39Sexuelle Belästigung und Beweiswürdigung – darf man das noch sagen?
Sexuelle Belästigung und Beweiswürdigung – darf man das noch sagen?
Bei zweideutig gemeinten Bemerkungen ergibt sich die sexuelle Konnotation oft nicht aus dem Wortlaut, sondern aus dem Tonfall oder der Betonung. Insoweit kann es von Bedeutung sein, ob eine sexuelle Anspielung beabsichtigt war oder nicht.
Einmalige unerwünschte und unangenehme Berührungen, die unbeabsichtigt erfolgen, sind nicht notwendigerweise prägend für die Arbeitsumwelt.
Eindeutige oder offen zweideutige sexuelle Anspielungen sind objektiv geeignet, die Würde des anderen zu verletzen. Gerade wenn der Belästigte in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis vom Belästiger steht, sind diese Bemerkungen auch geeignet, eine einschüchternde, feindselige oder demütigende Arbeitsumwelt zu schaffen.
[1] Die Kl war zunächst ab 15.11.2016 als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Bekl [einem Rechtsanwalt, Anm] geringfügig im Ausmaß von 20 Stunden pro Monat bei einem Gehalt von 200 € beschäftigt. Ab 1.1.2018 war sie als Rechtsanwaltsanwärterin tätig. Der Bekl kündigte das Dienstverhältnis am 15.1.2018 zum 31.3.2018.
[2] Die Kl bringt vor, ihre Kündigung und Dienstfreistellung sei erfolgt, nachdem sie erklärt habe, das „Flirten“ des Bekl als unfair und nicht wertschätzend zu empfinden. Damit habe sie nicht offenbar unberechtigte Ansprüche iSd § 12 Abs 7 GlBG geltend gemacht bzw sich iSd § 13 GlBG beschwert, weshalb die Kündigung diskriminierend sei. Tatsächlich habe der Bekl ihr gegenüber unangemessene Verhaltensweisen gesetzt.
[3] Sie habe aufgrund der diskriminierenden Beendigung des Dienstverhältnisses Anspruch auf Kündigungsentschädigung bis zum nächstmöglichen diskriminierungsfreien Kündigungstermin [...]. Darüber hinaus habe sie Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens in Höhe von insgesamt 5.100 €. Weiters habe sie als Rechtsanwaltsanwärterin ein Recht auf tatsächliche Beschäftigung. Der Bekl hafte ihr daher für Schäden aus der unrechtmäßigen Dienstfreistellung. [...]
[4] Der Bekl bestreitet. Während des Dienstverhältnisses habe es beinahe keinen persönlichen Kontakt gegeben. Es habe sich relativ früh gezeigt, dass die Zusammenarbeit nicht funktioniere. Er habe die Kl wiederholt ersucht, ihm mitzuteilen, worin die Probleme lägen, woraufhin sie ihn gebeten habe, sie zu kündigen. Nach Erhalt des E-Mails vom 15.1.2018, in dem sie ihm Flirtverhalten vorgeworfen habe, sei ihm klar gewesen, dass eine Zusammenarbeit nicht möglich sei. Daraufhin habe er sie gekündigt und dienstfrei gestellt. Aufgrund der Ankündigung der weiteren Dienstverrichtung „nach Vorschrift“, des Wunsches nach Kündigung, der Nichtakzeptanz der Weisungsbefugnis, des unpassenden Tons und der unsachlichen Kommunikation sowie der Geringschätzung anderer Mitarbeiter sei die Vertrauensgrundlage weggefallen. Die Kl hätte sich unverzüglich eine neue Stelle suchen können. [...] Während aufrechten Dienstverhältnisses habe die Kl keinen Wunsch nach einer Verhaltensänderung oder einem distanzierteren Kontakt geäußert. Eine diskriminierende Beendigung liege nicht vor. Die Vorwürfe sexueller Belästigung würden bestritten.
