38Notwendigkeit einer Begleitperson während der Eingewöhnungsphase am Beginn eines neuen Arbeitsverhältnisses führt zu Berufsunfähigkeit
Notwendigkeit einer Begleitperson während der Eingewöhnungsphase am Beginn eines neuen Arbeitsverhältnisses führt zu Berufsunfähigkeit
Die Kl, die am Beginn eines neuen Arbeitsverhältnisses für einige Tage eine Begleitperson für die Zurücklegung des Arbeitsweges benötigt, ist weiterhin vorübergehend berufsunfähig, weil sie nicht ohne ein besonderes Entgegenkommen eines neuen AG in der Lage wäre, einen Arbeitsplatz in einer ihr zumutbaren Verweisungstätigkeit (während der „Eingewöhnungsphase“) zu erreichen. Sie ist nicht verpflichtet, selbst dafür zu sorgen, dass sie am Arbeitsweg begleitet wird.
Der bekl Sozialversicherungsträger ist berechtigt, im gerichtlichen Verfahren einen zusätzlichen Entziehungsgrund geltend zu machen.
[1] Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch der Kl auf Weitergewährung von Rehabilitationsgeld über den 29.2.2020 hinaus.
[2] Mit Bescheid vom 2.9.2015 lehnte die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) den Antrag der 1988 geborenen Kl auf Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension ab, weil Berufsunfähigkeit nicht dauerhaft vorliege. Da aber ab 1.8.2015 vorübergehende Berufsunfähigkeit im Ausmaß von vorausvoraussichtlich mindestens sechs Monaten vorliege, bestehe ein Anspruch der Kl auf Rehabilitationsgeld aus der KV. Im Rechtsmittelverfahren ist nicht mehr strittig, dass die Kl keinen Berufsschutz genießt und im Zeitpunkt der Gewährung von Rehabilitationsgeld berufsunfähig war.
[3] Im Vordergrund der Beschwerden der Kl steht eine Panikstörung mit Agoraphobie in der Form, dass Ängste bei Menschenmengen oder öffentlichen Plätzen bestehen. Im Rechtsmittelverfahren ist nicht mehr strittig, dass sich das Leistungskalkül der Kl im Entziehungszeitpunkt gebessert hat und sie wieder in der Lage ist, die Verweisungstätigkeiten etwa einer Reinigungskraft (Raumpflegerin), Küchengehilfin (Abwäscherin) oder gastgewerblichen Hilfskraft im Rahmen einer Teilzeitarbeit von 20 Stunden pro Woche, aufgeteilt auf fünf Arbeitstage zu je vier Stunden, auszuüben.
[4] Der Kl ist allerdings weder eine Wohnsitzverlegung noch Wochenpendeln zumutbar. Sie ist nicht in der Lage, ein öffentliches Verkehrsmittel zu benützen. Zu Fuß kann die Kl eine Wegstrecke von 500 m in einer Zeit von 20 bis 25 Minuten zurücklegen, wobei sie in der Phase der Eingewöhnung einer Wegstrecke zu einem neuen Arbeitsplatz für die Dauer von einigen Tagen eine Begleitperson 480 benötigt. Im Umkreis von einem Kilometer vom Wohnort der Kl entfernt bestehen mehr als 30 Arbeitsplätze in den der Kl noch zumutbaren Verweisungstätigkeiten.
[5] Mit Bescheid vom 21.1.2020 sprach die bekl PVA aus, dass vorübergehende Berufsunfähigkeit nicht mehr vorliege und das Rehabilitationsgeld mit 29.2.2020 entzogen werde.
[6] Die Kl begehrt mit ihrer Klage die Weitergewährung von Rehabilitationsgeld über den 29.2.2020 hinaus. [...]
[8] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. [...] Dass sie [...] anfangs eine persönliche Begleitung benötige, sei ein unbeachtlicher persönlicher Umstand. [...]
