger Grund gegeben sein müsste; Voraussetzung für die Wirksamkeit einer vom Lehrberechtigten erklärten Auflösung bildet neben der Einhaltung von Frist und Termin grundsätzlich auch die Durchführung eines Mediationsverfahrens. Im vorliegenden Urteil, bei dem es sich – soweit ersichtlich – erst um die zweite höchstgerichtliche E zum Ausbildungsübertritt handelt (zuvor OGH9 ObA 38/15aDRdA-infas 2015, 244), nimmt der OGH sowohl zur Frage, wer auf AG-Seite in das Mediationsverfahren einzubeziehen ist, als auch zum Verhältnis des § 15a BAG zum allgemeinen Kündigungsschutz gem §§ 105, 107 ArbVG Stellung. Während zu ersterem eine nach Systematik (arg aus § 15a Abs 6 BAG: „ein Mediationsgespräch unter Beteiligung des Lehrberechtigten oder in dessen Vertretung einer mit der Ausbildung des Lehrlings betrauten Person“) und Zweck überzeugende Ansicht präsentiert wird, sind gegenüber dem vornehmlich auf die Materialien gestützten Ausschluss eines Nebeneinanders von § 15a BAG und §§ 105, 107 ArbVG schwerwiegende Bedenken anzumelden: Begreift man die Normen des besonderen Bestandschutzes als ein einheitliches Regelungssystem – eine Auffassung, der auch der OGH bislang anhing (OGH9 ObA 145/98h Arb 11.742; OGH8 ObA 78/99z

) –, hätte diese Frage wohl anders entschieden werden müssen.

2.
Das Verhältnis zum allgemeinen Kündigungsschutz
2.1.
Allgemeines

In der vorliegenden E verneint der OGH primär unter Hinweis auf den in den Materialien dokumentierten „klaren Willen des Gesetzgebers“, dass eine außerordentliche Auflösung gem § 15a BAG dem allgemeinen Kündigungsschutz unterliegt. Während es uneingeschränkt zu begrüßen ist, dass dieses Ergebnis nicht mit der begriffsjuristischen Scheinbegründung hergeleitet wird, die außerordentliche Auflösung sei eine „Auflösung eigener Art“ und keine Kündigung (dazu Mathy/Trost, Ausbildungsübertritt und Bestandschutz, DRdA 2017, 446 [449 f]), erweist sich die in weiterer Folge an den Tag gelegte methodologische Herangehensweise als problematisch:

Zum einen misst der OGH den Erläuternden Bemerkungen eine Bedeutung bei, die zumindest in einem Spannungsverhältnis zu seiner sonstigen Judikatur steht. IS eines Vorrangs der objektiven Auslegung betont dieser ansonsten nämlich, dass den Materialien keine Gesetzeskraft zukommt (OGH8 ObA 57/15pDRdA-infas 2016, 281) und dass das Gesetz mit seinem Wortlaut, seiner Systematik und in seinem Zusammenhang mit anderen Gesetzen über der Meinung der Redaktoren steht (RIS-Justiz RS0008776). Die Judikatur des OGH wurde bislang dahingehend gedeutet, dass im Rahmen der Auslegung Wortlaut und Systematik nur dann hinter den in den Materialien dokumentierten Willen zurückzutreten haben, wenn ansonsten „überspitzte Ergebnisse“ drohen und die objektiv teleologische Auslegung keine brauchbaren Ergebnisse zu Tage fördert (Kodek in Rummel/ 434Lukas, ABGB4 § 6 ABGB Rz 137; aA Hopf, Gesetzesmaterialien und Rechtsanwendung im Zivilrecht, in FS 200 Jahre ABGB II [2012] 1051 [1074] „Methodenpragmatismus“). Zum anderen pflegt der OGH in der vorliegenden E einen sehr selektiven Umgang mit den Erläuternden Bemerkungen. Denn in den Materialien ist der Ausschluss des allgemeinen Kündigungsschutzes letztlich Konsequenz der Einordnung der außerordentlichen Auflösung des Lehrverhältnisses als „Auflösungsart sui generis“. Der OGH tritt gerade dieser Prämisse der Materialien – zu Recht (insb Strasser, Juristische Methodologie und soziale Rechtsanwendung im Arbeitsrecht,

