157Nichtanmeldung zur Sozialversicherung: Verhältnismäßigkeit der Strafbestimmungen der §§ 111 f ASVG vor dem Hintergrund der EuGH-Judikatur
Nichtanmeldung zur Sozialversicherung: Verhältnismäßigkeit der Strafbestimmungen der §§ 111 f ASVG vor dem Hintergrund der EuGH-Judikatur
Die Rsp des EuGH steht der Verhängung kumulierter Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen hinsichtlich solcher Straftatbestimmungen, die eine zulässige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs nach Art 56 AEUV darstellen, nicht grundsätzlich entgegen. Gefordert ist jedoch, dass die Härte der verhängten Sanktionen – insbesondere auch vor dem Hintergrund des Art 49 Abs 3 GRC – der Schwere der mit ihnen geahndeten Taten entspricht, indem sie insb eine wirklich abschreckende Wirkung gewährleistet, zugleich aber nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.
Die bei Missachtung der Verpflichtung zur Anmeldung pflichtversicherter Personen beim zuständigen Krankenversicherungsträger nach § 33 Abs 1 und 2 ASVG vorgesehenen Sanktionen gem § 111 Abs 1 Z 1 ASVG sind angesichts der mit der Pflichtverletzung einhergehenden finanziellen Ersparnis des DG und der möglichen Folgen für die einzelnen DN nicht bzw nicht generell unverhältnismäßig und können hinsichtlich jedes einzelnen DN eine – gesondert zu verfolgende – Verwaltungsübertretung darstellen.320
Die I GmbH beschäftigte ab September 2019 sechs AN, die zumindest der Pflichtversicherung in der UV unterlegen wären. Keiner dieser AN wurde vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger zur SV angemeldet.
Die Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung erkannte mit Straferkenntnis vom 3.3.2020 die handelsrechtliche Geschäftsführerin als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der I GmbH schuldig, sechs Verwaltungsübertretungen nach § 33 Abs 1 und 2 iVm § 111 Abs 1 Z 1 ASVG begangen zu haben und bestrafte sie gem § 111 Abs 2 erster Strafsatz ASVG (iVm § 9 Verwaltungsstrafgesetz [VStG]) zu sechs Geldstrafen, nämlich zwei Geldstrafen von je € 1.000,- (Ersatzfreiheitsstrafe von je 156 Stunden) und vier Geldstrafen von je € 730,- (Ersatzfreiheitsstrafen von je 108 Stunden). Weiters wurde sie gem § 64 VStG zur Zahlung eines Beitrags zu den Kosten des Strafverfahrens von € 492,- (10 % der Gesamtstrafe) verpflichtet.
Das LVwG Salzburg gab der Beschwerde der Geschäftsführerin hinsichtlich der Strafe Folge, verhängte anstelle der sechs Strafen eine einzige Geldstrafe in Höhe von € 1.500,- und reduzierte die auferlegten Kosten des behördlichen Strafverfahrens auf € 150,- (10 %). Das Gericht verwies auf das Urteil des EuGH vom 12.9.2019, C-64/18 ua, Maksimovic ua, in dem ausgesprochen wurde, dass im Fall der Nichtbereithaltung bzw -stellung von Lohnunterlagen – auch wenn es sich um Lohnunterlagen mehrerer AN handle – nur mehr eine Geldstrafe bis zum gesetzlich vorgesehenen Höchstmaß zu verhängen sei und eine Ersatzfreiheitsstrafe zu entfallen habe. Auch im gegenständlichen Fall sei daher nur mehr eine Geldstrafe zu verhängen, wobei im Hinblick auf die Beschäftigung von sechs DN die Strafe im oberen Bereich des Strafrahmens des § 111 Abs 2 ASVG anzusetzen gewesen sei.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision des Finanzamtes Salzburg-Land (nunmehr Finanzamt Österreich). Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass es der Rsp des VwGH entspreche, dass die Verletzung der Meldepflicht hinsichtlich jedes einzelnen DN eine gesondert zu verfolgende Verwaltungsübertretung darstelle und daher für jede dieser Verwaltungsübertretungen eine Strafe zu verhängen sei. Die zu Art 56 AEUV ergangene Judikatur des EuGH und des VwGH, auf die das Verwaltungsgericht (VwG) sich stütze, sei auf reine Inlandssachverhalte nicht anwendbar.
Die Revision war zulässig und berechtigt.