[9] Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Kl nicht Folge. [...] Es bedürfte eines besonderen Entgegenkommens eines AG, die Kl – wenn auch nur wenige Tage – vor Arbeitsbeginn in ihrer Wohnung abzuholen und zur Arbeit zu begleiten. [...] Im Interesse der Versichertengemeinschaft treffe den Versicherten auch bei der Zurücklegung des Arbeitswegs eine Mitverantwortung, weshalb er auch in einem gewissen Ausmaß Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen müsse. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kl nicht in der Lage wäre, ihre Begleitung auf einem neuen Arbeitsweg in den ersten Tagen des Arbeitsverhältnisses [...] selbst zu organisieren. Die Revision sei zulässig, weil eine Klarstellung zur „Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen in zumutbarer Weise“ bzw zum Ausmaß der dem Versicherten bei medizinischen Einschränkungen zumutbaren Mitverantwortung geboten erscheine. [...]
[11] Die Revision ist zulässig und berechtigt. [...]
[14] 1.1 Die Entziehung einer laufenden Leistung wie des Rehabilitationsgeldes ist nach § 99 Abs 1 ASVG nur zulässig, wenn eine wesentliche, entscheidende Änderung der Verhältnisse gegenüber dem Zeitpunkt der ursprünglichen Zuerkennung eingetreten ist; ansonsten steht die materielle Rechtskraft der Gewährungsentscheidung der Entziehung entgegen (RIS-Justiz RS0106704). [...]
[15] 1.2 Hier steht zwar fest, dass sich das Leistungskalkül der Kl im Entziehungszeitpunkt wesentlich gebessert hat, weil sie wieder in der Lage ist, ihr zumutbare Arbeitstätigkeiten in Verweisungsberufen auszuüben. Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit ist jedoch nach stRsp des OGH unabhängig davon, ob der körperliche und geistige Zustand des Versicherten noch den mit der Berufstätigkeit selbst verbundenen Anforderungen entspricht, auch dann eingetreten, wenn die versicherte Person nicht mehr imstande ist, in zumutbarer Weise einen Arbeitsplatz zu erreichen (RS0085049 [T15]; 10 ObS 6/20k SSV-NF 34/27). Der Arbeitsweg für die Beurteilung des Versicherungsfalls der geminderten Arbeitsfähigkeit ist nach dieser Rsp nicht dem „privaten“ Lebensbereich zuzuordnen. [...]
[16] 1.3 Die Kl ist nach den Feststellungen aufgrund ihrer psychischen Beeinträchtigungen nicht in der Lage, einen – beliebigen – Arbeitsweg während einer Eingewöhnungsphase am Beginn eines neuen Arbeitsverhältnisses für die Dauer
von einigen Tagen, allein zu Fuß zurückzulegen. Sie benötigt dafür eine Begleitperson. Die Kl ist in diesem Umfang allein aus medizinischen, und damit für die Frage der Beurteilung des Vorliegens von Berufsunfähigkeit relevanten Gründen an der Zurücklegung des Arbeitswegs gehindert.
[17] 2.1 Die Kl ist nicht verpflichtet, während der Eingewöhnungsphase am Beginn eines neuen Arbeitsverhältnisses selbst dafür zu „sorgen“, dass sie am Arbeitsweg begleitet wird:
[18] 2.2 Persönliche Umstände, wie die Sprache, aber auch die persönlichen Einkommensverhältnisse und Vermögensverhältnisse oder die KV, sind bei Prüfung der Berufsunfähigkeit (der geminderten Arbeitsfähigkeit) nicht zu berücksichtigen (RS0107503). Auch die konkrete familiäre Situation kann weder zugunsten noch zu Lasten des Versicherten herangezogen werden (10 ObS 54/16p SSV-NF 30/38). Es kommt schon daher nicht darauf an, ob die Kl über eine Begleitperson „verfügt“, die sie in den ersten Tagen eines neuen Arbeitsverhältnisses auf dem Arbeitsweg begleiten kann. [...]