) – nicht bei. Dennoch unterlässt er es, daraus Schlüsse für die innere Überzeugungskraft der Materialien in Bezug auf den Ausschluss des allgemeinen Kündigungsschutzes abzuleiten. Ein solcher Umgang mit dem historischen Material ist alles andere als geeignet, den Anschein des „Rosinenpickens“ zu zerstreuen. Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden das Verhältnis zwischen Ausbildungsübertritt und allgemeinem Kündigungsschutz anhand von Wortlaut, Systematik und Zweck des § 15a BAG näher analysiert werden.

2.2.
Wortlaut und Systematik

Aus dem Wortlaut des § 15a BAG lässt sich kein zwingender Anhaltspunkt dafür ableiten, dass der allgemeine Kündigungsschutz nicht auch auf die außerordentliche Auflösung des Lehrverhältnisses zur Anwendung gelangen soll. Denn das Verhältnis zum allgemeinen Kündigungsschutz wird in dieser Bestimmung nirgends explizit angesprochen. Vielmehr erklärt § 15a Abs 8 BAG lediglich bestimmte Arten des besonderen Kündigungsschutzes für anwendbar. Es wäre jedoch verfehlt, daraus den Schluss e contrario zu ziehen: Nicht nur, dass allein das Fehlen des Wortes „insbesondere“ in § 15a Abs 8 BAG nicht die Annahme einer abschließenden Aufzählung rechtfertigt (vgl OGH8 ObA 288/95

[Knöfler]
); vielmehr erweist sich diese Aufzählung gleich in mehrfacher Hinsicht als unvollständig. Nichts anderes als das gesetzgeberische Eingeständnis dieser Unvollständigkeit stellt die mit BGBl I 2010/40 erfolgte Ergänzung des § 15a Abs 8 BAG um den besonderen Bestandschutz für begünstigte Behinderte dar (Mathy/Trost, DRdA 2017, 451). Trotz dieser partiellen Ergänzung klaffen – anerkanntermaßen – weiterhin gravierende Lücken: So unterliegt die außerordentliche Auflösung des Lehrverhältnisses schon mit Blick auf die unionsrechtlichen Vorgaben sowohl dem individuellen Kündigungsschutz nach § 12 Abs 7, § 26 Abs 7 GlBG sowie § 7f BEinstG (mwN Spitzl in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 15a BAG Rz 17; Mathy/Trost, DRdA 2017, 451). Im Schrifttum geht man sogar soweit, dass sämtliche Bestimmungen des individuellen Kündigungsschutzes (nach dem AVRAG) auf die außerordentliche Auflösung des Lehrverhältnisses Anwendung finden (Burger-Ehrnhofer/Drs, Beendigung von Arbeitsverhältnissen [2014] 408 f, 411 f).

Angesichts der offenkundigen Unvollständigkeit des § 15a Abs 8 BAG und des Umstands, dass dort, wo die Geltung des allgemeinen Kündigungsschutzes neben einem besonderen Kündigungsschutz ausgeschlossen wird, dies im Gesetz selbst mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck kommt (§ 12 Abs 7 APSG, § 8 Abs 5 BEinstG), legt § 15a Abs 8 BAG einen Ausschluss des allgemeinen Kündigungsschutzes alles andere als nahe. Dessen ungeachtet verneint der OGH jedoch eine planwidrige Lücke in Bezug auf den allgemeinen Kündigungsschutz mit der knappen Bemerkung, dass „mit den in § 15a Abs 3 BAG vorgesehenen Informationspflichten materiell auch ein wesentlicher Gehalt des § 105 Abs 1 und 2 ArbVG für diese Lösungsform übernommen wurde“. Bei genauerer Betrachtung weisen diese Informationspflichten allerdings in die gegenteilige Richtung:

Durch § 15a Abs 3 BAG wird die Verpflichtung normiert, dem BR „die beabsichtigte außerordentliche Auflösung und die geplante Aufnahme eines Mediationsverfahrens“ mitzuteilen. Damit werden dem Lehrberechtigten zwei Informationspflichten auferlegt (arg: „und“), die dieser zwar gleichzeitig erfüllen kann, nicht jedoch muss; es wird vielmehr bloß vorausgesetzt, dass beide Informationen spätestens am Ende des neunten bzw des 21. Lehrmonats erfolgt sind: So scheint es lebensnah, dass zuerst über die beabsichtigte Auflösung informiert wird und erst später – nach Information über die Voraussetzungen eines Ausbildungsübertrittes – auch über die geplante Aufnahme eines Mediationsverfahrens. Im Ergebnis werden daher – trotz Gebrauchs des Singulars in § 15a Abs 3 S 4 BAG – zwei rechtlich selbstständige Mitteilungspflichten gegenüber dem BR normiert, die es in das bestandschutzrechtliche Regelungssystem einzuordnen gilt: Einerseits wird eine Mitteilungspflicht in Bezug auf die geplante Aufnahme eines Mediationsverfahrens normiert, was in funktionaler Hinsicht der Verständigung von der Einbringung der Klage auf Zustimmung zur Kündigung (§ 10 Abs 3 S 2 MSchG, § 12 Abs 4 APSG) bzw der Einleitung eines Kündigungsverfahrens iSd § 8 BEinstG (§ 12 Abs 1 S 2 BEinstG) entspricht. Andererseits ist der Lehrberechtigte auch verpflichtet, über die beabsichtigte außerordentliche Auflösung zu informieren, was in funktionaler Hinsicht der Verständigung von der Kündigungsabsicht iSd § 105 Abs 1 ArbVG entspricht. Es stellt sich daher die Frage, welche dieser beiden Informationspflichten den Ausschluss des allgemeinen Kündigungsschutzes nach sich ziehen soll.

Mitteilungspflichten gegenüber dem BR, die diesen über die (geplante) Einleitung eines Verfahrens in Kenntnis setzen sollen, an dessen Ende die Erlaubnis zum Ausspruch einer Auflösung steht, sind im Regelungssystem des besonderen Bestandschutzes alles andere als ungebräuchlich (vgl nur § 10 Abs 3 S 2 MSchG, § 12 Abs 4 APSG und § 12 Abs 1 S 2 BEinstG). Aus diesen Mitteilungspflichten lässt sich jedoch nichts für das Verhältnis des besonderen Bestandschutzes zum allgemeinen Kündigungsschutz gewinnen, sie werden vielmehr unabhängig davon normiert, ob der allgemeine 435 Kündigungsschutz gänzlich (§ 12 Abs 7 APSG) oder bloß teilweise (§ 8 Abs 5 S 2 BEinstG) ausgeschlossen wird oder ob der allgemeine Kündigungsschutz in vollem Umfang neben dem besonderen Bestandschutz zu beachten ist, wie dies in Bezug auf den besonderen Bestandschutz gemäß MSchG die hA – gestützt auf das Fehlen einer dem § 12 Abs 7 APSG vergleichbaren Bestimmung und im Einklang mit den Materialien (RV 197 BlgNR 8. GP 14) – annimmt (Grillberger in Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht I4 [1998] 391; Pfeil, Neuerliche Verständigung des Betriebsrates bei zunächst unwirksamer Kündigung, DRdA 2003, 144 [146]; Weiß in Gruber-Risak/Mazal [Hrsg], Arbeitsrecht. System- und Praxiskommentar Kap XIX Rz 130 [37. Lfg]; mangels Entscheidungsrelevanz offenlassend OGH8 ObA 233/01zDRdA 2003, 144 [Pfeil]; zu Recht nach objektiv-teleologischen Gesichtspunkten differenzierend Trost in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 105 Rz 103 f). Damit vermag die Normierung der Mitteilungspflicht in Bezug auf die geplante Aufnahme eines Mediationsverfahrens keinen Ausschluss des allgemeinen Kündigungsschutzes begründen.

