156Bezug einer ausländischen Pension – Kein Anspruch auf Pflegegeld trotz Mitversicherung in der Krankenversicherung und Wohnsitz in Österreich
Bezug einer ausländischen Pension – Kein Anspruch auf Pflegegeld trotz Mitversicherung in der Krankenversicherung und Wohnsitz in Österreich
Für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nach § 3a Abs 1 BPGG sind allein die Kollisionsregeln nach Art 11 ff VO (EG) 883/2004 heranzuziehen.
Die Mitversicherung des Kl als Angehöriger nach dem ASVG vermittelt diesem keinen eigenen oder abgeleiteten Anspruch auf Leistungen der österreichischen Krankenversicherung.
Der Kl ist slowakischer Staatsbürger und hält sich seit 2012 ständig in Österreich auf. Er bezieht vom slowakischen Versicherungsträger eine Invaliditätsrente (Invaliditätspension). In Österreich erhält er eine Ausgleichszulage. In der Slowakei war der Kl von 1.1.2010 bis 31.12.2011 krankenversichert, seither besteht keine KV in der Slowakei. In Österreich ist der Kl in der KV als Angehöriger mitversichert.
Mit Bescheid vom 25.7.2018 lehnte die bekl Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Kl vom 5.7.2018 auf Zuerkennung von Pflegegeld ab. Mit seiner dagegen gerichteten Klage begehrt der Kl die Zuerkennung von Pflegegeld im gesetzlichen Ausmaß.
Das Erstgericht sprach dem Kl Pflegegeld der Stufe 1 ab dem 1.8.2018 zu und wies das Mehrbegehren ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl gegen dieses Urteil Folge und wies das Klagebegehren ab. Die Zuständigkeit zur Gewährung von Leistungen bei Krankheit – wozu das Pflegegeld zähle – gem Art 29 Abs 1 iVm Art 21 VO (EG) 883/2004 liege aufgrund der slowakischen Rente bei der Slowakei. Die Revision sei zulässig, weil Rsp zur Frage fehle, ob eine aufrechte österreichische Kranken-(mit-)versicherung zu einem Anspruch auf Pflegegeld führe, auch wenn Österreich nach der VO (EG) 883/2004 nicht zur Gewährung von Pflegegeld zuständig sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Kl, mit der dieser die Stattgebung der Klage anstrebt. Der Kl argumentiert, dass er in Österreich krankenversichert sei und in keinem anderen Mitgliedstaat der Union eine KV existiere. Er sei daher anspruchsberechtigt gem § 3a Abs 1 BPGG. Auch eine Mitversicherung in der KV und die damit verbundene Leistungsverpflichtung führe zur Zuständigkeit Österreichs.
Der OGH entschied, dass die Revision aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, jedoch nicht berechtigt ist.
„1. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass der Kläger nicht anspruchsberechtigt gemäß § 3 Abs 1 318 BPGG ist, weil er keine der dort genannten Grundleistungen bezieht, ist zutreffend und wird in der Revision nicht mehr in Frage gestellt.
2.1 Auf den Anspruch des Klägers ist daher § 3a BPGG anwendbar. Unstrittig hat der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und ist infolge seines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts österreichischen Staatsbürgern gemäß § 3a Abs 2 Z 3 BPGG gleichgestellt.
2.2 Weitere – negative – Anspruchsvoraussetzung gemäß § 3a Abs 1 BPGG ist, dass nicht ein anderer Mitgliedstaat nach der VO (EG) 883/2004 für Pflegeleistungen zuständig ist. Der persönliche und sachliche Anwendungsbereich der Verordnung ist im vorliegenden Fall unstrittig eröffnet. Für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nach § 3a Abs 1 BPGG sind nach ständiger Rechtsprechung allein die Kollisionsregeln nach Art 11 ff VO (EG) 883/2004 heranzuziehen […].
2.3 Der Kläger geht als Pensionist keiner Beschäftigung nach. Nach der allgemeinen Regelung des Art 11 Abs 3 lit e VO (EG) 883/2004 wäre für den Kläger Österreich dann als Wohnmitgliedstaat zuständig, wenn dem nicht anders lautende Bestimmungen der Verordnung entgegenstehen.
