Whistleblowing – Anwendungsbereich und die betriebsverfassungsrechtliche Grundlage für den internen Meldekanal*
Whistleblowing – Anwendungsbereich und die betriebsverfassungsrechtliche Grundlage für den internen Meldekanal*
Persönlicher Anwendungsbereich
Information aufgrund beruflicher Verbindung
Hinweisgeber
Unionsrechtlicher Arbeitnehmerbegriff
Selbständige
Leitende Angestellte und Organmitglieder
Irrelevanz der Größe des Unternehmens
Weitere geschützte Personen
Sachlicher Anwendungsbereich
Die erfassten Rechtsverletzungen
Rechtsverletzungen außerhalb des Anwendungsbereichs
Der Begriff der Rechtsverletzung
Die Unklarheiten
Rechtsverletzungen in Zusammenhang mit dem sachlichen Anwendungsbereich
Verstöße, die dem Ziel oder Zweck der Vorschriften zuwiderlaufen
Erhebliche Missstände und Unregelmäßigkeiten
Die Schwere der Rechtsverletzung
Die betriebsverfassungsrechtliche Grundlage für Betriebsvereinbarungen
Die Fragestellung
Die Menschenwürde berührende Kontrollmaßnahme iSd § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG?
Eine Kontrollmaßnahme?
Berührung der Menschenwürde?
Automationsunterstütztes Datenverarbeitungssystem gemäß § 96a Abs 1 Z 1 ArbVG?
Allgemeine Ordnungsvorschrift iSd § 97 Abs 1 Z 1 ArbVG?
Schlussfolgerungen
Die RL hat einen weiten persönlichen Anwendungsbereich, der in erster Linie auf die Hinweisgeber abstellt, darüber hinausgehend aber auch andere Personen erfasst, die im Zusammenhang mit Whistleblowing Repressalien erleiden können. Ein Hinweisgeber ist eine natürliche Person, die im beruflichen Kontext, dh „im Zusammenhang mit ihren Arbeitstätigkeiten“, erlangte Informationen über Verstöße meldet oder offenlegt.* Die Anwendung des HSchG hängt weder von der Schutzbedürftigkeit des Hinweisgebers noch vom 463Bestehen eines bestimmten Rechtsverhältnisses ab. Die einzige materielle Bedingung ist, dass der Hinweisgeber seine Informationen „aufgrund beruflicher Verbindung“* erlangt haben muss, dh mit der Organisation, in der die Rechtsverletzung vorlag, arbeitsbezogen verbunden ist.* Unbeteiligte Dritte, die die Informationen über Rechtsverstöße während ihrer privaten Tätigkeiten erworben haben, zB beim Besuch eines Freundes am Arbeitsplatz oder im Rahmen eines Gesprächs bzw während eines Spaziergangs, genießen keinen Schutz.*
Die RL spezifiziert vier Gruppen von Hinweisgebern. Die erste Gruppe bilden die AN iSd autonomen unionsrechtlichen AN-Begriffs in Art 45 Abs 1 AEUV.* Erfasst sind „Personen, die während eines bestimmten Zeitraums Dienstleistungen, für die sie eine Vergütung erhalten, für und unter der Leitung einer anderen Person erbringen“.* Dieser Begriff ist hinsichtlich mancher Beschäftigtengruppen weiter als der österreichische arbeitsvertragsrechtliche AN-Begriff, so fallen bspw alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst, auch Beamte, darunter.* Der HSchG-Entwurf erwähnt neben AN und Bediensteten explizit die überlassenen Arbeitskräfte.* Freiwillige, Lehrlinge und Praktikanten sind in der RL ausdrücklich genannt, der HSchG-Entwurf erwähnt Praktikanten, Volontäre und sonstige Auszubildende.* Erfasst werden sollten gemäß der EuGH-Judikatur zum AN-Begriff wohl auch fallweise Beschäftigte* und leitende Angestellte.*
Auch ehemalige AN sind geschützt, sofern sie die Information für den Hinweis noch während des bestehenden Arbeitsverhältnisses zur Kenntnis genommen haben.* Der nachwirkende Hinweisgeberschutz ist mE zeitlich unbegrenzt zu gewähren.* Eine vergleichbare Regelung für Personen, die früher als Selbständige oder Organmitglieder Informationen über Missstände erfahren haben, fehlt. Ein vorwirkender Hinweisgeberschutz bezieht sich auf Stellenwerber, wenn sie während des Einstellungsverfahrens oder anderer vorvertraglicher Verhandlungen Informationen erlangen.*
Als zweite Gruppe in der RL werden Selbständige iSd Art 49 AEUV genannt; hierunter sind alle Selbständigen zu verstehen, die bei einer Organisation eine Dienstleistung erbringen; in der RL ausdrücklich aufgezählt werden Freiberufler, Auftragnehmer, Unterauftragnehmer und Lieferanten. Der HSchG-Entwurf erwähnt selbständig erwerbstätige Personen; dadurch werden gewerbliche und neue Selbständige, Freiberufler sowie in der Urproduktion tätige Land- und Forstwirte erfasst.
Auch freiberufliche Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Berater für die Verwendung von Unionsmitteln und Ärzte sind einbezogen. Art 3 Abs 3 lit b) der RL sieht allerdings vor, dass die RL die Anwendung des nationalen Rechts auf den Schutz der anwaltlichen und ärztlichen Verschwiegenheitspflichten nicht berührt. Ob diese Ausnahme und somit der Vorrang der Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem Recht auf Whistleblowing auch für andere Gesundheitsberufe, für Notare sowie Wirtschaftstreuhandberufe Ausübende gilt, ist zunächst fraglich. Die Erwägungsgründe 26 und 27 sprechen von Rechtsanwälten und „von Erbringern von Gesundheitsleistungen“.* Die englische Fassung des Art 3 Abs 3 lit b) der RL indiziert einen weiteren Personenkreis („the protection of legal and medical professional privilege“). Im Einklang mit dieser Interpretation enthält der HSchG-Entwurf eine Ausnahme vom Gesetz für die gesetzlich geregelten Gesundheitsberufe sowie für Rechtsanwälte, Notare und Wirtschaftstreuhandberufe Ausübende.* Diese Ausnahme gilt für die Informationen, die von den Verschwiegenheitspflichten dieser Berufe erfasst sind,* sowie ausdrücklich auch für vertragliche Geheimhaltungsvereinbarungen. Somit sind auch Rechtsanwaltsanwärter, Notariatskandidaten sowie die sonstigen beim Rechtsanwalt, Notar und Wirtschaftstreuhänder Beschäftigten eingeschlossen.
