ReitterKritik der linken Kritik am Grundeinkommen

Mandelbaum Verlag, Wien 2021, 268 Seiten, broschiert, € 18,–

KLAUSFIRLEI (SALZBURG)

Die Forderung nach Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (im Folgenden BGE) wird von einem politisch sehr breiten und bunten Spektrum an Befürwortern vertreten. Reziprok dazu ist auch die nicht gerade kleine Zahl der Kritiker dieses Projekts breit gestreut und ideologisch heterogen. Wenig überraschend ist, dass Interessenvertretungen, deren Macht, ja deren Existenzgrundlage, auf dem herrschenden System abhängiger Erwerbsarbeit beruhen, in Österreich also ÖGB, AK, Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung usw, wenig Freude an diesen Modellen zeigen. Karl Reitter, Philosoph, Lektor an den Universitäten Klagenfurt und Wien, habilitiert an der Universität Klagenfurt, bekannt auch als Herausgeber des Jahrbuchs für marxistische Gesellschaftstheorie, unternimmt im hier zu besprechenden Buch den Versuch, die „linke“ Kritik am BGE zu sichten, auf ihre theoretischen Grundlagen hin zu befragen und einer kritischen Bewertung zu unterziehen.

Diese Aufgabenstellung ist grundsätzlich zu begrüßen. Zum einen ist es eine gute linke Tradition, mit den Waffen des Intellekts und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung dazu beizutragen, gesellschaftlichen Fortschritt, umfassende Emanzipationsziele und eine durchgreifende Humanisierung zu verwirklichen. Eine gute Tradition ist es auch, dass diese Auseinandersetzungen, so wie in diesem Buch, nicht gerade mit Samthandschuhen geführt werden. Beim Thema BGE ist die Härte der Kontroverse geradezu zwingend, handelt es sich doch um eine der großen Themen, zu denen die Linke völlig zerstritten ist. Das Thema offenbart massive Widersprüche betreffend die ökonomische Analyse, die Vorstellungen zum Sozialstaat, zum Menschenbild, zum Freiheitsbegriff und zur Frage der Gerechtigkeit. Das Thema ist extrem überladen und emotional entsprechend aufgeladen. Und noch etwas ist festzustellen: Kaum je in den letzten Jahrzehnten des Reformismus, der Regression und der politischen Ernüchterung gab es eine so weitreichende und (angeblich) revolutionäre Utopie, die weit über das Soziale im engeren Sinne hinausreicht und die von ihren Verfechtern als systemtranszendierend angesehen wird.

Reitter ist unabhängig von jeder inhaltlichen Positionierung Recht zu geben, wenn er in Anschluss an Kovce und Priddat im Kapitel über „Grundfragen eines Grundeinkommens“ feststellt, es handle sich um einen Vorschlag von geradezu provozierender Schlichtheit. Ob das in einer hochkomplexen und hochvernetzten Gesellschaft als Kompliment angesehen werden kann, sei hier dahingestellt.

Einige von Reitters Ausgangshypothesen seien hier kurz erwähnt: Er meint, wer gegen ein Grundeinkommen ist, sei für „Arbeitszwang“. Er hält bedauernd fest, dass das BGE keine starke Verankerung in den sozialistischen bzw kommunistischen Bewegungen hatte. Berühmt wurde der Satz von Trotzki, der dem gesamten „realsozialistischen“ Universum zugrunde lag und auch für die sozialreformistischen Strömungen der Arbeiter*innenbewegung ungeschriebenes Gesetz war: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.

Für Reitter ist das BGE keine neoliberale Idee, wie nicht selten behauptet wird. Insb könne man den ultraliberalen Vordenker Friedman nicht als Verfechter eines BGE ansehen. Im Kapitel über den Neoliberalismus finden sich Befunde, denen man durchaus zustimmen kann. Allerdings ist auch bei Reitter wie bei vielen BGE-Apologeten eine völlig überzogene Kritik am heutigen Sozialstaat und am Sozialversicherungssystem festzustellen. Dabei werden gewisse Defizite, die allseits bekannt sind und auch diskutiert werden, verabsolutiert, und es wird völlig verkannt, welche Leistung es war und ist, ein differenziertes, Bedarfslagen, Gerechtigkeitsziele und ökonomische Möglichkeiten austarierendes System zu realisieren und weiter zu entwickeln. Verkannt wird, dass dieses System auch ohne einen radikalen Systembruch die bestehenden Defizite bewältigen kann und auf die neuen Probleme (prekäre Arbeit, working poor, alternde Gesellschaft) ohne gefährliche Kollateralschäden reagieren könnte.

