Kietaibl/ReschArbeitsrechtlicher Schutz aus unionsrechtlichen Vorgaben

Verlag des ÖGB, Wien 2021, 160 Seiten, broschiert, € 29,90

ERIKAKOVÁCS (WIEN)

Wenn ein traditionelles Format – eine jahrzehntelange wissenschaftliche Veranstaltung – mit neuem Inhalt gefüllt wird, dann kann daraus etwas Wertvolles entstehen. Das ist der Fall mit dem neuesten Band in der Reihe „Schriften zum Arbeitsrecht und Sozialrecht“ des ÖGB-Verlags, der unter der Herausgeberschaft von Christoph Kietaibl und Reinhard Resch erschienen ist. Das Werk umfasst die schriftlichen Beiträge des 44. Praktikerseminars am 20.11.2020 in Klagenfurt, das vom Institut für Rechtswissenschaften der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und der Arbeiterkammer Kärnten organisiert wurde.

Diese Veranstaltungsreihe, zuerst als wissenschaftliches Seminar, später als Praktikerseminar bezeichnet, wurde von Resch gegründet, das erste Seminar fand im Dezember 1998 statt. Im Juni 2022 erfolgte bereits das 47. Seminar, das zugleich auch das letzte von Resch mitorganisierte war, die Veranstaltungsreihe wird nun Kietaibl mit der AK fortführen. Die ersten Jahre kam der Tagungsband des Seminars im Linde-Verlag in der ASoK-Schriftenreihe heraus, seit etwas mehr als 20 Jahren werden die Bände beim ÖGB-Verlag veröffentlicht.

Thematisch ist der Band die Fortsetzung des 2020 in der gleichen Reihe erschienenen Werkes. Alle drei Beiträge beschäftigen sich mit den Auswirkungen des Unionsrechts auf das nationale Recht.

Nora Melzer gibt eine fundierte Darstellung über die RL über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen. Sie lehnt die abgekürzte Bezeichnung „Transparenzrichtlinie“ wegen der Verwechslungsgefahr mit zwei anderen Richtlinien ab und nennt die RL „Transparente-Arbeitsbedingungen-RL“. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese – durchaus präzisere – Bezeichnung durchsetzen kann. Die RL ist eine der neueren Richtlinien, die den persönlichen Geltungsbereich durch eine Kombination der nationalen AN-Begriffe mit dem autonomen unionsrechtlichen Terminus bestimmen. Was das Abstellen auf die jeweiligen nationalen Arbeitsvertrags- oder Arbeitsverhältnisbegriffe unter gleichzeitiger zwingender Berücksichtigung der Rsp des EuGH konkret bedeutet, ist offen. Melzer macht zuerst auf die Unterschiede zwischen den zwei Begriffen aufmerksam (Entgeltbedingung, Beamtenverhältnis) und hält anschließend fest, dass in Österreich alle AN iSd § 1151 ABGB und zusätzlich alle Personen, die den unionsrechtlichen AN-Begriff erfüllen, erfasst sind (23 ff). Somit spricht sie dafür, dass die Vorschriften der RL jedenfalls dann zur Anwendung kommen, wenn einer der Begriffe erfüllt ist. Dieser Interpretation kann zugestimmt werden. Der derzeitige persönliche Geltungsbereich des AVRAG erfüllt mit den zahlreichen Ausnahmen des § 1 diese Anforderung nicht, schließlich könnten sowohl Vertragsbedienstete als auch Landarbeiter sowie Heimarbeiter bei der Erfüllung der Voraussetzungen unter den autonomen AN-Begriff fallen. Freie DN schließt Melzer ausdrücklich vom Geltungsbereich der RL aus. Das ist mE nicht ganz unbedenklich, weil eine gewisse Weisungsgebundenheit auch bei diesen Personen vorliegen kann, die dann zur Erfüllung des autonomen AN-Begriffs führt.

