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Bemessung des Rehabilitationsgeldes bei parallel nebeneinander bestehenden „letzten Dienstverhältnissen“

VERENAVINZENZ (GRAZ)
  1. Voraussetzung für die Berücksichtigung mehrerer Dienstverhältnisse bei der Bemessung des Rehabilitationsgeldes ist das Eintreten der Arbeitsunfähigkeit in jedem dieser Dienstverhältnisse. Nicht erforderlich ist, dass eine Pflichtversicherung in beiden Beschäftigungsverhältnissen noch im Zeitpunkt der Zuerkennung von Rehabilitationsgeld besteht oder die Pflichtversicherung in der KV zum Zeitpunkt der Zuerkennung von Rehabilitationsgeld infolge des Bezugs von Krankengeld in einem der beiden Versicherungsverhältnisse bereits beendet ist. Auf die gleichzeitige Beendigung der beiden Dienstverhältnisse kommt es nicht an. Der Zeitraum des Bezugs einer Urlaubsersatzleistung ist als letzte Erwerbstätigkeit anzusehen.

  2. Die Bemessungsgrundlage für das Rehabilitationsgeld richtet sich nicht nach dem Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit, sondern stellt auf den letzten Arbeitsverdienst ab. Es kommt nicht auf den tatsächlichen Bezug von Krankengeld an, sondern darauf, in welcher Höhe ein solches gebührt hätte.

  3. Ist in einem der beiden Dienstverhältnisse der Anspruch auf Krankengeld infolge Erreichens der Höchstdauer vor dem Zeitpunkt des Beginns des Rehabilitationsgeldbezugs erloschen, so ist dieses Dienstverhältnis nicht als „letzte Erwerbstätigkeit“ iSd § 143 Abs 2 Satz 1 ASVG anzusehen.

[1] Die Kl war von 1.1.2018 bis 13.6.2019 DN der W* GmbH. Nach dem Ende des Dienstverhältnisses bezog sie von 14.6.2019 bis 23.6.2019 eine Urlaubsersatzleistung. Der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit trat am 18.3.2019 ein. Die Kl bezog aufgrund ihres Dienstverhältnisses zur W* GmbH Krankengeld von 15.5.2019 bis 16.3.2020 in Höhe von zuletzt 35,78 € brutto täglich.

[2] Die Kl war darüber hinaus von 18.2.2019 bis 26.3.2019 DN der B* GmbH. Sie bezog aufgrund des am 18.3.2019 eingetretenen Versicherungsfalls der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit von 27.3.2019 bis 24.3.2020 Krankengeld in Höhe von zuletzt 31 € brutto täglich.

[3] Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 23.4.2020 wurde der Kl infolge der bei ihr eingetretenen vorübergehenden Berufsunfähigkeit Rehabilitationsgeld aus der KV ab 1.4.2020 zuerkannt.

[4] Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 24.7.2020 wies die bekl Österreichische Gesundheitskasse den Antrag der Kl, ihr ein höheres Rehabilitationsgeld als 35,80 € brutto täglich ab dem 1.4.2020 zuzuerkennen, ab.

[5] Die Kl begehrt mit ihrer Klage die Zuerkennung eines Rehabilitationsgeldes ab 1.4.2020, das höher ist als 35,80 € brutto täglich. Für dessen Bemessung seien beide von der Kl parallel ausgeübten Dienstverhältnisse heranzuziehen. Die Kl habe aus beiden Dienstverhältnissen Sozialversicherungsbeiträge entrichtet und Krankengeld bezogen. Maßgeblich sei der letzte Tag der Arbeitsfähigkeit, der 17.3.2019, an dem die Kl beide Dienstverhältnisse ausgeübt habe. Folgte man der Auslegung der Bekl, verstieße § 143a Abs 2 ASVG gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz.

[6] Die Bekl hielt dem entgegen, dass für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes jener Geldbezug maßgeblich sei, der aus der letzten eine Pflichtversicherung in der KV nach dem ASVG oder nach B-KUVG begründenden Erwerbstätigkeit gebührt hätte. Diese sei im Fall der Kl das Dienstverhältnis zur W* GmbH gewesen.

[7] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. ..].

[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl Folge [.

[9] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich der von der Kl beantwortete Rekurs der Bekl [...].

[10] Der Rekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.