2.4 Eine Leistung bei Krankheit, wie das Pflegegeld nach dem BPGG, […] ist […] als Geldleistung im Sinn der Art 21 ff VO (EG) 883/2004 anzusehen. […]
3.1 Geldleistungen (bei Krankheit) werden einer Person, die eine Rente nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats erhält, gemäß Art 29 Abs 1 VO (EG) 883/2004 vom zuständigen Träger des Mitgliedstaats gewährt, in dem der zuständige Träger seinen Sitz hat, der die Kosten für die dem Rentner in dessen Wohnmitgliedstaat gewährten Sachleistungen zu tragen hat.
3.2 Die Mitversicherung des Klägers als Angehöriger nach dem ASVG vermittelt diesem keinen eigenen oder abgeleiteten Anspruch auf Leistungen der österreichischen Krankenversicherung; der Anspruch steht vielmehr dem Versicherten selbst für sich und seine Angehörigen zu. Die Angehörigen selbst können Leistungen aus der Krankenversicherung – abgesehen von hier nicht relevanten Ausnahmefällen – nicht beanspruchen […].
3.3 Den zuständigen Staat für Rentenbezieher, die – wie der Kläger – keinen Anspruch auf (Sach-)Leistungen bei Krankheit oder Mutterschaft nach dem Recht ihres Wohnmitgliedstaats besitzen, jedoch nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften sie eine Rente (Pension) beziehen, solche Leistungen erhalten könnten, wenn sie dort wohnten, bestimmt Art 24 VO (EG) 883/2004 […]. Dies ist nach den vorliegenden Verfahrensergebnissen die Slowakei, weil der Kläger eine Invaliditätspension nach slowakischem Recht bezieht (Statut der Rentenleistung; vgl Art 24 Abs 1 und Abs 2 lit a VO [EG] 883/2004 […]). Auf das tatsächliche Bestehen einer Krankenversicherung in der Slowakei – mangels ständigen Wohnsitzes in der Slowakei […] – kommt es daher […] nach der hier ausschließlich kollisionsrechtlich vorzunehmenden Beurteilung nicht an.
[…]
Da Österreich nicht im Sinn des § 3a Abs 1 BPGG zur Gewährung von Pflegeleistungen international zuständig ist, hat das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf Zuerkennung von Pflegegeld mangels Anspruchsberechtigung zu Recht verneint.“
In der vorliegenden E werden Fragen des Anspruchs auf Pflegegeld in Verbindung mit kollisionsrechtlichen Fragen der EU-Koordinierungsverordnung behandelt.
Der OGH hält zuerst fest, dass der Kl nicht anspruchsberechtigt gem § 3 Abs 1 BPGG ist, weil er keine der dort genannten Grundleistungen (wie etwa eine österreichische Pension) bezieht. Hierzu sei nur ergänzend angemerkt, dass es sich bei den in § 3 Abs 1 BPGG aufgezählten Grundleistungen um eine taxative Aufzählung handelt. Da die Ausgleichszulage nicht im Katalog der Grundleistungen enthalten ist – insb ist sie keine Pension, sondern eine Annexleistung zu einer Pension (Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 292 ASVG Rz 6) –, ist der Anspruch auf Pflegegeld nach § 3 Abs 1 BPGG nicht eröffnet.
Anspruch auf Pflegegeld nach § 3a Abs 1 BPGG haben österreichische Staatsbürger:innen oder ihnen gem Abs 2 gleichgestellte Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben (zum Export des Pflegegeldes im Anwendungsbereich der Koordinierungsverordnung vgl Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld4 3. Kapitel Rz 3.79), sofern nicht ein anderer Mitgliedstaat für Pflegeleistungen zuständig ist. Diese Negativvoraussetzung wurde erst mit der Novellierung des § 3a BPGG (BGBl I 2015/12) ab 1.1.2015 eingeführt. Ziel dieser Novelle war es, die Zuständigkeit Österreichs auf jene Pflegeleistungen einzuschränken, für die Österreich auch im Rahmen der Koordination als Leistung bei Krankheit zuständig ist. Anlass dafür war, dass der OGH zuvor in mehreren Entscheidungen (17.6.2014, 10 ObS 2/14p, 10 ObS 36/14p) dem EuGH folgend (12.6.2012, C-611/10, Hudzinski und Wawrzyniak) klarstellte, dass bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 3a BPGG idF BGBl I 2012/58BGBl I 2012/58 auch dann ein Anspruch auf Bundespflegegeld besteht, wenn nach Unionsrecht ein anderer Mitgliedstaat für Geldleistungen bei Krankheit zuständig ist. Die negative Anspruchsvoraussetzung in der aktuellen Fassung des § 3a Abs 1 BPGG ist unionsrechtskonform, da der EuGH in der oben genannten Rsp den Mitgliedstaaten lediglich das Recht – und nicht die Pflicht – einräumt, über die Zuständigkeitsregeln der VO 883/2004 hinaus Leistungen nach nationalem 319 Recht zu gewähren (Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld4 3. Kapitel Rz 3.32 ff).