Die RL bietet die neue Möglichkeit an, die erforderlichen Informationen dem AN in digitaler Form (eDienstzettel) zur Verfügung zu stellen. Was genau unter dieser elektronischen Form zu verstehen ist, präzisiert Melzer mit einem Verweis auf eine OGH-E über Kündigung per WhatsApp (28 f).

Die RL legt im Vergleich zu der früheren Nachweis-RL zusätzliche Arbeitsbedingungen – Mindeststandards – fest. Wie Melzer zutreffend feststellt, besteht hinsichtlich der sechsmonatigen Höchstdauer der Probezeit in Österreich im Wesentlichen – mit der Ausnahme der Judikatur über die Berücksichtigung der Dienstzeiten bei den War 617tezeiten der leitenden Angestellten – kein Umsetzungsbedarf (39 ff). Einen solchen gibt es jedoch sehr wohl hinsichtlich der individualisierten Antwortpflicht der AG über eine vorhandene freie Arbeitsstelle mit besseren Arbeitsbedingungen, dh in Vollzeit oder unbefristet (44 f). Bemerkenswert sind schließlich die Ausführungen zu möglichen effektiven Sanktionen (47 f).

Im zweiten Beitrag untersucht Gert-Peter Reissner die EuGH-Judikatur zum Betriebsübergang und die einschlägigen Entscheidungen des OGH mit einem unionsrechtlichen Bezug in den Jahren 2018 bis 2020. Die Abhandlung bietet eine detaillierte Darstellung und Analyse der Urteile, mit deren Hilfe jeder einen guten Überblick über die Entwicklungstendenzen insb der EuGH-Rsp gewinnen kann.

Zwei besondere Konstellationen sollen hier hervorgehoben werden: Zum einen die überlassenen AN (53 ff), zum anderen das Problem des „Springers“ (73 ff). Beide Spezialfälle teilen die Charakteristik, dass die betroffenen AN der übergehenden Einheit wegen zeitlicher oder organisatorischer Gründe nicht eindeutig zugeordnet werden können.

Hinsichtlich der überlassenen AN bildet die Albron-E den Ausgangspunkt. Nach Reissner ist es entscheidend, ob eine Überlassung „ständig“ ist, wobei hierfür sE nicht die zeitliche Komponente, sondern das Konzept der Überlassung ausschlaggebend sein soll. Wenn keine Perspektive für die Rückkehr zum Überlasser und für eine andere Überlassung zu einem anderen Beschäftiger besteht, dann soll der „überlassene“ AN vom Betriebsübergang erfasst werden. In diesem Fall würde jedoch keine klassische Arbeitskräfteüberlassung vorliegen, wie Reissner selbst auch feststellt. ME ist es zum einen fraglich, ob eine ständige Arbeitskräfteüberlassung konzeptionell, losgelöst von der zeitlichen Komponente, festgestellt werden kann. Eine solche Feststellung ist bei einer formellen Arbeitskräfteüberlassung höchstens ex post möglich. Zum anderen ist es nicht eindeutig, dass im Albron-Fall tatsächlich eine Arbeitskräfteüberlassung und nicht eine andere Form der konzerninternen Überlassung von AN vorlag. Reissner ist insofern zuzustimmen, dass nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses eines überlassenen AN die Spaltung des Arbeitsverhältnisses beendet wird und beim Erwerber ein einheitliches Arbeitsverhältnis entsteht.