[11] 1.1 Gem § 143a Abs 2 Satz 1 erster Halbsatz ASVG gebührt das Rehabilitationsgeld im Ausmaß des Krankengeldes nach § 141 Abs 1 ASVG und ab dem 43. Tag im Ausmaß des erhöhten Krankengeldes nach § 141 Abs 2 ASVG, das aus der letzten eine Versicherung nach dem ASVG oder nach dem B-KUVG begründenden Erwerbstätigkeit gebührt hätte.

[12] 1.2 Obwohl § 143a Abs 2 Satz 1 ASVG seinem Wortlaut nach für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes auf „die letzte eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung begründete Erwerbstätigkeit“ abstellt, daher nach dem Wortlaut von der Ausübung nur einer einzigen Erwerbstätigkeit ausgeht, sind nach der Rsp des OGH bei Eintreten der Arbeitsunfähigkeit in zwei parallelen Beschäftigungsverhältnissen für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes beide Beschäftigungsverhältnisse zu berücksichtigen, sofern diese eine Pflichtversicherung in der KV nach dem ASVG oder B-KUVG begründet haben. Nicht erforderlich ist, dass eine Pflichtversicherung in beiden Beschäftigungsverhältnissen noch im Zeitpunkt der Zuerkennung von Rehabilitationsgeld besteht, oder die Pflichtversicherung in der KV im Zeitpunkt der Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes infolge des Bezugs von Krankengeld in einem der beiden Versicherungsverhältnisse bereits beendet war (10 ObS 136/20b414DRdA 2021/41, [Schöffmann]; 10 ObS 147/20w; 10 ObS 11/21x; RIS-Justiz RS0133427). Auf die gleichzeitige Beendigung der beiden Dienstverhältnisse kommt es nicht an (RS0133427 [T1]). Der Zeitraum des Bezugs einer Urlaubsersatzleistung ist als letzte Erwerbstätigkeit iSd § 143a Abs 2 ASVG anzusehen (10 ObS 98/16h SSV-NF 30/81; 10 ObS 11/21x).

[13] 1.3 Weitere Voraussetzung für die Berücksichtigung mehrerer Dienstverhältnisse bei der Bemes- 438 sung des Rehabilitationsgeldes ist das Eintreten der Arbeitsunfähigkeit in jedem dieser Dienstverhältnisse (10 ObS 136/20b Rz 17).

[14] 2.1 Die Rekurswerberin stellt diese in der Rsp entwickelten Grundsätze nicht in Frage. Ihre Voraus setzungen sind im vorliegenden Fall insofern erfüllt, als die Kl parallel in zwei Dienstverhältnissen beschäftigt war, die eine Pflichtversicherung in der KV begründeten. In beiden Dienstverhältnissen trat Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit am 18.3.2019 ein.

[15] 2.2 Die Rekurswerberin macht geltend, dass weitere Voraussetzung für die Berücksichtigung beider Dienstverhältnisse der Kl zur Bemessung des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld sei, dass im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls der geminderten Arbeitsfähigkeit ein Anspruch auf Krankengeld aus beiden Beschäftigungsverhältnissen bestehen müsse. Hier sei der Anspruch der Kl auf Krankengeld aus ihrem Dienstverhältnis zur B* GmbH am 24.3.2020, daher vor Beginn des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld, erschöpft gewesen. Maßgeblich für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes sei daher allein das Dienstverhältnis zur W* GmbH, in dem die Pflichtversicherung später beendet worden sei. Dem kommt Berechtigung zu.

[16] 3.1 Das Rehabilitationsgeld verfolgt einerseits den Zweck, einen Ersatz für die weggefallene befris tete Invaliditätspension zu schaffen. Dies zeigt sich etwa darin, dass es – anders als das Krankengeld – ohne (bestimmte) zeitliche Begrenzung gewährt wird. Während der Anspruch auf Krankengeld nach Ablauf der Höchstanspruchsdauer ohne weiteres Verfahren erlischt (§ 100 ASVG; vgl 10 ObS 84/21g), wird das Rehabilitationsgeld – abgesehen von wenigen, in § 100 Abs 1 lit a ASVG erfassten Ausnahmefällen – in der Regel bei Vorliegen der Voraussetzungen in den Fällen des § 99 Abs 1a und Abs 3 Z 1 lit b ASVG entzogen (10 ObS 40/20k SSV-NF 34/44). Auf diese Weise gewährt der Gesetzgeber dem Bezieher von Rehabilitationsgeld einen größeren Schutz als dem Bezieher von Krankengeld. Überdies ist das Rehabilitationsgeld in der Regel höher als es die befristete Invaliditätspension war (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 21).