21 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, dass die Verletzung der Verpflichtung zur Anmeldung der Pflichtversicherung […] unterliegender Personen […] nach § 33 Abs 1 und 2 ASVG nicht gemeinsam mit anderen unterlassenen Anmeldungen weiterer Dienstnehmer als einheitliches (fortgesetztes) Delikt angesehen werden kann und die Verletzung der Meldepflicht hinsichtlich jedes einzelnen Dienstnehmers daher eine – gesondert zu verfolgende – Verwaltungsübertretung im Sinn des § 111 Abs 1 Z 1 ASVG darstellt […].
22 In seinem Urteil vom 12. September 2019, Maksimovic ua, C-64/18 ua, […] hat der EuGH über mehrere Vorabentscheidungsersuchen entschieden, die die Frage der Unionsrechtskonformität einer Strafbestimmung wie § 7i Abs 4 AVRAG […] betrafen, die bei grenzüberschreitendem Arbeitskräfteeinsatz für die unterlassene Bereitstellung von Lohnunterlagen einerseits Geldstrafen in Form von Mindeststrafen, die bei mehreren betroffenen Arbeitnehmern kumulativ und ohne Höchstgrenze verhängt werden, und andererseits Ersatzfreiheitsstrafen vorsehen. Weiters betrafen die Vorabentscheidungsersuchen die Frage der Unionsrechtskonformität einer Norm, die […] zwingend den Beitrag zu den Verfahrenskosten des Beschwerdeverfahrens mit 20 % der verhängten Strafe vorsieht. […]
23 Der EuGH sprach aus, Art 56 AEUV [Anm Dienstleistungsfreiheit] sei dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die für den Fall der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen und auf die Bereithaltung von Lohnunterlagen die Verhängung von Geldstrafen vorsieht, die einen im Vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen, die für jeden betreffenden Arbeitnehmer kumulativ und ohne Beschränkung verhängt werden, zu denen im Fall der Abweisung einer gegen den Strafbescheid erhobenen Beschwerde ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 20 % der verhängten Strafe hinzutritt und die im Fall der Uneinbringlichkeit in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt werden.
24 In seiner Begründung führte der EuGH auszugsweise aus:
„[…]
[Die] Regelung […] [steht] nicht in angemessenem Verhältnis zur Schwere der geahndeten Verstöße, die in der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen und die Bereithaltung von Lohnunterlagen bestehen.
Im Übrigen könnte die wirksame Durchsetzung der Verpflichtungen […] auch mit weniger einschränkenden Maßnahmen wie der Auferlegung von Geldstrafen in geringerer Höhe oder einer Höchstgrenze für solche Strafen gewährleistet werden, und ohne sie zwangsläufig mit Ersatzfreiheitsstrafen zu verknüpfen. […].“
25 Mit den mit § 7i Abs 4 AVRAG im Wesentlichen deckungsgleichen Strafbestimmungen des Lohn- 321 und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes (LSD-BG) hat sich der EuGH in seinem Urteil vom 19. Dezember 2019, NE, C-645/18 […] auseinandergesetzt. […] Hinsichtlich der Gründe dafür, warum die Sanktionen nicht in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der geahndeten Verstöße stünden, wiederholte der EuGH im Wesentlichen seine Ausführungen zu Maksimovic ua, C-64/18 ua.
26 Das Urteil des EuGH vom 14. Oktober 2021, MT, C-231/20, betraf […] insbesondere die Unionsrechtskonformität der in § 52 Abs 2 dritter Strafsatz Glücksspielgesetz (GSpG) vorgesehenen Strafen, wonach im Falle des unternehmerischen Zugänglichmachens verbotener Ausspielungen bei Übertretung mit mehr als drei Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenständen für jeden Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenstand eine Mindeststrafe von € 3.000 und eine Höchststrafe von € 30.000 vorgesehen ist. […]
27 In seiner Begründung erachtete der EuGH die Verhängung von Sanktionen hinsichtlich der angesprochenen Straftatbestände des GSpG für gerechtfertigt. […] Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit dieser Sanktionen führte er aus:
„[…]
46 Was als Erstes die Verhängung einer Mindestgeldstrafe für jeden nicht bewilligten Glücksspielautomaten betrifft, ist nicht ersichtlich, dass eine solche Sanktion für sich genommen im Hinblick auf die Schwere der fraglichen Taten unverhältnismäßig wäre, da […] von illegalem Automatenglücksspiel […] eine besonders hohe Sozialschädlichkeit ausgehen kann, wobei der Gerichtshof bereits darauf hingewiesen hat, dass die Ausspielungen zu Ausgaben verleiten, die schädliche persönliche und soziale Folgen haben können […].