Dadurch, dass die RL sowohl AN als auch Selbständige erfasst, sind auch Zwischenkategorien inkludiert. Somit gilt die RL auch für arbeitnehmerähnliche Personen, unabhängig davon, ob sie mit freiem Dienstvertrag oder Werkvertrag beschäftigt sind. Diese Interpretation wird durch den Erwägungsgrund 37 bestätigt, der betont, dass der Schutzbedarf, und nicht die Art der Arbeitsbeziehung entscheidend ist und alle Personen erfasst werden sollen, die im weiteren Sinne mit der rechtsverletzenden Organisation verbunden sind. In diesem Sinne bestätigen die Erläuterungen, 464 dass arbeitnehmerähnliche Personen und freie DN unter § 2 Abs 1 Z 3 HSchG-Entwurf („selbständig erwerbstätige Personen“) fallen.*
Zur dritten Gruppe der möglichen Hinweisgeber gehören die Anteilseigner (Gesellschafter, Aktionäre) und Personen, die dem Verwaltungs-, Leitungsoder Aufsichtsorgan eines Unternehmens angehören, so wie die Organmitglieder, GmbH-Geschäftsführer, Vorstandsmitglieder, Aufsichtsratsmitglieder.* Sie unterliegen in der Regel einer besonderen Verschwiegenheitspflicht. Der HSchG-Entwurf sieht zur Kollision der erhöhten (uU vertraglichen) Geheimhaltungspflicht mit dem Recht auf die Meldung oder Veröffentlichung eines Hinweises keine explizite Regelung vor. Die Einbeziehung dieses Personenkreises in den Anwendungsbereich verdeutlicht jedoch, dass Whistleblowing einen Ausnahmetatbestand von ihrer Verschwiegenheitspflicht darstellt. Sie können auf dieses Recht auch vertraglich nicht verzichten, schließlich macht § 4 Abs 4 HSchG-Entwurf klar, dass die Vorschriften zwingend und vertragliche Abweichungen von diesem Gesetz rechtsunwirksam sind.
Auch andere Personen, die durch die RL geschützt sind, dürfen sich nicht zum Stillschweigen über zukünftige Rechtsverletzungen, über die sie im beruflichen Kontext erfahren, verpflichten. Eine solche arbeitsvertragliche oder andere vertragliche Vereinbarung wäre rechtsunwirksam.
Schließlich werden Personen, die unter der Aufsicht und Leitung von Auftragnehmern, Unterauftragnehmern und Lieferanten arbeiten, geschützt, unabhängig von der rechtlichen Beziehung zum Auftraggeber.
Zum Schluss ist zu betonen, dass die Hinweisgebereigenschaft nach der RL nicht von der Größe des Unternehmens oder der juristischen Person des öffentlichen Rechts abhängt. Vielmehr dürfen alle erfassten Personen, auch Arbeitnehmer in kleinen Unternehmen, Verstöße bei den zuständigen Behörden melden bzw uU offenlegen und sollten dann als Hinweisgeber Schutz genießen.
Der HSchG-Entwurf schränkt jedoch den Anwendungsbereich grundsätzlich auf Hinweisgeber ein, die in Unternehmen oder in juristischen Personen des öffentlichen Rechts mit mindestens 50 AN oder Bediensteten eine Rechtsverletzung aufdecken wollen.* Rechtsverstöße bei kleineren AG dürfen nur dann gemeldet bzw veröffentlicht werden, wenn sie unter die Teile I.B und II des Anhangs zur RL fallen.* Diese Einschränkung ist aus Sicht der RL bedenklich, weil die RL die Kleinunternehmen lediglich bei der Implementierungspflicht des internen Meldekanals entlastet. Das Recht auf externe Meldungen und auf Offenlegung ist hingegen von der Größe der betreffenden Einrichtung völlig unabhängig. Rechtsverletzungen könnten auch in kleinen Unternehmen entdeckt werden.
Die Schutzmaßnahmen gelten neben den Hinweisgebern auch für weitere Personen, so bspw für jene, die den Hinweisgeber bei der Hinweisgebung unterstützen (laut der RL: „Mittler“).* Insb Kollegen und die Mitglieder des BR kommen in Betracht. Auch andere Personen im Umkreis des Hinweisgebers sind zu schützen, die Repressalien erleiden könnten, auch wenn sie die Meldeerstattung oder Offenlegung nicht unterstützten.* Nicht nur zwischenmenschliche Beziehungen sind relevant, wobei die RL Kollegen und Verwandte des Hinweisgebers ausdrücklich nennt.* Auch Geschäftspartner, Kunden, Auftraggeber oder Auftragnehmer des Hinweisgebers kommen in Betracht. Schließlich genießen „juristische Personen“ im Eigentum des Hinweisgebers oder für die der Hinweisgeber arbeitet oder mit denen er in einer beruflichen oder anderweitigen Verbindung steht, den Schutz.* Der Begriff der „juristischen Personen“* ist unionsrechtsautonom auszulegen,* umfasst sind auch Personengesellschaften. Somit soll verhindert werden, dass die Gesellschaft, mit der der Hinweisgeber als AN, Anteilseigner, Gesellschafter oder eben nur als Geschäftspartner in Verbindung steht, auf eine schwarze Liste kommt oder ihre Verträge wegen der Meldung gekündigt werden.