[17] 3.2 Das Rehabilitationsgeld ist grundsätzlich als eine dem Krankengeld ähnliche Leistung konzipiert. Dies zeigt sich in den Regelungen über seine Bemessung in § 143a ASVG. Ebenso wie mit dem Krankengeld verfolgt der Gesetzgeber mit dem Rehabilitationsgeld die Intention, den Einkommensausfall des Versicherten während der Dauer einer vorübergehenden Erwerbsunfähigkeit auszugleichen. Der durch die Arbeitsunfähigkeit erlittene Entgeltverlust soll zumindest teilweise ersetzt werden und eine finanzielle Absicherung des Versicherten während der Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit gewährleistet sein (Einkommensersatzfunktion, 10 ObS 107/17h SSV-NF 31/56 mwH; Födermayr in SV-Komm [249. Lfg] § 143a ASVG Rz 14). Durch die Gewährung von Rehabilitationsgeld soll das Prinzip „Rehabilitation vor Pension“ verstärkt und die Rückkehr in die Arbeitswelt gefördert werden. Funktional ist der Bezug des Rehabilitationsgeldes daher eine „Fortsetzung“ des Krankengeldbezugs (10 ObS 147/20w Rz 19 mwH; ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 18).

[18] 4. Zum vorliegenden Fall vergleichbare Sachverhalte waren bisher noch nicht zu entscheiden (vgl RS0133427). In der E 10 ObS 136/20b bezog die Kl Krankengeld bis zum Beginn des Rehabilitationsgeldbezugs aus beiden parallelen Dienstverhältnissen, dies jeweils für einen Zeitraum von viereinhalb bzw knapp weniger als drei Monaten. In der E 10 ObS 147/20w bezog die Kl Krankengeld aus einem Dienstverhältnis und einem parallel dazu bestandenen freien Dienstverhältnis jeweils über den Zeitpunkt des Beginns des Rehabilitationsgeldanspruchs hinaus. In der E 10 ObS 11/21x bezog die Kl lediglich aus einem von zwei Dienstverhältnissen Krankengeld für 11 Tage. Die Frage des allfälligen Erlöschens des Anspruchs auf Krankengeld aus einem der Beschäftigungsverhältnisse wegen Erreichens der Höchstdauer war in keinem dieser Verfahren zu beurteilen.

[19] 5.1 Die zentrale Begründung dafür, dass bei Vorliegen zweier paralleler Dienstverhältnisse unter bestimmten Voraussetzungen – und ungeachtet des Wortlauts des § 143a Abs 2 Satz 1 ASVG – beide Beschäftigungsverhältnisse als „letzte Erwerbstätigkeit“ anzusehen sind, liegt darin, dass bei mehrfacher KV auch das Krankengeld als Barleistung aus jeder der in Betracht kommenden Versicherungen gebührt (§ 128 Abs 2 [richtig: S 2] ASVG), weil das Krankengeld Einkommensersatzfunktion hat. Parallel nebeneinander ausgeübte Erwerbstätigkeiten bzw Beschäftigungsverhältnisse sollen nicht zum Nachteil des Versicherten für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes allein deshalb ausgeschlossen werden, weil zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes (infolge Krankengeldbezugs nach Ende des Entgeltfortzahlungsanspruchs) keine aufrechte Pflichtversicherung in der KV besteht. Die gegenteilige Argumentation führt zu unsachlichen und zufälligen Ergebnissen, was etwa in jenem Fall besonders deutlich wird, in dem der Entgeltfortzahlungsanspruch aus zwei parallel laufenden Beschäftigungsverhältnissen zum selben Zeitpunkt endet und danach aus beiden Versicherungsverhältnissen Krankengeld bezogen wird. In diesem Fall ließe sich eine (einzelne) „letzte“ Erwerbstätigkeit mit Pflichtversicherung aus der KV nicht finden (10 ObS 136/20b).

