MayerDer Wegfall der kollektivvertraglichen Betriebsvereinbarungsermächtigung

Manz Verlag, Wien 2021, XXIV, 154 Seiten, broschiert, € 44,–

HANNAHDÖLZLMÜLLER (SALZBURG)

Nach § 29 ArbVG können Betriebsvereinbarungen über alle Angelegenheiten abgeschlossen werden, die ihnen durch Gesetz oder KollV zur Regelung übertragen wurden. Was aber passiert mit einer Betriebsvereinbarung(sklausel), wenn ihre kollektivvertragliche Ermächtigung wegfällt? Und wirkt sich der konkrete Grund des Wegfalls einer solchen Ermächtigung auf das rechtliche Schicksal einer darauf beruhenden Betriebsvereinbarungsbestimmung aus? Diese und weitere Fragen behandelt das gegenständliche Werk, bei dem es sich um die geringfügig geänderte Dissertation der Autorin Lisa Mayer handelt, die im September 2020 an der Johannes-Kepler-Universität eingereicht wurde. Bisher fehlte es an einem Gesamtwerk zur Frage des Schicksals ermächtigungslos gewordener Betriebsvereinbarungen; mit der monographischen Aufarbeitung des gleichermaßen wissenschaftlich spannenden wie praktisch relevanten Themengebiets ist es der Autorin nunmehr gelungen, diese Lücke in der österreichischen Rechtswissenschaftsliteratur zu schließen.

Mayer beginnt mit einer kurzen Darstellung betriebsvereinbarungsrechtlicher Grundlagen, wodurch insb LeserInnen, die mit der Materie nicht übermäßig vertraut sind, ein schneller und zielgerichteter Einstieg in die Thematik ermöglicht wird. An den eigentlichen Kern des Buchs führt sie heran, indem sie sechs, nach den Gründen des Wegfalls der kollektivvertraglichen Ermächtigung differenzierende Fallgruppen (Abschluss eines neuen KollV bzw Abänderung eines bestehenden KollV durch die Kollektivvertragsparteien, Erlöschen des KollV, Kollektivvertragswechsel in Folge eines Verbandswechsels, Kollektivvertragswechsel in Folge fachlicher Änderungen im Betrieb oder Umstrukturierungsmaßnahmen ohne Verbandswechsel, Kollektivvertragswechsel in Folge Standortverlegung und Kollektivvertragswechsel in Folge eines Betriebsübergangs) mit jeweils bis zu fünf Unterfallgruppen bildet. In dieser Systematisierung der zT durchaus komplexen Fallkonstellationen, in denen es zum Wegfall einer kollektivvertraglichen Betriebsvereinbarungsermächtigung kommt – wobei Mayer auf allzu detailverliebte Ausführungen dankenswerterweise verzichtet – liegt mE einer der Hauptnutzen des Werks. Mit einem Umfang von 60 Seiten nimmt sie quantitativ auch den meisten Raum im Buch ein. Der hierdurch erzeugte Überblick ist insb relevant für die Beantwortung der Frage, ab wann von einem Wegfall einer kollektivvertraglichen Betriebsvereinbarungsermächtigung überhaupt ausgegangen werden kann. Aber auch vor dem Hintergrund, dass gerade im jüngeren Schrifttum bei der Beurteilung des Schicksals ermächtigungslos gewordener Betriebsvereinbarungsbestimmungen tendenziell nach dem Grund des Wegfalls der Ermächtigung differenzierende Ansätze vertreten werden, erscheint diese Vorgehensweise sinnvoll und folgerichtig.

Bei der Frage nach dem rechtlichen Schicksal einer (nachträglich) ermächtigungslosen BV kommt die Autorin schließlich – mE zu Recht – zu dem Ergebnis, dass grundsätzlich vom Untergang einer ermächtigungslosen BV auszugehen ist (S 86). Sie untersucht dafür vorhandene Begründungsansätze und widmet sich vor allem und sehr umfangreich der dem öffentlichen Recht entstammenden Herzog-Mantel-Theorie (S 87-101). Zutreffend lehnt es Mayer letztlich aber ab, diese auf das Verhältnis von KollV und BV zu übertragen. Zum einen, weil die Herzog-Mantel-Theorie schon in der öffentlich-rechtlichen Diskussion nicht unumstritten ist (vgl etwa Schmid, ZfV 2016, 259 ff), andererseits lässt sich die Beziehung zwischen KollV 455 und BV nur bedingt mit jener von Gesetz und Durchführungsverordnung vergleichen, was sich ua schon an den jeweils unterschiedlichen Determinierungsanforderungen zeigt. Angelehnt an Christoph Kietaibl verweist Mayer darauf, dass sich der grundsätzliche Entfall einer ermächtigungslosen BV aber ohnehin aus der Grundkonzeption des Betriebsverfassungsrechts, insb aus der Teilrechtsfähigkeit der AN-Vertretung im Betrieb, ergibt. Ohne Rechtsetzungsermächtigung fehlt es der betrieblichen AN-Vertretung an der entsprechenden Rechtsfähigkeit für den Abschluss einer wirksamen BV.