[5] Das Erstgericht gab dem Begehren auf Feststellung der Haftung des Bekl für zukünftige Schäden aus der rechtswidrig ausgesprochenen Dienstfreistellung und dem Begehren auf Zahlung von 3.500 € netto sA Folge. Das darüber hinausgehende Begehren wies es ab.
[6] Soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz traf es nachfolgende Feststellungen:
[7] Die Bekl war mit den Leistungen der Kl während ihrer geringfügigen Beschäftigung außerordentlich zufrieden. Im Rahmen einer Arbeitssitzung am 9.10.2017 sprachen sie über einen Fall mit Bezug zu Monaco, für den Französischkenntnisse erforderlich waren. Die Kl, die an der Sorbonne studiert hatte, erklärte, dass sie dem Bekl wegen ihrer Französischkenntnisse helfen könne. Darauf sagte dieser sinngemäß: „Das ist aber super, dass Sie französisch können.“
Die Bemerkung war nicht als sexuelle Anspielung gemeint. [...]
[9] Bei einer Besprechung am 30.10.2017 vereinbarten die Parteien das Dienstverhältnis der Kl als Rechtsanwaltsanwärterin ab 1.1.2018. Danach arbeiteten beide, wobei die Kl im Zimmer des Bekl in einem Fauteuil saß und mit einem Buch zum Denkmalschutz beschäftigt war. Die Sitzfläche war etwa 64 cm breit, die Armlehnen jeweils knapp 12 cm. Als die Kl zum Bekl meinte, sie habe eine relevante Stelle im Kommentar gefunden, setzte dieser sich auf die Lehne des Fauteuils, in dem die Kl saß, und nahm das Buch. Er saß – über eine halbe Minute und unter einer Minute – auf der Lehne. Eine körperliche Annäherung bezweckte er damit nicht. Die Kl empfand den geringen körperlichen Abstand als unangenehm, äußerte dies aber nicht. Bei der Verabschiedung 485 sagte der Bekl sinngemäß: „Jetzt gehören Sie bald ganz mir.“ (Der genaue Wortlaut ist nicht feststellbar, wobei eine sexuelle Konnotation nicht bescheinigt ist.)
[10] Im Rahmen einer Arbeitssitzung am 10.11.2017 stand die Kl neben dem Bekl beim Schreibtisch. Weil sie müde war, nahm sie eine hockende Haltung ein. Der Bekl meinte daraufhin zu ihr, sie könnte sich einen Sessel holen, wobei er scherzhaft hinzufügte: „Sie müssen nicht vor mir knien!“ Als sexuelle Anspielung war dies nicht gemeint.
[11] Am 23.11.2017 fand eine Arbeitssitzung statt. Der Bekl saß beim Schreibtisch, die Kl stand daneben. Als der Bekl aufstand, ging er Rücken an Rü cken an der Kl vorbei, wobei er mit seinem Gesäß ihres berührte. Es ist nicht bescheinigt, dass er diese Berührung vorsätzlich herbeigeführt hätte.
[12] Am selben Tag streichelte die Kl den Pudel der Lebensgefährtin des Bekl auf dem Bauch. Der Bekl kam hinzu und streichelte den Hund ebenfalls. Die Kl zog ihre Hand zurück. Es ist nicht bescheinigt, dass der Bekl das Tier streichelte, um sich der Kl körperlich anzunähern, etwa ihre Hand zu berühren. Die Kl meinte, der Pudel sei zutraulich. Der Bekl sagte daraufhin, die Tanzpartner der Kl seien wohl auch zutraulich und würden wohl auch „alle Körperteile entgegenstrecken“.
[13] Am 14.12.2017 sprachen die Streitteile neuerlich über den Fall mit Bezug zu Monaco. Der Bekl nahm neuerlich auf die Französischkenntnisse der Kl Bezug, wobei nicht bescheinigt ist, dass dies als sexuelle Anspielung gemeint gewesen wäre. [...]