[20] 5.2 Die Bemessungsgrundlage für das Rehabilitationsgeld richtet sich nicht nach dem Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit. Abzustellen ist vielmehr auf den letzten Arbeitsverdienst (Felten in Tomandl, SV-System [38. ErgLfg] Pkt 2.2.6.2.B, 264/10). Es kommt – worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat – nicht auf den tatsächlichen Bezug von Krankengeld aus einem Dienstverhältnis an, sondern darauf, in welcher Höhe ein solches – ausgehend vom letzten Arbeitsverdienst – „gebührt hätte“. Für die Beurteilung des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld ist daher nicht relevant, in welcher Höhe oder Dauer Krankengeld aus einem Dienstverhältnis tatsächlich bezogen wurde. Die 439 von der Rekurswerberin als Aktenwidrigkeit gerügte, ihrer Ansicht nach unrichtig festgestellte Dauer des Bezugs von Krankengeld aus dem Dienstverhältnis der Kl zur W* GmbH hat daher keine Bedeutung für die Beurteilung des Anspruchs der Kl auf Rehabilitationsgeld. Ein Erlöschen dieses Anspruchs infolge Erreichens der Höchstdauer hat die Bekl nicht geltend gemacht.

[21] 5.3 Anders verhält sich dies jedoch dann, wenn ein Anspruch auf Krankengeld infolge Erreichens der Höchstdauer erlischt. Bezieht ein Versicherter aus zwei parallelen Dienstverhältnissen Krankengeld und erlischt einer dieser Ansprüche, so fällt dessen Einkommensersatzfunktion auch dann weg, wenn die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit weiter bestehen sollte. Diese Grundsätze müssen auch für den Bezug von Rehabilitationsgeld gelten, das ja eine „Fortsetzung“ des Krankengeldanspruchs ist und wie dieses Einkommensersatzfunktion hat. Erlischt daher der Anspruch auf Krankengeld aus einem von zwei parallelen Dienstverhältnissen vor dem Zeitpunkt des Beginns des Rehabilitationsgeldbezugs, so fällt die sachliche Begründung weg, auch dieses Dienstverhältnis – über den Wortlaut des Gesetzes hinweg – als „letzte Erwerbstätigkeit“ iSd § 143 Abs 2 Satz 1 ASVG anzusehen. Andernfalls wäre der Bezieher von Rehabilitationsgeld besser gestellt als ein Versicherter in derselben Situation, bei dem keine vorübergehende Invalidität (Berufsunfähigkeit) vorliegt. Daran ändert aus den dargestellten Gründen der rechtspolitische Hintergrund des Rehabilitationsgeldes, die weggefallene befristete Invaliditätspension zu ersetzen, nichts.

[22] 5.4 Dem Argument der Kl in der Rekursbeantwortung, es komme für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes auf den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an, kommt wie ausgeführt schon nach dem Gesetzeswortlaut keine Berechtigung zu. Rehabilitationsgeld gebührt zwar erst ab dem durch den Antrag auf Zuerkennung einer Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit in der PV ausgelösten Stichtag (§ 143a Abs 1, § 223 Abs 2 ASVG). Rehabilitationsgeld ist dennoch aus der KV zu leisten, und zwar – ebenso wie das Krankengeld – aus dem Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit (§ 117 Z 3 ASVG). Der Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ist daher zwar – wie ausgeführt – relevant für die Beurteilung der Frage, ob überhaupt vom Vorliegen zweier „paralleler“ Dienstverhältnisse als „letzte Erwerbstätigkeit“ iSd § 143a Abs 2 Satz 1 ASVG ausgegangen werden kann. Er spielt jedoch keine Rolle für die Bemessung der Höhe des Rehabilitationsgeldes.

[23] 5.5 Ist daher der Anspruch auf Krankengeld aus dem Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit in einem von mehreren Dienstverhältnissen erloschen, besteht keine sachliche Rechtfertigung mehr dafür, ungeachtet des Wortlauts des § 143a Abs 2 Satz 1 ASVG auch dieses Dienstverhältnis in die Bemessung für das Rehabilitationsgeld aus demselben Versicherungsfall einzubeziehen. Jedenfalls bleibt nach dieser Bestimmung – was ja auch der Regelfall ist – zumindest eine letzte Erwerbstätigkeit für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes relevant. Ob aus diesem Dienstverhältnis – der „letzten Erwerbstätigkeit“ iSd § 143a Abs 2 Satz 1 ASVG – noch ein Krankengeldanspruch aufrecht besteht, ist für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes nicht maßgeblich. Um den Versicherten dessen ungeachtet eine ausreichende Existenzgrundlage zu gewährleisten, gebührt Rehabilitationsgeld gem § 143a Abs 2 ASVG jedenfalls in Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes (näher dazu Felten in Tomandl, SV System [38. ErgLfg], Pkt 2.2.6.2.B, 264/11). Die von der Kl für den Fall einer solchen Auslegung behauptete Verletzung des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes ist aus all diesen Gründen nicht zu erkennen.

