Löschnigg (Hrsg)Die Universität in der Pandemie – Rechtliche Implikationen von COVID-19 im universitären Betrieb
Verlag des ÖGB, Wien 2021, 104 Seiten, broschiert, € 34,–
Löschnigg (Hrsg)Die Universität in der Pandemie – Rechtliche Implikationen von COVID-19 im universitären Betrieb
Aufgrund der COVID-19-Pandemie und den in diesem Zusammenhang gesetzten Präventionsmaßnahmen und Lockdowns waren auch die Universitäten gezwungen, Einschränkungen im Forschungs- und Lehrbetrieb vorzunehmen und viele Bereiche zumindest temporär zu schließen. Studium und Lehre wurden bis auf wenige Ausnahmen im Frühjahr 2020 „von heute auf morgen“ auf Distance Learning sowie Online-Prüfungsformate umgestellt und die Mitarbeiter:innen, abgesehen von systemkritischen Bereichen, breitflächig in Homeoffice geschickt. Auch wenn die Universitäten zur Fortführung des Studienbetriebs differenzierte Lehrangebote entwickelt haben, steht Distance Learning naturgemäß im Spannungsfeld mit jenem akademischen Setting, das durch Präsenzlehre geprägt ist und mit sozialer Interaktion und wissenschaftlichem Diskurs einhergeht. Ähnlich verhält es sich mit dem Umstieg auf das Arbeiten in Homeoffice. Bereits frühzeitig hat sich Günther Löschnigg im Rahmen einer Tagung den damit verbundenen rechtlichen Fragestellungen gewidmet, deren Beiträge in diesem Sammelband verschriftlicht sind.
Zunächst setzt sich Manfred Novak in seinem Beitrag „Distance Learning im Lichte von Wissenschaftsfreiheit, Bildungsauftrag und Wissenschaftsverwaltung“ mit dem verfassungsrechtlichen Rahmen für die universitäre Lehre und den Bedingungen für Lehrmethoden des Distance Learnings auseinander. Nach einem gelungenen Überblick zu Inhalt und Umfang des Grundrechts auf Wissenschaftsfreiheit und dessen Beschränkbarkeit sowie dem gesetzlichen Bildungsauftrag der Universitäten geht er auf die Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich Lehr- und Lernmethodik und verpflichtenden Vorgaben an die Lehrenden ganz allgemein und im Lichte der Pandemie ein. Zuzustimmen ist ihm darin, dass sich aus den studienrechtlichen Regelungen des Universitätsgesetzes (UG) grundsätzlich ableiten lässt, dass der Präsenzunterricht im Vordergrund stehen muss. Allerdings bestand schon bisher nach § 76 Abs 3 UG idF vor der UG-Novelle 2021 die Möglichkeit von hybrider Lehre, indem die Fernstudienelemente und elektronische Lernumgebungen integriert werden können. Zwischenzeitlich wurde § 76 UG dahingehend flexibilisiert, dass die Studierenden vor Semesterbeginn ua über Lehr- und Prüfungsmethoden der jeweiligen Lehrveranstaltung zu informieren sind, diese aber aus zwingenden Gründen – wie etwa eine Pandemie – geändert werden können. Darüber hinaus wurde nun in den fixen Rechtsbestand des UG (§ 76a) eine Sondervorschrift für die Durchführung von Prüfungen mit Mitteln der elektronischen Kommunikation als gleichwertige Methode aufgenommen. Entsprechend Novak ergibt sich aus dem UG in diesem Kontext kein subjektives Recht der Studierenden und auch nicht der Lehrenden auf bestimmte oder abweichende Lehr- und Lern- sowie Prüfungsmethoden, allerdings wäre die flächendeckende Umstellung auf Distance Learning rechtlich problematisch. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber 453 mit dem COVID-19-Hochschulgesetz (C-HG) und darauf basierend der Wissenschaftsminister mit der COVID-19-Hochschulverordnung (C-UHV) für das Sommersemester 2020 und das Wintersemester 2020/21 studienrechtliche Sondervorschriften geschaffen, die in Reaktion auf die Pandemie Einschränkungen dieses Grundsatzes ermöglichen und dem UG derogieren. Novak setzt sich mit diesen Regelungen differenziert im Lichte von Wissenschaftsfreiheit, Universitätsautonomie, Legalitätsprinzip und Kompetenzfragen auseinander. Während Novak zuzustimmen ist, dass gesetzliche Regelungen, die den äußeren Rahmen für Forschung und Lehre determinieren, als mit der Wissenschaftsfreiheit vereinbar sind, und auch keinen Eingriff in die Autonomie der Universitäten bedeuten, erscheinen C-HG und C-UHV im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Legalitätsprinzip entgegen der Ansicht Novaks jedoch problematisch. Das „gelockerte“ Legalitätsprinzip, dem Universitäten unterliegen, gilt nämlich nicht für den Bund als Verordnungsgeber, weshalb die erwähnten Bestimmungen mangels konkreter Definition von Ziel, Intention und Inhaltskriterien dem Bestimmtheitsgebot des Art 18 B-VG nicht genügt haben (idS auch Gamper, Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von § 1 C-HG und der C-UHV, zfhr 2020, 193). Auch die mit C-HG und C-UHV verbundenen Eingriffe in die durch das UG vorgegebene inneruniversitäre Kompetenzverteilung (Verschiebung zum Rektorat ohne jegliche Einbindung des Senats) erscheint, wie auch Novak ausführt, mit der gebotenen verfassungsrechtlichen demokratischen Legitimation der Entscheidungsfindung nicht vereinbar, auch wenn die Pandemiesituation verkürzte Entscheidungswege bedingt.