[15] Bis einschließlich 3.1.2018 befand sich der Bekl auf Urlaub. Am 2. und 3.1.2018 arbeitete die Kl in seinem Zimmer. Das Drei-Personen-Büro, in dem die Kl danach saß, wurde überdies von zwei nicht der Rechtsanwaltskanzlei zugehörigen Personen genutzt. Die Kl empfand diese Situation als unbefriedigend. Der Bekl stellte ihr einen zwei bis drei Monate alten Laptop zur Verfügung, dessen Monitorauflösung die Kl als unangenehm empfand.
[16] Am 11.1.2018 und 12.1.2018 sprachen die Streitteile über die Zimmersituation, wobei der Bekl grundsätzliches Verständnis für die Unzufriedenheit der Kl äußerte. Da er ein reserviertes Verhalten der Kl ihm gegenüber wahrnahm, fragte er sie, ob sie noch andere Probleme hätte, was sie verneinte.
[17] Abends legte die Kl das vom Bekl erhaltene Weihnachtsgeschenk zurück in dessen Zimmer. Außerdem schrieb sie ihm ein E-Mail, in dem es ua heißt: „Um meine spröde Art in letzter Zeit zu erklären: Ich verstehe einfach nicht, warum Sie mich eingestellt haben. [...] Um ehrlich zu sein, wäre es für mich vorteilhafter gewesen, Sie hätten mich einfach nicht genommen. Jetzt sind mir die Hände zumindest eine Zeit lang gebunden und ich muss mich arrangieren. Ich ersuche Sie nicht um Ihr Verständnis und brauche auch keine Antwort, aber ich habe keine Lust, meine Enttäuschung und meinen Ärger in mich hineinzufressen. Das tut mir nicht gut, und mein Wohlbefinden ist zumindest mir ein Anliegen.“
Am 13.1.2018 abends schrieb die Kl dem Bekl folgendes E-Mail:
„Ich bin nun zu einer für mich sehr, sehr befreienden Entscheidung gekommen. Wenn es nicht möglich ist, mir ein eigenes Zimmer zur Verfügung zu stellen (wie es für 99 % der Konzipienten üblich ist; ich kenne keinen einzigen, der sein Zimmer teilen müsste), bitte ich Sie, mich zu kündigen. [...]“
[18] Am 15.1.2018 morgens sprachen die Kl und der Bekl miteinander, die Kl wiederholte ihren Kündigungswunsch. Der Bekl erwiderte, dass er sie nicht kündigen werde. Eine Lösung wurde nicht gefunden.
Um 9:54 Uhr schrieb die Kl dem Bekl ein E-Mail mit folgendem Inhalt:
[...] zum Thema unfair sein: „Ich könnte mehrere Beispiele nennen, insbesondere auch Ihre permanente Diskrepanz zwischen verbaler Freundlichkeit und tatsächlichem Verhalten, aber das für mich Wichtigste ist das, was Sie mehrmals als ‚blödeln‘ bezeichnet haben und wahrscheinlich jeder andere, inkl Ihrer Freundin, standardsprachlich als flirten bezeichnen würde. Ich möchte festhalten, dass ich kein frischer Frühlingsduft bin, den man gelegentlich unverbindlich genießt, und der Thermostat unserer Beziehung nicht in Ihrem Alleineigentum steht. Auch das ist nicht wertschätzend.“
[19] Er [der Bekl, Anm] entschied nun, die Kl zu kündigen und dienstfrei zu stellen. Auslösender Anlass für die Kündigung und die Dienstfreistellung war das E-Mail, wobei sowohl der Inhalt des E-Mails (Beschwerde über von der Kl so empfundenes Flirtverhalten) als auch die sarkastische Formulierung jeweils iS einer conditio sine qua non für die Entscheidung zur Kündigung und für die Dienstfreistellung ursächlich waren.
