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Keine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei Pensionsabschlägen wegen Präsenzdienstzeiten

ALEXANDER PASZ

Der Kl leistete von Juli 1976 bis Februar 1977 Präsenzdienst. Zum Stichtag der beantragten Korridorpension am 1.6.2020 lagen 532 Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit und acht Ersatzmonate des Präsenzdienstes vor. Die bekl Pensionsversicherungsanstalt anerkannte bescheidmäßig den Anspruch des Kl auf eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer nach dem ASVG ab 1.6.2020. Dabei nahm sie eine Verminderung der monatlichen Bruttoleistung (Abschlag) um 8,75 % aufgrund der Inanspruchnahme vor dem Regelpensionsalter vor. Im weiteren sozialgerichtlichen Verfahren lehnten die Vorinstanzen das Klagebegehren, das auf Zuerkennung einer vorzeitigen Alterspension ohne Abschläge gerichtet war, ab.

Der OGH hielt aufgrund der außerordentlichen Revision Folgendes fest:

Nach § 236 Abs 4b ASVG idF Pensionsanpassungsgesetz (PAG) 2020 (BGBl I 2019/98) sind Abschläge bei der Pensionsberechnung unzulässig, wenn die versicherte Person mindestens 540 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit erworben hat, wobei auch bis zu 60 Versicherungsmonate für Zeiten der Kindererziehung als Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit gelten. Zur inhaltsgleichen Regelung in der PV der gewerblich Selbständigen, in § 120 Abs 7 GSVG hat der OGH in der E 10 ObS 175/21i vom 22.2.2022 ausgesprochen, dass Ersatzzeiten für den Präsenzdienst nach § 227 Abs 1 Z 7 und 8 ASVG aufgrund des klaren Wortlauts des Gesetzes keine Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit darstellen und daher einen Abschlag für den vorzeitigen Pensionsantritt nicht verhindern können. Der OGH hat in dieser E auch eine verfassungsrechtlich unsachliche Differenzierung im Vergleich zu den Zeiten der Kindererziehung mit ausführlicher Begründung verneint und eine verfassungskonforme Auslegung dieser Bestimmung sowie eine Gesetzesanalogie mit dem Ergebnis, dass auch Ersatzzeiten des Präsenzdienstes als qualifizierte Beitragsmonate anzusehen seien, abgelehnt. In der E 10 ObS 24/22k vom 29.3.2022 wiederholte der OGH diese Ansicht auch zu § 236 Abs 4b ASVG.

Das Besondere am gegenständlichen Verfahren war, dass der Kl auch geltend machte, er werde aufgrund § 236 Abs 4b ASVG „(un)mittelbar“ iSd Art 4 Abs 1 der Richtlinie (RL) 79/7/EWG des Rates vom 19.12.1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (RL 79/7/EWG) diskriminiert.

Kernstück der RL 79/7/EWG ist gem Art 4 Abs 1 3. Gedankenstrich der Grundsatz der Gleichbehandlung, der den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts beinhaltet, insb unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand, bei der Berechnung von (Geld-)Leistungen. Nachdem § 236 Abs 4b ASVG jedoch nach seinem Wortlaut nicht zwischen Männern und Frauen unterscheidet, liegt die vom Kl behauptete unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nicht vor. Darüber hinaus stellte der OGH – ähnlich argumentierend wie in 10 ObS 175/21i vom 22.2.2022 zur Frage einer möglichen Gleichheitswidrigkeit in Bezug auf die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten – auch klar, dass keine mittelbare Diskriminierung vorliegt, da weibliche Versicherte, die vor dem 1.1.2024 das 60. Lebensjahr vollenden, bereits mit diesem Zeitpunkt Anspruch auf eine (Regel-)Alterspension ohne Abschläge haben. § 236 Abs 4b ASVG begünstigt daher de facto ausschließlich männliche Versicherte. Weibliche Versicherte könnten diese Regelung nur theoretisch in Anspruch nehmen, wenn sie vor der Vollendung des 15. Lebensjahres eine Erwerbstätigkeit antreten und bis zum Pensionsantritt (nahezu) durchgängig Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit oder Ersatzmonate für Zeiten der Kindererziehung erworben haben. Dies ist – abgesehen von Ausnahmefällen in der bäuerlichen PV – (nahezu) ausgeschlossen. Dementsprechend entschied der 313 OGH, dass die Nichtberücksichtigung von Präsenzdienstzeiten bei der Abschlagsfreiheit im Einklang mit der RL 79/7/EWG steht und wies somit die außerordentliche Revision mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zurück.