Eine wesentliche Frage ist, auf welche Rechtsverstöße (gemäß dem HSchG-Entwurf: „Rechtsverletzungen“) sich die RL bezieht. Rechtsverstöße sind sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor relevant. Der HSchG-Entwurf gibt die weiten Definitionen von „Unternehmen“ und „juristischen Personen des öffentlichen Rechts“ vor.*
Wie vorhin erwähnt, erfasst § 3 Abs 1 des HSchGEntwurfs lediglich Hinweise, die Rechtsverletzungen in Unternehmen und bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts mit jeweils mindestens 50 AN oder Bediensteten aufdecken. Diese Einschränkung des sachlichen Geltungsbereichs ist nicht unionsrechtskonform, da die RL vorsieht, dass Hinweise unabhängig von der Größe des´465AG, bei der zuständigen externen Stelle gemeldet oder offengelegt werden können und im Fall einer Meldung oder Offenlegung die Person geschützt wird. Der Ausschluss von Kleinunternehmen wäre nur hinsichtlich der Einrichtungspflicht des internen Meldekanals richtlinienkonform. Stattdessen wendet der HSchG-Entwurf die Schwelle für die Einrichtungspflicht der internen Meldekanäle auch auf die externe Meldemöglichkeit und Veröffentlichung an. Dieser falschen Logik folgend schreibt der HSchG-Entwurf vor, dass er unabhängig von der AN-Zahl für Rechtsverletzungen in den Bereichen Finanzdienstleistungen, Finanzprodukte und Finanzmärkte, Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sowie Verkehrssicherheit und Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten gilt.*
Der HSchG-Entwurf erwähnt zum einen die Verstöße gegen die finanziellen Interessen der Union, die Binnenmarktvorschriften, die Unionsvorschriften über Wettbewerb und staatliche Beihilfen sowie die Körperschaftsteuer-Vorschriften.* Die Erläuterungen konkretisieren, welche Straftaten einschlägige Rechtsverletzungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union verwirklichen. Weiters führen sie aus, dass auch „Unregelmäßigkeiten“, die verwaltungsstrafrechtlich zu ahnden sind oder zivilrechtliche Rückforderungsansprüche begründen, sowie „Umgehungs- und Scheingeschäfte“ zu solchen Verstößen zählen.
Zum anderen sind Verstöße in den in § 3 Abs 3 HSchGEntwurf taxativ aufgelisteten Bereichen inkludiert, wie das öffentliche Auftragswesen, Finanzdienstleistungen, Produkt- und Verkehrssicherheit, Umweltschutz, Lebensmittelsicherheit, öffentliche Gesundheit, Verbraucherschutz sowie der Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten. Die RL fordert nicht, dass diese Themenfelder umfassend erfasst werden, sondern nur punktuell begrenzt auf die Bereiche, die unionsrechtlich geregelt und im Anhang der RL aufgelis tet sind. Im Anhang findet sich eine abschließende Aufzählung von ca 140 Richtlinien und Verordnungen des Unionsrechts, die den Anwendungsbereich konkretisieren.
Diese Regelungstechnik der RL mit dem Verweis auf den Anhang der RL hat gleich zwei Nachteile: Zum einen bleibt durch die Begrenzung auf bestimmte Rechtsverstöße wertvolles Entdeckungspotential ungenutzt. So würde bspw der berühmte EGMR-Fall Heinisch,* in dem eine Pflegerin eine Strafanzeige gegen das Altenpflegeheim, in dem sie arbeitete, erstattete, nicht in den Anwendungsbereich der RL fallen, weil es keine unionsrechtliche Regelung zum Versorgungsniveau der Patienten in Gesundheitsinstituten gibt.* Zum anderen, und vor allem, macht diese Regelungsmethode selbst für Juristen die Entscheidung, ob ein konkreter Rechtsverstoß in den Geltungsbereich der RL fällt, schwierig. Hätte der HSchG-Entwurf die gleiche Regelungsmethode angewendet, wäre es für Laien ohne Rechtskenntnisse, die die Hinweisgeber in der Regel sind, beinahe unmöglich herauszufinden, ob ein Rechtsverstoß der RL unterliegt.* Die genaue Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs ist aber besonders wichtig. Der Schutz der Hinweisgeber besteht nur dann, wenn sie in Bezug auf den Anwendungsbereich gutgläubig waren: Wenn sie hinreichenden Grund für die Annahme hatten, dass der Rechtsverstoß in den Anwendungsbereich der RL fällt.
Der HSchG-Entwurf zählt die gleichen Bereiche wie die RL auf, ohne auf die Sekundärrechtsakte im Anhang der RL oder auf einschlägige nationale Gesetze Bezug zu nehmen. Somit wird der sachliche Anwendungsbereich im Vergleich zu der RL wesentlich erweitert.* Eine solche überschießende Umsetzung erscheint zur Verwirklichung eines umfassenden Hinweisgeberschutzes und zur Förderung der Entdeckung von Rechtsverstößen sinnvoll. Auch der vorhin erwähnte Heinisch-Fall wäre damit – durch den weiten Begriff „öffentliche Gesundheit“ – erfasst. Ein weiterer Vorteil dieser Regelung ist, dass Rechtsverletzungen mit und ohne Bezug zum Unionsrecht gleich berücksichtigt werden und somit der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz eingehalten wird.* Das Gesetz definiert aber die Begriffe „Produktsicherheit“, „Umweltschutz“, „öffentliche Gesundheit“ usw nicht und enthält auch keinen Verweis auf andere Gesetze. Dadurch bleibt auch bei dieser Regelungstechnik eine gewisse Rechtsunsicherheit, ob und wann eine Rechtsverletzung in den Anwendungsbereich des HSchG fällt. Dennoch birgt diese, auf die geschützten Interessen gerichtete Regelungsmethode mehr Vorteile als Nachteile, schließlich wäre die Aufzählung sämtlicher relevanter österreichischer Rechtsnormen weder praktikabel noch übersichtlich.*
Eine weitere Erweiterung des Anwendungsbereichs erfolgt durch die Aufnahme der Verhinderung und Ahndung von Straftaten nach §§ 302 bis 309 des StGB in den geschützten Bereichen. Somit wurden die strafbaren Verletzungen der Amtspflicht und Korruption nach langem politischen Tauziehen doch in den Anwendungsbereich aufgenommen.