[20] Generell war der Umgangston des Bekl gegenüber der Kl freundlich und wenig formell. Er scherzte ihr gegenüber öfter, was er als „Blödeln“ bezeichnete. Abgesehen von der Äußerung über die Tanzpartner der Kl ist nicht bescheinigt, dass seine Bemerkungen in Bezug auf das Geschlecht der Kl bzw intentional eine sexuelle Konnotation gehabt hätten. [...] Die Kl verwendete ihrerseits gegenüber dem Bekl ironische Formulierungen. Seit Ende Dezember hatte sie subjektiv den Eindruck, dass der Bekl an ihr als Frau interessiert sei, was ihr unangenehm war. Vor dem 15.1.2018 brachte sie dies gegenüber dem Bekl nicht zum Ausdruck. Im Jänner verhielt sie sich gegenüber dem Bekl reservierter als zuvor. Sie vermied persönliche Gespräche und schrieb bevorzugt E-Mails. Eine Ermahnung durch den Bekl dahingehend, dass ihm diese Art der Kommunikation nicht recht sei, erfolgte nicht.
[25] Die Äußerung des Bekl über die Tanzpartner der Kl sei schon ihrem Wortlaut nach tatbestandsmäßig nach § 6 Abs 1 Z 1 GlBG, dafür sei ein Schadenersatz mit 1.000 € zu bemessen. Die übrigen Äußerungen des Bekl seien nicht als sexuelle Belästigungen zu qualifizieren. Die Kündigung und Dienstfreistellung sei aufgrund der Beschwerde der Kl über ein „Flirten“ erfolgt. Damit habe der Bekl gegen das Benachteiligungsverbot des § 12 Abs 7 GlBG verstoßen. Dafür stehe ein ideeller Schadenersatz von 1.000 € zu. Davon zu unterscheiden sei ein Vermögensschaden. 486 Da die Kl zum Ausdruck gebracht habe, gekündigt werden zu wollen, sei sie in ihrer Vermögenssituation nicht schlechter gestellt, als wenn der Bekl das von ihr gewünschte Verhalten wegen ihres Wunsches gesetzt hätte. Für die Kränkung, wegen der Beschwerde und gerade nicht aufgrund des eigenen Wunsches gekündigt worden zu sein, stehe ein ideeller Schadenersatz von 1.500 € zu. [...]
[27] Das Berufungsgericht gab der gegen den abweisenden Teil des erstinstanzlichen Urteils gerichteten Berufung der Kl und der gegen den klagstattgebenden Teil des erstinstanzlichen Urteils gerichteten Berufung des Bekl [...] nicht Folge. [...]
[29] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil die Frage, ob einem Rechtsanwaltsanwärter gegenüber seinem DG und Ausbildungsrechtsanwalt ein Anspruch auf Beschäftigung zukomme, in der Rsp noch nicht beantwortet worden sei. [...]
[33] Die Revision der Kl ist [...] mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zurückzuweisen. Die Revision des Bekl ist [...] zulässig, aber nicht berechtigt. [...]
[37] 2. Wenn die Kl weiters davon ausgeht, dass das Erstgericht in seiner Beweiswürdigung rechtlich unrichtig für die Annahme einer sexuellen Belästigung eine Demütigungsabsicht voraussetze, so werden von ihr in diesem Zusammenhang die Ausführungen des Erstgerichts unvollständig zitiert. Auch wenn das Erstgericht anführte, dass sexuelle Belästigung typischerweise mit einer Demütigungsabsicht einhergeht, prüfte es in seiner Beweiswürdigung auch, ob der Bekl aus allfälligen anderen Motiven die von der Kl behaupteten Verhaltensweisen gesetzt hat. Das Erstgericht hat daher seine Feststellungen nicht auf Grundlage unrichtiger rechtlicher Prämissen getroffen, sondern weil es aufgrund der Beweisergebnisse, insb auch aufgrund des vom Bekl gewonnenen Eindrucks, von einem bestimmten Sachverhalt überzeugt war. Wenn es davon ausgehend den von der Kl dem Bekl zur Last gelegten Sachverhalt nicht als bescheinigt angesehen hat, ist dies vom OGH nicht zu überprüfen. [...]