47 Was die Höhe dieser Mindestgeldstrafe angeht, ist es Sache des nationalen Gerichts, bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Sanktion das Verhältnis zwischen der Höhe der möglichen Geldstrafe und dem wirtschaftlichen Gewinn aus der begangenen Tat zu berücksichtigen, um die Verantwortlichen von der Begehung einer solchen Tat abzuschrecken […]. Es muss sich jedoch unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vergewissern, dass der auf diese Weise festgesetzte Mindestbetrag nicht außer Verhältnis zu diesem Vorteil steht.“
[…]
31 Mit Blick auf den vorliegenden Fall ist zunächst zu untersuchen, ob im Sinn der dargestellten Rechtsprechung des EuGH eine Beschränkung der Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs vorliegt […].
32 […] Voraussetzung dafür, dass der freie Dienstleistungsverkehr nach Art 56 AEUV zum Tragen kommt, [ist] das Vorliegen eines Sachverhaltes […], dem eine zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erbrachte Dienstleistung im Sinn des Art 57 AEUV zugrunde liegt.
33 Aus den Feststellungen des Landesverwaltungsgerichts Salzburg sowie dem Akteninhalt sind keine Hinweise darauf abzuleiten, dass der Beschäftigung der sechs Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer durch die I GmbH eine Entsendung bzw Arbeitskräfteüberlassung aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zugrunde gelegen wäre. Eine Einschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs nach Art 56 AEUV ist daher bezogen auf den vorliegenden Fall nicht zu erkennen. Davon ausgehend ergibt sich schon deshalb – entgegen den Annahmen des Verwaltungsgerichts – aus der genannten Rechtsprechung des EuGH und der darauf Bezug nehmenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs keine Verdrängung nationalen Rechts.
34 Zu erwägen ist allerdings, ob sich aus einer unterschiedlichen Behandlung von Fällen mit und ohne Unionsrechtsbezug im Hinblick auf das aus dem Gleichheitsgrundsatz ableitbare Sachlichkeitsgebot hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der hier angewandten Strafbestimmung Bedenken ergeben, die den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art 89 Abs 2 und Art 140 Abs 1 B-VG zu einer Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof veranlassen müssten […]. Der Verfassungsgerichtshof hat nämlich in seiner ständigen Rechtsprechung den Gedanken einer besonderen sachlichen Rechtfertigung – unter Hinweis auf die „doppelte Bindung“ des Gesetzgebers bei der Umsetzung von Unionsrecht – auch auf die sogenannte „Inländerdiskriminierung“ übertragen. […]
36 Hinsichtlich eines möglichen Unionsrechtsbezugs sei daran erinnert, dass die Beurteilung, dem System der sozialen Sicherheit welchen Mitgliedstaates Beschäftigte unterliegen, sich nach der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO 883/2004) richtet. […]
38 […] Dienstnehmer, die im Rahmen von Arbeitskräfteüberlassungen innerhalb der Union bzw von Entsendungen, bei denen die Voraussetzungen des Art 12 VO 883/2004 nicht erfüllt sind und auch kein Anwendungsfall des Art 13 VO 883/2004 vorliegt, in Österreich tätig werden, [unterliegen] regelmäßig […] der Pflichtversicherung nach dem ASVG, sodass auch bei zwischenstaatlichen Arbeitskräfteüberlassungen bzw Entsendungen die Unterlassung der Verpflichtung zur Meldung nach § 33 Abs 1 (bzw Abs 1 und 2) ASVG nach § 111 Abs 1 ASVG strafbar sein kann. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass in derartigen Konstellationen diese Bestimmungen Maßnahmen darstellen, die im Sinn der Rechtsprechung des EuGH […] die Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs nach Art 56 AEUV zumindest weniger attraktiv machen.
39 Der EuGH hat aber bereits darauf hingewiesen, dass zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, die eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen können, unter anderem folgende Gründe gehören: der Schutz der Arbeitnehmer, die Verhinderung eines unlauteren 322 Wettbewerbs durch Unternehmen, die ihren entsandten Arbeitnehmern einen Lohn zahlen, der unterhalb des Mindestlohns liegt, soweit dieses Ziel auch dem Schutz der Arbeitnehmer in Hinblick auf die Bekämpfung von Sozialdumping dient, sowie die Bekämpfung von Betrug, insbesondere Sozialbetrug, und die Verhinderung von Missbräuchen, namentlich die Bekämpfung der Schwarzarbeit, sofern dieses Ziel insbesondere mit dem Ziel, das finanzielle Gleichgewicht der Systeme der sozialen Sicherheit zu wahren, zusammenhängen kann […].
