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Frage der „Folgepflicht“ bei Betriebsverlegung als zulässiger Regelungsgegenstand des Kollektivvertrags

MARTINACHLESTIL
Pkt 39 KollV für das Bordpersonal; § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG

Im vorliegenden Fall begehrte der kl BR die Feststellung nach § 54 Abs 1 ASGG, dass die von ihm vertretenen AN (an den Bundesländer-Basen) nicht verpflichtet sind, der Anordnung der bekl AG (ein österreichisches Flugunternehmen) Folge zu leisten, mit 1.6.2021 ihren Dienstort nach Wien zu verlegen, soweit diese Versetzung nicht mit ihrem Einvernehmen erfolgt.

Er stützt sich dazu auf den anzuwendenden KollV für das Bordpersonal (OS-KollV Bord 2015), der folgende Bestimmung enthält:

„39 VERSETZUNG

Eine örtliche Versetzung, die den Zeitraum von 13 Wochen übersteigt, kann nur im Einvernehmen mit dem Dienstnehmer durchgeführt werden und ist vertraglich zu regeln. Der Betriebsrat ist beratend beizuziehen. Ist mit der Versetzung eine Verschlechterung der Entgelt- oder sonstigen Arbeitsbedingungen verbunden, so bedarf sie zu ihrer Rechtswirksamkeit der Zustimmung des Betriebsrates.“

Die Vorinstanzen gaben der Klage des BR statt. Der OGH schloss sich ihnen an.

In einem vorangegangenen Verfahren war nach Klage der (nunmehr bekl) AG gem § 101 ArbVG die gerichtliche Zustimmung zur Versetzung von 185 namentlich angeführten AN nach Wien erteilt worden (siehe dazu OGH9 ObA 10/22vDRdA-infas 2022/4, 224 [Chlestil]).

Zu berücksichtigen ist aber, dass bei einer vertragsändernden Versetzung eines AN die fehlende Zustimmung des AN durch eine Zustimmung des BR iSd § 101 ArbVG nicht ersetzt werden kann. Der Ausgang des Verfahrens nach § 101 ArbVG ist folglich für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens über die Frage, ob eine Zustimmung des einzelnen AN zu seiner Versetzung notwendig ist, insoweit ohne Bedeutung.

Pkt 39 des KollV verlangt für eine örtliche Versetzung nicht nur, dass sie „vertraglich zu regeln [ist]“, sondern auch, dass sie „im Einvernehmen mit dem Dienstnehmer durchgeführt [wird]“. Damit erhält sogar ein AN, der vorab in seinem Arbeitsvertrag einen Versetzungsvorbehalt des AG akzeptiert hat, im Ergebnis ein Vetorecht. Pkt 39 des KollV besitzt deshalb einen eigenen Regelungsinhalt und sichert vor allem die Rechtsposition solcher AN ab, die aufgrund des Inhalts ihres Einzelvertrags eine (den Zeitraum von 13 Wochen übersteigende) Versetzung sonst nicht beeinspruchen könnten.

Nach § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG können durch Kollektivverträge die „gegenseitigen aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer“ geregelt werden. Der AN hat die Arbeiten an jenem oder jenen Ort(en) zu leisten, für den oder die er sich verpflichtet hat. Die Frage des Arbeitsorts betrifft unmittelbar die „gegenseitigen aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer“ (§ 2 Abs 2 Z 2 ArbVG) und ist damit grundsätzlich ein tauglicher Regelungsgegenstand eines KollV. Richtig ist zwar, dass § 2 Abs 2 Z 2 297 ArbVG von der Rsp einschränkend dahin ausgelegt wird, dass nur der typische, wesentliche oder regelmäßig wiederkehrende Inhalt eines Arbeitsverhältnisses einer kollektivvertraglichen Regelung unterworfen werden kann. Die Regelung des Arbeitsorts wird jedoch vom Gesetzgeber selbst als typischer Inhalt eines Arbeitsvertrags betrachtet, ordnet doch die mit „Schriftliche Aufzeichnung des Inhalts des Arbeitsvertrages“ überschriebene Vorschrift des § 2 AVRAG in ihrem Abs 2 Z 6 an, dass der Dienstzettel den „gewöhnlichen Arbeitsort“ anzuführen hat.

Einzuräumen ist, dass den AN – wenn der AG den Betrieb verlegt – im Einzelfall eine sogenannte Folgepflicht treffen kann (vgl OGH 11.6.1997, 9ObA121/97b&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">9 ObA 121/97b; OGH 9.7.1999, 9ObA51/99m&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">9 ObA 51/99m; OGH 14.6.2000, 9ObA48/00z&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">9 ObA 48/00z). Die Frage des Bestehens einer „Folgepflicht“ ist aber selbst nichts anderes als jene, ob sich der Dienstort des AN unter Umständen auch ohne dessen Einverständnis ändern kann. Die Frage der Folgepflicht ist daher genauso wie jene des ursprünglichen Dienstorts ein Regelungsgegenstand iSd § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG. Weil Pkt 39 des KollV nur die Frage regelt, unter welchen Voraussetzungen den AN eine Folgepflicht trifft, ist Pkt 39 ein typischer Inhalt eines Arbeitsverhältnisses iS dieser Bestimmung.

Die außerordentliche Revision der bekl AG war daher mangels einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.