[49] Wenn im Zusammenhang mit französischen Übersetzungen der Kl ihre Französischkenntnisse gelobt werden, ist dies bei objektiver Betrachtung kein die sexuelle Sphäre berührendes Verhalten, selbst dann nicht, wenn die Kl subjektiv dem Wort „Französisch“ eine doppelte Bedeutung beimisst. Auch im Hinblick auf die Bemerkung „Sie müssen nicht vor mir knien“ könnte diese zwar, in anderem Zusammenhang, eine sexuelle Anspielung darstellen, auch diese ist jedoch im Kontext der Situation zu sehen. Die Kl hockte vor dem Bekl, er forderte sie auf, sich einen Sessel zu nehmen.
[50] Wenn die Vorinstanzen in diesem Zusammenhang auch werteten, dass diese Bemerkungen nicht als sexuelle Anspielung gemeint waren, so ist es zwar richtig, dass es auf die Absicht des Belästigers nicht ankommt, allerdings ergibt sich gerade bei zweideutig gemeinten Bemerkungen die sexuelle Konnotation oft nicht aus dem Wortlaut, sondern aus dem Tonfall oder der Betonung. Insoweit kann es sehr wohl von Bedeutung sein, ob eine sexuelle Anspielung beabsichtigt war oder nicht.
[51] Auch die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass eine zufällige Berührung des Gesäßes bei objektiver Betrachtung nicht geeignet ist, eine einschüchternde, feindselige oder demütigende Arbeitsumwelt zu schaffen, hält sich im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums. Der Kl ist zuzugestehen, dass eine solche Berührung, auch wenn sie unbeabsichtigt erfolgt, unerwünscht und unangenehm sein kann, allerdings ist ein derartiger einmaliger Vorfall, selbst wenn er vom anderen bei größerer Sorgfalt hätte vermieden werden können, nicht notwendigerweise prägend für die Arbeitsumwelt.
[52] Hinsichtlich des Sitzens auf der Armlehne des Fauteuils hat das Berufungsgericht in einer Gesamtbetrachtung sowohl die konkrete Situation, kurzfristige Annäherung, um etwas in einem Buch nachzusehen, sowie das generell lockere Verhältnis zwischen den Parteien berücksichtigt. Der Kl ist zuzugestehen, dass aufgrund des Hierarchiegefälles zwischen AG und AN der Umgangston in der Regel vom AG geprägt wird und aus einem defensiven Verhalten nicht auf mangelnde Erkennbarkeit der Unerwünschtheit oder gar auf Zustimmung geschlossen werden kann. Richtig ist auch, dass in der E 9 ObA 38/17d klargestellt wurde, dass die ausdrückliche oder stillschweigende Zurückweisung oder Ablehnung eines sexuell belästigenden Verhaltens durch die betroffene Person keine Tatbestandsvoraussetzung der sexuellen Belästigung iSd § 6 Abs 2 GlBG ist (RS0131404). Davon sind auch die Vorinstanzen ausgegangen. Dessen ungeachtet kann bei der Prüfung eines konkreten Falls auch das Verhältnis zwischen den Parteien zu berücksichtigen sein, um beurteilen zu können, ob bei objektiver Betrachtungsweise von einer Belästigung auszugehen ist. Im konkreten Fall ist nach den Feststellungen das Verhältnis zwischen den Parteien auch vom selbstbewussten Auftreten der Kl und dem „wechselseitigen Spaß an pointierten Formulierungen“ geprägt gewesen. Wenn das Berufungsgericht daher hinsichtlich dieses Vorfalls, bei dem es zu einer als unangenehm empfundenen Annäherung, aber zu keiner Berührung gekommen ist und dem zwar keine Notwendigkeit, aber der objektive Zweck zugrunde lag, etwas in einem Buch nachzulesen, davon ausgegangen ist, dass noch keine sexuelle Belästigung vorlag, liegt darin keine grobe Fehlbeurteilung. [...]