[22] 4. Grundsätzlich darf eine versicherte Person auf eine Berufstätigkeit dann nicht verwiesen werden, wenn sie diese nur unter der Voraussetzung eines besonderen Entgegenkommens ihres AG verrichten kann (10 ObS 81/15g SSV-NF 30/14 mwH). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass es eines besonderen Entgegenkommens eines AG bedürfe, um eine Begleitung für den Arbeitsweg der Kl auch nur während der ersten Tage eines neuen Arbeitsverhältnisses (in der „Eingewöhnungsphase“) zu organisieren, ist zutreffend [...].
[23] 5. Ausgehend davon ist die Kl weiterhin vorübergehend berufsunfähig, weil sich zwar ihr Leistungskalkül verbessert hat, sie aber nicht ohne ein besonderes Entgegenkommen eines neuen AG in der Lage wäre, einen Arbeitsplatz in einer ihr zumutbaren Verweisungstätigkeit während der ersten Tage des neuen Arbeitsverhältnisses (während der „Eingewöhnungsphase“) zu erreichen.
[24] 6.1 Negative Anspruchsvoraussetzung für das Rehabilitationsgeld ist nach der infolge des Stichtags 1.8.2015 anzuwendenden Rechtslage des SRÄG 2012, BGBl I 2013/3, die fehlende berufliche Rehabilitierbarkeit der Kl (§ 273b ASVG idF BGBl I 2015/2, Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz [SVAG], iVm § 271 Abs 1 Z 2 ASVG idF SVAG [§ 688 Abs 1 Z 2 ASVG]), obwohl sie nach dieser Rechtslage keinen Rechtsanspruch auf berufliche Maßnahmen der Rehabilitation hat (§ 669 Abs 1 Z 2 und Abs 2 ASVG). Berufliche Maßnahmen der Rehabilitation umfassen gem § 303 Abs 1 ASVG, der (auch bereits idF des SRÄG 2012) auf § 198 ASVG verweist, insb auch Hilfsmaßnahmen zur Ermöglichung einer Erwerbstätigkeit und die Hilfe zur Erlangung einer Arbeitsstelle oder einer anderen Erwerbsmöglichkeit. Diese Aufgabe kann nicht auf den Versicherten oder dessen Familienangehörige überwälzt werden (vgl 10 ObS 49/04k SSV-NF 18/80 zu § 153 Abs 2 Z 3 Bauern-Sozialversicherungsgesetz [BSVG]).
[25] 6.2 Die PVA hat im Gewährungsbescheid berufliche Maßnahmen der Rehabilitation als nicht 481 zweckmäßig (§ 303 Abs 3 ASVG idF SRÄG 2012) angesehen, sodass die (negative) Anspruchsvoraussetzung im Gewährungszeitpunkt erfüllt war.
[26] 6.3 Auch im Anwendungsbereich des SRÄG 2012 ist das Rehabilitationsgeld zu entziehen, wenn berufliche Maßnahmen der Rehabilitation wieder zweckmäßig und zumutbar sind (§ 303 Abs 3 und Abs 4 ASVG idF SRÄG 2012; Sonntag in Sonntag, ASVG12 § 143a ASVG Rz 7). Mit dem SVAG wurde dieser Entziehungstatbestand ausdrücklich in § 99 Abs 3 Z 1 lit b sublit cc ASVG normiert (rückwirkend in Geltung gesetzt mit 1.1.2014, § 688 Abs 1 Z 2 ASVG). Im Entziehungsbescheid hat sich die Bekl jedoch nicht auf diesen Entziehungstatbestand berufen.
[27] 6.4 Gegenstand des Verfahrens vor der Bekl und deren Entscheidung war der Anspruch auf Rehabilitationsgeld über den 29.2.2020 hinaus. Auch wenn im Verwaltungsverfahren in der Begründung des angefochtenen Bescheids als Entziehungsgrund allein die Besserung des Gesundheitszustands der Kl genannt wurde (§ 99 Abs 3 Z 1 lit a ASVG), ist der bekl Sozialversicherungsträger berechtigt, im gerichtlichen Verfahren einen zusätzlichen Entziehungsgrund geltend zu machen. Dadurch wird im Gerichtsverfahren nicht über einen anderen Anspruch als im Verwaltungsverfahren – nämlich den Anspruch auf Rehabilitationsgeld über einen bestimmten Zeitpunkt hinaus – entschieden (10 ObS 35/21a mwH; RS0120568 [T1]).