Dementsprechend muss der OGH in der vorliegenden E wohl dahin verstanden werden, dass die Information des BR über die beabsichtigte Auflösung des Lehrverhältnisses den Ausschluss des allgemeinen Kündigungsschutzes bewirken soll. Damit wäre in Bezug auf die Einbindung des BR die außerordentliche Auflösung des Lehrverhältnisses in die Nähe der Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines begünstigten Behinderten gerückt: Der BR wäre sowohl von der geplanten Einleitung des durchzuführenden Verfahrens zu verständigen (vgl § 12 Abs 1 S 2 BEinstG) als auch von der Kündigungsabsicht des Lehrberechtigten (vgl § 8 Abs 5 S 1 BEinstG iVm § 105 Abs 1 ArbVG), während der Rest des allgemeinen Kündigungsschutzes ausgeschlossen würde (vgl § 8 Abs 5 S 2 BEinstG). Tatsächlich besteht zwischen den Mitteilungspflichten nach § 15a Abs 3 BAG und jenen nach § 8 Abs 5 S 1 (iVm § 105 Abs 1 ArbVG), § 12 Abs 1 S 2 BEinstG jedoch ein fundamentaler Unterschied: Während beim besonderen Bestandschutz für begünstigte Behinderte regelmäßig sowohl vor (§ 12 Abs 1 S 2 BEinstG) als auch nach (§ 8 Abs 5 S 1 BEinstG) Durchführung des Verfahrens vor dem Behindertenausschuss eine Mitteilungspflicht gegenüber dem BR besteht, erfolgen die Verständigungen des BR beim Ausbildungsübertritt beide vor dem geplanten Mediationsverfahren. Der Information über die beabsichtigte Kündigung des begünstigten Behinderten (§ 8 Abs 5 S 1 BEinstG iVm § 105 Abs 1 ArbVG) kommt daher trotz des Ausschlusses des § 105 Abs 2 bis 7 ArbVG insoweit noch ein Mindestmaß an konstitutiver Bedeutung zu, als der BR vom Ausgang des Verfahrens sowie der nach wie vor bestehenden Kündigungsabsicht des AG Kenntnis erlangt. Ein solcher informationeller Mehrwert ist im Rahmen des § 15a Abs 3 BAG nicht ersichtlich. Das wirft die Frage nach der Bedeutung der Verständigung des BR von der beabsichtigten außerordentlichen Auflösung des Lehrverhältnisses auf. In der Auslegung des OGH handelt es sich dabei weitgehend um einen überflüssigen, inhaltslosen Gesetzestext: Denn der Informationsgehalt dieser Verständigung reicht kaum über jenen der Verständigung von der geplanten Einleitung eines Mediationsverfahrens iSd § 15a BAG bzw die ohnehin vorliegenden Informationen (§ 9 ArbVG) hinaus. Eine solche Auslegung steht jedoch in Widerspruch zu den Grundsätzen der systematischen Interpretation (Kodek in Rummel/Lukas, ABGB4 § 6 ABGB Rz 87). Wirklich konstitutive Bedeutung erlangt die Verständigung des BR von der beabsichtigten außerordentlichen Auflösung nur dann, wenn man diese als Konkretisierung des § 105 Abs 1 ArbVG begreift: Auf diese Weise würde nicht nur der Zeitpunkt der das Vorverfahren einleitenden Information des BR determiniert, sondern vielmehr auch der gebotene sachliche und zeitliche Konnex zwischen dem Vorverfahren und dem Ausspruch der Beendigung außer Streit gestellt (Mathy/Trost, DRdA 2017, 454).