[54] Insgesamt ist daher die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, die inkriminierten Bemerkungen nicht als sexuelle Belästigung anzusehen, nicht korrekturbedürftig.
II. Zur Revision des Bekl:
[...]
[72] 4. Richtig wird in der Revision darauf hingewiesen, dass eine Voraussetzung für den Tatbestand der sexuellen Belästigung nach § 6 Abs 2 GlBG ist, dass das unerwünschte, unangebrachte oder anstößige Verhalten eine einschüchternde, feindselige oder demütigende Arbeitsumwelt für die betroffene Person schafft oder dies bezweckt.
[73] Dass im Rahmen der beruflichen Zusammenarbeit in einem arbeitsrechtlichen Ober- und Unterordnungsverhältnis eindeutige oder offen zweideutige 487 sexuelle Anspielungen geeignet sind, die Würde des anderen zu beeinträchtigen, ist nicht zu bezweifeln. Das gilt insb, wenn der Belästigte, was auch für die Tätigkeit der Kl für den Bekl vor Jänner 2018 gilt, in einer gewissen Abhängigkeit vom Belästiger steht. Davon ausgehend sind solche Bemerkungen auch objektiv geeignet, eine einschüchternde, feindselige oder demütigende Arbeitsumwelt für den Betroffenen zu schaffen, ist er doch unangebracht sexuellen Anspielungen ausgesetzt. Richtig sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass das auch auf die Bemerkung des Bekl gegenüber einer jüngeren, in einem Abhängigkeitsverhältnis stehenden Mitarbeiterin zutrifft. Festgestellt wurde auch, dass die Kl in der Folge subjektiv den Eindruck hatte, dass der Bekl an ihr als Frau interessiert sei, was ihr unangenehm war und sie auch ihr Verhalten darauf einstellte und sich ihm gegenüber reservierter verhielt als zuvor.
[74] Der Bekl argumentiert damit, dass bei der Kl nicht davon auszugehen sei, dass sie die Arbeitsumwelt in der Kanzlei als belastend angesehen habe, weil sie ungeachtet dieser Bemerkung ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis mit ihm eingegangen sei und sogar nach der Kündigung einen Anspruch auf ein aufrechtes Dienstverhältnis geltend gemacht habe. Es schließen sich aber entgegen der Ansicht des Bekl der Umstand, dass eine Situation in einem Arbeitsverhältnis als äußerst belastend empfunden wird und dass, aus welchen Gründen auch immer, dieses Arbeitsverhältnis angestrebt oder aufrecht erhalten wird, nicht aus. Insb würde es auch der Intention des GlBG diametral entgegenlaufen, würde man einer sexuellen Belästigung die Tatbestandsmäßigkeit absprechen, nur weil der AN das Arbeitsverhältnis aufgrund der belastenden Situation nicht beendet.
[75] Zu Recht sind daher die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass im gegebenen Zusammenhang die Bemerkung des Bekl eine sexuelle Belästigung iSd § 6 GlBG darstellt.
Im vorliegenden Fall war das Verhältnis zwischen AN und AG „generell locker“ und vom selbstbewussten Auftreten der AN und dem „wechselseitigen Spaß an pointierten Formulierungen“ geprägt. Auch gab es einen Konflikt hinsichtlich der Gestaltung des Arbeitsplatzes. In diesem Umfeld kam es zu Äußerungen und Verhaltensweisen, die von der AN als sexuell belästigend empfunden wurden. Es handelte sich um Grenzfälle, wie eine einmalige und kurzfristige unangebrachte körperliche Annäherung und Berührungen, und um eine lockere, teils flapsige Ausdrucksweise, bei der immer wieder fraglich war, ob die sprichwörtliche rote Linie überschritten wurde.