Darüber zu diskutieren, was diese Defizite mit den kapitalistischen Strukturen und mit der globalisierten Wettbewerbs- und damit Dumpingwirtschaft zu tun haben, ist erforderlich und nützlich. Die Lösungen sind aber an die strukturellen Grenzen des ökonomischen und verfassungsrechtlichen Systems zu messen. Diese mühsame Arbeit hat sich Reitter leider nicht angetan.

Ob das BGE den Kapitalismus überwindet, den der Autor an sich zu Recht im Visier hat, ist eine andere Frage. Sie wird von Reitter dahingehend beantwortet, dass das BGE eine Art von Überwindung des Kapitalismus sei. Genau das aber ist es nicht. Kapital, abhängige Arbeit, Profitorientierung, Wettbewerb, Externalisierung, Sozial- und Umweltdumping: alle Kernelemente kapitalistischer Produktionsverhältnisse bleiben aufrecht.

Reitter bestreitet die immer wieder geäußerte feministische Kritik, das BGE wirke als eine Art Herdprämie. 452 Vielmehr erfordere das männliche Engagement in der Hausarbeit eine „Depotenzierung“ der Erwerbsarbeit. Dass Bezieher*innen des Grundeinkommens auf Kosten anderer leben, ist für Reitter schlicht falsch. Dabei werde nämlich die Gesellschaft als Güterund Solidargemeinschaft missdeutet. Produktiv sei die Gesellschaft insgesamt, „wer produziert, konsumiert, wer konsumiert, produziert“. Den in der Kritik des BGE häufig vorgetragenen Vorwurf, das BGE würde Gerechtigkeitsvorstellungen widersprechen, hält er ebenfalls für nicht überzeugend.

Es ist an dieser Stelle nicht möglich, auf die Kritik von Reitter an einzelnen Personen im sogenannten linken Spektrum, die das BGE kritisch sehen, einzugehen. Dass der Autor zum einen inhaltliche Thesen (für und gegen das BGE) vorträgt, andererseits aber in der Folge einzelne Kritiker*innen zu widerlegen versucht, ist systematisch nicht sehr vorteilhaft. Der Stil der Kritik von Reitter ist teils schnoddrig, teils aggressiv und zynisch, teils unnötig abwertend. Zamora wird der „Hellseherfraktion“ zugeordnet. Dem angesehenen Juristen und Arbeitsrechtsexperten Walter Gagawczuk wird vorgeworfen, dass er seine Kritik, die Reitter in die Nähe eines Kabaretts rückt, auf einer Internetseite der Arbeiterkammer publiziert hat.

Die Kritik der das BGE ablehnenden linken Positionen geht auf Zusammenhänge nicht ein, verweigert die Anerkennung des Diskurskontexts, in dem sie stehen und zeichnet sich durch selektives Herausgreifen einzelner Inhalte aus. Schlagkräftige Argumente der kritisierten Personen werden durchwegs ausgespart. Auf welche Weise das BGE rechtlich, insb auch verfassungsrechtlich, faktisch, strategisch und von der Finanzierbarkeit her realisiert werden kann, ist kein Thema. Mit solchen Banalitäten geben sich große Sozialphilosophen eben nicht ab.

Der aggressive Stil des Autors richtet sich nicht nur gegen die Personen, die Reitter auf die Anklagebank verbannt, sondern auch gegen die Fundamente einer humanen Zivilisation und sie sind in höchstem Maße, misst man den Autor an seinen eigenen hehren Ansprüchen und ideologischen Positionen, inhuman und reaktionär. Feindbild sind sowohl die Rolle der menschlichen Arbeit („Lohnfetisch“), der differenzierte, auf die Bewältigung von spezifischen Bedarfslagen hin orientierte Sozialstaat, der Systembefund der Vernetzung aller mit allen, die ein Ausklinken aus den realen Verantwortungszusammenhängen als eine eigentlich schreckliche Dystopie erscheinen lässt. Nicht zuletzt handelt es sich auch um einen Frontalangriff auf die grundrechtlich abgesicherten Errungenschaften der Arbeiterbewegung. Damit bedeutet das BGE eine radikale Abkehr von der Idee einer Projektorientierung und einem gesellschaftlich geprägten Grundverständnis von Rechten und Pflichten.

Das Buch ist Ausdruck einer linken Befreiungstheologie und wendet sich von der Aufgabe ab, wissenschaftliche Grundlagen für eine Verbesserung der Lebenslagen der Menschen zu liefern. Es steht für Sozialutopien, nicht aber für eine elaborierte Gesellschaftsanalyse iSd von Reitter ja immer wieder als Kronzeuge aufgerufenen Karl Marx.