Im Anschluss an das eben skizzierte Zwischenergebnis behandelt Mayer Fälle, in denen es ausnahmsweise doch zu einem – zumindest teilweisen – Fortbestand der ermächtigungslosen BV kommen soll (S 103 ff). In analoger Anwendung von § 4 Abs 2 S 1 AVRAG spricht sie sich für die Weitergeltung einer Betriebsvereinbarung(sklausel) in jenen Fällen aus, in denen der KollV die BV dazu ermächtigt hat, das für die regelmäßige Arbeitsleistung in der Normalarbeitszeit gebührende kollektivvertragliche Entgelt zu regeln und die entsprechende Regelungsermächtigung infolge eines arbeitgeberseitig herbeigeführten Kollektivvertragswechsels mittlerweile entfallen ist. Sie begründet diese Ansicht in erster Linie mit dem auf Robert Rebhahn zurückzuführenden Argument, dass die Norm des § 4 Abs 2 S 1 AVRAG eine nicht von der Betriebsübergangs-RL geforderte und daher eigenständige Wertung des österreichischen Gesetzgebers darstelle (vgl Rebhahn, RdW 2005, 300 ff). Da der spezifische Entgeltschutz des § 4 Abs 2 S 1 AVRAG AG bindet, die ein Arbeitsverhältnis erst im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang erworben haben (und die daher gewissermaßen „unbeteiligte Dritte“ sind), plädiert Mayer in jenen Fällen, in denen ein Wechsel des anzuwendenden KollV ausschließlich auf einer Disposition des AG beruht, für einen Größenschluss und die ausnahmsweise Weitergeltung der ermächtigungslos gewordenen BV.

Schließlich (ab S 106 f) geht die Verfasserin auf Konstellationen ein, in denen es im Zusammenhang mit Betriebsübergängen zu einer zwingenden normativen Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen kommt. Sie geht dabei grundsätzlich einmal davon aus, dass Betriebsvereinbarungen ebenfalls dem Kollektivvertragsbegriff nach Art 3 Abs 3 RL 2001/23/EG unterliegen. Ob allerdings auch Betriebsvereinbarungen, deren kollektivvertragliche Rechtsetzungsermächtigung infolge eines Betriebsübergangs weggefallen ist, aufrechterhalten werden müssen, sei eine Frage, in der letztlich nur der EuGH bindende Auskunft geben könne. Mayer greift dieser Entscheidung im Folgenden auch nicht vor, sondern handelt das Schicksal einer derartig ermächtigungslos gewordenen BV einmal unter der Annahme des Nichtbestehens einer unionsrechtlichen Aufrechterhaltungspflicht und einmal unter der gegenteiligen Annahme des Bestehens einer unionsrechtlichen Aufrechterhaltungspflicht ab. Im ersten Fall geht Mayer – der allgemeinen Systematik des ArbVG entsprechend – vom nachwirkungslosen Entfall der BV aus. Im zweiten Fall ist sie dagegen der Ansicht, dass § 31 Abs 4-7 ArbVG die weggefallene Ermächtigung ersetzen könne, was die Fortgeltung der entsprechenden BV nach sich zöge. Um Wertungsungleichheiten zu vermeiden, soll das allerdings nur für Fälle eines Betriebsinhaberwechsels, nicht aber für bloße Umstrukturierungsmaßnahmen gelten.

Bedauerlicherweise führen sprachliche Unstimmigkeiten im Buch zT zu Verständnis- bzw inhaltlichen Problemen. So ist zB unklar, was Mayer im Absatz über die Kundmachungspflicht einer BV (S 13) meint, wenn sie ausführt, dass eine „(...) mangelnde Kundmachung den Eintritt der Normwirkung des normativen Teils [einer Betriebsvereinbarung] zur Folge habe“. Eine mangelnde bzw fehlende Kundmachung muss ja gerade das gegenteilige Ergebnis zur Folge haben, da die gegenständliche Normwirkung erst mit einer ordnungsgemäßen Kundmachung der BV in Kraft treten kann. In diesem Zusammenhang sind auch Wiederholungen (zB auf den S 96 und 97, auf denen an zwei Stellen beinahe wortident auf dieselben Ausführungen Clemens Jabloners verwiesen wird) und sprachliche Schwachpunkte zu erwähnen, die zwar nicht die Verständlichkeit des Textes beeinflussen, wohl aber den Lesefluss mitunter stören (so zB auf S 16, 17, 77). An mancher Stelle hätte eine ausführlichere Erklärung des Gemeinten potentielle Verwirrung hintanhalten können. Ein Beispiel dafür findet sich etwa auf S 19, wo im Zusammenhang mit § 17 Abs 3 ArbVG ausgeführt wird, dass von der Rechtsfolge des Erlöschens eines KollV für den Fall der Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit „nicht nur freiwillige Berufsvereinigungen, sondern auch Vereine erfasst sind“. In Anbetracht dessen, dass freiwillige Berufsvereinigungen idR ebenfalls Vereine sind, wäre – gerade für nicht versierte LeserInnen – ein kurzer Hinweis, dass damit Vereine iSd § 4 Abs 3 ArbVG gemeint sind, wünschenswert gewesen.

Zusammenfassend handelt es sich beim vorliegenden Werk um eine umfassende Aufbereitung der Frage nach dem Schicksal ermächtigungslos gewordener Betriebsvereinbarungen, das sich sowohl für die praktische als auch für die wissenschaftliche Anwendung eignet und insofern uneingeschränkt weiterempfohlen werden kann.