Von der RL nicht erfasst sind Verstöße gegen arbeitsrechtliche Vorschriften, wie zB Überschreitung der Arbeitszeit, Lohn- und Sozialdumping oder Mobbing. Der Anhang der RL enthält keine einzige arbeitsrechtliche RL oder Verordnung und auch der HSchG-Entwurf hat den Geltungsbereich diesbezüglich unberührt gelassen. Wenn der AN 466 eine Meldung an das Arbeitsinspektorat erstattet, dass es im Betrieb zu Verletzungen von AN-Schutzvorschriften kommt, dann fällt er nicht unter den Schutz des HSchG-Entwurfs. Ebenso wird eine Meldung an den Sozialversicherungsträger, dass der AG gegen sozialversicherungsrechtliche Vorschriften verstößt, nicht erfasst.*
Zahlreiche Unternehmen haben bereits webbasierte Whistleblowing-Systeme eingeführt. Diese nehmen häufig auch Meldungen über solche Rechtsverstöße entgegen, die eindeutig über den Anwendungsbereich der RL hinausgehen, zB über Vermögensdelikte, Diskriminierung, Verstoß gegen den internen Verhaltenskodex, Verletzung der Menschenrechte oder der Arbeitsbedingungen sowie der Arbeitssicherheit. Es stellt sich die Frage, ob der Schutz des Hinweisgebers auch in solchen Fällen gilt. Die Antwort hängt mE von der Ausgestaltung des Meldekanals ab. Wenn die Online-Meldeplattform des Unternehmens ausdrücklich auch diese Themen erwähnt, dann hat der Hinweisgeber einen guten Grund, anzunehmen, dass die Meldung in den sachlichen Geltungsbereich des Gesetzes fällt. Die Schutzwürdigkeit von Hinweisgebern bedingt, dass sie „zum Zeitpunkt des Hinweises auf der Grundlage der tatsächlichen Umstände und der ihnen verfügbaren Informationen hinreichende Gründe dafür annehmen können, dass die von ihnen gegebenen Hinweise“* in den Geltungsbereich des Gesetzes fallen. Die Nennung bestimmter Rechtsverstöße auf der Meldeplattform vermittelt den potentiellen Hinweisgebern den Eindruck, dass das Gesetz auf diese anwendbar ist. Daher steht ihnen der Schutz in solchen Fällen mMn zu.
Die RL berührt nicht die Verantwortung der Mitgliedstaaten, ihre nationale Sicherheit und wesentliche Sicherheitsinteressen zu gewährleisten. Daher gilt die RL insb nicht für „Meldungen von Verstößen gegen die Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge, die Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte betreffen“.* Dementsprechend nimmt der HSchG-Entwurf bestimmte Vergabeverfahren zwecks Gewährleistung der wesentlichen Sicherheitsinteressen der Republik Österreich aus seinem Geltungsbereich heraus.* Für die sogenannten „klassifizierten Informationen“, deren Geheimhaltung im Interesse der nationalen Sicherheit wichtig ist, sieht der HSchG-Entwurf besondere Vorschriften vor.* Schließlich gilt der HSchG-Entwurf nicht für das Strafprozessrecht.*
Die Definition des Verstoßes gem Art 5 Z 1 der RL sowie die leicht abweichende Definition einer Rechtsverletzung iSd § 5 Z 11 des HSchG-Entwurfs bereiten weitere Unsicherheiten hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs. Zum einen ist es auslegungsbedürftig, warum der Richtlinienbegriff auch solche Verstöße erfasst, die mit den geregelten Bereichen lediglich in Zusammenhang stehen. Der HSchG-Entwurf hat mE zu Recht auf die Verwendung dieses vagen Ausdrucks verzichtet. Zum anderen sind durch die RL explizit auch Handlungen bzw Unterlassungen erfasst, die nicht rechtswidrig sind, aber dem Ziel oder Zweck der aufgezählten Rechtsakten zuwiderlaufen.* Schließlich subsumiert der HSchG-Entwurf auch „erhebliche Missstände und Unregelmäßigkeiten“ unter den Begriff von Rechtsverletzungen. Mit Rechtsverletzungen gleichzusetzen sind bevorstehende Rechtsverstöße und die Verschleierung solcher.*
Erstens gelten nach der RL auch solche Handlungen oder Unterlassungen als relevante Verstöße, die mit den Bereichen, die in den sachlichen Anwendungsbereich der RL fallen, lediglich in Zusammenhang stehen. Somit könnte es für die Eröffnung des Schutzbereichs ausreichen, wenn die mitgliedstaatliche Fallgestaltung oder Vorschrift einen unionsrechtlichen Anknüpfungspunkt hat. Es ist umstritten, ob ein allgemeiner sachlicher Bezug zu einem unionsrechtlich geregelten Themenbereich oder rein tatsächliche Auswirkungen auf das Unionsrecht genügen, oder aber nur ein Verstoß gegen eine konkrete Bestimmung der aufgezählten Richtlinien und Verordnungen und die diese durchführenden nationalen Bestimmungen den Schutz eröffnet. Wird die RL aktiviert, wenn sich die nationalen Vorschriften auf einen durch das Unionsrecht geregelten Bereich auswirken, aber grundsätzlich andere Ziele verfolgen? Die größten Schwierigkeiten bereiten die Fälle, bei denen die konkrete mitgliedstaatliche Norm nicht vom Unionsrecht vorgegeben, sondern davon nur mittelbar beeinflusst wird.*
Unklar ist weiters, wo genau die Grenze zwischen der Umsetzung der RL und der davon unabhängigen mitgliedstaatlichen Regelung liegt. Der EuGH versucht, eine Trennung zwischen der Gewährung von Gestaltungsspielräumen und der Festlegung von Mindeststandards vorzunehmen. Unter Umsetzung ist auch die Nutzung von Umsetzungsspielräumen und Ermächtigungen zu Ausnahmen oder Einschränkungen zu verstehen. Wenn jedoch der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung von Richtlinien auch solche Bereiche regelt, die im Unionsrecht nicht normiert sind, dann liegen die nationalen Maßnahmen außerhalb des Unionsrechts. Das Gleiche gilt für überschießende Regelungen, die insofern keine Grundlage im Unionsrecht haben.*467
In die RL und den HSchG-Entwurf sind ausdrücklich auch Verstöße einbezogen, die nicht rechtswidrig sind, aber dem Ziel oder Zweck der aufgezählten Rechtsakten bzw Themenbereiche zuwiderlaufen.* Darunter sind formal rechtmäßige Handlungen oder Unterlassungen zu verstehen, die jedoch mit dem Ziel der einschlägigen Rechtsvorschriften unvereinbar sind.* Dieses Umgehungsverbot dient historisch gesehen insb der Bekämpfung grenzüberschreitender Steuervermeidungspraktiken.* Aber auch sonst fallen solche Verhaltensweisen in den Anwendungsbereich, die darauf abzielen, Vorschriften in rechtsmissbräuchlicher Weise zu umgehen. Bloß unethisches oder anstößiges Fehlverhalten bildet jedoch keinen Verstoß.