[24] 5.6 Ergebnis: Bei Eintreten der Arbeitsunfähigkeit in zwei parallelen Beschäftigungsverhältnissen, die eine Pflichtversicherung in der KV nach dem ASVG oder B-KUVG begründet haben, sind für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes dann nicht (mehr) beide Beschäftigungsverhältnisse zu berücksichtigen, wenn in einem dieser Beschäftigungsverhältnisse der Anspruch auf Krankengeld zum Zeitpunkt des Beginns des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld bereits infolge Erreichens der Höchstdauer (§ 139 ASVG) erloschen war.

[25] 6.1 Die Rechtssache ist dennoch nicht entscheidungsreif, weil der von der Bekl erst im Rechtsmittelverfahren geltend gemachte rechtliche Aspekt der Frage des Erlöschens des Krankengeldanspruchs der Kl aus ihrem Dienstverhältnis zur B* GmbH infolge Erreichens der Höchstdauer im Verfahren erster Instanz bisher nicht erörtert wurde. Der Kl wird daher im fortzusetzenden Verfahren die Möglichkeit zu geben sein, zu dieser Behauptung der Bekl Stellung zu nehmen.

[26] Dem Rekurs ist daher im Ergebnis nicht Folge zu geben. [...]

ANMERKUNG
1.
Einleitung

Der vorliegende Beschluss des 10. Senats befasst sich mit dem Problemkreis der Berechnung des Rehabilitationsgeldes nach § 143a ASVG bei parallel vorliegenden Beschäftigungsverhältnissen. Er setzt dabei eine bereits bestehende Judikaturlinie (RIS-Justiz RS0133427) fort und präzisiert diese weiter.

Im Ausgangssachverhalt stand eine DN bei Eintritt des Versicherungsfalls der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit in zwei parallelen Beschäftigungsverhältnissen. Sie ist seit 18.3.2019 arbeitsunfähig und bezog daraufhin aus beiden Beschäftigungsverhältnissen Krankengeld. Per Bescheid vom 23.4.2020 bekam sie ab dem 1.4.2020 Rehabilitationsgeld bewilligt. Zu diesem Zeitpunkt waren, wie aus den Sachverhaltsfeststellungen hervorgeht, beide Krankengeldansprüche bereits beendet, im Fall des zweiten Beschäftigungsverhältnisses wegen Erreichens der Höchstdauer des Krankengeldbezugs. Fraglich ist, ob auch der Arbeitsverdienst aus 440 diesem zweiten Beschäftigungsverhältnis für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes zu berücksichtigen ist.

2.
Parteienvorbringen und Entscheidung des OGH

Die Bekl vertritt, dass auf den Arbeitsverdienst aus jener Erwerbstätigkeit abzustellen sei, die dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit unmittelbar vorangegangen ist. Der Versicherungsfall ist am 1.4.2020 eingetreten, also zu einem Zeitpunkt, als beide Beschäftigungsverhältnisse bereits beendet waren. Da der Krankengeldbezug aus dem zweiten Dienstverhältnis wegen Erreichens der Höchstdauer bereits erloschen war, dürfe dieses für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes nicht berücksichtigt werden. Vielmehr sei nur der Arbeitsverdienst aus dem ersten Beschäftigungsverhältnis relevant. Die Kl hingegen argumentiert, dass allein der letzte Tag der Arbeitsfähigkeit, also der 17.3.2019, für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes maßgeblich sei. Da an diesem Tag beide Dienstverhältnisse aufrecht waren, sei auch das Arbeitsentgelt aus beiden Beschäftigungsverhältnissen zu berücksichtigen.

Der OGH entschied, dass sich die Bemessungsgrundlage für das Rehabilitationsgeld nicht nach dem Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit richtet (mE ist dies ein Flüchtigkeitsfehler, gemeint kann nur der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsunfähigkeit sein). Abzustellen sei, so das Höchstgericht, auf den letzten Arbeitsverdienst. Des Weiteren kommt es auch nicht auf den tatsächlichen Bezug von Krankengeld an, sondern darauf, in welcher Höhe ein solches „gebührt hätte“. Erlischt jedoch der Anspruch auf Krankengeld aus einem von mehreren parallel bestehenden Dienstverhältnissen wegen Erreichens der Höchstdauer bereits vor Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes, so ist das Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis nicht für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes heranzuziehen. Diese Begründung soll im Folgenden einer kritischen Würdigung unterzogen werden.

