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KollV für das Bordpersonal der AUA: Kollektivvertraglich normierte Einschränkung des Entlassungstatbestands der Dienstunfähigkeit zulässig

CHRISTOSKARIOTIS

Der Kl war ab 27.10.1983 bei der Bekl (bzw deren Rechtsvorgängerin) als Linienpilot beschäftigt. Eine depressive Erkrankung des Kl führte 2014 zu einem Suizidversuch. Mit Bescheid vom 10.3.2017 stellte die Austro Control Österreichische Gesellschaft für Zivilluftfahrt mbH beim Kl die dauerhafte flugmedizinische Untauglichkeit fest. Im Hinblick auf diesen Bescheid sprach die Bekl am 31.5.2017 die Entlassung des Kl aus. In ihrem Entlassungsschreiben hielt sie fest, dass der Kl auch in der Zukunft fluguntauglich (§ 27 Z 2 AngG) und überdies der Lizenzentzug nicht unverschuldet sei.

Auf das Dienstverhältnis gelangte der KollV für das AUA Bordpersonal („KollV-Bord“) zur Anwendung. Der dem arbeitsrechtlichen Teil (Teil 3) des KollV-Bord zugehörige Pkt 32 trägt die Überschrift „Kündigung, Entlassung und Auflösung des Dienstverhältnisses“ und sieht ua Folgendes vor:

„32.6 Wird dem Dienstnehmer die behördliche Erlaubnis zur Ausübung der in seinem Dienstvertrag bedungenen Dienste aus seinem Verschulden dauerhaft entzogen, so kann das Dienstverhältnis durch den Dienstgeber aus wichtigem Grund im Sinne des Angestelltengesetzes aufgelöst werden.

32.7 Wird dem Dienstnehmer die behördliche Erlaubnis zur Ausübung der in seinem Dienstvertrag bedungenen Dienste ohne sein Verschulden entzogen, kann der Dienstnehmer um Karenz ansuchen, um eine Klärung der künftigen Tauglichkeit zur Leistung der bedungenen Dienste zu ermöglichen. Der Dienstgeber hat diese im Höchstausmaß eines Jahres zu gewähren. Für die Dauer der Karenz ruhen die beiderseitigen Rechte und Pflichten aus dem Dienstverhältnis. Diese Karenz wird für die dienstzeitabhängigen Ansprüche (insbesondere für die allfällige Vorrückung, den Urlaubsanspruch, die Entgeltfortzahlung bei Dienstverhinderung, das Jubiläumsgeld und die Bemessung der Abfertigung) nicht angerechnet.“

Der Kl begehrte von der Bekl die Zahlung einer Kündigungsentschädigung. Die Entlassung sei mangels Verschuldens an seiner Dienstunfähigkeit nach Pkt 32.6 KollV-Bord unberechtigt erfolgt, da ihm kein verschuldeter Lizenzverlust anzulasten sei, weil er sein Flugtauglichkeitszeugnis aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht wiedererlangt habe und auch der Selbstmordversuch auf die psychische Erkrankung zurückzuführen gewesen sei.

Die Bekl bestritt und wandte ein, dass durch den Verlust des Flugtauglichkeitszeugnisses der – verschuldensunabhängige – Entlassungsgrund des § 27 Z 2 AngG verwirklicht worden sei. Eine Einschränkung dieses Entlassungsgrundes durch den KollV-Bord sei sittenwidrig und daher unzulässig.

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren dem Grunde nach statt. Pkt 32.6 KollV-Bord enthalte für den Fall der dauernden Dienstunfähigkeit wegen unverschuldeten behördlichen Entzugs des Flugtauglichkeitszeugnisses eine für den DN günstigere Regelung als § 27 Z 2 AngG. Eine solche Beschränkung des Entlassungsrechts in Kollektivverträgen sei zulässig. Die durch eine psychische Erkrankung bewirkte Dienstunfähigkeit sei grundsätzlich als unverschuldet anzusehen.

Der OGH gab der außerordentlichen Revision der Bekl nicht Folge und hielt zusammenfassend wie folgt fest:

Nach dem AngG ist der DG zur Entlassung des Angestellten berechtigt, wenn dieser unfähig ist, die versprochenen oder die den Umständen nach angemessenen Dienste zu leisten (§ 27 Z 2 AngG). Der Angestellte muss zur Erbringung der vertraglich vereinbarten Arbeitsleistung gänzlich unfähig und daher schlechthin unverwendbar sein, und zwar dauernd und nicht nur bloß vorübergehend. Eine solche Unfähigkeit zur Erbringung der vereinbarten Dienste kann nach der Rsp bei einem AN, der für seine Tätigkeit eine bestimmte Berechtigung braucht, auch dann eintreten, wenn er diese Berechtigung verliert (vgl OGH 22.5.2002, 9 ObA 120/02s [Entzug des Führerscheins]). Ein Verschulden des DN an seiner Dienstunfähigkeit ist nicht erforderlich. Auch eine Entlassung wegen Dienstunfähigkeit ist überdies nur dann berechtigt, wenn dem DG die Weiterbeschäftigung des DN wegen des Entlassungsgrundes so unzumutbar geworden ist, dass eine sofortige Abhilfe erforderlich wird.

