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Ersatzanspruch der Sozialversicherungsträger nach Arbeitsunfall durch grob fahrlässiges arbeitgeberseitiges Handeln

MANFREDTINHOF

Der als Hilfsarbeiter beschäftigte R sollte am 29.3.2017 im Zuge der Sanierung eines Hauses gemeinsam mit einem Arbeitskollegen Abbrucharbeiten im Bereich eines Dachbodens durchführen. Vor Beginn der Abbrucharbeiten wurde keine Untersuchung des Bauzustands nach § 110 Abs 1 Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) durchgeführt. Ebenso wenig wurde eine schriftliche Abbruchanweisung mit Gefahrenhinweisen und Sicherheitsmaßnahmen nach § 110 Abs 4 BauV erteilt. Es wurde auch keine Aufsichtsperson zur Überwachung der Sicherheit auf der Baustelle nach § 4 Abs 1 BauV bestellt. Als der Arbeitskollege mit einem Hammer auf eine tragende Ytong-Wand einschlug, um sie abzutragen, machte ihn R darauf aufmerksam, dass die Zwischendecke instabil werde. Der Kollege schlug aber unter Hinweis auf den bestehenden Zeitdruck weiter auf die Wand ein. Als sich die Zwischendecke senkte, konnte sich der Arbeitskollege noch in Sicherheit bringen. R wurde von der herunterstürzenden Decke schwer verletzt und ist seither querschnittsgelähmt.

Die kl Sozialversicherungsträger begehrten vom ehemaligen Arbeitgeber R‘s, von dessen Geschäftsführer sowie dem Arbeitskollegen R‘s insgesamt € 273.140,25 sA für die gegenüber R bereits erbrachten Leistungen und die Feststellung der Haftung der Bekl für alle Leistungen, die sie ihm in Folge des Unfalls nach den geltenden sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften erbringen müssen.

Das Erstgericht qualifizierte das Verhalten der Bekl als grob fahrlässig und stellte mit Teil- und Zwischenurteil fest, dass die Zahlungsbegehren nach § 334 ASVG dem Grunde nach zu Recht bestehen und die Bekl für die von den Kl aufgrund des Unfalls zu erbringenden Leistungen haften. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der OGH erachtete die außerordentliche Revision der Bekl mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nach § 502 Abs 1 ZPO als nicht zulässig.

Die Revisionswerber machen geltend, dass der „Risikozusammenhang“ durch das nachträgliche grob fahrlässige Verhalten eines Dritten unterbrochen worden sei, weil der Arbeitskollege R‘s trotz Warnung mit einem Hammer auf die Wand eingeschlagen habe. Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang aber darauf hingewiesen, dass angesichts des Fehlens einer Abbruchanweisung, des Einsatzes nicht ausgebildeter Arbeiter und des Unterbleibens jeglicher Sicherheitsvorkehrungen eine Verletzung von Arbeitern durchaus vorhersehbar war. Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält sich im Rahmen der höchstgerichtlichen Rsp, wonach das Dazwischentreten eines Dritten den Kausalzusammenhang nur dann unterbricht, wenn mit einer derartigen Handlung eines Dritten und dem dadurch bedingten Geschehensablauf nach der Lebenserfahrung nicht zu rechnen war.

Die Frage, ob die in § 334 Abs 1 ASVG geforderte grobe Fahrlässigkeit vorliegt, ist stets nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu lösen. Richtig ist, dass nicht jede Übertretung einer Unfallverhütungsvorschrift grobe Fahrlässigkeit bedeutet. Eine Mehrzahl jeweils für sich allein nicht grob fahrlässiger Fehlhandlungen kann aber grobe Fahrlässigkeit begründen, wenn diese in ihrer Gesamtheit als den Regelfall weit übersteigende Sorglosigkeit anzusehen sind. Bei der Beurteilung der Schwere des Sorgfaltsverstoßes kommt es insb auch auf die Gefährlichkeit der Situation an. Angesichts der hier vorliegenden Gleichgültigkeit gegenüber AN-Schutzvorschriften in Verbindung mit der besonderen Gefährlichkeit von Abbrucharbeiten ist in der Annahme grober Fahrlässigkeit keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung zu erkennen. 290