Die Definition einer Rechtsverletzung des HSchG-Entwurfs erwähnt auch „erhebliche Missstände und Unregelmäßigkeiten“. Dieser Begriff ist somit weiter als sein Pendant „Verstöße“ in der RL. Dadurch wird der Anwendungsbereich erweitert und die Meldungen über solche Fehlverhalten unter Schutz gestellt, die formal nicht oder nicht eindeutig gegen das Recht verstoßen. Gemeint sind wohl Missstände, die den öffentlichen Interessen schaden können, jedoch keinen Rechtsverstoß darstellen. In der deutschen Lehre wird darunter ein Auffangtatbestand verstanden, wobei die Rechtsunsicherheit dieses Begriffs zu Recht betont wird.* Ein wichtiges Positivum dieses weiten Begriffs ist jedoch, dass Hinweise die Schwächen der existierenden Rechtsvorschriften aufzeigen können. Ein Beispiel dafür bildet der früher erwähnte Fall Heinisch, bei dem zwar gegen keine Regel verstoßen wurde, dennoch gab es gravierende Missstände im Pflegeheim, deren Aufdeckung im öffentlichen Interesse stand.* Mit der weiten Definition der Rechtsverletzung wird somit den Hinweisgebern die Möglichkeit eröffnet, auch in solchen Fällen Meldungen zu erstatten bzw zu veröffentlichen, wenn formal kein Rechtsverstoß vorliegt. Somit ist diese erweiterte Begriffsbestimmung positiv zu bewerten.
Ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die in den Anwendungsbereich der RL fällt, bewirkt jedenfalls den Schutz des Hinweisgebers. Die RL sieht jedoch für geringfügige und schwerwiegende Verstöße unterschiedliche Rechtsfolgen vor.
Die RL eröffnet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, bei Meldungen über geringfügige Verstöße das Verfahren ohne Folgemaßnahmen abzuschließen.* Hierbei handelt es sich um die Vereinfachung des Verfahrens, nicht jedoch um den Entzug des Schutzes des Hinweisgebers. Im Gegenteil, die Präambel betont, dass Hinweisgeber auch in diesen Situationen zu schützen sind.* Der HSchGEntwurf enthält keine Vorgaben zu den internen Meldungen von geringfügigen Rechtsverletzungen. Daraus folgt, dass die Unternehmen und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch bei geringfügigen Verstößen grundsätzlich das gleiche Verfahren wie bei größeren Rechtsverletzungen einzuhalten haben. Für Meldungen von geringfügigen Rechtsverletzungen bei externen Stellen sieht hingegen der HSchG-Entwurf eine Sonderregelung vor. Das Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung kann die Untersuchung abschließen, wenn es zum Schluss gelangt, dass der Hinweis „ausschließlich eine eindeutig geringfügige Rechtsverletzung zum Gegenstand hat“.*
Die RL gibt nicht vor, wo die Geringfügigkeitsgrenze liegt und nach welchen Kriterien diese zu definieren ist. Auch die Erläuterungen enthalten keine Begriffserklärung hierzu. Die Geringfügigkeit ist mE nicht an den finanziellen Schaden zu binden, der durch einen Rechtsverstoß entstehen kann. Vielmehr ist es entscheidend, inwiefern der Verstoß die durch die Vorschriften geschützten Werte, letztendlich das öffentliche Interesse, beeinträchtigt oder gefährdet.
Der HSchG-Entwurf sieht weiters vor, dass jeder Hinweis auf „seine Stichhaltigkeit“ zu überprüfen ist. Weder die interne noch die externe Stelle muss einem Hinweis nachgehen, wenn aus diesem keine Anhaltspunkte für seine Stichhaltigkeit hervorgehen.* Wann eine Rechtsverletzung nicht stichhaltig ist, wird nicht erläutert. Nach dem Wortlaut könnte unter einem stichhaltigen ein einleuchtender und begründeter Hinweis verstanden werden, dh, es kommt nicht auf die Schwere der Rechtsverletzung an. Die fehlende Begründetheit einer Meldung darf jedoch nicht dazu führen, dass die interne oder externe Stelle diese nicht nachforscht. Der Hinweisgeber ist nicht verpflichtet, den behaupteten Hinweis glaubhaft zu machen bzw nachzuweisen. Der Schutz des Hinweisgebers kann nicht davon abhängig gemacht werden, ob der Hinweis überzeugend klingt. Daher ist die Wortwahl „Stichhaltigkeit“ eher unglücklich. An eine Meldung ist lediglich die Anforderung zu stellen, dass sie die Rechtsverletzung eindeutig nennt.
Umgekehrt gibt es auch sehr schwerwiegende Verstöße, wenn die Rechtsverletzung „eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann, wie etwa in einer Notsituation oder bei Gefahr eines irreversiblen Schadens“.* Wenn der Hinweisgeber hinreichen- 468 den Grund zu der Annahme hat, dass ein solcher schwerwiegender Verstoß vorliegt, kann er die internen und externen Meldekanäle überspringen und den Verstoß veröffentlichen.
Eine der spannendsten Fragen hinsichtlich Whistleblowing ist, ob der AG bei der Implementierung des internen Meldekanals der Zustimmung des BR bedarf. Die RL ermöglicht es, verlangt aber nicht, dass die Sozialpartner bei der Einrichtung des internen Meldesystems mitwirken. Daher ist bei der Beantwortung der Frage lediglich das innerstaatliche Recht zu beachten.
Der HSchG-Entwurf enthält keine Regelung zu Betriebsvereinbarungen oder sonstigen Mitwirkungsrechten des BR. Daher müssen die Ermächtigungsgrundlagen des ArbVG untersucht werden, ob aus diesen die Regelungsbefugnis zum Abschluss einer BV für die Hinweisgebersysteme abgeleitet werden kann.*
Gem § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG ist bei der Einführung von Kontrollmaßnahmen und technischen Systemen zur Kontrolle der AN die Zustimmung des BR notwendig, sofern diese Maßnahmen und Systeme die Menschenwürde berühren. In Betrieben, in denen kein BR errichtet ist, können solche Maßnahmen gem § 10 AVRAG nur mit Zustimmung des einzelnen AN gesetzt werden. Die Erfüllung dieses Tatbestandes hängt von zwei Bedingungen ab: der Einführung einer Kontrollmaßnahme und der Berührung der Menschenwürde.
