ZieglerCrowdwork & Sozialversicherung – Lücken in der Absicherung am digitalen Arbeitsmarkt
facultas Verlag, Wien 2021, 132 Seiten, kartoniert, € 24,–
ZieglerCrowdwork & Sozialversicherung – Lücken in der Absicherung am digitalen Arbeitsmarkt
Bei der Plattformarbeit treten die sich bei der Digitalisierung stellenden Probleme häufig ganz besonders klar hervor. Es geht dabei insb um die Frage der korrekten Einordnung der Vertragsverhältnisse und 459 die Bekämpfung der Scheinselbständigkeit in diesem Wirtschaftssegment. Es wird hier nämlich zumeist von den Plattformen davon ausgegangen, dass selbständige Leistungserbringung vorliegt – was aber häufig nicht der Fall ist, wie nunmehr zahlreiche Gerichtsentscheidungen in ganz Europa zeigen. Die Durchsetzung des korrekten Status der Plattformbeschäftigten steht daher zu Recht auch im Fokus des am 9.12.2021 präsentierten Vorschlages der Europäischen Kommission für eine RL zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei Plattformarbeit (COM[2021] 762 final). Der korrekte Status hat zudem auch Auswirkungen auf die soziale Absicherung und die Beitragspflicht.
Der sozialversicherungsrechtliche Schutz steht auch im Mittelpunkt der vorliegenden rund 100-seitigen Abhandlung von Helena Ziegler, die derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Zivilrecht an der JKU Linz tätig ist. Sie behandelt diese Problematik in kompakter und ansprechender Weise basierend auf ihrer Diplomarbeit, die vor allem den bestehenden, mittlerweile doch ziemlich angewachsenen Stand der vor allem österreichischen Literatur aufarbeitet. Dabei geht es freilich nicht um die Plattformarbeit generell, sondern (nur) um das in der Judikatur bislang wenig behandelte Segment der online zu erledigenden Plattformarbeit, dem Crowdwork, wie es auf Plattformen wie Clickworker und Amazon‘s Mechanical Turk (AMT) angeboten wird. Dieses ist vor allem deshalb ganz besonders interessant, da es sich um genuin digitale Arbeit handelt, die wesentlich im virtuellen Raum geleis tet wird. Gerade diese virtuelle Dimension stellt die Rechtsordnung vor besondere Herausforderungen und macht es lohnend, sich näher mit dieser zu beschäftigen.
Die Publikation gliedert sich in drei ähnlich umfangreiche Teile, ein erster allgemeiner zur Arbeit in der Gig-Economy und deren rechtliche Einordnung. Dabei wird näher auf ein konkretes Geschäftsmodell, nämlich die deutsche Plattform Clickworker, eingegangen. Die Autorin kommt hier zum Ergebnis, dass mangels Arbeitsverpflichtung kein durchgängiges Arbeitsverhältnis vorliegt. Leider wird in diesem Zusammenhang nicht näher auf die im Judikaturverzeichnis schon angeführte E des deutschen BAG vom 1.12.2020, 9 AZR 102/20, eingegangen. In dieser E findet sich nämlich das überaus interessante und innovative Argument, dass die für den Arbeitsvertrag konstitutive Dienstleistungsverpflichtung auch durch Anreizsysteme gegeben sein kann. Es wäre sehr interessant gewesen, wie Ziegler zu diesem mE sehr tragfähigen Lösungsansatz im österreichischen Kontext steht.
Der folgende Teil ist der sozialversicherungsrechtlichen Einordnung von Crowdworker:innen gewidmet, wobei neben der Anwendung des österreichischen Sozialversicherungsrechts die einzelnen Versicherungstatbestände auf Basis der im vorherigen Kapitel aufgefundenen Vertragsverhältnisse eingehend und detailliert geprüft werden. Interessant ist hier insb die Betonung, dass auch eine Bindung an einen virtuellen Arbeitsort auf ein Dienstverhältnis hinweist (S 49 ff); die Prüfung der Bindung an Arbeitszeit und die wirtschaftliche Abhängigkeit fällt hingegen eher kurz aus (S 51 f). Auch bei der freien DN-Eigenschaft nach § 4 Abs 4 ASVG werden Schwerpunkte gesetzt, wobei bei den eigenen Betriebsmitteln mE zu wenig die App selbst, über die ja häufig verpflichtend zu arbeiten ist, in die Betrachtungen einbezogen wird. Diese ist nach meinem Verständnis das wesentliche Produktionsmittel, ohne das bei vielen Plattformen die Erledigung von Crowdwork gar nicht möglich ist (so insb auch das Spanische Tribunal Supremo vom 25.9.2020, rec. 476/2019). Die knapp einseitige abschließende Einordnung als freie DN gem § 4 Abs 4 ASVG fällt dann auch überraschend kurz aus (S 62). Im folgenden Abschnitt wird überzeugend dargelegt, dass das von Prassl (The concept of employer [2015]) für das englische Recht entwickelte funktionale DG-Konzept sich bereits de lege lata in § 35 ASVG findet.
Der mit Sicherheit originellste Teil der Publikation ist dann der folgende, der die sozialversicherungsrechtliche Absicherung von Crowdworker:innen sowie die diesbezüglich gegenüber dem Normalarbeitsverhältnis bestehenden Schutzlücken darlegt. Diese werden insb in den teilweise sehr kurzfristigen Beschäftigungsverhältnissen sowie den dabei zT sehr geringen Entgelten gesehen, die insb dazu führen können, dass entweder gar keine oder nur fragmentierte Versicherungsverläufe vorliegen (S 71 ff). Deren Auswirkungen werden dann in der Folge hinsichtlich der einzelnen Versicherungszweige sowie der AlV geprüft und die sich ergebenden Schutzdefizite aufgezeigt. Diese betreffen insb den Umstand der Lücken zwischen den einzelnen Mikrotasks, den nicht ganz klaren Unfallversicherungsschutz im Homeoffice (wobei hier im Anschluss an den Rezensenten für ein zu Gunsten der Versicherten großzügiges Verständnis plädiert wird) sowie die auf den DN lastende Beitragspflicht bei nur kurzfristigen geringfügigen Vertragsverhältnissen, die insgesamt aber die monatliche Geringfügigkeitsgrenze überschreiten.
Insgesamt liegt eine durchaus lesenswerte Arbeit vor, die den bestehenden österreichischen Meinungsstand aufarbeitet, bestehende Positionen vertieft und im Bereich des Sozialversicherungsrechts zudem überaus verdienstvoll bestehende Lücken aufzeigt. Sie bietet so einerseits einen sehr kompakten Einstieg in das Thema des Crowdwork und andererseits eine Basis für weiterführende Überlegungen der Anpassung des österreichischen Sozialversicherungsrechts an die durch die Digitalisierung geänderten Verhältnisse, die verstärkt zu fragmentierten Versicherungsverläufen, mehrfachen Beschäftigungen und einem Wechsel zwischen selbständiger und unselbständiger Tätigkeit führen werden (für Deutschland siehe zB Gruber-Risak, Soziale Sicherung von Plattformarbeitenden – Expertise für den 3. Gleichstellungsbericht der deutschen Bundesregierung [2020]). 460