128Vorenthalten des Entgelts, weil Arbeitnehmer Kurzarbeitsvereinbarung verweigert – vorzeitiger Austritt gerechtfertigt
Vorenthalten des Entgelts, weil Arbeitnehmer Kurzarbeitsvereinbarung verweigert – vorzeitiger Austritt gerechtfertigt
Die Kl war seit 8.6.1995 beim Bekl beschäftigt und mit der Leitung eines Souvenirshops betraut. Da die Betriebsstätte des Bekl aufgrund der COVID-Maßnahmen geschlossen war, vereinbarten die Parteien für die Zeit von April bis September 2020 Kurzarbeit. Der Bekl forderte die Kl mehrfach auf, der Verlängerung der Kurzarbeit bis Dezember 2020 zuzustimmen, womit die Kl aber nicht einverstanden war. Da die Betriebsstätte des Bekl weiterhin geschlossen war, erbrachte die Kl keine Arbeitsleistung. Der Bekl leistete deshalb ab Oktober 2020 keine weiteren Zahlungen, obwohl die Kl das offene Entgelt mehrfach urgierte. Schließlich endete das Dienstverhältnis am 30.12.2020 durch den vorzeitigen Austritt der Kl.
Die Kl begehrt mit ihrer Klage € 19.683,84 brutto sA an Entgelten bis Dezember 2020, Urlaubsersatzleistung, Kündigungsentschädigung und den fälligen Abfertigungsteil, die Feststellung ihres weiteren Abfertigungsanspruchs sowie die Ausstellung eines Dienstzeugnisses.
Der Bekl wendete ein, dass die Kl aufgrund der Schließung der Betriebsstätte keine Arbeitsleistungen erbringen habe können und durch die Verweigerung der Kurzarbeit gegen ihre Treuepflicht verstoßen habe.
Das Erstgericht gab der Klage – mit Ausnahme eines auf eine Entgeltdifferenz entfallenden Teilbetrags des Zahlungsbegehrens von € 311,08 brutto sA – statt. Die Kl sei zum Austritt berechtigt gewesen, weil sie der Kurzarbeit nicht zustimmen habe müssen und sie nach § 1155 Abs 3 ABGB trotz Schließung des Betriebs des Bekl ihre Entgeltansprüche behalten habe. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.
Der OGH erachtete die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Bekl wegen des Fehlens von Rsp des OGH zu der hier maßgeblichen Rechtsfrage für zulässig, aber nicht berechtigt und führte aus:
Kurzarbeit ist eine arbeitsmarktpolitisch geförderte Maßnahme zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit, mit der Kündigungen bei vorübergehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten vermieden werden. Die Voraussetzungen, unter denen Kurzarbeitsbeihilfen beansprucht werden können, sind in § 37b AMSG und den Sozialpartnervereinbarungen geregelt. Während der COVID-19-Pandemie bestand etwa die Möglichkeit, dass dem AG die über das Entgelt für die tatsächlich erbrachten Arbeitsleistungen hinausgehenden Kosten ersetzt werden und die AN zumindest 80 % ihres bisherigen Nettogehalts beziehen.
Die Kurzarbeit ist mit einer Änderung des Arbeitsvertrags verbunden, die zu einer Verringerung der Normalarbeitszeit und einer entsprechenden Kürzung des Entgeltanspruchs des AN führt. Die Einführung der Kurzarbeit erfordert deshalb entweder eine BV nach § 97 Abs 1 Z 13 ArbVG oder eine Einzelvereinbarung zwischen AG und AN. Der OGH hat bereits darauf hingewiesen, dass der AG eine solche Änderung des Umfangs der Arbeitspflicht angesichts der damit verbundenen Reduktion des Entgeltanspruchs selbst dann nicht einseitig anordnen kann, wenn betriebliche Erfordernisse einer Weiterbeschäftigung des AN im bisherigen Umfang entgegenstehen.