Der normative Teil eines KollV ist nicht nach den §§ 914915 ABGB, sondern nach den §§ 67 ABGB auszulegen. In erster Linie ist dabei der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text des KollV ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen. Bei der Auslegung von kollektivvertraglichen Bestimmungen ist davon auszugehen, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen wollten, verbunden mit einem gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen. Maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann.

Soweit die Revision damit argumentiert, dass die Kollektivvertragsparteien mit Pkt 32.7 KollV-Bord eine ausdrückliche Regelung für den Fall eines unverschuldeten Lizenzentzugs getroffen hätten, 284 lässt sie unberücksichtigt, dass dem DN zwar dadurch die Möglichkeit geboten wird („kann ... ansuchen“), nach unverschuldetem Lizenzentzug um eine (höchstens) einjährige Karenz anzusuchen, Pkt 32.7 KollV-Bord steht aber einer vor dem Ansuchen des DN um Karenz erfolgten Entlassung durch den DG, die unverzüglich ausgesprochen werden muss, nicht entgegen.

Der Bestimmung in Pkt 32.6 KollV-Bord hätte es aber nach zutreffender Ansicht des Berufungsgerichts gar nicht bedurft, folge man der Interpretation der Bekl, wonach damit nur klargestellt werde, dass die Entlassung auch im Fall verschuldeter Dienstunfähigkeit erfolgen könne. Den Kollektivvertragsparteien kann nicht unterstellt werden, eine „sinnlose“ Regelung getroffen zu haben. Es erforderte auch keiner Klarstellung, dass der verschuldete Entzug der behördlichen Erlaubnis zur Ausübung der im Dienstvertrag bedungenen Dienste bei einem als Bordpersonal beschäftigten DN zur Entlassung berechtigt, weil dieser Verlust – hier bei einem Piloten – im Regelfall zur Dienstunfähigkeit iSd § 27 Z 2 AngG führt. Vielmehr wird dadurch das Entlassungsrecht des DG im Falle eines Entzugs der behördlichen Erlaubnis zur Ausübung der im Dienstvertrag bedungenen Dienste auf den vom DN verschuldeten Verlust eingeschränkt. Damit tragen die Kollektivvertragsparteien erkennbar der für das Bordpersonal spezifischen Situation Rechnung, dass diese für ihre Dienstverwendung eine behördliche Erlaubnis (Zivilluftfahrerschein, Tauglichkeitszeugnis) benötigen (Pkt 33.1 KollV-Bord). Dass aber andererseits dadurch das Entlassungsrecht des DG nach § 27 Z 2 AngG insofern angepasst wird, als der schuldhafte Verlust der Berufslizenz den DG auch ohne dauernder Dienstunfähigkeit des Piloten zur sofortigen Auflösung des Dienstverhältnisses berechtigt – so die Revision –, mag durchaus sein. Ob diese allfällige zu Lasten des DN getroffene Erweiterung der gesetzlichen Entlassungstatbestände zulässig ist, ist hier aber nicht weiter zu untersuchen.

Grundsätzlich können auch wichtige Gründe, die zur vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen, vertraglich und somit auch kollektivvertraglich festgelegt werden. Nach Rsp und Lehre ist (nur) ein genereller, auch verschuldete Tatbestände umfassender Ausschluss der Entlassungsbefugnis des AG durch Vereinbarung wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Der Kernbereich der vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist nämlich zweiseitig zwingender Natur.

Nach Kietaibl/Rebhahn (in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 879 ABGB Rz 20) ist der Grund für die Unzulässigkeit nicht die Sittenwidrigkeit, sondern dass die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung nicht disponibel ist. Eine bloße Einschränkung oder Beschränkung des Entlassungsrechts, wenn damit nicht der Kernbereich des zwingenden Entlassungsrechts betroffen ist, wird jedoch für zulässig angesehen.

Ein genereller, auch verschuldete Tatbestände umfassender Ausschluss der Entlassungsbefugnis des DG, das den Kernbereich des zwingenden Entlassungsrechts beträfe, liegt durch die in Pkt 32.6 KollV-Bord bestimmte Regelung aber nicht vor. Die kollektivvertragliche Einschränkung des Entlassungstatbestands der Dienstunfähigkeit nach § 27 Z 2 AngG auf den vom DN verschuldeten Entzug der behördlichen Erlaubnis zur Ausübung seiner im Dienstvertrag bedungenen Dienste ist nach Auffassung des erkennenden Senats daher zulässig. Sie ist vom Kernbereich des Entlassungsrechts nicht umfasst. Offenbar halten die Kollektivvertragsparteien die Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses aufgrund eines vom DN unverschuldeten Entzugs der behördlichen Erlaubnis zur Ausübung seiner im Dienstvertrag bedungenen Dienste für zumutbar (vgl Pkt 32.7 KollV-Bord).

Zusammengefasst ist daher aus Sicht des OGH die in Pkt 32.6 KollV-Bord normierte Einschränkung des Entlassungstatbestands der Dienstunfähigkeit nach § 27 Z 2 AngG auf den vom DN verschuldeten Entzug der behördlichen Erlaubnis zur Ausübung seiner im Dienstvertrag bedungenen Dienste zulässig.