2.3.
Zweck

Vor dem Hintergrund der bisherigen Auslegungsergebnisse könnte der in den Materialien dokumentierten Absicht des historischen Gesetzgebers im Rahmen der Interpretation nur dann Vorrang eingeräumt werden, wenn die objektiv-teleologische Auslegung zu keinen brauchbaren Ergebnissen führen würde. Tatsächlich ist allerdings das Gegenteil der Fall: Denn der Zweck der Regelung des § 15a Abs 8 BAG kann nur darin liegen, ein Unterlaufen der Gewährleistungen der sonstigen Bestandschutzregeln zu verhindern. Eine am Zweck orientierte Auflösung der Konkurrenz zwischen § 15a Abs 8 BAG und §§ 105, 107 ArbVG kann dementsprechend nur dadurch erfolgen, dass der allgemeine Bestandschutz insoweit zurücktreten muss, als dieser keinen Anfechtungstatbestand normiert, der nicht bereits durch den besonderen Bestandschutz abgedeckt ist (grundlegend Trost, Probleme einer sehr aktiven Mutter,

). Nur auf diese Weise lässt sich auch dem Grundsatz, die Regelungen eines besonderen Bestandschutzes möglichst schutzintensiv auszulegen (Weiß, Die Verständigung des Betriebsrates von der Einbringung der Klage nach MSchG bzw APSG, RdW 2002/90), Rechnung tragen.

Die Erlaubnis zum Ausspruch der außerordentlichen Auflösung des Lehrverhältnisses ist – anders als bei den sonstigen Spielarten des besonderen Bestandschutzes – nicht an das Vorliegen bestimmter eng umrissener Tatbestände geknüpft. Voraussetzung ist vielmehr bloß, dass sich der Lehrberechtigte oder ein mit der Ausbildung des Lehrlings betrauter Vertreter an einem Mediationsgespräch beteiligt hat, sofern der Lehrling nicht ohnehin auf das Mediationsverfahren verzichtet hat. Eine Pflicht des Lehrberechtigten bzw seines Vertreters, sich am Mediationsverfahren auch konstruktiv zu beteiligen, besteht hingegen nicht (ASG Wien6 Cga 5/13t ARD 6352/1/2013). Das Mediationsverfahren des § 15a BAG leistet daher keine Gewähr dafür, dass die außerordentliche Auflösung des Lehrverhältnisses nicht wegen iSd § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG 436 verpönter Motive ausgesprochen wird. Damit lässt sich als Zwischenergebnis festhalten, dass der besondere Bestandschutz des § 15a BAG keinen der Anfechtungstatbestände des § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG abdeckt. Um dieses untragbare Ergebnis abzuwenden, verweist die hA den Lehrling, dessen Lehrverhältnis aus einem iSd § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG verpönten Motiv aufgelöst wurde, auf das Sittenwidrigkeitskorrektiv des § 879 Abs 1 ABGB (Burger, Neuerungen im Lehrlingsrecht, in Resch [Hrsg], Neuerungen zur Beendigung des Arbeitsvertrags [2009] 17 [43 f], Strohmayer in Aust/Gittenberger/Knallnig-Prainsack/Strohmayer, BAG2 [2017] § 15a Rz 4). Nun ist es zwar zutreffend, dass auch einseitige Gestaltungsrechtsgeschäfte und damit auch die außerordentliche Auflösung des Lehrverhältnisses dem § 879 Abs 1 ABGB unterliegen. Die Gewährleistungen des allgemeinen Kündigungsschutzes werden in Bezug auf die Rechtsdurchsetzung jedoch gleich in mehrfacher Hinsicht unterlaufen: Nicht nur, dass das Sittenwidrigkeitskorrektiv des § 879 Abs 1 ABGB keine Möglichkeit eröffnet, das Verfahren nicht selbst zu führen, sondern vom BR betreiben zu lassen, vielmehr ist es auch alles andere als gesichert, dass das reduzierte Beweismaß der Bescheinigung in Bezug auf den Nachweis des verpönten Motivs zur Anwendung gelangt (Mathy/Trost, DRdA 2017, 452 f). Hinzu kommt, dass Lehrlinge, die sich gegen eine vermeintlich motivwidrige Auflösung ihres Lehrverhältnisses zur Wehr setzen, mangels Vorliegens einer betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeit auch mit dem vollen Prozesskostenrisiko (§ 58 ASGG e contrario) belastet werden (vgl in anderem Zusammenhang Wolligger in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 15 AVRAG Rz 6).