[28] 6.5 Die Bekl hat sich jedoch auch im gerichtlichen Verfahren nicht auf diesen Entziehungstatbestand berufen. [...] Eine amtswegige Prüfung des Entziehungsgrundes findet nicht statt [...].
[29] 6.6 Auf die allfällige Möglichkeit einer zweckmäßigen und zumutbaren beruflichen Maßnahme der Rehabilitation iS einer Hilfestellung bei der Zurücklegung des Arbeitswegs in der Eingewöhnungsphase eines neuen Arbeitsverhältnisses der Kl ist daher im vorliegenden Fall nicht weiter einzugehen. [...]
[31] Der Revision ist daher Folge zu geben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind iSd Feststellung abzuändern, dass die Kl weiterhin Anspruch auf Rehabilitationsgeld hat. [...]
In dieser Anmerkung sollen zwei Themen der gegenständlichen E näher beleuchtet werden. Zuerst wird darauf eingegangen, inwiefern die Notwendigkeit einer Begleitperson für die Zurücklegung des Anmarschweges vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließt, auch wenn die Begleitung nur für wenige Tage benötigt wird, ansonsten aber grundsätzlich Arbeitsfähigkeit vorliegt. Anschließend wird untersucht, ob die Zurverfügungstellung einer Begleitperson eine Maßnahme der beruflichen Rehabilitation darstellt und welche Auswirkungen das Angebot einer derartigen Maßnahme (Entziehungsgrund) im Gerichtsverfahren gehabt hätte.
Die Fähigkeit zur Zurücklegung des Weges von der eigenen Wohnung zur Arbeitsstätte ist eine notwendige Voraussetzung für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Wer den Anmarschweg nicht zurücklegen kann, ist vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Diesfalls liegt Invalidität bzw Berufsunfähigkeit vor (vgl Födermayr in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 255 ASVG [1.3.2020] Rz 58 ff).
In der gegenständlichen E wäre die Versicherte zwar grundsätzlich noch in der Lage, den Anmarschweg alleine zurückzulegen, allerdings nur, wenn sie während einer kurzen „Eingewöhnungsphase“ begleitet wird. Die zu klärende Frage war daher, ob auch bereits die Notwendigkeit einer Begleitung für nur wenige Tage vom Arbeitsmarkt ausschließt.
Während sowohl das Erstgericht (persönliche Begleitung sei unbeachtlicher persönlicher Umstand) als auch das Berufungsgericht (Versicherte trifft Mitverantwortung und habe daher selbst eine Begleitung zu organisieren) die Klage auf Weitergewährung des Rehabilitationsgeldes abwiesen, gab ihr der OGH statt. Die Kl habe nicht selbst eine Begleitperson zu organisieren (so schon OGH10 ObS 49/04k ZAS-Judikatur 2005, 76) und eine Organisation durch den (künftigen) DG würde ein besonderes Entgegenkommen darstellen. Weil sie einen Arbeitsplatz während der ersten Tage des Arbeitsverhältnisses nicht ohne Begleitung erreichen kann, ist sie weiterhin (vorübergehend) berufsunfähig.
Damit schreibt die gegenständliche E die bisherige Rsp zur Zurücklegung des Anmarschweges konsequent fort. Versicherte müssen vom ersten Arbeitstag an in der Lage sein, den Arbeitsweg ohne besonderes Entgegenkommen des AG zurückzulegen und sind demnach erst bei Erfüllung dieser Voraussetzung am Arbeitsmarkt verweisbar. Das Ergebnis überzeugt. Nur „beinahe wieder arbeitsfähig“ reicht eben (noch) nicht für die Entziehung des Rehabilitationsgeldes.
