HrdlickaDie Mindestsicherung und ihr rechtlicher Rahmen am Beispiel „Sozialhilfe neu“

Verlag des ÖGB, Wien 2021, 88 Seiten, broschiert, € 29,90

WALTER J.PFEIL (SALZBURG)

Am 1.6.2019 ist das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz (Art I BGBl I 2019/41, SH-GG) in Kraft getreten; bereits mit Erkenntnis vom 12.12.2019 (VfSlg 20.359) hat der VfGH wesentliche Elemente dieser erstmaligen grundsatzgesetzlichen Regelung des „Armenwesens“ (Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG) als verfassungswidrig aufgehoben. Obwohl die Frist für die Länder zur Erlassung von entsprechenden Ausführungsgesetzen schon seit mehr als zwei Jahren abgelaufen ist, stehen in drei Bundesländern im Wesentlichen noch die alten, der Umsetzung der seinerzeitigen Vereinbarung nach Art 15a B-VG (BGBl I 2010/96) dienenden Mindestsicherungsgesetze in Geltung. Das legt nahe, eine „Zwischenbilanz“ zu ziehen. Der vorliegende Band ist um eine solche in kompakter, aber durchaus instruktiver Weise bemüht.

Marianne Hrdlicka, Assistentin am Institut für europäisches und österreichisches Arbeits- und Sozialrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien, nimmt zunächst eine Verortung der Sozialhilfe im Sozialsystem vor und skizziert deren historische Entwicklung (13 ff). Dann widmet sie sich den unions- bzw verfassungsrechtlichen Vorgaben für die konkret zu treffenden Regelungen. Bei ersteren werden vor allem die Auswirkungen der Freizügigkeits-RL (2004/38/EG) sowie der Status-RL (2011/95/EU) insb im Lichte der grundlegenden Entscheidungen des EuGH in den Rs Dano (11.11.2014, C-333/13) bzw Ayubi (21.11.2018, C-713/17) dargestellt (25 ff). In verfassungsrechtlicher Hinsicht gilt die Aufmerksamkeit (37 ff) in der Folge zutreffend dem aus dem Gleichheitssatz insb nach Art 7 B-VG abgeleiteten allgemeinen Sachlichkeitsgebot sowie den „besonderen Sachlichkeitsanforderungen“ auf Grund des BVG Kinderrechte (BGBl I 2011/4BGBl I 2011/4) und des BVG Rassendiskriminierung (BGBl 1973/390). Angesichts der großen Bedeutung, die der VfGH diesen Vorgaben gerade in seiner jüngeren Rsp zu Mindestsicherungs- bzw Sozialhilferegelungen beigemessen hat, wäre hier vielleicht eine noch intensivere Analyse nützlich gewesen.

Einiges dazu wird freilich im Kapitel über das „Modell ,Sozialhilfe Neu‘„ nachgeholt. Dort werden zunächst die Eckpunkte des SH-GG beschrieben, das einen Paradigmenwechsel bewirken sollte, wie bereits in der Begrifflichkeit deutlich wird, wenn es nur mehr um „Hilfe“ und nicht um „Mindestsicherung“ oder um „Unterstützung“ statt um „Bedarfsorientierung“ geht (43 ff). Im zentralen Abschnitt dieses Kapitels werden dann „Einzelfragen“ dieses neuen Modells beleuchtet. Dies erfolgt im Wesentlichen entlang des schon erwähnten Erk VfGH 2019/VfSlg 20.359 und unter Berücksichtigung der Stellungnahmen im Schrifttum, die das SH-GG und dessen Entstehung – ganz überwiegend kritisch – begleitet haben. Dabei wird erfreulicherweise aber dann auch auf Fragen eingegangen, die der VfGH offengelassen (wie die Auslegung der unionsrechtlichen Kategorie „Kernleistungen“ im Hinblick auf subsidiär Schutzberechtigte, 56) oder nicht restlos überzeugend gelöst hat (so die Beurteilung der Deckelung der Leistungen für Haushaltsgemeinschaften, insb 63 ff).

Solche Auseinandersetzungen hätten ruhig öfter erfolgen können, ein Desideratum, dem auch durch die in der Zusammenfassung (67 ff) gezogenen, durchaus gelungenen Schlussfolgerungen nur teilweise entsprochen wird. Eine zumindest grobe Übersicht dazu, wie die Länder die Vorgaben des SH-GG umgesetzt haben, wäre ebenfalls wünschenswert und bei einer 2021 erschienenen Schrift auch schon möglich gewesen. Das hätte etwa eine feine Ergänzung der Wiedergabe des SH-GG im Anhang (und unter Hervorhebung der vom VfGH aufgehobenen Passagen) abgegeben.

Was der schmale Band aber fraglos bietet, ist ein profunder und – zumal für „Nicht-Insider“ auch gut lesbarer – Überblick der rechtlichen Rahmenbedingungen für das SH-GG und der vielfältigen Probleme, die mit dieser Neuregelung aufgeworfen wurden. Der sorgfältige Anmerkungsapparat und die Verzeichnisse der verarbeiteten Literatur und Judikatur erleichtern interessierten LeserInnen den vertieften Einstieg in diese Fragen. Dafür – gerade auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum – zu sensibilisieren, ist der Autorin in jedem Fall hervorragend gelungen. Angesichts der nicht selten dramatischen Auswirkungen dieser Regelungen auf von Armut bzw sozialer Ausschließung bedrohte Menschen kann ihr das nicht hoch genug angerechnet werden.