Gasteiger/Heilegger/KleinArbeitszeitgesetz
7. Auflage, Verlag des ÖGB, Wien 2021, 760 Seiten, gebunden, € 89,–
Gasteiger/Heilegger/KleinArbeitszeitgesetz
Das Arbeitszeitrecht ist von enormer praktischer Bedeutung. Es legt den Rahmen fest, innerhalb dessen die Arbeitskraft angeboten bzw verwertet werden darf. Dass diesbezüglich AG und AN unterschiedliche, geradezu widerstreitende Interessen haben, liegt auf der Hand. Es sind daher oftmals die Gerichte, die zu klären haben, welchen im Einzelfall Vorrang gebührt. Das hat zur Konsequenz, dass die Judikatur – sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene in Gestalt des EuGH – das österreichische Arbeitszeitrecht maßgeblich mitgestaltet. Hinzukommt eine nicht unbeachtliche Reformaktivität des Gesetzgebers. MaW: Die geltenden Regeln zur Arbeitszeit sind stetigen Änderungen unterworfen. Hier den Überblick zu bewahren, ist eine Herausforderung!
Umso wichtiger ist es daher, nicht nur auf einen profunden, sondern auch auf einen aktuellen Ratgeber zurückgreifen zu können, sollte man mit Fragen des Arbeitszeitrechts konfrontiert sein. Diesen Anforderungen wird der von Gasteiger/Heilegger/Klein nunmehr in 7. Auflage vorgelegte Kommentar zum AZG vollinhaltlich gerecht. Er gibt mit Stichtag 1.3.2021 die geltende Rechtslage in einer Tiefe, aber gleichzeitig leicht verständlichen Art und Weise wieder, die ihresgleichen sucht. Es handelt sich damit um ein Werk, das gerade auch Praktiker:innen erreichen will, die nicht umfassend juristisch vorgebildet sind.
Das bezeugt bspw die Kommentierung des § 2 AZG, in der sich Klein mit der in den letzten Jahren häufig gerichtsanhängigen Frage auseinandersetzt, was konkret unter dem Begriff der Arbeitszeit zu verstehen ist. Zum besseren Verständnis bildet er unterschiedliche Fallgruppen von Wegzeiten über Umkleidezeiten bis hin zu Ausbildungszeiten und analysiert in diesem Kontext die jüngere Rsp des EuGH und OGH anhand konkreter Beispiele aus der Praxis. Gerade der EuGH hat in diesem Bereich maßgebliche Impulse gesetzt, nicht zuletzt deshalb, weil das europäische Arbeitszeitrecht ausschließlich zwischen Arbeitszeit und Freizeit differenziert und keine Zwischenkategorien kennt. Man muss also Farbe bekennen. Anhand der Entwicklung der Rsp des OGH zu den Umkleidezeiten lässt sich dies besonders deutlich veranschaulichen (§ 2 Rz 9): Wurde zunächst die Zeit, die zum Anlegen einer Zirkusuniform aufgebracht werden musste, noch als Freizeit qualifiziert (OGH 4.9.2002, 9 ObA 89/02g), steht inzwischen fest, dass es sich um Arbeitszeit handelt, wenn die Arbeitskleidung auf Grund einer Anordnung des:der AG (OGH 25.5.2020, 9 ObA 13/20g) oder auf Grund ihres optischen Erscheinungsbildes zumutbarer Weise nur im Betrieb angezogen werden kann (OGH 25.5.2020, 9 ObA 13/20g). In beiden Fällen ist das Element der Fremdbestimmung derart stark ausgeprägt, dass Arbeitszeit vorliegt. In konsequenter Fortschreibung dieses Grundsatzes kommt Klein in weiterer Folge zu dem überzeugenden Ergebnis, dass auch dann Arbeitszeit vorliegt, wenn der:die AG die Absolvierung einer Weiterbildungsmaßnahme – außerhalb der eigentlichen Arbeitszeit – anordnet oder zumindest „nahelegt“ (§ 2 Rz 9). Auch in diesem Fall kann der:die AN nicht mehr selbstbestimmt über seine:ihre Zeit verfügen, was der Qualifikation als Freizeit entgegensteht; eine Einordnung, die im Übrigen erst jüngst – in einem Urteil, das nach Erscheinen der 7. Auflage ergangen ist – vom EuGH bestätigt wurde (C-909/19, Unitatea Administrativ Teritoriala D., ECLI:EU:C:2021:893).
Da der Kommentar zu Recht der Judikatur – vor allem auch jener des EuGH – die ihr gebührende Bedeutung beimisst, überrascht es, dass eine andere Entscheidung, die zuletzt für großes Aufsehen gesorgt hat, unerwähnt bleibt. Mit der E C-55/18, CCOO, ECLI:EU:C:2019:402 hat der EuGH konkrete Anforderungen an die Notwendigkeit der Erfassung der Arbeitszeit gestellt und deren Relevanz für die Wahrung des Gesundheitsschutzes hervorgehoben. Zwar ist es richtig, dass § 26 AZG diesen Vorgaben weitgehend entspricht; diskutiert wurde und wird aber, ob das ebenso auch für die Erleichterungen für AN im Homeoffice gem § 26 Abs 3 AZG gilt. Diese müssen nur die Salden der Arbeitszeit aufzeichnen, nicht aber den konkreten Beginn und das Ende der Arbeitszeit bzw die Pausen (§ 26 Abs 3). Manche orten darin einen Verstoß gegen das genannte Urteil des EuGH (zB Niederfringer, JAS 2019, 407; Mazal, ecolex 2019, 657 f), andere halten die Erleichterungen hingegen für unproblematisch (zB Schrank, AZG6 § 26 Rz 12). Umso interessanter wäre es also gewesen, zu wissen, zu welchem Ergebnis die Autor:innen des „ÖGB-Kommentars“ gekommen wären.
Zugegebenermaßen hat die Auseinandersetzung mit den rechtlichen Rahmenbedingungen des Arbeitens im Homeoffice erst mit dem sogenannten „Homeoffice- Maßnahmenpaket“ 2021 (BGBl I 2021/61) richtig an Fahrt aufgenommen, das erst zum 1.4.2021 – also nach dem Stichtag der 7. Auflage – in Kraft getreten ist. Darüber hinaus sei aus eigener Erfahrung angemerkt, dass es nahezu unmöglich ist, in Anbetracht der schieren Anzahl an einschlägigen Judikaten dem Anspruch auf Vollständigkeit gerecht zu werden.
Der hervorragende Gesamteindruck des Kommentars wird dadurch jedenfalls in keiner Weise getrübt. Ganz im Gegenteil! Man freut sich schon auf die nächste Auflage, in der mit Sicherheit auch dieses Problem aufgegriffen und einer überzeugenden Lösung zugeführt werden wird. 536