40 Die Pflicht zur Anmeldung von Dienstnehmern nach § 33 ASVG und die für die Unterlassung dieser Verpflichtung vorgesehenen Strafen nach § 111 ASVG dienen in hohem Ausmaß derartigen Zielen. Insbesondere soll die Schwarzarbeit bekämpft und damit die Finanzierung des österreichischen Systems der Sozialversicherung sichergestellt werden […]. Darüber hinaus dienen die genannten Bestimmungen aber auch wesentlich dem Schutz der Interessen der einzelnen Dienstnehmer, die – ungeachtet des Prinzips der ex lege eintretenden Pflichtversicherung – bei nicht erfolgter Anmeldung Nachteile im Leistungsrecht (vgl § 225 ASVG) aufgrund des Unterbleibens einer Anmeldung nach § 33 ASVG erleiden können […].
41 Entgegen der vom Verwaltungsgericht vertretenen Rechtsansicht steht die Rechtsprechung des EuGH der Verhängung kumulierter Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen hinsichtlich solcher Straftatbestimmungen, die eine zulässige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs nach Art 56 AEUV darstellen, nicht grundsätzlich entgegen […]. Gefordert ist jedoch, dass die Härte der verhängten Sanktionen – insbesondere auch vor dem Hintergrund des Art 49 Abs 3 GRC – der Schwere der mit ihnen geahndeten Taten entspricht, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gewährleistet, zugleich aber nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. […]
42 In Zusammenhang mit der Strafbestimmung des § 111 Abs. 1 und 2 ASVG ist zu beachten, dass ein Dienstgeber sich durch die Missachtung der Verpflichtung zur Anmeldung pflichtversicherter Personen nach § 33 Abs. 1 und 2 ASVG hinsichtlich jedes einzelnen Dienstnehmers abzuführende Beiträge zur Sozialversicherung in rechtswidriger Weise ersparen kann, wobei diese Ersparnis – abhängig von der Dauer der Beschäftigung und der Höhe des Arbeitsentgelts – durchaus auch hohe Summen erreichen kann. Die Höhe der vorgesehenen Sanktionen muss dazu in einem angemessenen Verhältnis stehen, um im Sinn der Rechtsprechung des EuGH eine wirklich abschreckende Wirkung zu gewährleisten und somit derartige Vorgehensweisen unattraktiv zu machen. Im Übrigen kann nicht unbeachtet bleiben, dass – wie dargestellt – hinsichtlich jedes einzelnen Dienstnehmers bei Unterlassung der Anmeldung zur Pflichtversicherung Nachteile im Leistungsrecht zu befürchten sind.
43 Vor diesem Hintergrund kann aber nicht zweifelhaft sein, dass im Sinn der Rechtsprechung des EuGH bzw. der daraus zu Tage tretenden Wertungen die für Verwaltungsübertretungen nach § 111 Abs. 1 Z 1 ASVG iVm. § 33 Abs. 1 (bzw. § 33 Abs. 1 und 2) ASVG in § 111 Abs. 2 ASVG (iVm. § 9 VStG) vorgesehenen Sanktionen nicht bzw. jedenfalls nicht generell unverhältnismäßig sind.
[…]
45 Mit Blick auf das vorliegende Verfahren braucht nicht abschließend untersucht zu werden, ob bzw unter welchen Umständen es (Einzel-)Fälle mit Unionsrechtsbezug geben könnte, bei denen in diesem Sinn nach § 111 Abs 2 ASVG verhängte (Mindest-)Geldstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen nicht verhältnismäßig bzw die nach § 64 VStG bzw § 52 VwGVG auferlegten Kosten des Verfahrens überhöht sein könnten. Es liegt nämlich […] im vorliegenden Fall jedenfalls kein Hinweis darauf vor, dass die mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung vom 3. März 2020 verhängten zwei Geldstrafen von je € 1.000 und vier Geldstrafen von je € 730 in Hinblick auf die festgestellten Verwaltungsübertretungen nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wie er in der Rechtsprechung des EuGH dargestellt wurde, entsprochen hätten.