In der Urteilsbegründung erläutert der OGH auch die Möglichkeit, die Zurverfügungstellung einer Begleitperson für die Zurücklegung des Arbeitsweges während der Eingewöhnungsphase als berufliche Rehabilitationsmaßnahme im laufenden Gerichtsverfahren anzubieten. Mangels eines entsprechenden Vorbringens war eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Frage aber nicht notwendig. Sie soll daher im Folgenden beleuchtet werden.
Durch Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation soll der Versicherte in die Lage versetzt werden, 482 seinen früheren oder, wenn dies nicht möglich ist, einen neuen Beruf auszuüben (§ 303 iVm § 198 ASVG; § 161 GSVG; § 153 BSVG). Gem § 198 Abs 2 ASVG (auch § 161 Abs 2 GSVG; § 153 Abs 2 BSVG) umfasst die berufliche Rehabilitation neben der beruflichen Ausbildung (Z 1) und der Gewährung von Zuschüssen, Darlehen und/oder sonstigen Hilfsmaßnahmen zur Ermöglichung der Fortsetzung der Erwerbstätigkeit (Z 2) die Hilfe zur Erlangung einer Arbeitsstelle oder einer anderen Erwerbsmöglichkeit (Z 3) sowie gem § 303 S 3 ASVG grob vereinfacht Maßnahmen der Berufsfindung und -orientierung sowie Arbeitstrainings, aber auch Einund Nachschulungen, Lehr- und Schulausbildungen oder sogar Stipendien (vgl Pöltner, Berufliche Rehabilitation in der Sozialversicherung, in Auer-Mayer/Felten [Hrsg], Diskussionen und Reflexionen zum Sozialrecht und Arbeitsrecht – Festband für Rudolf Mosler und Walter J. Pfeil [2019] 109 [112, 115]
In der oberstgerichtlichen Rsp wurde die Zurverfügungstellung einer Begleitperson als Maßnahme der beruflichen Rehabilitation auch bereits erwähnt. In OGH10 ObS 49/04k ZAS-Judikatur 2005, 76 hätte die Kl täglich vom Ehegatten zur vier Kilometer entfernten nächsten öffentlichen Haltestelle gebracht werden müssen, um einen Arbeitsplatz zu erreichen. Sie war daher vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Hier fügte der OGH an: „Es läge an der beklagten Partei, im Rahmen der beruflichen Rehabilitation [...] Hilfestellungen zu leisten, dass die Kl eine Arbeitsstelle erlangen kann. Diese Aufgabe kann nicht unter Berufung auf familiäre Beistandspflichten auf nahe Angehörige überwälzt werden.“
Auffallend ist hierbei, dass der OGH für die Begründung sowohl in 10 ObS 49/04k wie auch in der gegenständlichen E jeweils die „Hilfe zur Erlangung einer Arbeitsstelle oder einer anderen Erwerbsmöglichkeit“ – also Z 3 – heranzieht. Offenbar versteht der OGH darunter das physische Erreichen des Arbeitsplatzes.
Ein anderes Verständnis legt allerdings § 16 RRK 2021 (Richtlinien für die Erbringung von Leistungen im Rahmen der Rehabilitation sowie von Leistungen im Rahmen der Festigung der Gesundheit und der Gesundheitsvorsorge, avsv Nr 63/2021) nahe. Als Maßnahmen der Z 3 sind demzufolge im Wesentlichen Geldleistungen (Zuschüsse, Darlehen) an einen Versicherten (oder auch den DG, § 16 Z 3 RRK 2021) angedacht, die zB einen teilweisen Entgeltausfall einer Person ausgleichen sollen, wenn diese für einen beschränkten Zeitraum noch nicht voll leistungsfähig ist. Auch eine Finanzierung zur Adaptierung des Arbeitsplatzes wird in § 16 RRK 2021 genannt. Bergauer (in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 198 ASVG [Stand 1.6.2017] Rz 15) spricht daher iZm Z 3 von Maßnahmen zur „Abgeltung von Minderleistungen“.