Zunächst ist zu prüfen, ob mit einem internen Meldekanal ein technisches System zur Kontrolle der AN errichtet wird. Unter „Kontrolle“ ist der Vergleich des Verhaltens des AN mit dem Sollzustand gemäß dem Arbeitsvertrag zu verstehen.* Hierbei wird in der Regel überprüft, ob der AN seinen arbeitsrechtlichen Pflichten nachkommt. Der Gegenstand einer internen Meldung ist jedoch in erster Linie nicht ein Verstoß gegen die arbeitsrechtlichen Pflichten. Selbst wenn Kollegen in den gemeldeten Rechtsverstoß involviert sind, zB bei einer Bilanzfälschung, Steuerhinterziehung oder beim Datenmissbrauch, erfolgen solche Rechtsverstöße in der Regel auf Weisung des AG. Daher steht im Fokus solcher Meldungen nicht der Vergleich der Handlungen des AN mit dem aufgrund des Arbeitsvertrags zu erwartenden Sollzustand.
Unter einem „Kontrollsystem“ wird gemäß der Judikatur die systematische Überwachung der Handlungen oder des allgemeinen Verhaltens der AN durch den AG verstanden.* Diese Anforderung fehlt mE bei den Hinweisgebersystemen. Mit dem Meldekanal wird zwar ein auf Dauer angelegtes System implementiert, es wird damit aber keine systematische Überwachung der Handlungen der AN eingeführt.* Meldungen erfolgen nur unregelmäßig, ad hoc, schließlich haben die AN keine Pflicht, solche Meldungen zu erstatten. Auch bei den Folgemaßnahmen einer Meldung werden die AN im Allgemeinen nicht kontrolliert, sondern an sie wird nur gezielt, einzeln, zwecks der Klärung des Verdachts herangetreten. Die Möglichkeit, dass die AN eine Meldung erstatten können, begründet mE noch keine planmäßige, generell angelegte Kontrolle der AN.
Nach der überwiegenden Meinung der Lehre reicht jedoch die objektive Kontrolleignung bestimmter Einrichtungen für das Auslösen der Mitbestimmungspflicht des BR iSd § 96 Abs 1 Z 3 aus, auch wenn das System primär nicht auf die Überwachung der AN abzielt und tatsächlich nicht zur Kontrolle verwendet wird.* Das Kriterium der Objektivität soll die zustimmungspflichtigen Maßnahmen von bloß subjektiven Meinungen oder Befürchtungen der AN abgrenzen. Für das Vorliegen der Kontrolleignung ist es somit maßgeblich, ob der AG mit der Maßnahme oder dem System das Verhalten des AN kontrollieren kann.*
Die Zurverfügungstellung eines Briefkastens, die Errichtung einer Hotline oder einer Webseite für Whistleblowing sowie die Bestellung eines Whistleblowing- Beauftragten sind mE zur Kontrolle der AN an sich objektiv noch nicht geeignet. Damit der AG mit diesen Einrichtungen Kontrollen vornehmen kann, bedarf er der Mitwirkung der AN in Form von regelmäßigen Meldungen über das arbeitsbezogene Verhalten der Kollegen. Ein interner Meldekanal könnte theoretisch eine Art Spitzelwesen etablieren.* Bei diesem würde jeder AN alle anderen AN auf ihre Arbeitstätigkeit und allfällige Fehler beobachten und kontrollieren. Das wäre der Fall, wenn der interne Meldekanal die AN zu ständiger Wachsamkeit aufrufen und Anreize zur gegenseitigen Überwachung setzen würde. Ein weiteres Indiz für ein mitbestimmungspflichtiges Kontrollsystem wäre, wenn der Meldekanal auch Meldungen über zwischenmenschliche Konflikte 469 und arbeitsrechtliche Pflichtverletzungen entgegennehmen und somit die Anmeldemöglichkeit oder sogar Anzeigepflicht auch Benimmregeln erfassen würde.* Wenn die AN verpflichtet werden, ihre Kollegen auf deren Arbeitsleistung zu beobachten, dann würde tatsächlich eine systematische Überwachung entstehen, die der Zustimmung des BR bedürfte.* Die RL fordert jedoch die Implementierung eines solchen Systems keinesfalls. Die Funktion eines internen Meldekanals ist das Alarmieren des AG bei einem konkreten Verdacht auf Gesetzeswidrigkeit. Sofern lediglich die von der RL geforderten Kriterien umgesetzt werden, wird kein System implementiert, das zur Kontrolle der AN objektiv geeignet ist.