46 Es hat daher dabei zu bleiben, dass im vorliegenden Fall die Verletzung der Meldepflicht hinsichtlich jedes einzelnen Dienstnehmers eine – gesondert zu verfolgende – Verwaltungsübertretung nach § 111 Abs 1 Z 1 ASVG iVm § 33 Abs 1 und 2 ASVG darstellt und jeweils eine Verwaltungsstrafe nach dem ersten Strafsatz des § 111 Abs 2 ASVG zu verhängen gewesen wäre.
Gegenständliche E des VwGH zeigt erneut auf, dass das Urteil des EuGH in der Rs Maksimovic ua nicht zur Folge hat, dass das im österreichischen Verwaltungsstrafrecht geltende Kumulationsprinzip, die Mindest- und Ersatzfreiheitsstrafe sowie das System der prozentuell anhand der Strafhöhe berechneten Verfahrenskosten gänzlich abgeschafft wurden. Vielmehr ist im Einzelfall zu prüfen, ob es sich um eine zulässige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs in dem Sinne handelt, als die verhängten Strafen mit Blick auf den Unrechtsgehalt der Tat und die mit der Strafe verfolgten Ziele verhältnismäßig sind.
Der VwGH gelangte zu dem Ergebnis, dass die verhängten Strafen bei Nichtanmeldung von DN zur SV und die damit einhergehende Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechen und in dem Sinne nicht unverhältnismäßig und in weiterer Folge inländerdiskriminierend sind. Diese Beurteilung des VwGH ist im Interesse der Versichertengemeinschaft, aber auch aus Sicht des einzelnen AN zu begrüßen: Die Missachtung der Verpflichtung zur Anmeldung 323 pflichtversicherter Personen hat – wie der VwGH treffend ausführt – nicht nur einen finanziellen Vorteil für den DG und damit einhergehend eine Lücke in der Finanzierung des österreichischen Systems der SV zur Folge, sondern kann auch beträchtliche Nachteile für die einzelnen betroffenen DN nach sich ziehen. Denn das Recht auf Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen verjährt gem § 68 Abs 1 ASVG binnen drei Jahren bzw für den Fall, dass die Nichtmeldung durch den DG bei gehöriger Sorgfalt als notwendig erkannt werden hätte müssen, binnen fünf Jahren. Sofern die unterlassene Meldung erst nach diesem Zeitpunkt offenkundig wird, können die Beiträge zwar bis längstens zum Pensionsstichtag nachentrichtet werden, allerdings trifft diesfalls die Verpflichtung zur Zahlung sowohl der DN- als auch der DG-Beiträge ausschließlich die versicherte Person selbst. Je nach Dauer der Beschäftigung und Höhe des Arbeitsentgelts können so beträchtliche Nachzahlungen im Raum stehen, weshalb die Betroffenen oftmals finanziell nicht in der Lage sind, die Beiträge nachzuentrichten. Dies zieht wiederum Nachteile im Leistungsrecht, insb eine geringere Pensionshöhe, nach sich.
Sofern das VwG die EuGH-Judikatur in der Rs Maksimovic ins Treffen führt, sei darauf verwiesen, dass sich gegen dieses Urteil auch kritische Stimmen geregt haben. Dies ua deshalb, als auch die – vom EuGH als „Formalvorschriften“ bezeichnete – Bereithaltung bzw -stellung von Lohnunterlagen letzten Endes die Einhaltung materieller Regelungen sicherstellen soll und außer Acht gelassen wurde, dass auch das österreichische System der Strafbemessung im Verwaltungsstrafrecht bspw die Möglichkeit der außerordentlichen Strafmilderung bis auf die Hälfte der Mindeststrafe bei Überwiegen von Milderungsgründen sowie die Beachtung des Gebots der Verhältnismäßigkeit vorsieht (vgl Schindler, Der EuGH zu nationalen Regeln gegen Lohn- und Sozialdumping – Alte Fehler und neue Probleme, DRdA 3/2022, 195).
Ob Fallkonstellationen denkbar sind, in denen die in § 111 Abs 2 ASVG vorgesehenen (Mindest-)Geldstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen nicht verhältnismäßig bzw die nach § 64 VStG bzw § 52 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) auferlegten Kosten des Verfahrens überhöht sind, lässt der VwGH aufgrund der eindeutigen Lagerung des gegenständlichen Sachverhalts offen.