Der Kl erfüllt die ersten beiden Voraussetzungen des § 3a Abs 1 BPGG zweifelsfrei. Es ist daher nach der VO 883/2004 zu prüfen, welcher Staat für die entsprechende Leistung zuständig ist.
Nach der allgemeinen Regelung des Art 11 Abs 3 lit e VO 883/2004 unterliegt der Kl mangels Erwerbstätigkeit grundsätzlich den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats und damit Österreichs, jedoch unbeschadet anders lautender Bestimmungen der VO. Hier ist daher eine genauere Überprüfung, um welche Leistung es sich beim Pflegegeld handelt und ob für diese die Zuständigkeit anderslautend geregelt ist, erforderlich.
Nach der stRsp des EuGH ist das Pflegegeld als Leistung bei Krankheit, und zwar als Geldleistung iSd Art 21 ff VO 883/2004, einzustufen (vgl EuGH 8.3.2001, C-215/99, Jauch/Österreich, Rn 28; EuGH 21.2.2006, C-286/03, Hosse/Österreich, Rn 38; EuGH 30.6.2011, C-388/09, da Silva Martins/Deutschland, Rn 45). Geldleistungen für Rentner sind jedoch speziell in Art 29 VO 883/2004 geregelt, wonach jener Mitgliedstaat zuständig ist, der die Kosten für die dem Rentner in seinem Wohnmitgliedsstaat gewährten Sachleistungen zu tragen hat. Die Zuständigkeit für die Kostentragung der Sachleistungen wiederum sind in Art 23 f VO 883/2004 geregelt. Art 23 VO 883/2004 ist auf Fälle, in denen eine Person von zwei oder mehreren Mitgliedstaaten eine/mehrere Rente(n) bezieht, wovon einer der Wohnmitgliedstaat ist, anwendbar. Ein solcher Fall liegt in der klagsgegenständlichen Konstellation jedoch nicht vor, da der Kl aus seinem Wohnmitgliedstaat Österreich eben keine Rente bzw Pension bezieht.
Demnach muss die Zuständigkeit nach Art 24 VO 883/2004, der für Rentner:innen ohne Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats gilt, bestimmt werden. Diesbezüglich erörtert der OGH in Übereinstimmung mit seiner Rsp in 10 ObS 305/99x vom 14.12.1999, dass die Mitversicherung des Kl als Angehöriger nach dem ASVG diesem keinen eigenen oder abgeleiteten Anspruch auf Leistungen der österreichischen KV vermittelt; der Anspruch steht vielmehr dem Versicherten selbst für sich und seine Angehörigen zu. Die in Art 24 Abs 1 VO 883/2004 beschriebene Situation, in der die betroffene Person keinen Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats hat, liegt also vor. Für diese Fälle bestimmt Art 24 Abs 1 VO 883/2004 nun, dass Rentner:innen trotzdem Sachleistungen bei Krankheit erhalten, wenn nach den Rechtsvorschriften des für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaats Anspruch auf Sachleistungen bestünde, wenn sie in diesem Mitgliedstaat wohnten. Diese Sachleistungen werden aushilfsweise vom Träger des Wohnorts für Rechnung des zuständigen Staats erbracht. Wenn die betroffene Person – wie im vorliegenden Fall – nur aus einem Mitgliedstaat eine Rente erhält, so ist gem Art 24 Abs 2 lit a VO 883/2004 dieser Staat für die Kostentragung der Sachleistungen bei Krankheit zuständig. Nach Art 29 VO 883/2004 ist dieser Staat zudem für die Geldleistungen bei Krankheit, und damit auch für das Pflegegeld, zuständig. Im Falle des Kl ist damit die Slowakei für das Pflegegeld zuständig, da der Kl in Österreich keinen Anspruch auf Sachleistungen hat und – hätte er seinen Wohnort in der Slowakei – nach Art 23 VO 883/2004 dort einen Anspruch auf Sachleistungen hätte.
Die Conclusio des OGH ist demnach, dass Österreich nicht iSd § 3a Abs 1 BPGG zur Gewährung von Pflegeleistungen international zuständig ist. Der Anspruch des Kl auf Zuerkennung von Pflegegeld ist daher zu verneinen.