3.
Koppelung des Rehabilitationsgeldes an den Krankengeldbezug?

Eingangs ist festzuhalten, dass beim Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit der Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls und der Stichtag für die Bemessung der Geldleistung auseinanderfallen (vgl Felten in Tomandl, SV-System [38. ErgLfg], 2.2.6.2). Während der Anspruch auf Rehabilitationsgeld ab dem Vorliegen der vo rübergehenden Invalidität gebührt, richtet sich die Bemessung dieser Geldleistung nach der Höhe des Krankengeldes, das, ausgehend vom letzten Arbeitsverdienst, gebührt hätte. Diese Berechnungsmethode wird vom OGH auch nicht grundsätzlich angezweifelt. Sie soll jedoch genau dann nicht gelten, wenn der Krankengeldbezug wegen Erreichens der Höchstdauer bereits erloschen ist. Das Erlöschen des Krankengeldes aus einem von mehreren Beschäftigungsverhältnissen führe dazu, dass das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung bei der Bemessung des Rehabilitationsgeldes nicht berücksichtigt werden dürfe.

Diesen doch erheblichen Sprung in seiner eigenen Argumentation begründet der OGH damit, dass das Rehabilitationsgeld einen fortgesetzten Krankengeldanspruch darstellt und beiden Leistungen Einkommensersatzfunktion zukommt. Wenn die Einkommensersatzfunktion des Krankengeldes wegen Erreichens der Höchstdauer in einem der beiden parallelen Beschäftigungsverhältnisse wegfällt, so müsse dies auch für den Rehabilitationsgeldbezug gelten, ansonsten käme es zu einer Besserstellung jener Personen, die Rehabilitationsgeld beziehen, im Vergleich mit jenen Personen, die Krankengeld beziehen.

Das Höchstgericht sieht also, dass für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes grundsätzlich auf das letzte Arbeitsentgelt abzustellen ist. Es möchte den Bezug dieser Geldleistung aber an eine weitere Voraussetzung knüpfen, nämlich an die Prüfung, ob noch ein aufrechter Krankengeldbezug aus diesem Dienstverhältnis besteht. Dabei stützt sich der OGH auf zwei Argumente: zum einen auf die Funktion beider Leistungen, einen Einkommensausfall der versicherten Person zu kompensieren, und zum anderen auf das Wesen des Rehabilitationsgeldes als funktionale Fortsetzung des Krankengeldes.

3.1.
Einkommensersatzfunktion von Geldleistungen

Es ist unstrittig, dass sowohl dem Krankengeld als auch dem Rehabilitationsgeld Einkommensersatzfunktion zukommt. Dabei handelt es sich jedoch um kein Alleinstellungsmerkmal, vielmehr ist der Ausgleich für Einkommensverluste ein typischer Zweck vieler Geldleistungen aus der SV, man denke etwa an das Wiedereingliederungsgeld, das Arbeitslosengeld oder die diversen Pensionen (vgl Pfeil/Auer-Mayer, Österreichisches Sozialrecht13 [2021] 64, 124). ME kann daher ein Rekurs auf die Einkommensersatzfunktion kein taugliches Argument darstellen, um jene Dienstverhältnisse, in denen Krankengeld bereits bis zur Höchstdauer bezogen wurde, vom Bezug des Rehabilitationsgeldes auszuschließen.

3.2.
Rehabilitationsgeld als fortgesetzter Krankengeldanspruch

Das Höchstgericht vertritt, dass der Wegfall des Krankengeldanspruchs wegen Erreichens der Höchstdauer dazu führt, dass der Arbeitsverdienst aus diesem Beschäftigungsverhältnis nicht für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes berücksichtigt werden darf. Eine Auslegung von § 143a ASVG lässt diesen Schluss jedoch nicht zu. Schon eine wörtliche Interpretation zeigt, dass auf das Krankengeld nur an einer einzigen Stelle Bezug genommen wird, und zwar in § 143a Abs 2 Satz 1 441 welcher normiert, dass das Rehabilitationsgeld „im Ausmaß des Krankengeldes nach § 141 Abs 1 [...]“ gebührt. Mit „Ausmaß“ ist die Höhe der Geldleistung gemeint, eine darüber hinausgehende inhaltliche Verknüpfung der beiden Leistungen kann aus dem Wortlaut der Bestimmung nicht herausgelesen werden.