Ebenso wenig wie Z 3 passt Z 2 – „sonstige Hilfsmaßnahmen“ zur Ermöglichung der Fortsetzung der Erwerbstätigkeit – auf die Zurverfügungstellung einer Begleitperson. Unter „sonstige Hilfsmaßnahmen“ werden gem § 15 Abs 2 RRK 2021 ausschließlich „Kostenübernahmen“ (zB für Ersatzarbeitskräfte, Adaptierungen etc) verstanden.
Geeignet erscheinen schließlich aber die in Z 1 genannten Maßnahmen. In § 198 Abs 2 Z 1 ASVG sind berufliche Ausbildungsmaßnahmen zur Wiedergewinnung der Erwerbsfähigkeit angeführt, denen auch Arbeitstrainings (§ 303 S 3 ASVG) zuzuordnen sind. Sie richten sich an Personen mit psychischen Erkrankungen, die eine kontinuierliche Arbeit verhindern. Mit diesen Maßnahmen sollen Versicherte mittels psychosozialer Betreuung zB an regelmäßige Tagesstrukturen gewöhnt werden, die Grundarbeitsfähigkeit gefördert, die fachliche Leistungsfähigkeit und die Belastbarkeit gesteigert und zuletzt auch die sozialen Kompetenzen gestärkt werden (vgl Bergauer in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 198 ASVG Rz 17; vgl auch § 14 RRK 2021).
Im Lichte der angeführten Beispiele kann die Zurverfügungstellung einer Begleitperson als Trainingsmaßnahme zur Zurücklegung des Arbeitsweges sehr wohl eine Maßnahme der beruflichen Rehabilitation darstellen. Allerdings erscheint es naheliegender, diese Maßnahme auf Grundlage des § 303 ASVG iVm § 198 Abs 2 Z 1 als Arbeitstraining zu verstehen, anstatt sie aus Z 2 oder 3 abzuleiten.
Des Weiteren ist aber auch darauf hinzuweisen, dass die Zurverfügungstellung einer Begleitperson (nur) für die Eingewöhnungsphase für sich alleine wohl unzureichend sein wird. Eine Begleitung zum Arbeitsplatz ist erst möglich und durchführbar, wenn zuvor tatsächlich eine Arbeitsstelle gefunden wurde. Wer den Arbeitsweg nicht zurücklegen kann, wird jedoch auch bereits Probleme im Bewerbungsprozess haben. Man denke beispielsweise nur daran, wie die Versicherte ohne Begleitung zu Bewerbungsgesprächen gelangen soll. Zudem wäre es deutlich effizienter, bereits ab Zusage einer Arbeitsstelle die Zurücklegung des dann schon bekannten Arbeitsweges vorab zu trainieren. So könnte bestenfalls bereits am ersten Arbeitstag die Begleitung nicht mehr notwendig sein. Zweckmäßiger erscheint es daher, die Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation bereits früher anzusetzen, sodass sie den Bewerbungsprozess mitumfassen.
Hat sich der Gesundheitszustand der Versicherten seit der Gewährung des Rehabilitationsgeldes soweit gebessert, dass sie an Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation teilnehmen kann und sind diese Maßnahmen zweckmäßig (§ 253e Abs 3 ASVG) und zumutbar (§ 253e Abs 4 ASVG), so ist ihr das Rehabilitationsgeld zu entziehen (§ 99 Abs 3 Z 1 lit b sublit cc ASVG; vgl Födermayr, Rehabilitationsanspruch im Pensionsrecht, DRdA 2017, 174 [179 f]). Das Vorbringen eines zusätzlichen Entziehungsgrundes steht dem Pensionsversicherungsträger auch während des Verfahrens noch offen (OGH10 ObS 35/21aDRdA 2021, 518 [Weißensteiner]). Hätte demnach der Pensionsversicherungsträger eine entsprechende berufliche Rehabilitationsmaßnahme angeboten, hätte dies – Zumutbarkeit und Zweckmäßigkeit vorausgesetzt – 483 zur Abweisung der Klage auf Weitergewährung des Rehabilitationsgeldes geführt (vgl zum – hier ausgeklammerten – Problem, ob eine berufliche Rehabilitation überhaupt auch Versicherten ohne Berufsschutz offen steht, zB Födermayr in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 253e ASVG [Stand 1.3.2020] Rz 9; Födermayr, DRdA 2017, 174; Sonntag in Sonntag [Hrsg], ASVG13 [2022] § 253e Rz 2).