Ein weiterer Grund dafür, dass ein Meldekanal, der lediglich die Mindestbedingungen der RL umsetzt, keine Kontrollmaßnahme iSd § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG bildet, ist, dass hierzu eine höhere Kontrollintensität vonnöten wäre, weil ein gewisses Kontrollausmaß mit jedem Arbeitsverhältnis verbunden ist.* Nach dem OGH sind „die Art der Kontrolle (durch Menschen oder Technik), die zeitliche Dauer (Stichproben oder permanente Kontrolle), der Umfang der Kontrolle (Verknüpfung verschiedener Daten) und die dabei erfassten Datenarten (Sensibilität)“* für die Beurteilung der Intensität der Kontrolle relevant. Diese Kriterien für eine größere Kontrolldichte werden bei einem internen Meldekanal nicht erfüllt, da die technische Ausstattung allein, ohne das menschliche Mitwirken, dh regelmäßige Meldungen, noch keine Kontrolle bewirkt. Die RL sieht nicht vor, dass die Meldungen regelmäßig erfolgen sollen, vielmehr handelt es sich um Ad-hoc-Meldungen.* Verschiedene Daten werden nur fallweise, aber nicht automatisch miteinander verknüpft und überwiegend handelt es sich bei diesen nicht um sensible Daten. Die Kontrollintensität, die mit einer Whistleblowing-Hotline, einer Online-Meldeplattform oder einem Whistleblowing-Beauftragten verbunden ist, ist somit mE wesentlich geringer als bei Maßnahmen, die der OGH bisher als mitbestimmungspflichtig qualifiziert hat. Im Vergleich zu biometrischem Fingerscan als Zeiterfassungssystem,* Kameraüberwachungen, Telefonregistrieranlagen, GPS-Ortungssystem in einem auch zur Privatnutzung zur Verfügung gestellten Dienstwagen* sowie der Kontrolle der Internet- oder E-Mail- Nutzung ist die Meldemöglichkeit von Rechtsverstößen mit einem viel geringeren Maß an potentieller Kontrolle verbunden. Dadurch wird mE die Kontrollintensität nicht erreicht, die das notwendige Mitbestimmungsrecht des BR auslösen würde. Schließlich wird zwar die Meldemöglichkeit jedem AN eröffnet, die Meldungen und die nachfolgenden Untersuchungen betreffen jedoch immer nur einzelne AN; daher fehlt mE auch die kollektive Komponente der Kontrollgeeignetheit.*
Liegt dennoch eine Kontrollmaßnahme vor, so ist zu prüfen, ob diese die Menschenwürde berührt. Es kann mE nicht ausgeschlossen werden, dass die Untersuchungen infolge von Meldungen die Menschenwürde tangieren. Der Zugriff auf E-Mails von AN oder aufgezeichnete Gespräche mit ihnen könnten ihre Privatsphäre, zB ihr Grundrecht auf Privatleben oder auf Datenschutz, beeinträchtigen. Nach der mittlerweile ständigen OGH-Judikatur ist aber die Frage, ob die Menschenwürde überhaupt berührt wird, nicht nur aufgrund des tatsächlichen Einflusses der Maßnahme auf den AN, sondern anhand einer umfassenden Interessenabwägung zu beantworten.* Dabei sind die Interessen des AG an der Kontrolle und die Interessen der AN an der Wahrung ihrer Persönlichkeitsrechte gegeneinander abzuwägen. Diese Interpretation der Berührung der Menschenwürde ist wenig überzeugend, da die Feststellung der Berührung der Menschenwürde alleinstehend und unabhängig von den Interessen des AG beurteilt werden sollte. Zu Recht kritisieren Auer-Mayer*sowie Felten/Preiss*) das Abstellen auf die Interessenabwägung, weil es im Ergebnis dazu führt, dass schwere Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte ohne die Zustimmung des BR zulässig sind, sofern der Betriebsinhaber großes Kontrollinteresse hat oder zur Kontrolle gesetzlich verpflichtet ist. Diese Judikatur kann höchstens mit dem Ziel gerechtfertigt werden, den AG in der Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen durch den Widerstand des BR nicht zu blockieren. Dass der Gesetzgeber den BR absichtlich mit so starken Rechten ermächtigt hat, wird bei dieser Judikatur außer Acht gelassen. Da der AG zur Errichtung des internen Meldekanals gesetzlich verpflichtet ist, würde hier sein Interesse an der Implementierung des Kontrollsystems die Interessen der AN überwiegen. Daher ist die Zustimmung des BR in solchen Fällen mE gar nicht notwendig, sofern das Meldesystem nur die Mindestanforderungen des Gesetzes umsetzt.
Für die Beantwortung der Frage, ob ein internes Hinweisgebersystem unter § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG fällt, ist somit seine konkrete Ausgestaltung entscheidend.* Wenn ein internes Meldesystem nur die Mindestanforderungen der RL erfüllt, wird damit kein Kontrollsystem eingeführt.* Ein nach 470 dieser Norm mitbestimmungspflichtiges Hinweisgebersystem würde nur dann vorliegen, wenn es beim sachlichen Anwendungsbereich und bei den Verpflichtungen der AN weit über die Anforderungen der RL hinausgehen würde.
Eine andere Ermächtigungsgrundlage für Betriebsvereinbarungen könnte § 96a Abs 1 Z 1 ArbVG bilden. Dieser sieht die erzwingbare Zustimmung für die Einführung von automationsunterstützten Datenverarbeitungssystemen von personenbezogenen Daten des AN vor. Nach der Lehre werden darunter jegliche EDV-Systeme erfasst, dh, selbst durch die Verwendung einer Standardsoftware, wie einem Word-Dokument oder einer Excel-Tabelle, wird ein automationsunterstütztes Personaldatensystem eingerichtet.* Daher stellen interne Whistleblowing- Systeme, zB eine Webseite oder eine Whistleblowing-Hotline, solche qualifizierten Personaldatensysteme dar, auch wenn der Meldekanal selbst nicht automationsunterstützt ist, wie ein Briefkasten, die den Meldungen nachfolgenden Untersuchungen sind heutzutage ohne den Einsatz von Computern und einschlägiger Software nicht denkbar.
Die Zustimmung des BR ist aber nur dann erforderlich, wenn die Datenverarbeitung über die Ermittlung von allgemeinen Angaben zu Person und fachlichen Voraussetzungen des AN hinausgeht. Bei der Meldung selbst beinhaltet die Datenerfassung über den Hinweisgeber meist nur dessen grundlegende persönliche und fachliche Daten. Im Zuge der Untersuchungen müssen jedoch Daten von dem Hinweisgeber und vor allem von anderen AN verarbeitet werden, die nicht mehr unter diese zwei Kategorien fallen. Bei der internen Ermittlung werden Gespräche mit den AN geführt und es wird in die Unterlagen eingesehen. Somit werden bei den internen Meldesystemen gewöhnlich personenbezogene Daten verarbeitet.