Im vorliegenden Fall stellt der Bekl gar nicht in Abrede, dass die Einführung von Kurzarbeit der Zustimmung der Kl bedurft hätte, diese habe aber durch die Verweigerung ihrer Zustimmung gegen ihre Treuepflicht verstoßen. Richtig ist, dass den AN eine Treuepflicht trifft, die ihn dazu verhält, auf betriebliche Interessen des AG entsprechend Rücksicht zu nehmen. Der OGH hat aber bereits ausgesprochen, dass die Treuepflicht nicht so weit geht, dass der AN am unternehmerischen Risiko seines AG partizipieren und bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens auf einen Teil seines Einkommens verzichten müsste. Stimmt der AN einer Reduktion seiner Arbeitszeit nicht zu, so bleibt dem AG nur die Möglichkeit einer – allenfalls (Änderungs-) – Kündigung.
Der Bekl hat aber keine solche Kündigung ausgesprochen, sondern stattdessen der Kl die Fortzahlung des Entgelts verweigert. Nach § 26 Z 2 AngG ist es als ein wichtiger Grund, der den Angestellten zum vorzeitigen Austritt berechtigt, anzusehen, wenn der DG das dem Angestellten zukommende Entgelt ungebührlich schmälert oder 282 vorenthält. Von einer ungebührlichen Schmälerung oder einem ungebührlichen Vorenthalten des Entgeltes kann nur dann ausgegangen werden, wenn der AG gewusst hat oder infolge der ihm obliegenden Sorgfaltspflicht hätte wissen müssen, dass seine Vorgangsweise unrechtmäßig ist. Kein Austrittsrecht besteht etwa dann, wenn über das Bestehen gewisser Zulagen verschiedene Rechtsmeinungen vertreten werden könnten und daher der Ausgang eines diesbezüglichen Rechtsstreites nicht abzusehen war. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.
Mit dem 2. COVID-19-Gesetz BGBl I 2020/16wurde in § 1155 ABGB ein dritter Absatz angefügt, wonach AN, deren Dienstleistungen aufgrund von Verboten oder Einschränkungen des Betretens von Betrieben nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz BGBl I 2020/12 nicht zustande kommen, ihren Entgeltanspruch behalten. Nach § 1503 Abs 14 ABGB trat § 1155 Abs 3 ABGB rückwirkend mit 15.3.2020 in Kraft und mit 31.12.2020 außer Kraft. Die Entgeltansprüche der Kl fallen in den zeitlichen Anwendungsbereich dieser Vorschrift. Im Übrigen wird der Fortbestand des Entgeltanspruchs nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen in diesem Zusammenhang für verschiedenste Konstellationen vertreten. Die gesetzlichen Vorgaben waren jedenfalls eindeutig.
Das Abweichen von einer klaren Gesetzeslage ohne sorgfältige Überlegungen und Darlegung der Gründe bedeutet eine unvertretbare Rechtsansicht und ein ungebührliches Vorenthalten des Entgelts. Die Behauptung, dass die Verpflichtung zur Fortzahlung des vereinbarten Entgelts einen unverhältnismäßigen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Eigentumsrecht des Bekl bedeute, ist nicht nachvollziehbar, weil er ja die Möglichkeit gehabt hätte, den Arbeitsvertrag – wenn auch unter Einhaltung der dafür vorgesehenen Fristen – zu kündigen. Die Rechtsansicht des Bekl, dass die Kl ihren Entgeltanspruch verlieren soll, wenn sie einer Kurzarbeit nicht zustimmt, ist mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht vereinbar und findet weder in der Rsp noch in der Literatur eine Stütze.
Im Ergebnis hätte dem Bekl infolge der ihm obliegenden Sorgfaltspflicht bekannt sein müssen, dass er, auch wenn die Kl eine Fortsetzung der Kurzarbeit abgelehnt hat, nach § 1155 Abs 3 ABGB zur Fortzahlung des Entgelts verpflichtet war, weshalb die Kl zum vorzeitigen Austritt berechtigt war.