Im zweiten Beitrag beschäftigt sich Nora Melzer eingehend mit „Arbeit im Homeoffice ‚an‘ der Universität – zu den Auswirkungen der Neuregelungen aufgrund von COVID-19 für Universitätsmitarbeiter_innen“. Nach begrifflichen Klarstellungen widmet sie sich der Frage, inwieweit AN zu Homeoffice verpflichtet werden können, und geht zu Recht davon aus, dass dies ohne ausdrückliche Vereinbarung nicht zulässig ist, was sich für Angestellte insb aus § 8 Abs 5 des Universitäten-KollV (vgl Schöberl in Pfeil/Grimm/Schöberl, Personalrecht der Universitäten, § 8 KollV Rz 7) – und seit der Novelle 2021 nun aus § 2h Abs 2 ArbVG – sowie für Beamte und „übernommene“ Vertragsbedienstete aus § 36a BDG und § 5c VBG ergibt. Umgekehrt haben AN kein Recht auf Homeoffice, soweit arbeitsvertraglich nicht anderes geregelt ist. Melzer ist zuzustimmen, dass Online-Lehre über Video-Streams arbeitsvertraglich gedeckt ist. Im Verständnis zu eng bleibt sie hingegen, was den Einsatz von Lehr-Videos oder Audio-Dateien betrifft. Aus meiner Sicht sind jegliche Formen des E-Learnings und die Nutzung von Lernplattformen einschließlich der Erstellung des zugrundeliegenden Unterrichtsmaterials iS eines dynamischen Verständnisses der Arbeitspflicht sehr wohl von den Aufgaben in der Lehre gedeckt und kann es diesbezüglich verbindliche Vorgaben der Universität geben. In weiterer Folge geht Melzer auf die arbeitsverfassungsrechtliche Ebene ein und kommt zum Ergebnis, dass bei Homeoffice idR von einer verschlechternden Versetzung auszugehen sein wird. Dies ist insofern überschießend, als Homeoffice häufig auch im Interesse der AN – so in Pandemiezeiten iSd Gesundheitsschutzes – liegt und es daher einer Abwägung im Einzelfall bedarf. Ausführungen zu Fürsorgepflicht und technischem AN-Schutz ergänzen den Beitrag. Demnach kommen die arbeitsstättenbezogenen Regelungen des ANSchG nicht zur Anwendung. Der AG ist jedenfalls verpflichtet, insb Hard- und Software sowie Internetzugang zur Verfügung zu stellen oder im Falle der Verwendung eigener Betriebsmittel dafür eine Entschädigung zahlen. Dies wurde zwischenzeitlich durch das „Homeoffice-Paket“, BGBl I 2021/61, klargestellt und um entsprechende steuerliche Bestimmungen, BGBl I 2021/52, ergänzt (dazu etwa Gogola, Die neue Rechtslage zur Arbeit im Homeoffice, DRdA-infas 2021, 341 mwN). Ebenfalls ausdrücklich geregelt wurde im Zuge der COVID-19-Pandemie die Frage des Unfallversicherungsschutzes im Homeoffice (§ 175 Abs 1 ASVG, § 90 B-KUVG), was zunächst für die Pandemie zeitlich befristet war, nunmehr aber in den Dauer-Rechtsbestand übergeführt wurde. Hinsichtlich der Arbeitszeitregelungen gilt mangels Sondernorm das AZG auch bei Homeoffice. Konnten sich – wie Melzer darstellt – betriebliche Regelungen zu Homeoffice schon bisher auf verschiedene Betriebsvereinbarungskompetenzen stützen (§ 97 Abs 1 Z 1, Z 6, Z 8, Z 9, Z 17 und gegebenenfalls bezüglich Kontrollmaßnahmen § 96 Abs 1 ArbVG) wurde zwischenzeitlich mit § 97 Abs 1 Z 27 ArbVG ein eigener Tatbestand für eine fakultative BV geschaffen. Im Beitrag ausgespart – weil wohl den Rahmen sprengend – bleibt der Themenkomplex Datenschutz(recht), der ebenfalls bei Homeoffice mangels unmittelbarer Ingerenz des AG besonders zu beachten ist (vgl etwa Knyrim, Datenschutz und Coronavirus, Dako 2020, 30; Pollirer, Checkliste Homeoffice und COVID-19, Dako 2020, 66).