Zu diesem Tatbestand wird jedoch eine Ausnahme formuliert. Nach dieser ist der Abschluss einer BV nicht notwendig, wenn der AG durch Gesetz zur Verwendung von AN-Daten verpflichtet ist. Die Praxisbeispiele für solche betriebsvereinbarungsfreien Datensysteme beruhen zwar häufig auf gesetzlichen Normen, die konkrete Aufzeichnungs- oder Meldepflichten des AG vorschreiben, zB über die geleisteten Arbeitsstunden oder die Aufzeichnung von Urlaub.* Dennoch greift dieser Ausnahmetatbestand immer dann, wenn die automationsunterstützte Datenverarbeitung zur Erfüllung von gesetzlichen Verpflichtungen erfolgt und dafür erforderlich ist.82) Genau das ist der Fall bei den internen Meldesystemen. Die Datenverwendung ist daher in Erfüllung der Pflicht des AG, ein Meldesystem einzuführen, erforderlich und dieser Ausnahmetatbestand ist mE erfüllt.*
Somit ist als Zwischenergebnis festzuhalten, dass § 96a Abs 1 Z 1 ArbVG auf die Einführung eines internen Hinweisgebersystems nicht zur Anwendung kommt. Diese Aussage gilt jedoch nur dann, wenn das interne Meldesystem sich darauf beschränkt, was vom Gesetz gefordert wird. Wenn aber die tatsächliche oder vorgesehene Datenverwendung über die Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen hinausgeht, kommt die Ausnahme in Satz 2 nicht mehr zur Anwendung. Das wäre mE der Fall, wenn der Meldekanal auch Meldungen über Rechtsverstöße bzw Missstände entgegennimmt, die nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes über Whistleblowing fallen. Ein solches Meldesystem bedarf wiederum zu seiner Rechtswirksamkeit der Zustimmung des BR gem § 96a Abs 1 Z 1 ArbVG.
Ein dritter möglicher Ermächtigungstatbestand ist § 97 Abs 1 Z 1 ArbVG. Dieser sieht die erzwingbare Mitbestimmung für allgemeine Ordnungsvorschriften, die das Verhalten der AN im Betrieb regeln, vor. Unter „Verhalten“ sind jegliche Handlungsweisen der AN zu verstehen, die im weiten Sinne mit der Erbringung der Arbeitsleistung zusammenhängen. *So werden verschiedene Ethik- und Compliance-Regelungen, wie ein Code of Conduct, als Verhaltensvorschriften iSd Z 1 gesehen.*
Auch wenn diese Benimm-Regelungen, die das erwünschte arbeitsbezogene Verhalten vorgeben, nicht die arbeitsrechtlichen Pflichten der AN konkretisieren, erfüllen sie doch den Tatbestand des § 97 Abs 1 Z 1 ArbVG.* Mögliche Inhalte einer BV nach dieser Ziffer sind auch einfache Kontrollregelungen, sofern diese nicht bereits unter § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG fallen.* Die Festlegung von Verhaltensnormen im Zusammenhang mit dem internen Meldesystem fällt daher unter diese Norm.* Im Rahmen einer BV können die Ausgestaltung des internen Meldekanals, die Einzelheiten der Meldeerstattung und der Folgemaßnahmen sowie die diesbezüglichen Pflichten und Rechte der Hinweisgeber und des AG geregelt werden.
Dieser Ermächtigungstatbestand kommt nur dann zur Anwendung, wenn mit dem Meldesystem kein 471 Kontrollsystem geschaffen wird. Wird doch ein gegenseitiges Beobachtungssystem implementiert, dann geht der strengere Mitbestimmungstatbestand dem schwächeren vor und es kommt § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG zur Anwendung. Auch gegenüber § 96a Abs 1 Z 1 ArbVG ist diese Rechtsgrundlage nachrangig.*
Zusammenfassend: Wenn ein Unternehmen ein Hinweisgebersystem implementiert, das nur die Mindestanforderungen der RL und des Gesetzes erfüllt, dann kommt § 97 Abs 1 Z 1 ArbVG zur Anwendung und eine erzwingbare BV kann abgeschlossen werden. Wenn der AG ein Meldesystem installieren möchte, das über die gesetzlichen Mindestanforderungen wesentlich hinausgeht, dann wird die Einführung dieses Systems je nach Ausgestaltung gem § 96 Abs 1 Z 3 oder § 96a Abs 1 Z 1 ArbVG mitbestimmungspflichtig.
Ohne diesbezügliche Regelung ist es umstritten, auf welcher Ermächtigungsgrundlage eine BV über den internen Meldekanal abgeschlossen werden muss. Entscheidend ist mE die Ausgestaltung des Meldekanals.
Wenn der Meldekanal auch Meldungen über arbeitsrechtliche Pflichtverletzungen bzw zwischenmenschliche Konflikte annimmt und den AN Ansätze für Meldungen setzt, dann ist § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG anzuwenden. In Unternehmen ohne BR kommt § 10 AVRAG zur Anwendung. Wenn sich hingegen der Meldekanal auf eine Mindestumsetzung des HSchG beschränkt, dann ist diese Ermächtigungsgrundlage nicht einschlägig
Ebenso kommt § 96a Abs 1 Z 1 ArbVG auf die Einführung eines internen Hinweisgebersystems nicht zur Anwendung, wenn das Unternehmen bei der Ausgestaltung des Meldekanals lediglich seinen gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt. Dieser Sachverhalt fällt unter die Ausnahme des Satzes 2 Z 1. Nimmt jedoch das Meldesystem auch Meldungen über Rechtsverstöße entgegen, die nicht mehr vom Gesetz gefordert werden, greift dieser Ausnahmetatbestand nicht mehr und die Einführung bedarf zu ihrer Rechtswirksamkeit der ersetzbaren Zustimmung des BR.
Wenn somit ein Hinweisgebersystem Meldungen über Missstände annimmt, die über den Anwendungsbereich des Gesetzes hinausgehen, könnten § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG und § 96a Abs 1 Z 1 ArbVG miteinander kollidieren. In diesem Fall ist die Einführung des Meldesystems nach § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG zustimmungspflichtig, weil dieses Mitwirkungsrecht gem § 96a Abs 3 ArbVG der ersetzbaren Zustimmung gem § 96a Abs 1 Z 1 ArbVG vorgeht.*
Wenn schließlich keines der beiden genannten Mitwirkungsrechte zur Anwendung kommt, bildet das Hinweisgebersystem eine allgemeine Ordnungsvorschrift iSd § 97 Abs 1 Z 1 ArbVG, die einer erzwingbaren Mitbestimmung unterliegt.
Da die Bestimmung der richtigen Rechtsgrundlage für interne Meldekanäle offensichtlich mit viel Unsicherheiten verbunden ist und von Fall zu Fall unterschiedlich sein kann, wäre es wünschenswert, wenn das HSchG eine eigene Rechtsgrundlage für die internen Whistleblowing-Systeme schaffen würde. Wegen der unerlässlichen Datenverarbeitung sollte diese eigene Ermächtigungsgrundlage für Hinweisgebersysteme in § 96a Abs 1 Z 3 ArbVG in Form einer ersetzbaren Zustimmung eingefügt werden. 472