Beim sogenannten „Springer“-Problem handelt es sich um die Frage, ob ein AN vom Betriebsübergang erfasst werden soll, wenn er der übergehenden Einheit organisatorisch nicht fix zugeordnet ist, sondern seine Tätigkeit in mehreren Einheiten mit variierenden Arbeitsplätzen ausübt und die einzelnen Einheiten an verschiedene Erwerber übergehen. Der EuGH lehnte im Urteil ISS Facility Services die Möglichkeit ab, dass in einem solchen Fall der Arbeitsvertrag nur auf jenen Erwerber übergehen soll, bei dem der AN seine Aufgaben hauptsächlich wahrnimmt. Die Begründung dafür war, dass die Rechte und Pflichten vollständig auf diesen Erwerber übergehen würden, der AN jedoch seine Aufgaben bei ihm nur zum Teil wahrnehmen würde. Stattdessen sollen die Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsvertrag auf die Erwerber anteilig, entsprechend den von dem AN wahrgenommenen Aufgaben übergehen. Wenn eine solche Aufspaltung des Arbeitsverhältnisses unmöglich ist, soll das Arbeitsverhältnis nach Reissner beim alten Inhaber verbleiben.

Im dritten Beitrag liefert Monika Drs eine beachtliche Analyse der neueren Rsp zum Urlaubsrecht und prüft hierbei die Unionsrechtskonformität der OGHJudikatur. Im Rahmen des Ausmaßes des Urlaubsanspruchs beschreibt sie ua die divergierende Rsp des EuGH und OGH zum Wechsel von Voll- auf Teilzeit und macht auf zwei Aspekte aufmerksam: Zum einen sollte der AG den AN durch angemessene Aufklärung über die drohenden Konsequenzen in die Lage versetzen, den Urlaubsanspruch rechtzeitig – noch vor dem Wechsel – in Anspruch zu nehmen. Diesem Argument ist zuzustimmen, es löst jedoch das grundsätzliche Problem der unterschiedlichen Umrechnungsmethode nicht in allen Fällen. Zum anderen schlägt Drs vor, dass ein unionsrechtskonformes Ergebnis auch durch die volle – dh auf Basis des vor der Umstellung der Arbeitszeit gebührende – Bezahlung des nicht genommenen Urlaubs erreicht werden könnte. Damit würde man das Problem des Umfangs des Urlaubsanspruchs von der Bezahlung für den Urlaub loslösen. Hierbei ist jedoch mE zu beachten, dass die finanzielle Abgeltung des vierwöchigen Urlaubsanspruchs nach dem Unionsrecht ausschließlich bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zulässig ist.

Zu Recht kritisiert Drs die E des OGH (8 ObA 62/18bDRdA 2020/36, 378 [Auer-Mayer]), in der es um einen AN ging, der als Scheinselbständiger in Form eines freien Dienstverhältnisses beschäftigt wurde (123 ff). Der OGH sprach sich für die Verjährung des Urlaubsanspruchs aus und verwies auf die Möglichkeit einer Feststellungsklage. Diese E widerspricht dem EuGH-Urteil King, das die Hemmung der Verjährung fordert, wenn der AG den Urlaubskonsum wegen Scheinselbständigkeit verweigert. Da der Nichtverbrauch des Urlaubs in solchen Fällen immer am AG liegt, darf der Anspruch nicht verjähren. Dass der OGH dennoch für die Verjährung des Anspruchs sprach, kann – wie Drs zutreffend ausführt – mit dem Vorliegen des wirksamen Rechtsbehelfs allein nicht gerechtfertigt werden. Vielmehr ist der AG verpflichtet, den AN tatsächlich in die Lage zu versetzen, den Urlaubsanspruch wahrzunehmen und dazu gehört es auch, die Angst vor möglichen Sanktionen wegen Urlaubsverbrauchs zu nehmen. Der Urlaub kann folglich nur dann zeitbedingt untergehen, wenn der AG den Nichtverbrauch nicht zu verantworten hat.

Alle drei Beiträge bieten umfassende, detailreiche und kritische Analysen der Neuerungen in den ausgewählten Rechtsgebieten des Unionsrechts unter Einbeziehung der Auswirkungen und Entwicklungen in Österreich. Daher sind sie für Wissenschaftler*innen wie auch für Praktiker*innen uneingeschränkt empfehlenswert.