Dies wird auch durch eine subjektiv-historische Auslegung bestätigt. Eine Stelle, die sich in den Materialien (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 18) findet und vom OGH zitiert wird, ist die Formulierung, dass „das Rehabilitationsgeld funktional als eine Fortsetzung des Krankengeldbezuges anzusehen ist bzw. dem Krankengeldanspruch nachgebildet wurde“. Diese Passage findet sich jedoch ausschließlich in den Erläuterungen zu § 8 Abs 1 Z 2 lit c ASVG, es geht also um die Teilversicherung in der PV. Die Aufnahme von Rehabilitationsgeldbeziehern in diese Teilversicherung (und in die KV) wurde vom Gesetzgeber mit der Ähnlichkeit von Rehabilitationsgeld und Krankengeld begründet. Da Bezieher von Krankengeld teilversichert sind, soll dasselbe Prinzip auch für das Rehabilitationsgeld zum Tragen kommen. Eine – vom OGH intendierte – Koppelung des Rehabilitationsgeldes an einen aufrecht bestehenden Krankengeldanspruch kann aus diesen Passagen nicht herausgelesen werden.

Zu einem eindeutigen Ergebnis führt schließlich ein Blick auf den Zweck der Bestimmung. Rehabilitationsgeld gebührt als Geldleistung im Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit. Als solches stellt das Rehabilitationsgeld tatsächlich in aller Regel eine „funktionale Fortsetzung“ des Krankengeldes dar, denn beide Geldleistungen knüpfen an die vorübergehende Arbeitsunfähigkeit der versicherten Person an: sie sollen das Risiko vorübergehender Erwerbunfähigkeit abdecken (EuGHC-135/19, PVA/C.W., ECLI:EU:C:2020:177). In einem typischen Verlauf bezieht die versicherte Person mit Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zuerst Krankengeld. Mit Ausschöpfen der Bezugsdauer, also der Aussteuerung, stehen der versicherten Person – abhängig vom weiteren Verlauf der Arbeitsunfähigkeit – weitere Geldleistungen aus der SV offen, ua auch der Anspruch auf Rehabilitationsgeld (vgl Burger/Mair/Wachter, Sozialrecht Basics6 [2022] 117). Würde man nun Personen, die genau diesen typischen Verlauf durchleben und im Stadium der Aussteuerung angekommen sind, den Anspruch auf Rehabilitationsgeld verwehren, so liefe dies dem Zweck der Bestimmung zuwider. Diese Betrachtungsweise unterstützen auch die Ausführungen von Felten (in Tomandl, SV-System [38. ErgLfg] 2.2.6) und Pfeil (Systemfragen der geminderten Arbeitsfähigkeit, DRdA 2013, 363 [371]), die aufzeigen, dass selbst in Fällen, in denen die versicherte Person im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls der geminderten Arbeitsfähigkeit nicht (mehr) in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis steht, sondern bereits Geldleistungen aus der SV bezieht, auf das letzte Arbeitsentgelt abzustellen ist. Pfeil nennt hier ausdrücklich „Zeiten eines Krankengeld- oder Arbeitslosengeld- bzw Notstandshilfebezuges“ und hält fest, dass derartige Zeiten „auszublenden“ sind.

Als zweites Zwischenergebnis kann daher festgestellt werden, dass in § 143a Abs 2 ASVG nur geregelt ist, dass für die Höhe des Rehabilitationsgeldes auf die Berechnungsmethode des Krankengeldes abzustellen ist. Eine weitere inhaltliche Verknüpfung dieser beiden Geldleistungen ist vom Gesetzgeber hingegen nicht gewollt.

4.
Fazit

Dem vorliegenden Beschluss ist im Ergebnis nicht zuzustimmen. Da sich die DN im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit in zwei parallel bestehenden Dienstverhältnissen befunden hat, ist auch das Arbeitsentgelt aus beiden Beschäftigungsverhältnissen für die Bemessung der Höhe des Rehabilitationsgeldes zu berücksichtigen. Ob der Krankengeldanspruch aus einem dieser Beschäftigungsverhältnisse infolge Erreichens der Höchstgrenze bereits erloschen ist, muss für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes unerheblich sein, da ansonsten dessen Einkommensersatzfunktion gerade nicht Rechnung getragen würde. 442