Im dritten Beitrag „Distance Teaching und Urheberrecht – wem gehören Lehrmittel und Arbeitsergebnisse?“ bietet Albrecht Haller einen Ein- und Überblick in für die Lehre urheberrechtlich relevanter Fragestellungen. Nach einer kurzen Einführung und Erklärung der zentralen und für die folgende Darstellung wesentlichen Begriffe des Urheberrechts widmet sich Haller der urheberrechtlichen Kategorisierung einiger für die Lehre relevanter Materialien. Aus meiner Sicht und gemessen an den im universitären Bereich immer wieder auftretenden Fragestellungen bieten die Auswahl der behandelten Materialien sowie die von Haller vorgenommene urheberrechtliche Einordnung einen guten und praxisrelevanten Überblick. Die bereits im Ausblick angekündigte Umsetzung der Digital Single Market-RL (DSM-RL) in nationales Recht ist nun zwischenzeitlich erfolgt. Auswirkungen dieser Novellierung finden sich ua in den freien Werknutzungen und hier speziell in § 42g UrhG wieder. So wurde die bisherige Bestimmung etwa um die Möglichkeit, veröffentlichte Werke im Rahmen einer digitalen Nutzung zu vervielfältigen, durch Rundfunk zu senden und für eine öffentliche Wiedergabe nach § 18 Abs 3 leg cit zu benutzen, ergänzt. Wurde bisher unter die Zurverfügungstellung für einen bestimmten abgegrenzten Kreis von Unterrichtsteilnehmer:innen die Zurverfügungstellung im Intranet der Bildungseinrichtung oder auf eigenen Lehrplattformen subsumiert, erfährt dies in der neuen Formulierung des § 42g eine Konkretisierung. Ebenfalls adaptiert wurde die Möglichkeit der Nutzung von Werken, die ihrer Beschaffenheit und Bezeichnung nach zum Schul- und Unterrichtsgebrauch bestimmt 454 sind. Eine Erleichterung im Hinblick auf eine in der Praxis wohl oft vorkommende grenzüberschreitende Nutzung bzw Abrufung der digitalen Lehrinhalte erfolgt dadurch, dass die Verwertungshandlung in dem Mitgliedstaat stattfindet, in dem die Bildungseinrichtung ihren Sitz hat. Die Frage, welches Recht bei einer grenzüberschreitenden Nutzung zur Anwendung kommt, lässt sich bei Nutzungshandlungen nach § 42g UrhG somit nun leicht beantworten.
Im vierten Beitrag „Online-Prüfungen an Universitäten infolge der Covid-19-Pandemie: Ein Grenzgang zwischen Notwendigkeit und Strafbarkeit“ widmen sich Alois Birklbauer und Magdalena Neuhofer in einer übersichtlichen und sehr gut strukturierten Darstellung möglicher strafrechtlich relevanter Fallkonstellationen im Zusammenhang mit Online-Prüfungen sowohl aus Sicht der Studierenden als auch der Prüfenden. So werden die Themen „nachlässige Kontrollen und Schwindeln“ (unerlaubte Hilfsmittel, Teamwork, externe Expertise, Schreiben unter fremdem Namen) vor dem Hintergrund der Delikte „Missbrauch gegen die Amtsgewalt“ (§ 302 StGB) und „Fälschung von Beweismitteln“ (§ 293 StGB) sowie „Prüfungen unter fremdem Namen in Bezug auf den Gebrauch fremder Ausweise“ (§ 231 StGB) ausführlich erläutert und die nicht unerheblichen strafrechtlichen Risiken aufgezeigt. Abgerundet wird der Beitrag durch eine kompakte Darstellung über die Anzeigepflicht der Universitäten bei festgestelltem Prüfungsschwindel.
Resümierend lässt sich festhalten, dass auch zwei Jahre nach Pandemiebeginn viele der in diesem Tagungsband erörterten Rechtsfragen hochaktuell sind: zum einen, weil uns die Pandemie noch immer im Bann hält und angesichts neuerlich steigernder Infektionszahlen Distance Learning und Homeoffice als probate Mittel der Infektionsreduzierung und der Gewährleistung des Studienfortschritts anzusehen sind; zum anderen weil viele der pandemiebedingten Innovationen hinsichtlich E-Learning und Lernplattformen auch nach Ende der Pandemie in den Regel-Lehrbetrieb integriert sowie Elemente der Fern- und Hybridlehre vor allem für Massenlehrveranstaltungen weiter zur Anwendung kommen werden, und Homeoffice iS von Mobile Working, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Work-Life-Balance und effizientem Arbeiten zumindest in manchen universitären Bereichen weiter von Bedeutung sein werden. Die Lektüre dieses Buches kann daher allen im Universitäts- und Hochschulbereich tätigen Personen nur wärmstens empfohlen werden.