Die daran anschließende Frage ist nun, ab welchem Zeitpunkt das Rehabilitationsgeld zu entziehen gewesen wäre. In der Regel führt die Abweisung der Klage auf Weitergewährung des Rehabilitationsgeldes nämlich zur rückwirkenden Entziehung ab dem ursprünglichen Entziehungszeitpunkt (vgl Schramm in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SVKomm § 99 ASVG [Stand 1.10.2021] Rz 17).
Im gegenständlichen Entziehungsbescheid wurde aber der konkrete Entziehungsgrund – berufliche Rehabilitation ist zweckmäßig und zumutbar – noch nicht behauptet. Eine Rückwirkung auf den ursprünglichen Entziehungszeitpunkt wäre daher nicht möglich. Mit der Klagseinbringung ist der Bescheid außerdem außer Kraft getreten (§ 71 Abs 1 ASGG) und der Sachverhalt vom Gericht gänzlich neu zu beurteilen (als Folge der sukzessiven Kompetenz).
Vergleichbar ist diese Konstellation am ehesten mit jenem Fall, dass eine Besserung des Gesundheitszustandes (und damit Arbeitsfähigkeit) erst während des Verfahrens eintritt (und nicht bereits im Entziehungszeitpunkt vorlag). Diesfalls wird das Rehabilitationsgeld ab dem – durch Sachverständigengutachten erhobenen – Besserungszeitpunkt entzogen (OGH10 ObS 76/20dDRdA-infas 2021, 33 [Pasz]; vgl auch OGH10 ObS 188/04a SSV-NF 20/13).
Umgelegt auf die vorliegende Situation wäre folglich auch hier das Rehabilitationsgeld erst ab dem Zeitpunkt zu entziehen, in dem der Pensionsversicherungsträger konkrete zweckmäßige und zumutbare Rehabilitationsmaßnahmen im Verfahren angeboten hätte. Erst ab diesem Zeitpunkt läge ein Entziehungsgrund (§ 99 Abs 3 Z 1 lit b sublit cc ASVG) vor, der vom Gericht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zu beachten wäre.
Was für Auswirkungen würde die Entziehung des Rehabilitationsgeldes nun im vorliegenden Fall haben?
Die gesetzliche Konzeption sieht zunächst einen Wechsel der Zuständigkeit von der KV (medizinische Rehabilitation und Rehabilitationsgeld) zur AlV vor, denn die berufliche Rehabilitation wird vom Arbeitsmarktservice (AMS) durchgeführt (§ 307a Abs 5 ASVG) und nicht vom bekl Pensionsversicherungsträger, der diese aber im Verfahren anbieten muss. Zudem gebührt Versicherten ab Jahrgang 1964 mit einem Anspruch auf eine berufliche Rehabilitationsmaßnahme aus der AlV ein Umschulungsgeld gem § 39b AlVG (Besonderheiten der im gegenständlichen Fall konkret noch anzuwendenden Rechtslage nach dem SRÄG 2012, BGBl I 2013/3, und vor dem SRÄG 2017, BGBl I 2017/38, werden im Folgenden ausgeklammert).
Das Umschulungsgeld ist allerdings beim zuständigen AMS zu beantragen (arg „Geltendmachung“ in § 39b Abs 1 AlVG), wofür § 39b Abs 1 S 2 AlVG eine Frist von vier Wochen ab der bescheidmäßigen „Feststellung“ des Pensionsversicherungsträgers vorsieht. Nur bei Beantragung innerhalb dieser Frist gebührt die Leistung rückwirkend (und zwar auf das Datum des Bescheides, vgl Schrattbauer in Pfeil [Hrsg], Der AlV-Komm [2017] § 39b AlVG Rz 26), sodass keine Versorgungslücke entsteht.