Ebenso wenig wie das Mediationsverfahren einen adäquaten Schutz gegen motivwidrige Auflösungen bietet, leistet es Gewähr dafür, dass sich eine außerordentliche Auflösung des Lehrverhältnisses nicht als sozialwidrig erweist. Anders als bei der Auflösung wegen eines iSd § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG verpönten Motives wird nicht einmal versucht, die diesbezügliche Schutzlücke durch Verweis auf das – nach manchen Stimmen im Schrifttum auch auf sozialwidrige Kündigungen anwendbare (zB Brameshuber, Die Sorgfalt des Arbeitnehmers [2019] 385 ff; aA OGH9 ObA 200/93

[Floretta]
) – Sittenwidrigkeitskorrektiv zu schließen. Vielmehr weist die hA und dieser folgend der OGH darauf hin, dass Lehrlinge meist ein geringes Alter aufweisen und regelmäßig bloß ein geringes Einkommen erzielen, weshalb – in Zusammenschau mit der Ausbildungsgarantie des § 38e AMSG – typischerweise ohnehin keine Sozialwidrigkeit vorliege. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass eine typisierende Betrachtungsweise der Funktion der Anfechtung wegen Sozialwidrigkeit nicht gerecht wird: Diese ist ein Instrument zur Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit; das folgt schon daraus, dass eine Abwägung zwischen der Beeinträchtigung der wesentlichen Interessen des AN und den Kündigungsrechtfertigungsgründen des AG vorzunehmen ist (vgl dazu die „Wendeentscheidung“ OGH9 ObA 279/88
[Floretta]
). Auch wenn daher bei typisierender Betrachtung eine Sozialwidrigkeit der außerordentlichen Auflösung des Lehrverhältnisses selten sein wird, kann sie dennoch nicht ausgeschlossen werden. Denn anders als die Ausbildungsgarantie des § 38e AMSG (vgl die Einschränkung des § 38d Abs 1 AMSG: „Jugendliche“) ist das Erlernen eines Lehrberufes nicht an ein bestimmtes Alter gebunden. Gleichzeitig ist die Höhe des Entgeltes – im kollektivvertragslosen bzw überkollektivvertraglichen Bereich – Gegenstand privatautonomer Vereinbarung.

Sowohl in Bezug auf eine Anfechtung wegen verpönter Motive als auch in Bezug auf eine Anfechtung wegen Sozialwidrigkeit bleibt die Regelung des § 15a BAG – auch unter Zuhilfenahme des Sittenwidrigkeitskorrektives des § 879 Abs 1 ABGB sowie der Ausbildungsgarantie des § 38e AMSG – hinter den Gewährleistungen des allgemeinen Kündigungsschutzes zurück. Dem Zweck des § 15a Abs 8 BAG entsprechend gilt es daher, den allgemeinen Kündigungsschutz neben dem Mediationsverfahren des § 15a BAG zu beachten.

3.
Fazit

Auch nach der hier vertretenen Auffassung, die auf Grundlage einer systematisch-teleologischen Auslegung den allgemeinen Kündigungsschutz auf die außerordentliche Auflösung des Lehrverhältnisses zur Anwendung bringt, ist der Entscheidung im Ergebnis beizupflichten: Nachdem das Erstgericht festgestellt hat, dass sämtliche Verständigungen gesetzeskonform erfolgten, wurde mit der Verständigung des BR von der beabsichtigten Auflösung des Lehrverhältnisses auch der Informationsverpflichtung des § 105 Abs 1 ArbVG entsprochen. Die behauptete Rechtsunwirksamkeit wegen der Verletzung des betriebsverfassungsrechtlichen Vorverfahrens liegt daher nicht vor. Vor diesem Hintergrund ist es umso bedauerlicher, dass sich der OGH den Ausführungen in den Erläuternden Bemerkungen angeschlossen hat und den allgemeinen Kündigungsschutz in Bezug auf die außerordentliche Auflösung des Lehrverhältnisses als unanwendbar erachtet: Nicht nur, dass er damit (wohl) von seiner bisher üblichen methodologischen Vorgangsweise abrückt, vielmehr misst er den Materialien im konkreten Fall auch eine Bedeutung bei, die in eklatantem Widerspruch zu ihrer inneren Überzeugungskraft stehen. 437