Der OGH setzte sich zunächst mit möglicherweise zweideutigen Äußerungen auseinander: So lobte der AG die AN für ihre Französischkenntnisse im Zusammenhang mit Übersetzungen aus dem Französischen, und er machte die Bemerkung, dass die AN nicht vor ihm knien müsse als die AN vor ihm hockte und er sie auf eine Sitzgelegenheit hinwies. Es konnte in beiden Fällen nicht festgestellt werden, dass die Äußerungen mit einem „Unterton“ und somit zweideutig erfolgten, und es wurde auch festgestellt, dass der AG sich nicht zweideutig habe äußern wollen.
Nun kommt es bei einer sexuellen Belästigung nicht auf die Absicht bzw auf den Nachweis eines Verschuldens des Belästigers an (siehe OGH 25.5.2016, 9 ObA 117/15v; EuGHC-177/88, Decker, ECLI:EU:C:1990:383, Rn 24). Es kann daher auch durch unabsichtliche Äußerungen zu einer Belästigung kommen (siehe OGH 15.12.2009, 1 Ob 189/09i, wobei sich in diesen Fällen die Frage stellt, ob es zu einer Würdeverletzung oder einer einschüchternden, feindseligen oder demütigenden Arbeitsumwelt kommt). Bei der Frage aber, ob es sich um eine zweideutige Bemerkung, dh überhaupt um eine die sexuelle Sphäre berührende Äußerung handelt, kommt der Absicht des Belästigers nun eine Bedeutung zu. Dies scheint gerade bei Äußerungen, die objektiv auch nicht belästigend gemeint sein können, sachgerecht, stellt aber die möglicherweise Betroffenen vor die praktische Schwierigkeit, dass sich die Absicht einer anderen Person schwer bescheinigen lässt.
Die Entscheidung setzt sich auch mit kurzen Berührungen und fehlendem körperlichen Abstand auseinander: So kam es zu einer einmaligen und unbeabsichtigten Berührung des Gesäßes der AN durch das Gesäß des AG, als dieser Rücken an Rü cken an dieser vorbeiging. Diese Berührung hätte bei größerer Vorsicht vermieden werden können. Ein weiterer Vorfall betraf eine Situation, in der sich der AG der AN mehr annäherte als dieser angenehm war: Die AN saß auf einem Fauteuil und studierte einen Kommentar. Als sie meinte, dass sie eine relevante Stelle gefunden habe, setzte sich der AG auf die Lehne des Fauteuils und nahm das Buch. Er blieb zwischen einer halben Minute und Minute auf der Lehne, und somit in unmittelbarer Nähe der AN, sitzen. Eine körperliche Annäherung bezweckte der AG dabei nicht. Die Berührung war für den OGH ein objektiv unerwünschtes und unangenehmes und die sexuelle Sphäre berührendes Verhalten, das die Würde der betroffenen AN berührte. Er qualifizierte diese einmalige Berührung aber nicht als sexuelle Belästigung, da durch sie noch keine einschüchternde, feindselige oder demütigende Arbeitsumwelt geschaffen wurde. Nun fehlen genauere Kriterien für eine solche negative Arbeitsumwelt im GlBG. Nach der Judikatur muss die sexuelle belästigende Verhaltensweise, auch wenn sie nur einmal gesetzt wurde, einen gewissen Dauerzustand schaffen oder bezwecken, und so die Arbeitsumwelt negativ (dh einschüchternd, feindselig oder demütigend) kennzeichnen (OGH 27.2.2012, 9 ObA 21/12x mit Verweis auf 488BAG 24.9.2009, 8 AZR 705/08 = NZA 2010, 387, welches sich wiederum auch an der US-amerikanischen Rsp orientiert). Das Schaffen bzw das Bezwecken eines feindlichen Arbeitsumfelds wird in einer Gesamtschau beurteilt, was ein differenziertes Eingehen auf die im Einzelfall vorliegenden Machtstrukturen und Machtverhältnisse ermöglicht.