Die gegenständliche Konstellation legt diesbezüglich nun deutlich die Unzulänglichkeiten des § 39b AlVG offen, der alleine auf ein Verwaltungsverfahren abstellt und daher keine tauglichen Regelungen für ein Sozialgerichtsverfahren enthält. Denn wird eine berufliche Rehabilitationsmaßnahme wie hier erstmals im Gerichtsverfahren angeboten, so kann für die vierwöchige Frist zur Antragstellung nicht auf den Zeitpunkt einer bescheidmäßigen „Feststellung“ abgestellt werden. Stellte man aber stattdessen – was zunächst naheliegend erscheinen mag – auf den Zeitpunkt der Entziehung des Rehabilitationsgeldes ab, also auf das Angebot der zweckmäßigen und zumutbaren Rehabilitationsmaßnahme im Gerichtsverfahren, so wird die Vier-Wochen-Frist zur Geltendmachung regelmäßig zu kurz sein – vor allem, wenn das Urteil schriftlich ergeht und dessen Zustellung einige Wochen in Anspruch nimmt. In diesem Fall würde für die Versicherte erst nach Ablauf der vierwöchigen Frist klar sein, dass das Rehabilitationsgeld tatsächlich entzogen wurde und sie Umschulungsgeld beantragen muss. Dem Wortlaut des § 39 AlVG ist für diese Konstellation jedenfalls keine Lösung zu entnehmen.
Allerdings hat D. Weiß (Der Pensionswerber im Abgrund zwischen den Rechtslagen, DRdA 2018, 64 [68]) bereits iZm Pensionsleistungen ein „doppelfunktionales Verständnis“ des Begriffs „Feststellung des Pensionsversicherungsträgers“ in § 39b Abs 1 AlVG vorgeschlagen, um Versorgungslücken zwischen Stichtag und Beginn der Rehabilitationsmaßnahme zu vermeiden. Im Ergebnis legt D. Weiß diesen Begriff dahingehend aus, dass für den Beginn der vierwöchigen Frist auf den Bescheid abzustellen ist („formales“ Verständnis), für den Beginn des Anspruches auf Umschulungsgeld (und damit dessen Gewährung) aber rückwirkend auf den Stichtag („materielles“ Verständnis).
Überträgt man diese Idee eines „doppelfunktionalen Verständnisses“ nun auf die vorliegende Konstellation, so würde der Fristlauf des § 39b Abs 1 S 2 AlVG erst mit einem rechtskräftigen Urteil (bzw rechtswirksamen Vergleich) ausgelöst werden. Formal ersetzt das Urteil (Vergleich) im Sozialgerichtsverfahren den Bescheid des Verwaltungsverfahrens, auf den sich § 39b Abs 1 AlVG bezieht.
Daran anschließend stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt das Umschulungsgeld (rückwirkend) gewährt werden würde – der Entziehungszeitpunkt des Rehabilitationsgeldes läge zeitlich bereits vor Abschluss des Gerichtsverfahrens (siehe Pkt 3.2.). Um Versorgungslücken zu vermeiden, 484 müsste man daher nicht wie für die vierwöchige Frist auf das Urteil (Vergleich) abstellen, sondern in materieller Hinsicht (des „doppelfunktionalen Verständnisses“) auf den Entziehungszeitpunkt des Rehabilitationsgeldes – also auf jenen Zeitpunkt, in dem die Maßnahme der beruflichen Rehabilitation (und damit der Entziehungsgrund) im Verfahren angeboten wurde.
Im Ergebnis bedeutet das: Würde das Umschulungsgeld binnen vier Wochen ab rechtskräftiger Beendigung des Sozialgerichtsverfahrens beantragt werden, so müsste es rückwirkend unmittelbar anschließend an die Entziehung des Rehabilitationsgeldes gebühren.