Der OGH kam zu dem Ergebnis, dass eine einmalige und unbeabsichtigte Berührung für sich nicht (negativ) prägend für die Arbeitsumwelt ist, auch wenn sie bei größerer Vorsicht vermieden hätte werden können. Dem ist zuzustimmen. Wäre eine einmalige Berührung hingegen beabsichtigt gewesen, wäre dies ein Hinweis auf sexuell gefärbte Machtausübung, die häufig hinter sexuellen Belästigungen steht (OGH 17.3.2004, 9 ObA 143/03z) und somit sehr wohl geeignet, eine negative Arbeitsumwelt zu schaffen.
Auch das kurzfristige körperliche Näherkommen qualifiziert der OGH nicht als sexuelle Belästigung. Er bezog sich hier vor allem auf die Umstände: Dem Näherkommen lag ein objektiver Zweck, nämlich das Nachlesen in einem Buch, zugrunde, und es handelte sich um einen sehr kurzen Zeitraum (zwischen 30 und 60 Sekunden). Der OGH verweist in diesem Zusammenhang zwar auf das allgemeine Hierarchiegefälle zwischen AG und AN, betont aber auch das selbstbewusste Auftreten der AN und den „wechselseitigen Spaß an pointierten Formulierungen“ zwischen AN und AG. Auch wenn dem OGH und den Vorinstanzen im Ergebnis zuzustimmen ist – es handelt sich um einmaliges, die Arbeitsumwelt nicht negativ beeinträchtigendes Verhalten –, verwundert letzterer Verweis auf den lockeren Umgangston: Körperliche und verbale Grenzen sind nicht gleichzusetzen.
Der OGH wertete die Aussage des AG, die er tätigte, als die AN einen Hund streichelte, nämlich dass die Tanzpartner der AN wohl auch zutraulich seien und ihr wohl auch „alle Körperteile entgegenstrecken“
würden, als sexuelle Belästigung. Diese Äußerung war, so der OGH, jedenfalls geeignet, die Würde der AN objektiv zu verletzen und eine demütigende Arbeitsumwelt zu schaffen – und sie schuf auch eine negative Arbeitsumwelt, denn die AN begann nach dieser ihr unangenehmen Aussage, sich zunehmend reservierter zu verhalten.
Der OGH verwies hier ausdrücklich auf die Abhängigkeit der AN und das arbeitsrechtliche Oben- und Unterordnungsverhältnis. Unter diesen Umständen besteht kein Spielraum für eindeutige oder offen zweideutige Äußerungen; die Frage, wie diese gemeint oder beabsichtigt sind, stellt sich nicht. Das ist nicht nur vor dem Hintergrund des Abhängigkeitsverhältnisses der AN zutreffend. Das Verhalten und die Sprache von AG und Führungskräften haben aufgrund ihrer Stellung im Betrieb eine ungleich größere Auswirkung auf die Arbeitsumwelt als das Verhalten und die Sprache von Kolleg:innen: Dies bildet häufig einen „internen“ Maßstab dahingehend, was akzeptiert wird bzw akzeptiert werden muss. Nur wenn sich die Betroffenen auch ohne Veranlassung durch ihren AG oder ihre Führungskraft einer entsprechenden Ausdruckweise bedienen, liegt der Schluss nahe, dass keine einschüchternde, feindselige oder demütigende Arbeitsumwelt bezweckt oder geschaffen wurde (OGH 20.4.2017, 9 ObA 38/17d).
Die E des OGH zeigt, wie komplex die Aufarbeitung von Verhaltensweisen in Arbeitsverhältnissen ist, die an der Grenze zur sexuellen Belästigung liegen bzw diese überschreiten. Gerade für die oft kontrovers diskutierte Frage „Was denn noch gesagt werden darf“ bietet diese E eine dem Arbeitsverhältnis angemessene Antwort: Während bei nicht eindeutig sexuell konnotierten Äußerungen der Frage, ob eine sexuelle Anspielung beabsichtigt war, eine Bedeutung zukommt, gibt es bei eindeutig oder offen zweideutigen Äußerungen kaum Spielraum, sofern eine entsprechende Kommunikation nicht auch unaufgefordert von den Betroffenen gepflegt wird. 489